Die Übersetzung der heiligen Schriften in die Sprache unseres Herzens
Unzählige Erlebnisse zeugen davon, dass der Herr bei der Übersetzung seiner heiligen Schriften mitwirkt.
Jeder, der an der Übersetzung der heiligen Schriften aus dem Englischen in eine andere Sprache schon einmal mitgewirkt hat, kennt bestimmt Erlebnisse wie dieses, die sich immer wieder in ähnlicher Weise zutragen:
Ein junger Armenier hält ein Buch Mormon in der Hand. Es ist erst kürzlich in seine Sprache übersetzt worden. Strahlend spricht er ein Mitglied des zuständigen Übersetzungsteams an. „Danke“, sagt er. „Ich habe das Buch Mormon auf Englisch gelesen. Ich habe das Buch Mormon auf Russisch gelesen. Ich habe es auf Ukrainisch gelesen. Aber erst jetzt, nachdem ich es auf Armenisch lesen konnte, habe ich alles verstanden. Als ich es auf Armenisch gelesen habe, hat sich mir endlich der Sinn voll und ganz erschlossen. Ich hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen.“
Wie zu Hause
Wenn das Evangelium Jesu Christi unser geistiges Zuhause ist, müssen wir uns dort natürlich auch wohlfühlen und mit allem vertraut sein. Zu Hause ruhen wir uns aus. Wir tanken auf. Wir sprechen dort mit unseren Lieben in der Sprache, die wir auf dem Schoße unserer Mutter gelernt haben. Das ist die Sprache unseres Herzens. Und da das Evangelium ja unser Herz erreichen soll, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir die heiligen Schriften in der Sprache unseres Herzens lesen können.
Das geht auch aus dem Buch Lehre und Bündnisse hervor. Dort offenbart der Herr, dass sich durch die Priestertumsschlüssel, die die Erste Präsidentschaft innehat, „der Arm des Herrn in seiner Macht offenbaren wird, um die Nationen … vom Evangelium ihrer Errettung zu überzeugen.
Denn an jenem Tag wird es sich begeben: Jedermann wird die Fülle des Evangeliums in seiner eigenen Zunge und in seiner eigenen Sprache vernehmen, durch diejenigen, die zu dieser Macht ordiniert sind, durch das Wirken des Trösters, der über sie ausgegossen wird, um Jesus Christus zu offenbaren.“ (LuB 90:10,11.)
Jim Jewell, der am Hauptsitz der Kirche im Übersetzungsteam für die heiligen Schriften gearbeitet hat, erzählt von einer Begebenheit, die verdeutlicht, wie sehr wir uns in den Schriften wie zu Hause fühlen können, wenn sie in die Sprache des Herzens übersetzt wurden:
„Als wir das Buch Mormon in Sesotho übersetzten, das im afrikanischen Lesotho gesprochen wird, waren wir auf der Suche nach jemandem, der uns helfen konnte, die Arbeit des Übersetzungsteams zu beurteilen. Der Projektleiter, Larry Foley, machte eine Studentin aus Lesotho ausfindig, die der Kirche angehörte und ein Aufbaustudium an der Utah State University absolvierte. In Lesotho wird der Schulunterricht auf Englisch abgehalten. Die Studentin und ihre Kinder hatten also seit der ersten Klasse Englisch gelernt, doch zu Hause sprachen sie Sesotho.
Sie erklärte sich bereit, an der Übersetzung mitzuarbeiten. Die Auswertung der Kapitel, die wir ihr schickten, war uns eine große Hilfe. Wir sandten ihr regelmäßig konkrete Fragen zum Vokabular und zur Sprachstruktur, und sie machte hilfreiche Anmerkungen. Uns fiel jedoch auf, dass sie viele Verse, die mit unseren Fragen gar nichts zu tun hatten, gelb markiert hatte. Als wir sie nach den markierten Versen fragten, erklärte sie: ‚Ach, das sind die Verse, die mich tief berührt haben und die ich auf Englisch nie ganz verstanden habe. Ich habe sie markiert, damit ich sie meinen Kindern vorlesen kann.‘“
Ein Muster für die Übersetzung der heiligen Schriften
Die Übersetzung der Bibel hat eine lange und faszinierende Geschichte. Zuerst wurden Teile des Alten Testaments aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt. Später wurde die Bibel vom Griechischen ins Lateinische übersetzt und vom Lateinischen, Hebräischen und Griechischen dann ins Deutsche und in unzählige andere Sprachen.1 Aus diesem Grund übersetzt die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage die Bibel nicht in andere Sprachen, sondern bedient sich der Übersetzungen, die in der jeweiligen Sprache von der christlichen Bevölkerung bereits als maßgeblich anerkannt sind.2
Somit konzentriert sich die Kirche beim Übersetzen von heiligen Schriften größtenteils auf das Buch Mormon (was immer als Erstes übersetzt wird), das Buch Lehre und Bündnisse und die Köstliche Perle. Diese Bücher werden alle aus dem Englischen übersetzt, der Sprache, in der sie dem Propheten Joseph Smith offenbart worden sind – der Sprache seines Herzens. Wer sich mit der Geschichte der Kirche auskennt, dem wird die Vorgehensweise, wie die heiligen Schriften in andere Sprachen übersetzt werden, bekannt vorkommen. Sie entspricht in etwa dem, wie der Prophet vorging, als er das Buch Mormon ins Englische übertrug.
