Wo konnte ich noch ein Buch Mormon herbekommen?
Mein Mitarbeiter und ich hatten gerade einen langen, erfolglosen Tag in Buenos Aires hinter uns, an dem wir von Tür zu Tür gegangen waren. Als wir an der Haltestelle auf den Bus warteten, versank ich in lähmendes Selbstmitleid. Ich hatte in dem Gebiet nun seit drei Monaten erfolglos gearbeitet. Ich hatte das Gefühl, den Herrn enttäuscht zu haben.
Genau in dem Moment bemerkte ich in einiger Entfernung einen Mann auf einem Fahrrad, der schnell auf uns zufuhr. Er schrie und winkte. Da wir dem Mann, der verärgert zu sein schien, aus dem Weg gehen wollten, liefen wir rasch zu unserem Bus, der gerade ankam. Es wurde schon dunkel, und wir befanden uns in einer gefährlichen Gegend unseres Gebiets. Wir hofften, den Bus zu erreichen, ehe der bedrohliche Mann bei uns anlangte.
„Ich habe eine Frage an Sie!“, rief der Mann. Der Bus kam eher an als er, und wir kletterten hinein. Da hörte ich die Frage des Mannes: „Was geschah mit den goldenen Platten, nachdem Joseph Smith sie übersetzt hatte?“ Mir fiel die Kinnlade herunter. Ich wäre am liebsten aus dem Bus gesprungen, der schon angefahren war. Stattdessen rief ich: „Wo wohnen Sie?“ und notierte eilig seine Adresse.
Am nächsten Tag schauten wir bei dem Mann vorbei. Er hieß Favio. Vor einem Monat, so erzählte er uns, hatte sein Freund ihm ein Buch Mormon geliehen.
„Ich habe mich immer für Jesus Christus interessiert“, berichtete Favio, „aber ich hatte noch nie von einem weiteren Zeugen über sein Leben gehört. Ich wusste nur von der Bibel und vom Wirken Christi in Palästina. Niemand hatte mir je gesagt, dass Christus auch in Amerika war! Ich wollte unbedingt mehr darüber erfahren.“
Einige Wochen später hatte Favio das Buch zurückgegeben. „Ich wusste nicht, wo ich noch eines herbekommen könnte“, erzählte er. „Mehr als alles wünschte ich mir, zu wissen, ob das Buch wahr war. Ich kniete nieder und bat den himmlischen Vater um Hilfe. Ich sagte: ‚Vater, wenn das Buch Mormon wahr ist, dann lass mir doch bitte noch eins zukommen, damit ich weiter darin forschen kann.‘“
Eines Tages sah Favio an einem Bahnhof aus den Augenwinkeln heraus etwas auf dem Gehweg liegen, was wie ein blaues Buch aussah. Als er darauf zuging, erkannte er die goldenen Buchstaben. Es war die Antwort des Herrn.
Wochen später sah Favio uns an der Bushaltestelle. Zu dem Zeitpunkt wusste er bereits, dass das Buch wahr war. Im Laufe der folgenden Wochen erklärten wir Favio die wesentlichen Grundsätze des Evangeliums und spornten ihn an, weiterzulesen. Jedes Mal, wenn wir ihn fragten, ob er sich dazu verpflichten würde, nach einem weiteren Evangeliumsgrundsatz zu leben, antwortete er: „Unbedingt!“ Kurz darauf ließ er sich taufen.
Heute denke ich jedes Mal, wenn ich einen schweren Tag habe, an Favio, anstatt in Selbstmitleid zu versinken: an die Frage, die er zwei entmutigten Missionaren stellte, und wie er sich dem Herrn verpflichtete, nachdem er Antwort erhalten hatte.