Nur online
Er brauchte einen Priestertumssegen. Konnte ich mich überwinden?
Ich hatte mich immer davor gefürchtet, einen Priestertumssegen zu geben. War ich dazu bereit, wenn es so weit war?
Eines Tages fuhren meine Mutter und ich nach Hause, als ein Fahrradfahrer eine kleine Anhöhe herunterkam. Plötzlich wich er aus, damit er nicht mit einem entgegenkommenden LKW kollidierte. Im Bruchteil einer Sekunde, die uns wie eine Ewigkeit vorkam, verlor der Mann durch die ruckartige Bewegung die Kontrolle über das Fahrrad. Er flog über den Lenker und schlug mit dem Kopf heftig auf der Straße auf. Sofort hielten wir am Straßenrand an. In panischer Angst stieg ich aus und lief zu ihm. Er atmete schwer, hatte jedoch das Bewusstsein verloren.
Sofort begriff ich, dass er einen Priestertumssegen brauchte, aber unweigerlich fragte ich mich, ob ich überhaupt dazu imstande war.
In diesem Augenblick musste ich daran denken, was Elder Jeffrey R. Holland gesagt hatte, als ich ein junger Träger des Aaronischen Priestertums gewesen war: „Junge Männer, ihr werdet die Erfahrung machen, wenn ihr sie noch nicht gemacht habt, dass in beängstigenden und gefährlichen Augenblicken euer Glaube und das Priestertum von euch das Beste verlangen, auch das Beste, das ihr aus dem Himmel herabrufen könnt. …
Tatsächlich [mag] der Tag kommen, und gewiss wird er auch kommen, an dem, unter unerwarteten Umständen oder in großer Not, sozusagen der Blitz einschlägt und die Zukunft in eurer Hand ist … Seid bereit, wenn der Tag kommt.“ („Heiligt euch“, Liahona, Januar 2001, Seite 47, 49.)
Ich überwand meine Angst
Als Jugendlicher waren mir diese Worte tief ins Herz gedrungen und hatten dazu beigetragen, dass ich mich bereitmachte, ein würdiger Träger des Melchisedekischen Priestertums zu werden. Doch auch jahrelang, nachdem ich das Priestertum empfangen hatte, konnte ich mich nicht dazu durchringen, einen Priestertumssegen zu geben, und zwar vor allem, weil ich Angst hatte –Angst davor, unwürdig zu sein oder nicht das Richtige zu sagen. Diese Angst hielt mich davon zurück, von der Priestertumsvollmacht, die mir anvertraut worden war, Gebrauch zu machen und die Mächte des Himmels zum Segen anderer Menschen herabzurufen. Tief im Inneren wusste ich aber, dass sich diese Gefühle ändern mussten, wenn ich mein Priestertum groß machen wollte. Ich musste meine Angst und Unsicherheit, Gottes Macht zum Segen anderer zu nutzen, überwinden.
Ich übte Glauben an den Herrn aus und handelte gemäß dem inspirierten Rat seiner Diener und richtete auf diese Weise mein Leben mehr an seinen Lehren aus. Jeden Tag nahm ich mir die Zeit, im Gebet mein Herz auszuschütten, und betete darum, beim Schriftstudium geistig gestärkt zu werden. Wenn ich eine Schriftstelle las und mir jemand in den Sinn kam, der davon profitieren könnte, schickte ich dem Betreffenden diesen Vers. Ich hörte mir Generalkonferenzansprachen an. Ich ließ andere an meinem Zeugnis vom Evangelium teilhaben. Wenn ich zusätzliche Kraft brauchte, fastete ich.
Als ich mich an diese Grundlagen hielt – entschlossen, meinen Willen am Willen Gottes auszurichten –, verspürte ich den Heiligen Geist öfter, und sowohl meine geistige Aufnahmefähigkeit als auch meine Verbindung mit den Mächten des Himmels wurden stärker. Endlich also hatte ich den Mut, einen Segen des Trostes und des Rates zu geben.
Ich weiß noch, dass ich zuerst nervös war und mir Sorgen machte, was ich wohl sagen könne. Doch der Geist erfüllte mich, meine Angst wich, und die richtigen Worte wuschen jegliche Sorge fort. Ich wusste, dass ich das Richtige tat – es war, als hätte ich einen fehlenden Teil von mir selbst gefunden.
Seitdem hat man mich schon viele Male um einen Segen gebeten, was mir sehr viel bedeutet. Bei jedem Segen des Herrn, den ich seinen Kindern spende, fühle auch ich mich ungemein gesegnet. Ein Priestertumssegen ist wahrhaft für jeden, der daran beteiligt ist, ein Segen.
Ich rief die Macht des Herrn herab, als es darauf ankam
So wie Elder Holland verheißen hatte, war an jenem Tag auf der Straße unerwartet der Blitz in Form des verletzten Fahrradfahrers eingeschlagen. Hätte ich in den Jahren zuvor nicht gemeinsam mit dem Herrn daran gearbeitet, meine Angst zu überwinden und in ganz normalen Umständen einen Segen zu geben, wären der Mann und ich in dieser möglicherweise lebensbedrohlichen Situation beide hilflos gewesen. Da der Herr mich jedoch führte und stärkte, konnte ich mich neben den Mann knien und beim Segen leise und ruhig das sagen, wozu ich mich inspiriert fühlte.
Anschließend blickte ich auf und sah, dass der Hilfssheriff neben mir stand. Er war zufälligerweise hinter uns gewesen und hatte schon den Krankenwagen gerufen. Der Verletzte kam jedoch schnell wieder zu sich, beharrte darauf, es gehe ihm gut, und fuhr dann am Krankenwagen vorbei auf seinem Fahrrad weiter. Mir ist zwar klar, dass nicht jeder Priestertumssegen derart schnell zum erwünschten Ergebnis führt, aber dieses Erlebnis werde ich niemals vergessen. Ich bin dankbar, dass ich, als es so weit war, dazu bereit war.