2021
Der Kirtland-Tempel – ein heiliger Ort
Oktober 2021


Komm und folge mir nach!

Lehre und Bündnisse 109 und 110

Der Kirtland-Tempel – ein heiliger Ort

Was ich als junger Missionar über den Tempel gelernt habe, hat sich mein Leben lang als segensreich erwiesen.

Kirtland Temple

Illustration von David Green

Viele Missionare öffnen den Brief, der ihre Missionsberufung enthält, gerne im Beisein ihrer Familie und ihrer Freunde. Meinen habe ich ganz allein auf einem Kartoffelacker geöffnet. Damals studierte ich gerade am Ricks College (das später zur Brigham-Young-Universität Idaho werden sollte). Seinerzeit gab es noch keine sozialen Medien oder das Internet, und meine Familie war weit weg. Also ging ich auf den Acker, sprach ein Gebet und öffnete den Brief.

„Wir beauftragen Sie, in der Ohio-Mission Cleveland zu arbeiten“, hieß es da. Besonders gefiel mir, dass Kirtland in diesem Missionsgebiet lag, obwohl ich damals noch nicht wirklich verstand, was das bedeutete.

Willkommen in Ohio

Die Gemeinde Ashtabula im Pfahl Kirtland war mein erstes Gebiet. Auf dem Weg dorthin machten mein Mitarbeiter, Elder Shawn Patrick Murphy, und ich Halt am Laden von Newel K. Whitney in Kirtland. Heute gibt es dort ein großes Besucherzentrum, doch damals war der Laden völlig unscheinbar. Ich weiß noch, wie ich die Treppe zu dem Raum im Obergeschoss emporklomm, wo Joseph Smith einst die Schule der Propheten abgehalten hatte. Über die Geschichte des Ladens wusste ich nicht viel. Dennoch spürte ich etwas Besonderes, als wir diesen schmucklosen Raum betraten, in dem schlichte Holzbänke standen.

Das Zentrum unterstand Präsident Brewer, einem ehemaligen Missionspräsidenten. Als er davon erzählte, dass die Brüder hier gemeinsam studiert und sich Wissen angeeignet hatten, spürte ich den Geist sehr intensiv. Ich begann die Rolle zu erkennen, die Kirtland als Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte der Kirche gespielt hatte.

Ein Ort der Vorbereitung

In den frühen 30er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde Independence im US-Bundesstaat Missouri als Stätte für das Neue Jerusalem bezeichnet. Die Mitglieder der Kirche begannen demzufolge, sich dort niederzulassen. Da jedoch ihre Nachbarn in Missouri mit ihnen in Streit gerieten und ihr Glaube auf Ablehnung stieß, wurden sie schließlich vertrieben. 1834 stellte Joseph Smith einen Trupp zusammen, der aus rund 230 Männern, Frauen und Kindern bestand und später als Zionslager bezeichnet werden sollte. Die Teilnehmer sollten von Ohio nach Missouri ziehen, um den dort ansässigen Mitgliedern zu helfen, ihre rechtmäßig erworbenen Grundstücke wiederzuerlangen. Der knapp 1500 Kilometer lange Fußmarsch brachte zwar nicht den gewünschten Erfolg, denn den Mitgliedern wurden ihre Grundstücke nicht wiedergegeben, doch der Marsch schuf ein Umfeld, das entscheidend zur Vorbereitung zweier künftiger Präsidenten der Kirche – Brigham Young und Wilford Woodruff – sowie weiterer künftiger Apostel, Siebziger und sonstiger Führer beitrug.

Das Zionslager diente nicht nur der Vorbereitung der Führer der Kirche. Die heiligende Wirkung, die von ihm ausging, versetzte die Menschen letztlich in die Lage, jene Opfer zu bringen, die ihnen der Bau eines Tempels abverlangen sollte.

