2006
Alles Gute hat seinen Preis
Januar 2006


Alles Gute hat seinen Preis

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der Herr uns besser kennt als wir uns selbst und dass wir auf die Verheißungen vertrauen können, die die Priestertumsführer aussprechen, weil wir ja wissen, dass sie durch den Geist ausgesprochen werden und vom Herrn stammen. Der Geist bestätigt uns, dass diese Verheißungen sich erfüllen werden, wenn wir treu die Gebote halten.

Mit 14 habe ich zwei amerikanische Missionare kennen gelernt. Ich wollte gern Näheres über das Buch Mormon in Erfahrung bringen, und so machten wir einen Termin aus. Meine ganze Familie hörte sich die erste Lektion an, doch dann wollte sich keiner weiter damit befassen. Ich hatte jedoch etwas im Inneren verspürt und fühlte, dass das stimmte, was die Missionare sagten, und so bat ich meine Eltern um die Erlaubnis, mir die Botschaft der Missionare weiterhin anhören zu dürfen. Sie gestatten es mir, und kurz vor meinem 15. Geburtstag ließ ich mich im Zweig Godoy Cruz im Distrikt Mendoza in Argentinien taufen.

Im nächsten Jahr stand mir eine große Prüfung bevor: Meine Eltern trennten sich. Zum Glück hatte ich in dieser schweren Zeit die Kirche und die Unterstützung guter Lehrer, Führer und Freunde. Kurz nachdem ich zum Priester im Aaronischen Priestertum ordiniert worden war, taufte ich meine elfjährige Schwester.

Ich erlernte eine weitere Fremdsprache

Die nächsten paar Jahre arbeitete ich ganztags und besuchte eine Abendschule. Mit 19 reichte ich meine Missionspapiere ein. Ich werde nie den Tag vergessen, als ich meine Missionsberufung nach Paris erhielt. Sie war von Präsident Joseph Fielding Smith mit Datum vom 16. Juni 1972 unterschrieben – das war einige Wochen vor seinem Tod.

Nach endlosen Behördengängen bekam ich einen Reisepass (ich war minderjährig, meine Eltern lebten getrennt, und ich war in dem Alter, in dem ich meinen Wehrdienst absolvieren sollte), und schließlich – anderthalb Jahre nachdem ich meine Papiere eingeschickt hatte – konnte ich auf Mission gehen. Ich flog also nach Paris, mit nur fünf Jahren Schulfranzösisch, und ich sprach kein Wort Englisch. Die Zonenkonferenzen waren alle auf Englisch. Und ich hatte auch noch nicht das Endowment empfangen, weil es damals in Südamerika keinen Tempel gab.

Nachdem ich einen Monat auf Mission gewesen war, schickte mich Präsident Willis D. Waite zusammen mit einem jungen Franzosen, Jean Collin, in die Schweiz, damit ich dort im Tempel das Endowment empfinge. Wir waren eine ganze Nacht im Zug unterwegs und verbrachten drei wunderschöne und erbauliche Tage im Tempel.

Nach sechs Monaten auf Mission hatte ich einmal bei einer Missionskonferenz eine ganz besondere Unterredung mit meinem Missionspräsidenten. Präsident Waite sagte in etwa: „Elder Agüero, Sie bekommen von mir einen Auftrag. Sie müssen Englisch lernen, denn nach Ihrer Mission werden Sie einer Pfahlpräsidentschaft angehören und dann Missionspräsident und ein Führer der Kirche sein. Sie müssen Englisch können, damit Sie sich mit den Generalautoritäten verständigen können.“

Ich lachte – vielleicht weil ich mir mit meinen 20 Jahren so etwas nicht vorzustellen vermochte, aber auch, weil ich aus einem neuen Pfahl in Argentinien kam und es in meinem Land sowieso nur drei Pfähle gab.

