Würde ich jemals dazugehören?
Als ich einen anderen Text sang als alle anderen, fühlte ich mich als Außenseiterin.
Im Januar 2009 flogen mein Mann und ich nach Deutschland. Er hatte dort eine Stelle angenommen, und wir verbrachten eine Woche in Berlin, um den Umzug unserer Familie vorzubereiten.
Schon gleich bei der Ankunft empfand ich die Unterschiede zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten als unüberwindbar groß. Am ersten Abend traute ich mich gar nicht, unser Hotel zu verlassen.
Doch am nächsten Morgen, einem Sonntag, nahm ich meinen Mut zusammen und ging zur Abendmahlsversammlung mit. Als wir in die Kapelle kamen, erkannte uns ein freundlicher Mann als Amerikaner und gab uns ein englisches Gesangbuch. Als ich in der letzten Reihe saß und einen anderen Text sang als alle anderen, fühlte ich mich als Außenseiterin.
Für die Versammlung gab man uns Kopfhörer, über die wir den Dolmetscher hören konnten. Die Versammlung war noch nicht zur Hälfte vorbei, da wollte ich mir am liebsten die Kopfhörer herunterreißen und zurück in meine Gemeinde nach Amerika flüchten. Aber als ich die zweite Strophe des Lieds „O fest wie ein Felsen“ sang, drang mir der Heilige Geist ins Herz.
„Daheim oder fort, auf dem Land oder Meer,
nach meinem Bedürfnis, so gibst du mir, Herr.“1
Dieses Lied kam mir vor wie eine Botschaft vom Herrn. Tränen liefen mir über die Wangen, als ich ins Foyer lief, wo mir ein Mann mit sanftem Blick ein Päckchen Taschentücher in die Hand drückte. (Jedes Mitglied dieser Gemeinde hatte immer ein Päckchen griffbereit.)
Dreieinhalb Jahre später: Im selben Gemeindehaus begann der Organist an einem Sonntagmorgen im Juni, ein Kirchenlied zu spielen. Ich schlug mein deutsches Gesangbuch auf und begann zu singen.
In dem Moment umgab mich wiederum der Heilige Geist. Auch diesmal sang ich „O fest wie ein Felsen“ – doch jetzt war alles anders.
Ich blickte um mich. Anstatt Fremde zu sehen, sah ich Freunde. Hinter mir saß unser ehemaliger Pfahlpräsident, der sich unsere Namen damals sogleich eingeprägt hatte. In der ersten Reihe saß mein Sohn, der als Diakon diente, Schulter an Schulter mit den jungen Männern, die ihn im Krankenhaus besucht hatten, als bei ihm Diabetes diagnostiziert worden war. Dahinter war die JD-Leiterin, die meiner Tochter beigebracht hatte, wie man leckere Kartoffelpuffer macht.
Überall in der Kapelle saßen junge Leute, die ich in der englischsprachigen Institutsklasse unterrichtet hatte und die mir ans Herz gewachsen waren. Ich sah meine treuen Besuchslehrerinnen und die Teilnehmer, die mit viel Spaß bei dem Tanzkurs dabei gewesen waren, den ich auf Bitte des Bischofs abgehalten hatte.
Wieder traten mir Tränen in die Augen – doch dieses Mal rannte ich nicht aus der Kapelle. Ich kramte einfach in meiner Handtasche nach meinem Päckchen Taschentücher.
Denn jedes Mitglied dieser Gemeinde hatte immer ein Päckchen griffbereit.