In Kirtland erhielt der Prophet eine Offenbarung nach der anderen dazu, wie die Kirche zu organisieren sei. All dies diente der Vorbereitung auf die schlussendliche Krönung, den Bau des Tempels.1 Diese Opferbereitschaft brachte buchstäblich den Segen des Himmels mit sich.2 Die Heiligen waren so arm, dass sie kaum das Nötigste zum Leben hatten. Dennoch weihten sie ihre Zeit, ihre Talente und ihren Besitz – den gleichen Bund schließen wir heute im Tempel –, um ein Haus des Herrn zu errichten.

Der Geist des Tempels

Heute ist der Kirtland-Tempel im Besitz einer anderen Kirche, von der er auch instand gehalten wird – der Community of Christ (Gemeinschaft Christi). Als wir von einem ihrer Führer durch das Gebäude geleitet wurden und aus Tagebüchern von Zeitgenossen vorgelesen wurde, die bei der Weihung des Tempels Wundersames erlebt hatten, spürte ich den Heiligen Geist. Einige hatten damals Engel gesehen, in den Augen anderer wiederum erstrahlte der Tempel in hellem Licht.3 Der Geist bestätigte mir, dass dies tatsächlich ein Haus Gottes gewesen war.

Sieben Monate lang war ich in der Gemeinde Ashtabula tätig. An beinahe jedem Vorbereitungstag nahmen wir Freunde der Kirche in den Laden von Newel K. Whitney mit und sprachen mit ihnen über den Kirtland-Tempel. Viele Male haben wir den beeindruckenden Bericht darüber vorgelesen, wie Christus im Tempel erschienen ist:

the Savior appearing in the Kirtland Temple

Der Herr erscheint im Kirtland-Tempel, Gemälde von Del Parson

„Seine Augen waren wie eine Feuerflamme, sein Haupthaar war weiß wie reiner Schnee, sein Antlitz leuchtete heller als das Licht der Sonne, und seine Stimme tönte wie das Rauschen großer Gewässer, ja, die Stimme Jehovas, die sprach:

Ich bin der Erste und der Letzte; ich bin der, der lebt, ich bin der, der getötet worden ist; ich bin euer Fürsprecher beim Vater.“ (Lehre und Bündnisse 110:3,4.)

Nicht nur der Erretter, auch andere – Mose, Elias und Elija – waren im Tempel erschienen. Sie übertrugen Joseph Smith die Schlüssel zur Sammlung Israels, die Evangeliumszeit Abrahams und den Auftrag zu Tempelarbeit und Familienforschung (siehe Lehre und Bündnisse 110:10-16).

Opferbereitschaft und Segnungen

Weil diese Erscheinungen so bedeutsam sind, übersehen wir mitunter, so meine ich, manch Wichtiges, was sich damals noch ereignet hat. Im Weihungsgebet wandte sich Joseph Smith an den Herrn, den Gott Israels, „der du den Bund hältst und … Barmherzigkeit erzeigst“, und flehte ihn an, es anzunehmen, „dass wir dir dieses Haus weihen, das Werk unserer Hände, das wir deinem Namen gebaut haben“ (Lehre und Bündnisse 109:1,78).

Dieses Gebet wurde dadurch erhört, dass Jesus Christus als Sprachrohr Gottvaters erschien und bekundete, dass er sein Haus samt den dort zu vollziehenden heiligen Handlungen und den dort zu schließenden Bündnisse annehme. In gleicher Weise gewährt er bei jedem Tempel, der seither geweiht wurde, dass auch dieses Haus einschließlich der dort geschlossenen Bündnisse und der dort vollzogenen heiligen Handlungen angenommen wird.

Im Weihungsgebet bat Joseph Smith den Herrn auch ausdrücklich darum, diejenigen zu segnen, die einer Präsidentschaft angehören, samt Familie und Angehörigen. Heute erstrecken sich diese Segnungen auf FHV-Präsidentinnen, Kollegiumspräsidenten, JD-Präsidentinnen, Pfahlpräsidenten, Missionspräsidenten und so weiter. (Siehe Lehre und Bündnisse 109:71.) Weiterhin erbat Joseph Smith vom Herrn: „Gedenke, o Herr, deiner gesamten Kirche, mit all ihren Familien …, damit deine Kirche aus der Wildnis der Finsternis hervorkomme und leuchte.“ (Lehre und Bündnisse 109:72,73.)

