Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?
Wir sollen alle unsere Sünden aufgeben, die großen wie die kleinen, und werden dafür vom Vater mit ewigem Leben belohnt.
Der Heiland stellte seinen Jüngern einmal die Frage: „Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“1
Vor Jahren hat mir mein Vater beigebracht, über diese Frage gründlich nachzudenken. Als ich heranwuchs, übertrugen meine Eltern mir Aufgaben im Haushalt und zahlten mir für meine Arbeit ein kleines Taschengeld. Von diesem Geld, es waren etwas über 50 Cent pro Woche, ging ich oft ins Kino. Damals kostete eine Eintrittskarte für einen Elfjährigen 25 Cent. Von den übrigen 25 Cent kaufte ich mir dann Schokoriegel, die 5 Cent pro Stück kosteten. Ein Kinofilm und fünf Schokoriegel! Was mehr konnte man sich wünschen?
Alles war gut, bis ich zwölf wurde. Als ich eines Nachmittags in der Schlange stand, stellte ich fest, dass die Eintrittskarte für einen Zwölfjährigen 35 Cent kostete, das hieß also zwei Schokoriegel weniger. Dieses Opfer wollte ich eigentlich nicht bringen. Ich sagte mir: „Du siehst nicht anders aus als vor einer Woche.“ Ich trat also vor und verlangte eine Karte für 25 Cent. Der Kassierer verzog keine Miene und ich kaufte mir wie üblich fünf Schokoriegel statt nur drei.
Beschwingt von meinem Erfolg eilte ich später nach Hause, um meinem Vater von meinem großen Coup zu erzählen. Als ich ihm alles haarklein berichtete, sagte er nichts. Nachdem ich fertig war, blickte er mich einfach nur an und fragte: „Mein Sohn, würdest du deine Seele für fünf Cent verkaufen?“ Seine Worte trafen mein zwölfjähriges Herz. Diese Lektion habe ich nie vergessen.
Jahre später stellte ich einem Träger des Melchisedekischen Priestertums, der weniger aktiv war, die gleiche Frage. Er war ein wunderbarer Mann, der seine Familie liebte. Er kam jedoch schon seit vielen Jahren nicht mehr in die Kirche. Er hatte einen sportlich begabten Sohn, der einer Elitemannschaft angehörte, die viel unterwegs war und sonntags trainierte und Spiele hatte. Diese Mannschaft hatte schon viele bedeutende Titel gewonnen. Als wir zusammenkamen, rief ich ihm ins Gedächtnis, dass ihm als Priestertumsträger die Verheißung galt, er würde, wenn er seinen Eid und Bund groß machte, alles empfangen, „was [unser] Vater hat“.2 Anschließend fragte ich ihn: „Ist ein Meistertitel denn mehr wert als alles, was der Vater hat?“ Leise erwiderte er: „Ich verstehe, was Sie meinen“, und machte dann einen Termin mit seinem Bischof aus.
Heutzutage verheddert man sich schnell im Lärm der Welt, trotz guter Vorsätze. Die Welt drängt uns, „über das Ziel [hinauszuschauen]“.3 Jemand fragte mich kürzlich: „Spielt ein Glas Alkohol wirklich eine Rolle?“ Erkennen Sie, dass der Widersacher diese Frage stellt? Kain fragte: „Wer ist der Herr, dass ich ihn kennen sollte?“4 und verlor daraufhin seine Seele. Rechtfertigen wir kleine Sünden vor uns selbst, triumphiert der Satan. Gegen eine Flasche Milch5, einen falsch geschriebenen Namen6, ein Linsengericht7 wurden Geburtsrechte und Erbteile eingetauscht.
