Die barmherzigen Samariter von Coutts
Meine Frau und ich verbringen unseren Lebensabend in Portsmouth in England. Wir sind seit 48 Jahren verheiratet und gehören der Anglikanischen Kirche an. Wir hatten immer den Eindruck, dass die Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage aufdringlich, religiöse Eiferer und fest entschlossen seien, jedermann zu ihrem Glauben zu bekehren. Unsere Meinung änderte sich aber auf einer unvergesslichen Reise nach Kanada, als wir in einem Schneesturm festsaßen.
Wir bereisten mit einer Gruppe, die vorwiegend aus älteren Landsleuten bestand, die Nationalparks Banff und Yellowstone sowie die Rocky Mountains. Wir hatten allerdings kein großes Glück mit dem Wetter. Eine Nacht hatten wir in Lethbridge verbracht. Am nächsten Morgen sahen wir, dass es geschneit hatte. Auf dem Weg zur US-Grenze wurde aus dem Regen Schnee. Dort angekommen, mussten wir feststellen, dass die Straße auf der Seite der Vereinigten Staaten gesperrt war. Uns blieb nichts anderes übrig, als umzukehren. Nach acht Kilometern stießen wir auf einen Lastwagen, der sich mit seinem Anhänger quer gestellt hatte und die Straße blockierte. Wir saßen in der Falle – wir konnten weder weiterfahren noch zurück zur Grenze.
Während wir im Bus festsaßen, vertrieben wir uns die Zeit mit Ratespielen, fröhlichen Liedern und allgemeiner Unterhaltung; schließlich waren wir ja gewiss, dass bald Hilfe eintreffen würde und dass wir bis dahin in dem Bus sicher waren. Nach über fünf Stunden wurden wir schließlich von einem Polizisten, der mit einem Motorschlitten unterwegs war, gefunden. Ein Löschzug der Feuerwehr bahnte dann im Schnee eine Spur, sodass der Bus wenden konnte. Erschöpft und hungrig fuhren wir zum nächstgelegenen Ort und hielten vor der Kirche an, die von vielen der Feuerwehrleute besucht wurde – dem Gemeindehaus der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Coutts, einer Ortschaft in der kanadischen Provinz Alberta.
Das anglikanische Gotteshaus, das wir zu Hause besuchen, ist über 150 Jahre alt. Es hat nur einen kleinen Versammlungsraum und wenig andere Räume, deshalb hielten wir es für unmöglich, dass in einer Kirche 40 Fremde unterkommen können, die von einem Schneesturm aufgehalten wurden. Doch eine Stunde nach unserem Eintreffen hatten die Frauen und die Jugendlichen der Gemeinde bereits eine vollwertige Mahlzeit zubereitet. Es gab Ofenkartoffeln und Chilisauce.
Wir staunten noch mehr, als wir feststellten, dass unsere Retter genug eigene Probleme hatten. Eine junge Mutter hatte zu Hause keinen Strom, aber sie hatte die kleineren Kinder bei einer Freundin gelassen und war mit den größeren gekommen, um uns zu helfen. Ein Ratgeber des Bischofs führte uns durch das Gebäude und vergewisserte sich, dass wir gut versorgt waren, ehe er abends zur Arbeit ging.
Bevor wir schlafen gingen, überraschten uns die Jugendlichen der Gemeinde Coutts mit der spontanen Aufführung eines Theaterstücks, das sie geprobt hatten. Dann wurde schließlich die Heizung aufgedreht und wir konnten es uns für die Nacht gemütlich machen.
Am nächsten Morgen hatten sich die Straßenverhältnisse so gebessert, dass wir weiterreisen konnten. Wir nahmen noch das Frühstück ein, das die Gemeinde für uns vorbereitet hatte, und setzten unsere schöne Reise fort. Noch immer waren wir zutiefst beeindruckt von der Gastfreundschaft der Heiligen der Letzten Tage. Sie hatten bereitwillig die Türen ihrer Kirche geöffnet und Fremden, die nicht weiterfahren konnten, Nahrung und Bettzeug zur Verfügung gestellt und, was am wichtigsten war, sie wie Freunde behandelt.
Unsere Vorstellung von den aufdringlichen Mitgliedern der Kirche Jesu Christi wurde durch freundliche, hilfsbereite Menschen, die ihren Glauben im täglichen Leben unter Beweis stellen, korrigiert. Jetzt sind wir wieder in England, denken gern an unseren Urlaub zurück und danken Gott für unsere Freunde in der Kirche Jesu Christi der Heiligen Letzten Tage, die uns wie der barmherzige Samariter zur Hilfe kamen.
Alan P. Kingston wohnt in Portsmouth in England.