2017
Einsamer Gottesdienst in Sarajevo
Juni 2017


Dienst in der Kirche

Einsamer Gottesdienst in Sarajevo

Der Verfasser lebt in Rheinland-Pfalz.

Sonntags sang und betete ich und hielt Ansprachen – nur für mich. Ob wohl jemals andere Mitglieder zu den Versammlungen kommen würden?

person standing at a pulpit

Illustration von Mia Price/Shannon Associates

Als ich in der Bundeswehr war, verbrachte ich 1999 über ein halbes Jahr in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Meine Aufgaben beim Militär waren anstrengend und zeitaufwendig, aber ich nahm mir immer die Zeit, zum Gottesdienst in der kleinen Kapelle zu gehen, die in unserem Feldlager mit 750 Soldaten von verschiedenen Religionen genutzt wurde.

Als ich eines Sonntags zur Kapelle kam, waren die Türen verschlossen. Da fand ich heraus, dass die anderen Mitglieder der Kirche Jesu Christi aus dem Feldlager versetzt worden waren. Ich war enttäuscht, denn ich hatte mich schon auf den Gottesdienst gefreut und darauf, vom Abendmahl zu nehmen. Bevor ich nach Sarajevo kam, war ich ein vielbeschäftigter Zweigpräsident in Deutschland gewesen und hatte regelmäßig am Abendmahl teilnehmen können.

Einige Wochen später wurde ich dazu eingeteilt, meinen General beim Besuch einer amerikanischen Division zu begleiten. Beim Mittagessen sprach mich ein amerikanischer Hauptmann an. Er hatte mich im Gespräch mit anderen Soldaten gesehen und fragte mich, ob ich ein Mitglied der Kirche sei. Als ich das bejahte, gab er dem dortigen Gruppenleiter der Kirche meinen Namen und meine Kontaktangaben.

Kurz darauf nahm ein Bruder Fisher mit mir Verbindung auf. Nach einem Interview setzte er mich als Gruppenleiter der Kirche in Sarajevo ein und erteilte mir den Auftrag, eine Gruppe zu eröffnen. (Eine Gruppe ist eine Einheit der Kirche innerhalb einer Militäreinrichtung, so ähnlich wie ein Zweig.)

Also heftete ich die Versammlungszeiten an Anschlagtafeln und verteilte Einladungen, in der Hoffnung, in den Kasernen in Sarajevo noch andere Mitglieder der Kirche zu finden. In den ersten Wochen kam aber niemand außer mir zu den Versammlungen. Also sang und betete ich sonntags und hielt Ansprachen – nur für mich. Nach den Richtlinien der Kirche für Militärangehörige war es mir möglich, auch ohne einen zweiten Priestertumsträger das Abendmahl zu segnen und davon zu nehmen. Darüber freute ich mich sehr.

Meine Versammlungen hielt ich auf Englisch ab, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. In meiner ersten Ansprache ging es um Joseph Smith. Es war zwar niemand zu sehen, aber ich spürte, dass noch andere im Raum waren. Der Heilige Geist gab mir Kraft und offenbarte mir, wie wichtig es war, dass die Arbeit des Herrn hier an diesem Ort aufs Neue begann.

Einige Wochen nach meiner ersten Versammlung am Sonntag kam eine junge amerikanische Soldatin in die Kapelle. Sie hatte sich erst wenige Monate zuvor taufen lassen. Ich war überglücklich! Zwei Wochen später fand sich noch eine weitere Schwester ein. Bald darauf kamen auch zwei Brüder. So wuchs die Kirche in Sarajevo mit der Hilfe des Herrn allmählich.

Inzwischen gibt es dort einen Zweig der Kirche. Wenn ich heute an meine Zeit in Sarajevo zurückdenke, ist mir klar, dass der Herr mir eine Ehre erwiesen hat: Ich durfte ein kleines Rädchen in seinem Werk sein und durch diesen besonderen Dienst erfahren, dass „aus etwas Kleinem … das Große hervor[geht]“ (LuB 64:33).