Hellwach, was unsere Pflichten betrifft
Wir müssen uns unserer Pflicht bewusst sein und voller Glauben vorwärtsstreben, wobei wir uns auf die tröstende, stärkende, helfende und heilende Macht des Sühnopfers stützen.
Nach meiner Berufung in die FHV-Präsidentschaft regte sich in mir der Wunsch, mehr über die Frauen zu erfahren, die vor mir diese Berufung erfüllt haben. Mich hat beeindruckt, was Schwester Zina D. Young, Erste Ratgeberin in der zweiten FHV-Präsidentschaft, gesagt hat, nämlich: „Schwestern, wir müssen hellwach sein, was unsere Pflichten betrifft.“1 Ich habe über die Wörter wach und Pflicht nachgedacht und auch in den heiligen Schriften geforscht.
Im Neuen Testament sagte Paulus den Heiligen seiner Zeit:
„Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher …
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns … anlegen die Waffen des Lichts.“2
Im Buch Mormon erklärt Alma seinem Volk die heiligen Pflichten derjenigen, die einen Bund mit Gott eingehen:
„Und nun, da ihr den Wunsch habt, in die Herde Gottes zu kommen und sein Volk genannt zu werden, und willens seid, einer des anderen Last zu tragen, damit sie leicht sei,
ja, und willens seid, mit den Trauernden zu trauern, ja, und diejenigen zu trösten, die des Trostes bedürfen, und allzeit und in allem und überall … als Zeugen Gottes aufzutreten, …
nun, ich sage euch, wenn das euer Herzenswunsch ist, was habt ihr dann dagegen, euch im Namen des Herrn taufen zu lassen, zum Zeugnis vor ihm, dass ihr mit ihm den Bund eingegangen seid, ihm zu dienen und seine Gebote zu halten, damit er seinen Geist reichlicher über euch ausgieße?
Und als nun das Volk diese Worte gehört hatte, klatschten sie vor Freude in die Hände und riefen aus: Das ist unser Herzenswunsch.“3
Schwester Youngs Aussage und diese Schriftstellen führten mich zu der Überlegung, für welche „Pflichten“ wir heutzutage hellwach sein müssen.
Wenn wir uns taufen lassen, gehen wir einen Bund ein. Elder Robert D. Hales hat gesagt: „Wenn wir Bündnisse eingehen und halten, verlassen wir die Welt und betreten das Reich Gottes.“4
Wir ändern uns. Wir sehen anders aus und wir handeln anders. Was wir anhören und lesen und sagen ist anders, und unsere Kleidung ist anders, weil wir eine Tochter Gottes werden, an den wir durch Bündnisse gebunden sind.
Bei der Konfirmierung empfangen wir die Gabe des Heiligen Geistes – das Anrecht, dass ein Mitglied der Gottheit uns ständig begleitet und uns führt, tröstet und schützt. Er warnt uns, wenn wir versucht sind, uns von unseren Bündnissen abzuwenden und in die Welt zurückzukehren. Präsident Boyd K. Packer hat gesagt, keiner von uns werde „jemals einen schwerwiegenden Fehler begehen, ohne zuvor durch die Eingebungen des Heiligen Geistes gewarnt zu werden“5.
Damit wir diese Gabe empfangen und den Geist stets bei uns haben können, müssen wir würdig sein und achtgeben, wie es in unserem Herzen aussieht. Haben wir ein weiches Herz? Haben wir ein demütiges Herz, ein belehrbares Herz, ein sanftes Herz? Oder hat sich unser Herz allmählich verhärtet, als wir zugelassen haben, dass zu viel vom Lärm der Welt uns von den sanften Eingebungen ablenkt, die wir gewiss vom Geist empfangen haben?
Als wir uns haben taufen lassen, hat sich unser Herz gewandelt und ist vor Gott erwacht. Auf unserer Reise durchs Erdenleben müssen wir uns regelmäßig die Frage stellen: „Wenn [ich] eine Herzenswandlung erlebt [habe, ist mir] auch jetzt danach zumute?“6 Falls nicht – warum nicht?
Viele Mitglieder in der Anfangszeit der Kirche haben „diese mächtige Wandlung in [ihrem] Herzen erlebt“7. Dies weckte ihr Bewusstsein für die Segnungen des Tempels, die ihnen Kraft gaben, ihre Pflichten zu erfüllen. In Nauvoo kamen diese Mitglieder „den ganzen Tag lang und bis in die Nacht hinein … zum Tempel“8, um heilige Handlungen zu empfangen und Bündnisse einzugehen, ehe sie den Zug nach Westen antraten.
