Man muss seine Entscheidungsfreiheit weise nutzen
Sittliche Selbständigkeit, nämlich die Fähigkeit, selbst Entscheidungen zu treffen, ist im großen Plan des himmlischen Vaters von grundlegender Bedeutung. Der Herr hat zu Adam gesagt: „Es ist ihnen [deinen Kindern] gegeben, Gut von Böse zu unterscheiden; darum können sie für sich selbst handeln.“ (Mose 6:56.)
Richtig angewandt, versetzt uns die Entscheidungsfreiheit in die Lage, Hindernisse zu beseitigen, uns göttliche Eigenschaften anzueignen und uns für das ewige Leben bereitzumachen, das „die größte aller Gaben Gottes“ (LuB 14:7) ist. Jakob hat gesagt: „Denkt daran, dass ihr frei seid, für euch selbst zu handeln – den Weg des immerwährenden Todes zu wählen oder den Weg des ewigen Lebens.“ (2 Nephi 10:23.)
Die Sache sieht also recht einfach aus. Weshalb treffen wir dann aber nicht jedes Mal auch die richtige Entscheidung? Ein Grund hierfür besteht darin, dass die Folgen unserer Handlungen nicht immer sofort eintreten, was uns besonders in unserer Welt auf eine harte Probe stellt, wo man immer gleich ein Ergebnis sehen möchte. Präsident Spencer W. Kimball (1895–1985) hat gesagt: „Wenn Schmerz und Kummer und eine umfassende Strafe der schlechten Tat auf dem Fuße folgten, würde keine Menschenseele noch eine Missetat begehen. Wenn der Wohltäter umgehend Freude, Frieden und seinen Lohn erhielte, könnte nichts Böses geschehen – alle täten Gutes, aber nicht, weil es recht ist, Gutes zu tun. Die Stärke würde nicht erprobt, der Charakter nicht entwickelt, die Kraft würde nicht zunehmen, es gäbe keine Entscheidungsfreiheit. … Außerdem gäbe es weder Freude, Erfolg, Auferstehung, ewiges Leben – noch Gott.“1
So wie wir alle musste auch Toshio Kawada aus der Gemeinde Obihiro im Pfahl Sapporo in Japan angesichts größter Schwierigkeiten folgenschwere Entscheidungen treffen. Er schloss sich 1972 der Kirche an, und 1978 wurden er und seine Frau, Miyuki, im Laie-Hawaii-Tempel aneinander gesiegelt. Die beiden haben zwei Söhne. Bruder Kawada war Präsident des Zweiges Obihiro, dann Präsident des Distrikts Kushiro und viele Jahre lang Ratgeber in der Präsidentschaft der Japan-Mission Sapporo.
Vor mehr als 20 Jahren arbeitete Bruder Kawada (seine Kinder waren damals noch klein) für seinen Vater, der einen Bauernhof mit Milchwirtschaft besaß. Eines Tages ereignete sich ein Unglück: Der Stall mit den Kühen und sämtlichen landwirtschaftlichen Geräten brannte ab. Bruder Kawadas Vater war finanziell ruiniert. Er beantragte zwar bei der Genossenschaft einen Kredit, der wurde ihm aber nicht gewährt. So meldeten sein Vater und sein älterer Bruder schließlich Konkurs an. Bruder Kawada war zwar vom Gesetz her nicht dazu verpflichtet, doch er fühlte sich verantwortlich dafür, die Schulden zu tilgen.
Bruder Kawada überlegte, wie sich dieses Problem lösen ließe, und er entschied sich für den Anbau von Karotten. Er hatte zuvor zwar Kartoffeln angebaut, aber über den Anbau von Karotten wusste er so gut wie gar nichts. Er säte also den Samen aus und betete inbrünstig darum, dass die Karotten gedeihen mögen.
Bruder Kawada diente während all dieser Zeit treu in der Kirche, er hielt den Sabbat heilig und zahlte den Zehnten. Viele Nachbarn lachten ihn aus, wenn er und seine Familie sonntags schön angezogen zur Kirche gingen. Es war schlimm, einen Arbeitstag auf dem Feld zu verlieren – besonders während der Erntezeit. Es war auch nicht immer leicht, den Zehnten zu zahlen, aber sie gaben dem Herrn diese Gabe gehorsam und frohen Herzens.