Wenn wir darüber nachdenken, welche Tauschgeschäfte wir für fünf Cent oder einen Meistertitel tätigen, können wir unser Handeln entweder vor uns rechtfertigen, so wie Kain, oder bestrebt sein, uns dem Willen Gottes zu unterwerfen. Die Frage, die sich uns stellt, dreht sich nicht darum, ob wir etwas tun, was berichtigt werden muss, denn das ist ja immer der Fall. Vielmehr lautet die Frage: Werden wir vor dem Ruf, der an unsere Seele ergeht, nämlich den Willen des Vaters zu tun, „zurückschrecken“ oder unsere Aufgabe „vollenden“?8
Der Herr hat Gefallen an unserer Rechtschaffenheit, aber er verlangt von uns beständige Umkehr und Fügsamkeit. In der Bibel lesen wir von dem reichen Jüngling, der die Gebote hielt. Er fiel vor dem Heiland auf die Knie und fragte ihn, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen. Er wandte sich betrübt ab, als der Herr ihm antwortete: „Eines fehlt dir noch: … Verkaufe, was du hast!“9
Dagegen gab es einen ebenfalls reichen und weltlich gesinnten Mann – den König aller Lamaniten, Lamonis Vater –, der die gleiche Frage über das ewige Leben stellte, nämlich: „Was soll ich tun, dass ich aus Gott geboren werde und dieser schlechte Geist mir aus der Brust gerissen werde und ich seinen Geist empfange[?] … Ich will meinem Königreich entsagen, damit ich diese große Freude empfangen kann.“10
Wissen Sie noch, was der Herr dem König durch seinen Diener Aaron darauf antwortete? „Wenn du von all deinen Sünden umkehrst und dich vor Gott niederbeugst und gläubig seinen Namen anrufst, im Vertrauen darauf, dass du empfangen wirst, dann wirst du die Hoffnung empfangen, die du wünschst.“11
Als der König verstand, welches Opfer gefordert wurde, demütigte er sich, fiel auf die Knie und betete: „O Gott, … ich werde alle meine Sünden aufgeben, um dich zu erkennen.“12
Und das ist der Tauschhandel, um den der Heiland uns bittet: Wir sollen alle unsere Sünden aufgeben, die großen wie die kleinen, und werden dafür vom Vater mit ewigem Leben belohnt. Wir sollen ablassen von ausführlichen Rechtfertigungen, Ausreden, vorgeschobenen Gründen, Abwehrmechanismen, vom Aufschieben, vom Anschein, vom Stolz, von Vorurteilen und dem Wunsch, alles auf unsere Weise zu machen. Wir sollen uns von allem Weltlichen absondern und das Abbild Gottes in unseren Gesichtsausdruck aufnehmen.13
Brüder und Schwestern, denken Sie daran, dass dazu mehr gehört, als lediglich nichts Schlechtes zu tun. Da der Feind äußerst kampflustig ist, müssen wir auch handeln und dürfen nicht in „gedankenloser Starre“14 dasitzen. Das Abbild Gottes aufnehmen bedeutet, einander zu dienen. Es gibt Begehungssünden und Unterlassungssünden; über beides müssen wir uns erheben.
Als ich Missionspräsident in Afrika war, hat sich mir diese Wahrheit unauslöschlich eingeprägt. Ich war gerade auf dem Weg zu einer Versammlung, als ich am Straßenrand einen kleinen Jungen sah, der allein war und hysterisch weinte. Eine Stimme in mir sagte: „Halt an und hilf dem Jungen!“ Kaum hatte ich diese Stimme vernommen, wiegelte mein Verstand auch schon ab: „Du kannst nicht anhalten. Du verspätest dich sonst. Du bist der präsidierende Beamte und darfst nicht zu spät kommen.“
Als ich beim Gemeindehaus eintraf, hörte ich dieselbe Stimme wieder sagen: „Geh und hilf diesem Jungen!“ Ich gab einem Mitglied der Kirche namens Afasi meinen Autoschlüssel und bat ihn, den Jungen zu mir zu bringen. Etwa 20 Minuten später klopfte mir jemand auf die Schulter. Der Junge stand draußen.