Joseph Smith war ein einfacher, relativ ungebildeter Bauernjunge. Doch er hatte das Potenzial und die Eigenschaften, die der Herr für das Werk, das vollbracht werden musste, brauchte. Joseph und seine Familie wurden zweifellos vorbereitet und an den richtigen Ort geführt, um dieses Werk zu vollbringen.3
Außerdem erhielt Joseph beim Übersetzen der nephitischen Berichte Hilfe – sowohl göttlicher, als auch irdischer Art. Über einen Zeitraum von vier Jahren erschien der Engel Moroni ihm einmal jährlich, ehe er Joseph erlaubte, den Bericht an sich zu nehmen. Wir wissen nicht, was Moroni dem Propheten alles darlegte, aber offenbar bereiteten ihn diese Besuche geistig und mental auf die vor ihm liegende Aufgabe vor.4
Ferner hatte der Herr schon im Vorwege „Übersetzer“ vorbereitet, mit deren Hilfe verlorengegangene Sprachen übersetzt werden konnten. Der Beschreibung nach handelte es sich um zwei durchscheinende Steine, die von einem Metallbügel zusammengehalten wurden. Mithilfe dieses Werkzeugs und einem ähnlichen, dem sogenannten Seherstein, übertrug der Prophet den Bericht der Nephiten ins Englische. Er beschrieb die Vorgehensweise nicht im Detail, doch bezeugte er schlicht, dass er das Buch Mormon durch „die Gabe und Macht Gottes“5 übersetzt habe.
Abgesehen von der göttlichen Hilfe erhielt Joseph irdische Hilfe in Form von Schreibern, die das Manuskript erstellten. Weitere Helfer wiederum setzten, druckten, finanzierten und verbreiteten das Werk schließlich in aller Welt.
Ähnlich der Vorbereitung und der Hilfe, die Joseph beim Übersetzen erhielt, werden auch diejenigen, die heute damit beauftragt werden, die heiligen Schriften zu übersetzen, vom Herrn vorbereitet, und auch sie erhalten Hilfe – sowohl geistige, als auch irdische – bei ihrer Arbeit.
Ein Werk der Offenbarung
Der schwierige Übersetzungsprozess wird von einer geistigen Energie durchzogen, die man vielleicht am besten als „Offenbarung durch Rathalten“ beschreiben kann. Es werden zwei, drei Übersetzer ausgewählt, die sich im Laufe der Übersetzungsarbeit immer wieder mit anderen besprechen. Sie haben Ansprechpartner am Hauptsitz der Kirche, Lektoren vor Ort, bestimmte Computerprogramme, sie ziehen ein Referenzlexikon6 und Übersetzungsanleitungen zurate und sie bekommen Unterstützung von in der Materie bewanderten Mitgliedern der Kirche – im Zweifel sogar von der Ersten Präsidentschaft (siehe die Ausführungen am Rand). Erst wenn die Erste Präsidentschaft die fertige Übersetzung genehmigt hat, wird das Standardwerk gesetzt, gedruckt und verbreitet. Die Übersetzung wird in digitaler Form produziert und ist auf LDS.org sowie in der App „Archiv Kirchenliteratur“ abrufbar.
Ein solches gemeinschaftliches Unterfangen verlangt einem vieles ab, ist jedoch auch inspiriert. Es wird akribisch auf die Qualität des Inhalts und des lieferfertigen Produkts geachtet. Die Übersetzung wird immer wieder von verschiedenen Stellen überprüft, insbesondere vonseiten kirchlicher Autoritäten, die sich um die Zustimmung des Herrn bemühen. Erst wenn diese Zustimmung erfolgt ist, nimmt die Übersetzung ihren weiteren Lauf. Zwar erhalten die Übersetzer nicht auf genau dieselbe Weise Offenbarung wie der Prophet Joseph Smith, als er das Buch Mormon übersetzte, doch werden sie ganz klar vom Herrn geführt, nämlich durch seine Gaben und seine Macht.
Das bedeutet nicht, dass eine Übersetzung perfekt ist, wenn sie abgeschlossen ist. Oft findet man im Laufe der Zeit Verbesserungsmöglichkeiten, was die Wortwahl betrifft, Grammatik-, Tipp- oder Rechtschreibfehler müssen korrigiert werden oder diejenigen, die die heiligen Schriften nochmals prüfen, unterbreiten entsprechende Verbesserungsvorschläge. In seltenen Fällen werden Erläuterungen zur Lehre geändert. Diese werden unter der Leitung der Ersten Präsidentschaft bearbeitet.
