„Weide meine Schafe“
Die Menschen sind eher aufgeschlossen für unseren Einfluss, wenn sie spüren, dass wir sie wirklich lieb haben und nicht nur eine Berufung erfüllen wollen.
Der Erretter stellte Petrus eines Tages eine Frage, und zwar dreimal:
„Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!“1
Weil der Herr zutiefst um das Wohlergehen der Kinder des himmlischen Vaters besorgt war, legte er Petrus das Weiden der Schafe besonders ans Herz. In einer Offenbarung, die Joseph Smith gegeben wurde, brachte er dieselbe Sorge in neuerer Zeit nochmals zum Ausdruck.
„Nun sage ich dir, und was ich zu dir sage, das sage ich zu allen Zwölf: Erhebt euch und gürtet euch die Lenden, nehmt euer Kreuz auf euch, folgt mir nach und weidet meine Schafe.“2
Wenn wir uns mit den heiligen Schriften befassen, stellen wir fest, dass der Erretter sich um die individuellen Bedürfnisse der Menschen kümmerte. So war es beispielsweise auch in der Nähe von Kafarnaum. Jaïrus, der Synagogenvorsteher, fiel Jesus zu Füßen und bat ihn, in sein Haus zu kommen und seine Tochter, die im Sterben lag, zu segnen. Jesus ging mit Jaïrus, obwohl die Menschenmenge es ihm schwer machte, schnell voranzukommen.
Da kam ein Bote, der Jaïrus mitteilte, dass seine Tochter bereits gestorben war. Jaïrus behielt, obwohl er trauerte, seinen unerschütterlichen Glauben an den Herrn, der ihn mit den Worten tröstete: „Sei ohne Furcht; glaube nur, dann wird sie gerettet.
Als er in das Haus ging, ließ er niemand mit hinein außer Petrus, Johannes und Jakobus und die Eltern des Mädchens.
Alle Leute weinten und klagten über ihren Tod. Jesus aber sagte: Weint nicht! Sie ist nicht gestorben, sie schläft nur. …
Er aber fasste sie an der Hand und rief: Mädchen, steh auf!
Da kehrte das Leben in sie zurück, und sie stand sofort auf. Und er sagte, man solle ihr etwas zu essen geben.“3
Jesus begegnete allen geduldig und liebevoll, die zu ihm kamen, damit ihre körperlichen, seelischen oder geistigen Gebrechen gelindert wurden oder weil sie entmutigt oder bedrückt waren.
Wenn wir dem Beispiel Jesu folgen wollen, muss ein jeder von uns die Augen aufhalten und sich um die Schafe bemühen, denen es auch so ergeht; wir müssen sie aufrichten und sie ermuntern, ihren Weg zum ewigen Leben fortzusetzen.
Das ist heute ebenso notwendig oder vielleicht sogar noch notwendiger als zur Zeit Jesu. Als Hirten müssen wir wissen, dass wir jedes einzelne unserer Schafe pflegen und hegen müssen, um es zu Christus zu bringen; darum geht es ja bei allem, was wir in dieser Kirche tun.
Jede Aktivität, jede Versammlung und jedes Programm soll auf dieses Ziel abgestellt sein. Wenn wir uns vor Augen halten, was die Menschen brauchen, können wir sie stärken und ihnen helfen, ihre Herausforderungen zu meistern, damit sie standhaft auf dem Weg bleiben, der sie in die Gegenwart des himmlischen Vaters zurückführt. Wir können ihnen helfen, bis ans Ende auszuharren.
Im Evangelium Jesu Christi geht es um Menschen, nicht um Programme. Manchmal sind wir so darauf bedacht, unsere Aufgaben in der Kirche zu erfüllen, dass wir zu viel Zeit auf Programme verwenden, anstatt uns auf die Menschen zu konzentrieren; und dabei übersehen wir dann völlig, was sie wirklich brauchen. Wenn so etwas geschieht, verlieren wir das Ziel unserer Berufung aus den Augen. Wir vernachlässigen die Menschen und hindern sie daran, ihr göttliches Potenzial, ewiges Leben, zu erreichen.
