2020
Wie man als introvertierter Mensch den Sonntag überlebt
März 2020


Nur online: Junge Erwachsene

Wie man als introvertierter Mensch den Sonntag überlebt

Das Evangelium ist für jeden gedacht und unsere jeweiligen Eigenschaften können uns zusammenbringen

Als Teenager war es eine Qual für mich, in die Kirche zu gehen.

Ich glaubte, dass das Evangelium wahr war, und ich wusste, dass es notwendig war, in die Kirche zu gehen, damit ich mich in geistiger Hinsicht weiterentwickelte. Aber ich fühlte mich oft unzulänglich.

Ich glaubte, ich könnte den Erwartungen der anderen (oder dem, was ich für ihre Erwartungen hielt), wie ein gutes Mitglied der Kirche sein sollte, nicht gerecht werden. Alle anderen schienen quirlig, kontaktfreudig, redegewandt und immer bereit zu sein, Zeugnis zu geben oder ein Gebet zu sprechen. Aber ich? Ich war still und fühlte mich in Gesellschaft unwohl. Deshalb hatte ich das Gefühl, ich hätte als Mitglied der Kirche nichts zu bieten.

Es stimmt, es gibt viele Mitglieder der Kirche, die kontaktfreudig und begeistert sind. Das ist ja auch gut so, aber dadurch hatte ich lange Zeit das Gefühl, meine zurückhaltende, ruhige Art würde nicht ins Schema passen. Doch heute ist mir klar, dass das alles andere als wahr ist.

Ich kann mich wohlfühlen

Während meiner Zeit am College zog ich in eine neue WG, und meine Mitbewohnerin stellte mich ihren Freunden in der Gemeinde vor. Ich hatte sofort das Gefühl dazuzugehören, weil sie nett zu mir waren und mich akzeptierten. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich wirklich kennenlernen wollten. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, wie sich ein Großteil meiner Ängste im Umgang mit Menschen legte.

Da erkannte ich, dass mein Zugehörigkeitsgefühl nicht auf das veränderte Umfeld zurückzuführen war, sondern auf eine veränderte Sichtweise. Mir wurde klar, dass ich nicht kontaktfreudig sein musste, um eine Jüngerin Jesu Christi zu sein. In der Stille liegt Kraft. Es liegt Kraft im Zuhören und Nachdenken.  Indem ich meine Stärken als eher introvertierter Mensch erkannte und meine Schwächen in Bezug auf die Ängste im Umgang mit Menschen anging, fand ich einen Mittelweg, der mir half, zu überleben und sogar im Evangelium zu wachsen.

Wir alle haben Stärken und Schwächen

Gott hat uns aus einem bestimmten Grund unterschiedliche Persönlichkeiten und verschiedene Stärken und Schwächen gegeben. Jemandem, der kontaktfreudiger ist, fällt es womöglich leichter, sich im Unterricht zu beteiligen und in der Gemeinde ein Gefühl der Einigkeit zu schaffen. Dafür zeigen diejenigen, die zurückhaltender sind, ihr starkes Zeugnis durch ihre Taten und ihre Hingabe an Jesus Christus. Sie können vielleicht auch sehr gut auf andere ruhige Menschen zugehen.

Wenn du introvertiert bist, dann denke daran: Du spielst eine wichtige Rolle in der Kirche. Sowohl introvertierte als auch extrovertierte Persönlichkeiten spiegeln Eigenschaften des Erretters wider, die wir nutzen können, um einander im Evangelium aufzubauen.

Es geht nicht nur um dich

Ich stellte mir damals auch die Frage, weshalb ich überhaupt in die Kirche ging. Ich ging, um vom Abendmahl zu nehmen, um mehr über Jesus Christus zu erfahren und für den Tempel würdig zu sein. Aber in den heiligen Schriften steht auch: „Der Leib [hat] jedes Glied nötig, damit alle miteinander erbaut werden, damit das geordnete Gefüge vollkommen erhalten bleibe.“ (Lehre und Bündnisse 84:110; siehe auch Epheser 4:12.)

In den Versammlungen der Kirche wird zwar unser eigenes Zeugnis gestärkt, aber mir wurde klar, dass es in der Kirche dennoch nicht nur um mich geht. Wir denken zwar jeder für sich an den Erretter, wenn wir vom Abendmahl nehmen, aber wir werden gemeinsam erbaut, wenn wir als Gemeinde an dieser heiligen Handlung teilnehmen.

Ich machte mir zu viele Gedanken darüber, was die anderen wohl von mir hielten, und dachte nicht genug an den Grundsatz, der uns in all unseren Gedanken und Taten leiten soll: die Liebe. Der Prophet Mormon schrieb: „Ich fürchte nichts, was Menschen tun können; denn vollkommene Liebe vertreibt alle Furcht.“ (Moroni 8:16.)

Diese „vollkommene Liebe“ kommt von Gott. Wenn wir uns öffnen, sodass wir diese Liebe spüren können, haben wir weniger Angst, was unsere eigenen Unzulänglichkeiten angeht, und davor, was andere Leute von uns denken. Unsere eigenen Probleme erscheinen uns weniger wichtig und wir sind eher bereit, anderen, die sich nicht zugehörig fühlen, freundlich zu begegnen.

Mach eins nach dem anderen

Unsere Pflicht, einander zu lieben und das Evangelium zu verbreiten, bedeutet, dass wir gute Beziehungen zu anderen aufbauen müssen.

Wenn wir uns darauf konzentrieren, unsere Beziehung jeweils nur zu ein oder zwei Menschen zu vertiefen, fühlen wir uns auch nicht überfordert. Obwohl Jesus Christus während seines irdischen Wirkens Tausende belehrt und geheilt hat, diente er den Menschen doch einem nach dem anderen (siehe 3 Nephi 11:15; 17:21).

Mir wurde klar, dass ich nicht mit jedem gut befreundet sein oder der beliebteste Mensch in der Gemeinde sein musste. Was wirklich zählt, ist nicht die Anzahl meiner sozialen Kontakte, sondern die Qualität meiner Beziehungen. Statt mir wegen all der Menschen Sorgen zu machen, konzentriere ich mich jetzt darauf, jede Woche in der Kirche mit einem Menschen zu sprechen.

In die Kirche zu gehen, ist manchmal immer noch eine Herausforderung für mich. Aber seit ich Schritt für Schritt über meinen Schatten gesprungen bin, um meine Angst im Umgang mit Menschen zu überwinden, verspüre ich die Liebe, die der Erretter für mich und für all seine Kinder empfindet. Ich erkenne langsam, wo mein Platz ist. Ich weiß, dass ich durch das Sühnopfer Jesu Christi Gnade empfange und darauf hinarbeiten kann, meine Schwächen zu überwinden und meine Stärken zum Aufbau des Reiches Gottes zu nutzen.