Joseph ersuchte den Herrn um besondere Segnungen für die Präsidentschaften und deren Angehörige, für die Mitglieder und deren Verwandte und auch für die Kirche als Ganzes. Immer wieder sehen wir, wie sich diese Segnungen erfüllen, denn die Kirche erstrahlt fürwahr wie ein Licht in der Finsternis.

Drei grundlegende Wahrheiten

Aus der Weihung des Kirtland-Tempels werden für mich drei grundlegende Wahrheiten deutlich:

  1. Wir werden gesegnet, wenn wir uns auf den Tempel vorbereiten. Die Mitglieder der Kirche in Kirtland mussten sich auf den Bau ihres Tempels vorbereiten. Sie mussten Opfer bringen, sich läutern und willigen Herzens sein. Wir müssen dasselbe tun, um eher für die Segnungen bereit zu sein, die der Herr uns geben möchte.

  2. Wir können im Haus des Herrn Offenbarung empfangen. Durch die Visionen, die Joseph Smith und Oliver Cowdery im Tempel von Kirtland zuteilwurden, erhielten sie Orientierung, Führung und Erkenntnis. Auch wir können für uns selbst Inspiration finden, wenn wir in den Tempel gehen und Antworten suchen.

  3. Wir können im Tempel Zuflucht finden. In einer Zeit der Verfolgung und Armut stellte das Haus des Herrn für die Mitglieder in Kirtland ein Heiligtum dar, das ihnen Zuflucht vor den Sorgen bot, die sie umgaben. Das gilt auch für uns heute.

Segnungen des Tempels

Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass alles, was ich als junger Missionar in Ohio über den Tempel gelernt habe, meiner Familie und mir zum Segen gereicht. Im Tempel hatten zum Beispiel meine Frau Amy und ich ein Jahr nach unserer Eheschließung die Eingebung, es sei nun an der Zeit, ein Kind zu bekommen. Wir studierten beide noch und hatten wenig Geld. Daher war ich versucht, die Eingebung beiseitezuschieben. Doch der Herr bereitete uns vor.

Meine Frau erlitt in den darauffolgenden zwei Jahren drei Fehlgeburten, und ich fragte mich: „Warum hatten wir das Gefühl, wir sollen ein Kind bekommen, wenn wir doch gar nicht dazu in der Lage sind?“ Dann zogen wir nach Kalifornien, suchten eine Kinderwunschklinik auf und bekamen schließlich unser erstes Kind, Mackenzie.

Weil wir der Eingebung, die wir im Tempel erhalten hatten, gleich gefolgt waren, wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der sich über drei Jahre hinzog. Wären wir der Eingebung nicht gefolgt, wäre unsere Tochter vermutlich erst mindestens drei Jahre später auf die Welt gekommen. Dieses Erlebnis betrachten wir als Segen, weil es uns zeigte, wie Offenbarung und Vorbereitung ineinandergreifen.

Bald darauf bekamen wir unser zweites Kind, Emma. Doch dann folgte eine weitere Fehlgeburt, und unser Sohn Stewart verstarb. In den darauffolgenden Monaten und Jahren suchten wir nach innerem Frieden. Dabei fanden wir heraus, dass uns die meisten Symbole im Tempel auf den Erretter hinweisen und auf den heilenden Balsam, der uns nur durch sein Sühnopfer zuteilwerden kann.

Ich bin für die Segnungen des Tempels dankbar. Ich bezeuge Ihnen, dass es ein Ort der Vorbereitung und der Offenbarung ist, wo wir inneren Frieden finden.

Anmerkungen

  1. 46 der im Buch Lehre und Bündnisse veröffentlichten Offenbarungen empfing Joseph Smith in Kirtland und Umgebung

  2. Siehe „Praise to the Man“, Hymns, Nr. 27

  3. Siehe History of the Church, 2:428