Aus etwas Kleinem
Als Jünger des Herrn Jesus Christus haben wir die Pflicht, uns um unsere Brüder und Schwestern zu kümmern und ihnen zu dienen.
Mabuhay von den liebenswürdigen, wunderbaren Menschen auf den Philippinen!
Eine der ältesten und tiefgründigeren Fragen in der Weltgeschichte stellte bemerkenswerterweise Kain, kurz nachdem er seinen Bruder Abel erschlagen hatte, und zwar als Antwort auf eine Frage Gottes: „Bin ich der Hüter meines Bruders?“1 Diese Frage verdient es, dass jeder, der den Willen des Herrn tun möchte, ernsthaft darüber nachdenkt. Eine Antwort darauf ist in den Worten Almas zu finden:
„Und nun [habt] ihr den Wunsch …, in die Herde Gottes zu kommen und sein Volk genannt zu werden, und [seid willens], einer des anderen Last zu tragen, damit sie leicht sei, ja, und willens …, mit den Trauernden zu trauern, ja, und diejenigen zu trösten, die des Trostes bedürfen.“2
Als Jünger des Herrn Jesus Christus haben wir die Pflicht, uns um unsere Brüder und Schwestern zu kümmern und ihnen zu dienen. Mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter machte Jesus Christus nicht nur seine Feinde zuschanden, sondern er erteilte auch allen, die ihm nachfolgen wollten, eine großartige Lektion. Wir müssen unseren Einflussbereich ausweiten. Unser Dienst an anderen darf nicht von Rasse, Hautfarbe, Stellung oder Beziehungen abhängig sein. Das Gebot, „den Schwachen [beizustehen], … die herabgesunkenen Hände [emporzuheben], und … die müden Knie [zu stärken]“3 wurde ohne Einschränkung gegeben.
Viele halten das Dienen nur dann für sinnvoll, wenn es einen detaillierten Plan gibt und ein Komitee gebildet wird. Auch wenn daraus wertvolle und oft hilfreiche Projekte entstehen, hat das Dienen heutzutage meist eine Menge damit zu tun, wie wir Tag für Tag miteinander umgehen. Häufig finden wir dazu in unseren eigenen vier Wänden Gelegenheit oder in unserer Nachbarschaft oder unserer Gemeinde.
Den folgenden Rat gibt der verschlagene Screwtape seinem Neffen Wormwood im Buch „Dienstanweisung für einen Unterteufel“ von C. S. Lewis, und er beschreibt damit ein verbreitetes Übel, dem so mancher erliegt: „Wie du es auch anstellst, es wird sowohl Güte als auch Bosheit in der Seele deines Patienten vorhanden sein. Der große Trick besteht darin, die Bosheit auf seine unmittelbaren Nachbarn auszurichten, denen er jeden Tag begegnet, und ihn die Güte in weite Ferne schleudern zu lassen, zu Leuten, die er nicht kennt. Auf diese Weise wird die Bosheit völlig real, während die Güte weitgehend imaginär bleibt.“4
Der Text eines bekannten Kirchenlieds beschreibt das perfekte Gegenmittel:
Und ward einem Menschen heut leichter die Last,
weil willig und helfend ich nah?
Wenn ein Armer, ein Müder stand zagend am Weg,
war mit meiner Hilfe ich da?
Drum wach auf und nutz deine Zeit,
träum nicht nur vom himmlischen Land!
Geh, erfreu alle Leute, mach glücklich sie heute,
und wirke mit Herz und mit Hand!5
Ich möchte einiges schildern, was ich miterleben durfte und was mich gelehrt hat, wie einfache gute Taten uns und denen, die wir beeinflussen dürfen, helfen können. Unser Vater im Himmel sendet uns zur Hilfe liebevolle Menschen an wichtige Abzweigungen, damit wir nicht uns selbst überlassen bleiben und im Dunkeln umhertasten müssen. Diese Männer und Frauen helfen durch ihr Beispiel und mit Geduld und Liebe. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Ich erinnere mich an eine besonders wichtige Abzweigung – die Entscheidung, auf Mission zu gehen. Ich stand an dieser Abzweigung sehr, sehr lange. Als ich mit der Entscheidung rang, welchen Weg ich nehmen sollte, kamen meine Familie, Freunde und Priestertumsführer und nahmen mich an die Hand. Sie ermutigten mich, forderten mich heraus und sprachen unzählige Gebete für mich. Meine Schwester, die gerade auf Mission war, schrieb mir regelmäßig und gab nie auf.