Sarah Rich, eine FHV-Schwester in Nauvoo, sagte darüber: „Zahlreich waren die Segnungen, die wir im Haus des Herrn empfangen hatten, und sie brachten uns Freude und Trost inmitten all unserer Sorgen und befähigten uns, auf Gott zu vertrauen, da wir wussten, dass er uns bei der Reise ins Unbekannte, die uns bevorstand, leiten und stützen würde.“9
Dank ihres Glaubens an den Erlöser hatte sich ihr Herz gewandelt, und sie vertrauten auf die Macht seines Sühnopfers. Sie waren erwacht und handelten. Tief im Herzen wussten sie, dass es jemanden gab – nämlich den Erlöser –, der ihrer aller Nöte nachvollziehen konnte, weil er für sie im Garten Getsemani und am Kreuz gelitten hatte. Er hatte ihre Angst, ihre Zweifel, ihren Schmerz und ihre Einsamkeit gespürt. Er hatte ihren Kummer, ihre Verfolgung, ihren Hunger, ihre Erschöpfung und ihre Verluste erlitten. Weil er all dies gelitten hatte, konnte er ihnen sagen: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“10
Und sie kamen zu ihm. Sie vertrauten dem Propheten und folgten ihm. Sie wussten, dass der Weg lang und ihre Pflicht schwierig sein würde. Sie wussten, dass man von ihnen Opfer verlangen würde, aber weil ihr Glaube sie trug und sie an ihren Bündnissen festhielten, waren sie geistig vorbereitet.
Ehe sie Nauvoo verließ, schrieb eine Gruppe Heilige an die Wand des Versammlungsraums in dem Tempel, den sie nun aufgeben mussten: „Der Herr hat unser Opfer gesehen: Folgt uns.“11
Vor kurzem nahm ich mit Jugendlichen aus unserer Gemeinde an einem Pioniertreck teil. Jeden Morgen fragte ich mich: „Worin besteht mein Opfer? Wie folge ich ihnen?“
Am zweiten Tag des Trecks hatten wir die Handkarren etwa 13 Kilometer gezogen, als wir an eine Stelle kamen, ab der die Frauen auf sich alleine gestellt waren. Die Männer und die Frauen wurden getrennt und die Männer wurden vorausgesandt, den Hügel hinauf. Als wir die Handkarren den Hügel hinauf zogen, sah ich, wie die Brüder im Priestertum, jung und alt, links und rechts des Weges standen und vor den Frauen respektvoll den Hut zogen.
Anfangs war der Weg leicht, aber schon bald versanken wir in tiefem Sand und es wurde sehr steil. Ich hatte den Kopf gesenkt und zog mit aller Kraft, als ich merkte, wie jemand anders ebenfalls am Wagen zog. Ich sah auf und erblickte Lexi, ein Mädchen aus meiner Nachbarschaft. Sie hatte ihren Handkarren ganz nach oben gezogen und war zurückgelaufen, als sie sah, dass wir Hilfe brauchten. Als wir oben angekommen waren, wollte ich zu gern zurücklaufen und denen helfen, die nach mir kamen, aber ich atmete schwer und mein Herz raste, und mehr als einmal kam mir das Wort Herzinfarkt in den Sinn! Dankbar sah ich, wie weitere Mädchen ihren Handkarren stehenließen und anderen zu Hilfe eilten.
Als alle oben angekommen waren, nahmen wir uns ein wenig Zeit, unsere Gedanken und Gefühle in unserem Tagebuch festzuhalten. Ich schrieb: „Ich habe mich körperlich nicht gut genug vorbereitet und hatte deshalb keine Kraft, denen zu helfen, die nach mir kamen. Vielleicht brauche ich nie wieder einen Handkarren zu ziehen, aber ich will meine Schwestern – geistig gesehen – nie wieder im Stich lassen, nie wieder!“
Das war eine heilige Erfahrung, die mich geistig erwachen und erkennen ließ, worin meine Pflichten gegenüber meiner Familie und anderen bestehen. Den ganzen weiteren Weg entlang dachte ich darüber nach, welche Erkenntnisse ich gewonnen hatte.
