2007
Michael wird vermisst
Oktober 2007


Michael wird vermisst

„Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben.“ (1 Johannes 4:21.)

Nach einer wahren Begebenheit

Dort ist der Turm!“, rief Natalie. Sie ging gern in die Kirche. Der Sonntag war ihr Lieblingstag, aber eines machte sie traurig: Ihr Bruder, Michael, wollte nicht mehr mit der Familie in die Kirche gehen.

Als Natalie während der Abendmahlsversammlung ruhig auf ihrem Platz saß, dachte sie an Michael. Als er noch zur Kirche ging, saß Natalie gern neben ihm, während sie ihr Bilderbuch über Jesus anschaute. Nach der Abendmahlsversammlung hatte Michael sie immer an der Hand genommen und in die PV gebracht. „Bis später, Schwesterchen“, hatte er immer gesagt. Doch jetzt war Michael schon lange nicht mehr in der Kirche gewesen.

Natalie wünschte sich, sie könnte ihn mit ihrem Springseil fesseln und ihn dann in ihrem roten Wagen zur Kirche ziehen, aber sie wusste, dass ihm das nicht gefallen würde. Aber was konnte sie tun?

In der PV begrüßte Schwester Chang vergnügt ihre Klasse. „Ich freue mich so, dass ihr heute alle hier seid“, sagte sie. „Es macht mich glücklich, eure strahlenden Gesichter zu sehen. Fehlt denn jemand?“

Natalie schaute sich im Zimmer um. Sie hob die Hand. „Jed“, rief sie. „Jed ist heute nicht hier.“

„Du hast Recht“, sagte Schwester Chang. „Jed war auch letzte Woche nicht hier.“

„Vielleicht ist er krank“, meinte Lisa.

„Vielleicht ist er verreist“, sagte Boyd.

„Vielleicht will er einfach nicht mehr kommen“, sagte Natalie leise.

„Wir müssen ihn wissen lassen, dass wir ihn lieb haben und dass wir ihn vermissen, wenn er nicht da ist“, sagte Schwester Chang.

„Wie können wir das tun?“, fragte Natalie.

„Wir sagen es ihm“, sagte Schwester Chang. „Etwas Einfaches kann oft viel bewirken. Ich habe eine Karte gemacht, auf der ihr unterschreiben könnt, und jeder von euch kann Jed ein schönes Bild malen.“

Natalie wollte ein Bild mit einem Berg und Bäumen malen, weil sie wusste, dass Jed gern draußen in der Natur war. Und dann fragte Natalie ihre Lehrerin, ob sie noch ein Bild malen dürfe, das sie mit nach Hause nehmen wollte.

Als Natalie von der Kirche nach Hause kam, fand sie Michael in seinem Zimmer, wo er Musik hörte. „Hallo Schwesterchen“, begrüßte er sie. „Was gibt es?“

Natalie überreichte ihm ein zusammengefaltetes Stück Papier. „Ich habe dir eine Karte gebastelt.“

„Für mich?“ Michael lächelte. „Warum? Ich habe keinen Geburtstag oder so etwas.“

„Schwester Chang half mir dabei, etwas hineinzuschreiben. Da steht: ‚Ich vermisse dich, wenn du nicht mit uns in die Kirche gehst. Ich hab dich lieb.‘ Und ich habe unterschrieben.“

„Danke“, sagte Michael leise. „Das ist eine schöne Karte. Das hast du gut gemacht.“

„Bitte, gern geschehen.“ Natalie umarmte ihren Bruder und lief rasch zu ihrer Mutter, um beim Kochen zu helfen. Sie fühlte sich glücklich. Sie liebte ihren Bruder so sehr, und jetzt wusste er das auch.

Am darauf folgenden Sonntag war Natalie ganz begeistert, als sie sah, dass Michael mit zur Kirche gehen wollte. Sie hielt seine Hand, als sie die Kapelle betraten. Während des Gottesdienstes saß sie still neben ihm. Natalie entdeckte Jed, der zwei Reihen weiter vorn saß, und winkte ihm kurz zu.

Natalie ging sehr gern zur Kirche, vor allem wenn all ihre Freunde und ihre ganze Familie da waren. Sie nahm sich vor, von nun an jedem, der ihr fehlte, dies auch zu sagen, weil etwas ganz Einfaches manchmal viel bewirken kann.

„Wir … haben die Pflicht, darauf zu achten, dass man jedem, der getauft wird, Mut macht und er die wunderbare Wärme des Evangeliums unseres Herrn spüren kann.“

Präsident Gordon B. Hinckley, „Findet die Lämmer, weidet die Schafe“, Der Stern, Juli 1999, Seite 124.