Noch heute werde ich auf den Schultern guter Männer und Frauen getragen. Ich vermute, dass das für uns alle gilt. Bis zu einem gewissen Grad müssen wir uns alle aufeinander verlassen, um es zurück in unsere himmlische Heimat zu schaffen.
Die Evangeliumsbotschaft zu verkünden ist eine der lohnendsten Möglichkeiten, etwas für jemanden zu tun, der unseren Glauben nicht teilt. Ich erinnere mich an ein Kindheitserlebnis mit jemandem, den ich einfach Onkel Fred nennen möchte.
Als ich sechs Jahre alt war, war Onkel Fred mein schlimmster Alptraum. Er war unser Nachbar und ständig betrunken. Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte es, uns Steine ans Haus zu werfen.
Weil meine Mutter gut kochen konnte, kamen die alleinstehenden Mitglieder unseres kleinen Zweiges oft zu uns nach Hause. Als Onkel Fred eines Tages nüchtern war, freundeten diese Mitglieder sich mit ihm an und luden ihn zu uns nach Hause ein. Diese Entwicklung versetzte mich in Angst und Schrecken. Er war nicht länger einfach nur draußen, sondern in unserem Haus. Das geschah noch ein paar Mal, bis man schließlich Onkel Fred überreden konnte, den Missionaren zuzuhören. Er nahm das Evangelium an und ließ sich taufen. Er erfüllte eine Vollzeitmission, kehrte ehrenvoll zurück, setzte seine Ausbildung fort und heiratete im Tempel. Er ist heute ein untadeliger Ehemann, Vater und Priestertumsführer. Wenn man heute Onkel Fred beobachtet, ist es schwer zu glauben, dass er einmal einem Sechsjährigen Alpträume bereitet hat. Mögen wir stets für Gelegenheiten offen sein, anderen das Evangelium zu bringen.
Meine Mutter war ein gutes Beispiel dafür, wie man anderen hilft, indem man ihnen Ansporn gibt. Sie erteilte uns viele wichtige Lektionen. Die Lektion, die mich wohl am nachhaltigsten beeinflusste, war ihr Wunsch, jedem zu helfen, der in Not war und zu uns nach Hause kam. Ich war darüber verärgert, dass so viele Leute mit Lebensmitteln, Kleidung oder gar Geld von uns fortgingen. Weil ich noch klein war und wir nur wenig besaßen, gefiel mir das gar nicht. Wie konnte sie anderen etwas mitgeben, wenn unsere Familie selbst nicht genug hatte? War es falsch, uns zuerst um unsere Bedürfnisse zu kümmern? Hatten wir kein besseres Leben verdient?
Jahrelang beschäftigten mich diese Fragen. Viel später erst verstand ich schließlich, worum es Mutter dabei ging. Selbst als sie mit den Auswirkungen einer lähmenden Krankheit kämpfen musste, konnte sie nicht aufhören, denen zu geben, die in Not waren.
„Darum werdet nicht müde, Gutes zu tun, denn ihr legt die Grundlage für ein großes Werk. Und aus etwas Kleinem geht das Große hervor.“6 Der Dienst am Nächsten muss keine aufsehenerregenden Formen annehmen. Oft sind es einfache Dinge, mit denen man Tag für Tag Trost spendet, erhebt, ermutigt, Kraft gibt und andere zum Lächeln bringt.
Mögen wir immer Gelegenheiten zum Dienen finden, das ist mein Gebet. Im Namen Jesu Christi. Amen.