Der Herr trägt Sorge für sein Werk
Der Herr unterstützt die Übersetzungsarbeit auch auf andere Weise. Das Übersetzungsteam am Hauptsitz der Kirche berichtet häufig, dass der Herr stets Sorge für sein Werk trägt, wenn es nötig ist.
So ist das folgende Beispiel nur eines von vielen: Einmal wurde ein Übersetzer gesucht, als Material der Kirche in die Sprache Mam übersetzt und auch in dieser Sprache aufgenommen werden sollte. (Mam, das sich aus der Sprache der Mayas entwickelt hat, wird in Guatemala gesprochen.) Unter den ersten Missionaren, die nach Guatemala auf Mission berufen wurden, war ein Mann, dessen Großvater Mam gesprochen hatte. Der Missionar selbst war in einer größeren Stadt aufgewachsen und sprach nur Spanisch. Doch sein Großvater erschien ihm jede Nacht im Traum und brachte ihm Mam bei. Jener junge Missionar wurde der wichtigste Übersetzer für Mam in der Kirche.
Die Übersetzer müssen für ihre Arbeit oft große Opfer bringen. Je nach finanzieller Lage arbeiten einige Übersetzer ehrenamtlich und opfern ihren Dienst; andere hingegen werden bezahlt, damit sie die Zeit erübrigen und an Übersetzungsarbeiten mitwirken können.
Einer der Übersetzer für Urdu beispielsweise schloss sich der Kirche in Pakistan an, wo er als Lehrer arbeitete. Aufgrund seiner Bekehrung verlor er seine Arbeit, sein Haus, das ihm die Schule, an der er unterrichtet hatte, zur Verfügung gestellt hatte, und seine Kinder durften keine schulische Ausbildung mehr genießen. Eines Tages wurde er von einem Mitglied, das für Übersetzungsarbeiten zuständig war, angesprochen und gefragt, ob er als Übersetzer arbeiten wolle. Er bot ihm ein bescheidenes Gehalt an. Nachdem der ehemalige Lehrer einige Monate als Übersetzer gearbeitet hatte, suchte er ebenjenes Mitglied auf und fragte schüchtern, ob er einen neuen Kugelschreiber bekommen könne. Bei seinem hätte er die Tinte aufgebraucht. Erst da bemerkte – und korrigierte – sein Vorgesetzter einen Fehler in der Buchhaltung, wodurch dem Übersetzer viel weniger ausgezahlt worden war als vereinbart!
Doch so, wie der Herr Joseph Smith auf vielerlei Weise segnete, damit er sein Werk vollbringen konnte, segnet der Herr auch heute seine Übersetzer. Der Übersetzer der lettischen heiligen Schriften beispielsweise war Jurist. Er hatte in Russland Jura studiert und sich dort auch zum wiederhergestellten Evangelium bekehrt. Als er wieder in Lettland war, gründete er eine Firma. Außerdem war er Zweigpräsident. Er war mehr als ausgelastet, doch die Kirche brauchte ihn und seine guten Englischkenntnisse.
Als man an ihn herantrat, bat er um etwas Zeit. Er wollte über die Anfrage, ob er die heiligen Schriften übersetzen könne, erst beten. Nähme er den Auftrag nämlich an, so teilte er dem Repräsentanten der Kirche mit, „würde ich meinen Kindern quasi das Essen von der Gabel nehmen“. Nachdem er gebetet hatte, beschloss er, den Auftrag anzunehmen. Doch bat er den Herrn auch, ihn mit den Mitteln zu segnen, um diese schwierige, geistig anspruchsvolle und zeitaufwändige Arbeit bewerkstelligen zu können.
Von nun an ging er täglich eine Stunde früher in die Kanzlei. In dieser Stunde arbeitete er an der Übersetzung des Buches Mormon. Er brauchte deutlich weniger als fünf Jahre – der Zeitspanne, die diese Arbeit normalerweise in Anspruch nimmt. Seine Übersetzung war sogar eine der schnellsten, seit Joseph Smith das Buch Mormon in nur knapp 60 Tagen übersetzt hatte.
Es gibt viele weitere Beispiele, an denen sich erkennen lässt, dass der Herr bei der Übersetzung seiner heiligen Schriften mitwirkt. Sie alle zeigen ganz deutlich, dass dies sein Werk ist und dass es ihm wirklich am Herzen liegt. Er bereitet Menschen darauf vor, sein Werk zu verrichten. Er gibt ihnen die Hilfen an die Hand, die sie brauchen, um das Werk zu beschleunigen. Und er inspiriert und segnet sie fortwährend.
Dadurch dürfen wir uns einer Welt erfreuen, in der alle Kinder Gottes sein segensreiches Wort in der Sprache ihres Herzens empfangen können.