Zunächst dachte ich an meine Schwestern – diejenigen, die damals ihren Handkarren alleine zogen und diejenigen, die heute ihren Handkarren alleine ziehen müssen. Fast 20 Prozent der Frauen in den ersten Handkarrenabteilungen mussten zumindest einen Teil des Weges alleine zurücklegen. Es handelte sich um Frauen, die unverheiratet, geschieden oder verwitwet waren. Viele waren alleinerziehend.12 Sie alle saßen in einem Boot – Töchter des Bundes, jung und alt, in unterschiedlichen Lebensumständen, auf dem gleichen Weg mit dem gleichen Ziel.
Diejenigen, die ihren Schwestern zu Hilfe eilten, erinnerten mich an Retter, sichtbare und unsichtbare, die schnell im Beobachten sind, erkennen, was jemand braucht, und handeln.
Ich musste an die Worte des Herrn denken: „Ich werde vor eurem Angesicht hergehen. Ich werde zu eurer rechten Hand sein und zu eurer linken, und mein Geist wird in eurem Herzen sein und meine Engel rings um euch, um euch zu stützen.“13
Auf beiden Seiten des Weges standen treue, gehorsame Männer, die ihre Bündnisse hielten. Ihre Priestertumsmacht – die Macht, mit der Gott alle seine Kinder segnet – richtete uns auf, stärkte und stützte uns. Sie führten uns vor Augen, dass wir nie allein sind. Wir können diese Macht immer bei uns haben, wenn wir unsere Bündnisse halten.
Ich musste an die Männer denken, die von ihren Familien getrennt wurden, sodass diese den Handkarren allein ziehen mussten. Viele Männer kamen unterwegs ums Leben. Manche Söhne waren zurückgeblieben, um in ihrem Heimatland eine Mission zu erfüllen. Andere waren vorausgegangen, um alles für die Ankunft ihrer Familie im Salzseetal vorzubereiten. Manche Männer hatten sich entschieden, nicht mitzukommen, ihre Bündnisse nicht zu halten.
Wie damals leben auch heute viele in Umständen, die nicht ideal sind. Wir vertreten jedoch weiterhin das Ideal und streben es an, weil wir wissen: Wenn wir uns unermüdlich anstrengen, kommen wir auf dem Weg voran und bereiten uns darauf vor, künftig alle verheißenen Segnungen zu empfangen, denn wir vertrauen ja dem Herrn.14
Wir alle haben bereits Unglück erlebt und bleiben davon auch künftig nicht verschont. Das Erdenleben ist eine Prüfungszeit, und wir werden auch weiterhin unsere Entscheidungsfreiheit gebrauchen und selbst entscheiden können, was wir aus dem Ungemach lernen, das gewiss nicht ausbleiben wird.
Als Töchter Gottes gehen wir voll Glauben auf dem Weg voran, weil wir wissen, was Präsident Thomas S. Monson bekräftigt hat, nämlich dass „die errettenden heiligen Handlungen des Tempels es uns ermöglichen, eines Tages mit einer ewigen Familie zum Vater im Himmel zurückzukehren und mit Segnungen und Macht aus der Höhe ausgerüstet zu werden, die jedes Opfer und jede Mühe wert sind“15.
Es reicht nicht aus, unterwegs zu sein – wir müssen uns unserer Pflicht bewusst sein und voller Glauben vorwärtsstreben, wobei wir uns auf die tröstende, stärkende, helfende und heilende Macht des Sühnopfers stützen.
Schwestern, Sie liegen mir am Herzen. Ich kenne viele von Ihnen nicht persönlich, aber ich weiß, wer Sie sind! Wir sind Töchter im Reich Gottes, die ihre Bündnisse halten, dank derer wir mit Kraft ausgestattet und vorbereitet sind, unsere Pflicht zu erfüllen.
Die FHV bereitet alle Frauen auf die Segnungen des ewigen Lebens vor, indem sie uns geistig erweckt, damit wir an Glauben und Rechtschaffenheit zunehmen. Fangen wir bei uns selbst an. Fangen wir dort an, wo wir gerade stehen. Fangen wir heute an. Wenn wir geistig hellwach sind, sind wir besser in der Lage, die Familie und das Zuhause zu stärken und anderen zu helfen.
Dies ist ein Erlösungswerk, und die stärkende und helfende Macht des Sühnopfers macht es möglich. Machen wir uns bewusst, wer wir sind. Machen wir uns unsere Pflicht bewusst. Wir sind Töchter des Vaters im Himmel, und er liebt uns. Davon gebe ich Zeugnis im Namen Jesu Christi. Amen.