Schließlich wurde es Herbst, und Bruder Kawadas Karotten waren ungewöhnlich groß und süß geworden und hatten außerdem eine besonders schöne Farbe. Bruder Kawada hatte eine reiche Ernte; er wandte sich an die Genossenschaft, aber die wollten seine Karotten nicht über ihre Vertriebsschiene verkaufen. So fastete und betete er und fühlte sich gedrängt, er solle selbst einen Großhändler in der Hauptstadt ausfindig machen – etwas, was ohne entsprechende Verbindungen und Beziehungen gar nicht so einfach ist.
Doch er hatte Glück und fand einen Großhändler in Tokio. Er wurde ein sehr erfolgreicher Landwirt und konnte alle Schulden seines Vaters zurückzahlen. Heute besitzt er ein großes landwirtschaftliches Unternehmen mit vielen Arbeitern, und er ist auch als Lehrer tätig und bringt den jungen Bauern bei, wie man Arbeitsabläufe effizient organisiert.
Selbst in jener schwierigen Situation damals war Bruder Kawada fest entschlossen, den Versprechen treu zu bleiben, die er bei der Taufe, bei der Ordinierung und im Tempel gemacht hatte. Es wäre leicht gewesen, sich einzureden, er müsse sonntags arbeiten und könne erst wieder in der Kirche dienen und den Zehnten zahlen, wenn die Schulden getilgt sind, doch Bruder Kawada war standhaft und hielt sich an das Gebot, „euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen“. Und dann, so fand er heraus, „wird euch alles andere dazugegeben“ (Matthäus 6:33).
Ich schätze Toshio Kawada nicht nur, weil er eine Krise gut überstanden hat und ein erfolgreicher Landwirt geworden ist. Weitaus eindrucksvoller als das sind die mutigen Entscheidungen, die er in dieser schwierigen Phase seines Lebens getroffen hat, obwohl ihm bewusst war, dass sie ihm nicht unbedingt sofort einen Lohn – und vielleicht überhaupt nie einen irdischen Lohn – bringen würden. Er hatte seine Entscheidungsfreiheit rechtschaffen eingesetzt und war standhaft den immerwährenden Grundsätzen treu geblieben. Solch ein Vorbild verdient es, dass wir ihm nacheifern.
Toshio Kawadas zeugnis
Als meine Frau und ich heirateten, beschlossen wir, dass wir den Sonntag heilig halten würden, obwohl wir in der Landwirtschaft tätig waren. Ich kann mich noch gut an eine Botschaft von der Ersten Präsidentschaft aus dem Jahre 1978 erinnern, die von Präsident Spencer W. Kimball stammt. Er erwähnte, wie froh es ihn gemacht hatte zu sehen, dass die landwirtschaftlichen Geräte sonntags still standen. Er sprach darüber, dass die Sabbatheiligung Ausdruck unseres Gottesglaubens ist (siehe „The Sabbath – a Delight“, Ensign, Juli 1978, Seite 1).
Damals waren wir Mitglied einer Kooperative und hatten verschiedene Geräte mit anderen Bauern in Gemeinschaftsbesitz. Wenn man mit anderen zusammenarbeitet, kann man es sich nicht gut leisten, sonntags nicht zu arbeiten. So kündigten wir unsere Mitgliedschaft und bauten keine Kartoffeln mehr an.
