2015
Lass es auf sich beruhen
Juni 2015


Bis aufs Wiedersehen

Lass es auf sich beruhen

Nach der Ansprache „Balm of Gilead“, Ensign, November 1987, Seite 17f.

Für meinen Freund brach eine Welt zusammen. Er hatte seine Frau verloren.

illustration of young man at door with approaching elderly man

Illustration von Paul Mann

Wenn Sie Kummer oder Sorgen durchmachen, wenn Scham oder Schande, Eifersucht, Enttäuschung oder Neid, Selbstvorwürfe oder Selbstrechtfertigung Ihnen zusetzen, so denken Sie über diese Lektion nach, die ich vor vielen Jahren von einem Patriarchen erhielt. Ich bin noch nie jemanden begegnet, der ein heiligeres Leben geführt hätte als er. …

Er wuchs in einem Dorf auf und hatte den Wunsch, etwas aus sich zu machen. Er rang schwer darum, sich Bildung anzueignen.

Er heiratete seine Liebste, und zunächst verlief sein Leben in genau den richtigen Bahnen. Er hatte eine gute Stellung und eine vielversprechende Zukunft. Er und seine Frau liebten einander sehr, und bald erwartete sie ihr erstes Kind.

In der Nacht, als die Wehen einsetzten, traten Komplikationen auf. Der einzige Arzt war irgendwo auf dem Land unterwegs und machte Krankenbesuche. …

Endlich konnte man den Arzt erreichen. Bei diesem Notfall handelte er rasch und hatte bald alles unter Kontrolle. Das Baby wurde entbunden, und das Schlimmste schien überstanden.

Ein paar Tage darauf starb die junge Mutter an derselben Infektion, die der Arzt am selben Abend bei einem anderen Patienten behandelt hatte.

Für meinen Freund John brach eine Welt zusammen. Nichts war mehr in Ordnung, sein Leben war aus dem Gleis geraten. Er hatte seine Frau verloren. Er konnte sich doch nicht gleichzeitig um das Baby kümmern und seiner Arbeit nachgehen.

Woche um Woche verging, und der Kummer nagte an ihm. „Dieser Arzt darf einfach nicht mehr praktizieren!“, sagte er immer wieder. „Er hat die Krankheitskeime mitgebracht. Wäre er vorsichtiger gewesen, wäre meine Frau heute noch am Leben!“

Er konnte kaum noch an etwas anderes denken, und in seiner Verbitterung erging er sich in Drohungen. …

Eines Abends klopfte jemand an seine Tür. Ein kleines Mädchen sagte nur: „Papi möchte, dass du zu uns herüberkommst. Er möchte mit dir sprechen.“

„Papi“ war der Pfahlpräsident. …

Dieser geistliche Hirte hatte seine Herde beobachtet. Er wollte ihm etwas sagen.

Der weise Rat dieses Dieners des Herrn lautete schlicht: „John, lass es auf sich beruhen. Nichts, was du unternehmen kannst, bringt sie dir zurück. Du machst es nur noch schlimmer. John, lass es auf sich beruhen.“ …

Er focht einen schweren Kampf mit sich aus. Schließlich rang er sich zu diesem Entschluss durch: Worum es sonst auch gehen mochte, er wollte gehorsam sein.

Gehorsam ist eine starke geistige Medizin, ja, beinah ein Allheilmittel.

Er beschloss, den weisen Rat seines Pfahlpräsidenten zu befolgen. Er ließ es auf sich beruhen.

Später erzählte er mir: „Erst als alter Mann habe ich es begriffen und sah schließlich einen armen Landarzt vor mir – überarbeitet, unterbezahlt, immer auf dem Sprung von einem Patienten zum nächsten, mit wenig Medikamenten, keinem Krankenhaus, nur wenig Instrumenten, immer darum ringend, Leben zu retten, und das zumeist erfolgreich.

Er war in einem kritischen Moment gekommen, als zwei Menschenleben auf dem Spiel standen, und hatte ohne zu zögern gehandelt.

Erst als alter Mann habe ich es endlich begriffen!“, wiederholte er. „Ich hätte mein Leben ruiniert und das Leben anderer Menschen.“

Noch oft dankte er dem Herrn auf Knien für einen weisen, inspirierten Hirten, der ihm schlicht geraten hatte: „John, lass es auf sich beruhen.“