Er war etwa zehn Jahre alt. Wir erfuhren, dass sein Vater gestorben und seine Mutter im Gefängnis war. Er wohnte im Elendsviertel von Accra bei einem Betreuer, der ihn mit Essen versorgte und ihm einen Schlafplatz gab. Um sich die Verpflegung zu verdienen, verkaufte er getrockneten Fisch auf der Straße. Doch nachdem er an diesem Tag alles verkauft hatte, hatte er in seine Hosentasche gegriffen und ein Loch darin bemerkt. Er hatte seinen gesamten Verdienst verloren. Afasi und mir war sofort klar, dass man ihn der Lüge bezichtigen würde, wenn er ohne das Geld nach Hause kam. Wahrscheinlich würde man ihn schlagen und dann auf die Straße jagen. Es war genau in diesem Schreckensmoment gewesen, dass ich ihn da hatte stehen sehen. Wir besänftigten seine Furcht, ersetzten ihm den Verlust und brachten ihn zurück zu seinem Betreuer.
Als ich an dem Abend nach Hause fuhr, wurden mir zwei große Wahrheiten bewusst. Erstens wusste ich wie nie zuvor, dass Gott auf einen jeden von uns achtet und uns nie im Stich lässt, und zweitens, dass wir immer auf die Stimme des Geistes in uns hören und ihr „sogleich“15 folgen müssen, wohin sie uns auch führt, ungeachtet aller Ängste oder Unannehmlichkeiten.
Eines Tages kamen die Jünger zum Herrn und fragten ihn, wer der Größte im Himmelreich sei. Er erklärte ihnen, dass sie bekehrt, demütig und fügsam wie kleine Kinder sein sollen. Dann sagte er: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu retten, was verloren ist.“16 Mit diesem einen Satz hat er definiert, worin unser Auftrag besteht. Wir müssen zur Rettung schreiten – der Verlorenen, der Letzten und der Geringsten. Es reicht nicht aus, das Böse zu meiden. Wir müssen „sein Kreuz erleiden“17 und „voll Eifer“18 anderen helfen, sich zu bekehren. Mit Mitgefühl und Liebe umarmen wir den verlorenen Sohn19, reagieren wir auf das hysterische Weinen eines Waisenkindes, hören wir das Flehen dessen, der sich in Finsternis und Verzweiflung befindet20, und die Notrufe einer bedürftigen Familie. „Der Satan muss nicht jeden dazu bringen, wie Kain oder Judas zu sein“, hat Elder Neal A. Maxwell einmal gesagt. „Er muss nur tüchtige Menschen dazu bringen, … sich für kultiviert und neutral zu halten.“21
Vor kurzem kam nach einer Pfahlkonferenz ein Jugendlicher auf mich zu und fragte: „Hat Gott mich lieb?“ Mögen wir durch unsere Hilfsbereitschaft stets bestätigen, dass Gott niemanden im Stich lässt.
Was die Frage angeht „Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“, hätte der Satan gerne, dass wir unser Leben gegen die Schokoriegel und Meistertitel dieser Welt eintauschen. Der Heiland hingegen ruft uns ohne Kaufpreis zu sich, damit wir unsere Sünden eintauschen, sein Abbild annehmen und es denen ins Herz tragen, die sich in unserem Einflussbereich befinden. Im Gegenzug dürfen wir alles empfangen, was Gott hat und was, wie es heißt, mehr ist als alle Schätze dieser Erde zusammen.22 Können Sie sich das überhaupt vorstellen?
Als ich kürzlich in Nicaragua war, fiel mir in der bescheidenen Unterkunft einer Familie, die wir besuchten, ein Schild an der Wand auf. Darauf stand: „Mein Zeugnis ist mein kostbarster Besitz.“ So geht es auch mir. Mein Zeugnis ist der Schatz meiner Seele, und mit reinstem Herzen bezeuge ich Ihnen, dass diese Kirche die wahre Kirche Gottes ist und dass unser Erretter an ihrer Spitze steht und sie durch seinen erwählten Propheten führt. Im Namen Jesu Christi. Amen.