Die Berufungen
Ich war damals auch Zweigpräsident. Wenn ich sonntags zu Hause bliebe, könnte ich ja meinen Aufgaben nicht nachkommen. An manchen Sonntagen stand ich um 3.00 Uhr am Morgen auf, um die Kühe zu melken und die Tiere zu versorgen, danach ging ich zur Kirche, hatte anschließend noch Interviews und kam um 17.00 Uhr nach Hause. Da war es dann schon wieder an der Zeit, die Kühe zu melken. Bis ich endlich mit allem fertig war, war es oft schon 22.00 Uhr. Ich weiß noch, wie ich dann seufzte: „Endlich ist alles erledigt.“
Opfer, um den Sabbat heilig zu halten
Manchmal arbeiteten wir am Samstag bis Mitternacht, um den Sonntag heilig halten zu können. Nach einer sehr kurzen Nachtruhe gingen wir dann zur Kirche. Einmal kamen wir von der Kirche heim, und eine Kuh war im Weidezaun hängen geblieben und verendet. Dann wieder erlitten wir einen Schaden in Höhe von Millionen Yen, weil das Heu am Sonntag draußen im Regen liegen geblieben war. Wir wussten, dass sich solche Vorkommnisse nicht etwa bloß am Sonntag ereigneten. Wenn man sich wegen so etwas Sorgen macht, kann man nie den Sonntag heilig halten. Unfälle können jederzeit passieren.
Glaube und Ausharren
Als der Stall abbrannte und wir unsere Milchkühe verloren, sagten ein paar Leute: „Unglaublich, wie Sie das durchgestanden haben.“ Wir entgegneten, wir hätten es nur so und nicht anders durchstehen können. Wir wollten nur den Sonntag heilig halten und irgendwie die Verzweiflung besiegen. Wir hatten Glauben daran, dass Gott über uns wacht und uns segnet.
Der Anbau von Karotten
Der Karottenanbau war mit Erfolg gekrönt. Endlich kam eine gewisse Ordnung in unser Leben. Beim Karottenanbau war es unerheblich, ob es regnete oder wir uns sonntags frei nahmen. Wir konnten tun, was wir wollten. Wir konnten dadurch viel leichter in unseren Berufungen dienen.
In der Landwirtschaft ist man auf Teilzeitarbeitskräfte angewiesen. In arbeitsintensiven Wochen regten die Arbeiter an, dass wir doch auch sonntags arbeiten sollten. Ich sagte ihnen einfach, dass wir sonntags nicht arbeiten. Wenn das den Arbeitern klar ist, arbeiten sie fleißig und nehmen sich kaum einen Tag zwischendurch frei. Den Sonntag verbrachten die jüngeren Arbeitskräfte dann mit ihren Kindern, und die älteren besuchten ihre Enkelkinder.
Dem Herrn dankbar
Es war uns schon immer wichtig, Gottes Gebote zu halten. Wir standen unverrückbar zu unserer Entscheidung, den Sonntag heilig zu halten. Und da wir alles in unserer Macht Stehende taten, lernten unsere Kinder, dass Gott lebt und dass er uns segnet. Unsere Kinder wissen das und können sich gut daran erinnern.
Als unser Ältester in der Japan-Mission Fukuoka diente, stellte ihn sein Missionspräsident des Öfteren mit folgenden Worten vor: „Elder Kawadas Vater hat den Kartoffelanbau aufgegeben, um den Sonntag heilig halten zu können. Aus so einer Familie stammt Elder Kawada.“
Wir freuen uns über unsere Kinder. Sie gehen zur Kirche. Sie waren auf Mission und haben im Tempel geheiratet. Wir sind dem himmlischen Vater dankbar, der uns kennt und uns segnet.
Die Sabbatheiligung
„Manchmal hat es den Anschein, als ob die Sabbatheiligung Selbstaufgabe und Opfer bedeutet, aber dem ist nicht so … Der Sabbat ist ein heiliger Tag, an dem man sich auch entsprechend beschäftigen soll. Sich von Arbeit und Vergnügungen fernzuhalten ist wichtig, aber nicht genug. Am Sabbat sollen unsere Gedanken und Taten erbaulich sein. … Wer den Sabbat hält, kniet zum Beten nieder, bereitet den Unterricht vor, befasst sich mit dem Evangelium, meditiert, besucht Kranke und Betrübte, schreibt Briefe an Missionare, macht ein Nickerchen, liest gute Lektüre und besucht alle Versammlungen, zu denen er erwartet wird.“
Präsident Spencer W. Kimball (1895–1985), „The Sabbath – a Delight“, Ensign, Juli 1978, Seite 4.