Er sagte: „Lachen Sie nicht, Elder Agüero. Ich meine es ernst.“

Ich verspürte sehr stark den Geist, den dieser Mann, der Missionspräsident, ausstrahlte, und er erklärte mir sodann, wie ich vorgehen solle, um den Auftrag auch zu erfüllen.

Er wies mich an: „Von jetzt an werden Sie jeden Tag die Hälfte des Tages mit Ihrem Mitarbeiter nur Englisch sprechen.“

Meinem Mitarbeiter sagte er in seinem Interview dasselbe, und so gingen wir von da an vor. Zuerst war es für mich äußerst schwierig, aber ich strengte mich sehr an und verstand allmählich wenigstens die einfachsten Begriffe. Abends betete ich und weinte oft, da ich so frustriert war und mir so hilflos vorkam, weil ich den Auftrag ja erfüllen wollte, der mir gegeben worden war.

Nach ein paar Monaten und einige Mitarbeiter später geschah das Wunder. Ein Missionar hielt auf einer Zonenkonferenz eine gute Ansprache, und mit einem Mal verstand ich jedes Wort. Aber damit war des Wunders noch nicht genug. Später wurde ich Finanzsekretär der Mission, und dadurch lernte ich Englisch besser lesen und schreiben. Ich war bemüht, mich in die neue Sprache zu vertiefen, und las die Zeitschriften Church News und Ensign sowie weiteren englischen Lesestoff. Dadurch erwarb ich mir ein Gespür für die englische Sprache, das mir bis heute geblieben ist.

Dolmetscher im Tempel

Kurz nach meiner Rückkehr von der Mission bat mich der Pfahlpräsident, für Elder Hartman Rector Jr. zu dolmetschen, der damals den Siebzigern angehörte und nach Mendoza in Argentinien gekommen war, um bei einer Pfahlkonferenz den Vorsitz zu führen. Im Lauf der Jahre boten sich mir immer wieder solche schönen Gelegenheiten; so dolmetschte ich während der elf Weihungssessionen des Buenos-Aires-Tempels für Präsident Thomas S. Monson und weitere Generalautoritäten.

Während vier dieser Sessionen las ich auf Spanisch das Weihungsgebet vom Pult im celestialen Raum aus vor. Mehrmals versagte mir die Stimme, so gerührt war ich, und Tränen liefen mir die Wangen hinab. Ich las die inspirierten Gebete und die Verheißungen des himmlischen Vaters für mein Heimatland! Er lebt und tut seinen Willen kund, so wie er dies auch zwölf Jahre zuvor durch meinen Missionspräsidenten getan hatte, als ich den Auftrag annahm, Englisch zu lernen.

Ich dolmetschte auch für den Propheten, Präsident Gordon B. Hinckley, bei den vier Weihungssessionen des Montevideo-Tempels in Uruguay und bei den vier Weihungssessionen des Asunción-Tempels in Paraguay.

Ich kann kaum in Worte fassen, wie heilig diese Momente waren, als ich im Haus des Herrn neben Propheten, Sehern und Offenbarern stand. Ich empfand wohl ähnlich wie Petrus, Jakobus und Johannes, als sie die Verklärung Jesu miterlebten. Ich empfand gerade wie Petrus, als er zu Jesus sagte: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind.“ (Matthäus 17:4.)

Aus diesen und weiteren Erlebnissen habe ich gelernt, wie der Herr in unserem Leben wirkt. Alles Gute hat seinen Preis, und wir müssen ihn im Vorhinein zahlen – durch Geduld, Demut und Gehorsam, insbesondere dann, wenn wir geprüft werden. Wenn wir in Zeiten der Prüfung nicht aufgeben, nicht verzweifeln und nicht mutlos werden, dann werden wir durch eben diese Prüfungen geläutert und für etwas Besseres bereitgemacht. Dann erleben wir, wie sich herrliche Wunder ereignen.

Elder Carlos E. Agüero war 1996 bis 2005 als Gebiets-Siebziger tätig.