Kurz bevor ich zwölf Jahre alt wurde, bat mein Bischof mich zu einer Unterredung. Er erklärte mir, wie ich mich darauf vorbereiten müsse, das Aaronische Priestertum zu empfangen und zum Diakon ordiniert zu werden. Als die Unterredung zu Ende ging, holte er einen Satz Formulare aus dem Schreibtisch und forderte mich auf, sie auszufüllen. Es waren Unterlagen für eine Missionsberufung. Ich war verblüfft. Ich war ja erst elf! Doch dieser Bischof hatte eine Vision von der Zukunft und von den Segnungen, die ich erlangen konnte, wenn ich mich auf die richtige Weise darauf vorbereitete, zu gegebener Zeit auf Mission zu gehen.
Er vermittelte mir, dass ihm wirklich an mir gelegen war. Er erläuterte mir die Schritte, die ich unternehmen musste, um mich sowohl finanziell als auch geistig darauf vorzubereiten, dem Herrn zu dienen. Nach diesem Tag hatte ich mindestens zweimal im Jahr eine Unterredung mit ihm bzw. mit dem Bischof nach ihm, bis ich 19 war, und sie hielten mich dazu an, in meinen Vorbereitungen treu zu bleiben.
Sie behielten meine Missionsunterlagen in ihren Akten und erwähnten sie bei jeder Unterredung. Mit Hilfe meiner Eltern und mit der Ermutigung dieser fürsorglichen und geduldigen Bischöfe erfüllte ich eine Mission. Die Mission half mir, eine Vorstellung von den Segnungen zu erlangen, die Gott für alle bereithält, die bis ans Ende ausharren.
Jeder muss sich geliebt fühlen, ob Kind, Jugendlicher oder Erwachsener. Seit einigen Jahren ist uns geraten worden, uns bei unserer Arbeit auf Neubekehrte und weniger aktive Mitglieder zu konzentrieren. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sich jemand für sie interessiert, bleiben sie eher in der Kirche.
Als Jesus seinen Aposteln die letzten Weisungen gab, sagte er:
„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.
Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“4
Die Menschen sind eher aufgeschlossen für unseren Einfluss, wenn sie spüren, dass wir sie wirklich lieb haben und nicht nur eine Berufung erfüllen wollen. Wenn wir jemandem aufrichtige Liebe erweisen, kann er den Einfluss des Geistes spüren und ist eher bereit, dem zu folgen, was wir ihn lehren. Es ist nicht immer einfach, die Menschen so zu lieben, wie sie sind. Der Prophet Mormon hat erklärt, was wir tun sollen, wenn es uns einmal schwer fällt:
„Darum, meine geliebten Brüder, betet mit der ganzen Kraft des Herzens zum Vater, dass ihr von dieser Liebe erfüllt werdet, die er allen denen verleiht, die wahre Nachfolger seines Sohnes Jesus Christus sind, damit ihr Söhne Gottes werdet, damit wir, wenn er erscheinen wird, so sein werden wie er – denn wir werden ihn sehen, wie er ist –, damit wir diese Hoffnung haben, damit wir rein gemacht werden, ja, wie er rein ist.“5
Christus selbst diente den Menschen, machte ihnen die Bürde leicht, gab den Entmutigten Hoffnung und suchte die Verirrten. Er zeigte den Menschen, wie sehr er sie liebte und sie verstand und wie kostbar sie waren. Er bestätigte ihnen, dass sie von göttlicher Art und von ewigem Wert waren. Selbst wenn er die Menschen zur Umkehr rief, verurteilte er die Sünde, aber nicht den Sünder.
Der Apostel Paulus betonte in seinem ersten Brief an die Korinther, wie notwendig es ist, jedem Schaf in der Herde des Herrn diese aufrichtige Liebe zu erweisen:
„Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.
Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. … …
Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“6
Wenn wir dem Beispiel und den Lehren des Erretters folgen, können wir Menschen helfen, ihre irdische Mission zu erfüllen und zum himmlischen Vater zurückzukehren.
Davon gebe ich Ihnen Zeugnis im Namen Jesu Christi. Amen.