2021
Unsere Brüder und Schwestern aus der LGBT-Gemeinschaft verstehen und einbeziehen
Oktober 2021


Unsere Brüder und Schwestern aus der LGBT-Gemeinschaft verstehen und einbeziehen

Der Verfasser lebt in Utah.

Wir alle können dazu beitragen, die Menschen in unseren Gemeinden und unserem Umfeld zu einen

young adults together in church

In den ersten paar Monaten, nachdem ich zum Bischof berufen worden war, kamen zu meiner Überraschung unabhängig voneinander drei Elternpaare aus meiner Gemeinde auf mich zu und teilten mir mit, eines ihrer Kinder habe sich als homosexuell oder transgender geoutet. In allen Fällen brachten die Eltern aufrichtige Liebe für das jeweilige Kind zum Ausdruck, machten sich jedoch in vielfältiger Hinsicht auch Sorgen über die Frage, ob das Kind denn einen Platz in der Gemeinde haben werde.

Irgendwann kamen auch andere Familien und teilten mir Ähnliches mit. Obwohl ich diesbezüglich noch kaum Erfahrungen gesammelt hatte, erkannte ich doch, dass ich als Bischof die Aufgabe hatte, allen in meiner Gemeinde zu helfen, als Gemeinschaft zusammenzuwachsen – unabhängig davon, was sie gerade durchmachen.

Rasch erkannte ich: Wenn ich als Bischof erfolgreich sein will, muss ich auch bereit sein, die Lebenswelt derer, die sich als LGBT betrachten, und ihrer Angehörigen nachzuvollziehen. [LGBT ist eine aus dem Englischen übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender – also lesbisch, schwul, bisexuell, transgender.] Ich führte aufrichtige und offene Gespräche, probierte vieles mit mehr oder weniger Erfolg aus, befasste mich mit dem Thema und vertraute darauf, dass mir der Herr Einsicht gewähren werde. So erfuhr ich eine Menge darüber, wie ich ein Mitglied in einer solchen Lebenslage besser auf seinem Weg hin zu Christus unterstützen kann.

Mir wurde deutlich vor Augen geführt, wie sehr es auf Einigkeit und Verständnis ankommt, und ich lernte einiges, was mir als Bischof half, eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle unsere Brüder und Schwestern aus der LGBT-Gemeinschaft vermehrt einbezogen wurden. Meine Hoffnung ist, dass sowohl Führungsverantwortliche als auch andere Leser aus dem, was ich gelernt habe, Nutzen für ihr eigenes Umfeld ziehen können.

Lektion 1: Den lebenden Aposteln folgen

Ich kam schnell dahinter, welch großer Nutzen daraus erwächst, dass wir uns mit den jüngsten Worten der Apostel zu diesem Thema befassen.

Der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wohnt eine herrliche Wahrheit inne: Sie ist eine lebendige Kirche, von lebenden Aposteln und Propheten geführt (siehe Lehre und Bündnisse 1:30). Der Begriff lebendig heißt für mich, dass wir heute darin angeleitet werden, wie sich das Evangelium auf die Bedürfnisse der heutigen Zeit anwenden lässt. Wenn wir uns lediglich auf das verlassen, was in der Vergangenheit gesagt worden ist, entgehen uns vielleicht wunderbare und wichtige Orientierungshilfen, die uns der Herr durch unsere derzeitigen Propheten zukommen lassen will.

Unter dem Reiter „Hilfe fürs Leben“ ist auf der Website der Kirche Material mit den jüngsten Worten der Propheten zu diesem Thema zusammengestellt. Von Bedeutung sind hier besonders die Abschnitte „Gleichgeschlechtliche Neigungen“ und „Transsexualität“. Einige Aussagen dort sind mir besonders ins Auge gefallen:

  • Elder D. Todd Christofferson vom Kollegium der Zwölf Apostel hat gesagt: „Die Vielfalt, die wir jetzt in der Kirche vorfinden, ist vielleicht erst der Anfang. Ehrlich gesagt glaube ich, dass wir immer mehr Vielfalt erleben werden. … Es geht … um die Tatsache, dass Menschen unterschiedliche Gaben und Sichtweisen mitbringen. Das breite Spektrum an Erfahrungen, Lebensumständen und Herausforderungen unter den Menschen zeigt uns, worauf es im Evangelium Christi wirklich ankommt. Und von dem Übrigen, was man sich vielleicht im Laufe der Zeit angewöhnt hat, hat vieles mehr mit Sitten und Gebräuchen als mit der Lehre zu tun und kann verschwinden. Wir können wirklich lernen, Jünger zu sein.“1

  • Elder Quentin L. Cook vom Kollegium der Zwölf Apostel hat sich dafür ausgesprochen, dass wir „in erster Reihe stehen, wenn es darum geht, liebevolles Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen und unseren Mitmenschen die Hand zu reichen. Keine Familie soll jemanden ausgrenzen oder respektlos behandeln, weil dieser sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt und daher einen anderen Lebensstil wählt.“2

Als Motivationshilfe für meine Gemeinde, sich mit den jüngsten Worten der Apostel zu diesem Thema zu befassen, widmeten wir eine unserer gemeinsamen Versammlungen am fünften Sonntag des Monats der Frage, wie wir diese Richtlinien besser umsetzen können. Das Gespräch darüber entpuppte sich als zutiefst nützliche, eindringliche und erbauliche Erfahrung.

Lektion 2: Sich für Glauben statt für Furcht entscheiden

Was uns nicht vertraut ist, kann uns ängstigen. Als ich als Bischof neu berufen war, war die Vorstellung beängstigend, auf jemanden in meiner Gemeinde zuzugehen, der sich als Homosexueller geoutet hatte und auf geistigem Gebiet Hilfe brauchte. Gespräche über dieses Thema zu moderieren, stellte mich vor so manche Herausforderung. Es fiel mir schwer, Eltern von Jugendlichen, die sich mit ihrem Geschlecht nicht identifizieren konnten, zu beraten.

Immer wieder verunsicherten mich Gedanken wie:

„Was, wenn ich das Falsche sage?“

„Was, wenn mein Rat zu konservativ oder zu radikal ausfällt?“

„Weiß ich überhaupt genug, um Hilfestellung zu geben?“

Als ich eines Tages über meine Ängste nachsann, kam mir der Gedanke, mich mit Schriftstellen zum Thema Furcht zu befassen. Inneren Frieden brachten mir Aussagen wie: „Vollkommene Liebe vertreibt alle Furcht“ (Moroni 8:16) und „Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht“ (1 Johannes 4:18).

Diese Wahrheiten ließen mich daran denken, dass ich vom Herrn Führung und Hilfe erwarten darf, wenn ich aus echter Liebe handle.

Ich kann bezeugen: Immer wenn ich bereit war und genügend Demut besaß, den Eingebungen des Heiligen Geistes zu folgen, erfüllte sich an mir – auch wenn ich mich in einer ungewohnten Situation unzulänglich fühlte – die Verheißung, dass Gott „Schwaches für [mich] stark werden [lässt]“ (Ether 12:27).

young adults having lunch outdoors

Lektion 3: Für Führungsverantwortliche: Leicht anzuwendende Methoden

Zu diesem Thema habe ich mich auf die Suche nach Rat aus vertrauenswürdigen Quellen begeben. Dabei habe ich einige praktische Tipps gefunden, die positiven Einfluss auf meine Fähigkeit als Bischof hatten, eine Gemeinschaft aufzubauen, in der sich alle einbezogen fühlen. Vielleicht möchten Sie einige der folgenden Anregungen an die Bedürfnisse und Umstände in Ihrer eigenen Gemeinde anpassen. Verlassen Sie sich hierbei immer auf den Geist.

  • Suchen Sie den Kontakt zu Leuten, die mit dem Thema LGBT vertraut sind. So lernen Sie die Sichtweise dieser Menschen kennen und verstehen. Denken Sie dabei etwa an den Pfahlpräsidenten, Ihren Gemeinderat, andere Bischöfe im selben Gebiet, vertrauenswürdige Freunde oder auch Mitglieder Ihrer Gemeinde, die sich als LGBT betrachten, sowie deren Familie. Auch die Webseite der Kirche zum Thema „Gleichgeschlechtliche Neigungen“ (churchofjesuschrist.org/study/life-help/same-sex-attraction?lang=deu) kann als Orientierungshilfe dienen. Um uns herum gibt es unglaublich viele Hilfsangebote, und keiner von uns wird bei der Erfüllung seiner Berufung alleingelassen.

  • Geben Sie demutsvoll Zeugnis, scheuen Sie sich aber auch nicht, nachzufragen, falls Sie etwas nicht ganz verstehen. Wir unterstützen jemanden auch dadurch, dass wir bereit sind, ihm einfach nur zuzuhören und dazuzulernen.

  • Haben Sie keine Bedenken, sich zu entschuldigen, wenn Sie etwas gesagt oder getan haben, was – auch wenn es unabsichtlich war – jemanden verletzt hat. Beiderseitige Aufgeschlossenheit schafft Vertrauen.

  • Überlegen Sie, wie Sie am besten reagieren, wenn ein Freund oder ein Mitglied der Gemeinde sich ungeschickt oder verletzend über jemanden aus der LGBT-Gemeinschaft äußert. Solche Bemerkungen entspringen meistens Unerfahrenheit und sind selten respektlos gemeint. Ein Gespräch unter vier Augen kann hier helfen.

  • Achten Sie darauf, dass Sie allen Kindern Gottes mit der gleichen Höflichkeit begegnen. Ganz gleich, mit wem Sie reden: Ihre Ausdrucksweise muss mit Ihren Bündnissen und Ihrer Berufung im Einklang stehen.

  • Wenn ein Mitglied der Gemeinde Ihnen von seinen Erfahrungen berichtet, ist das etwas sehr Vertrauliches. Geben Sie solche vertraulichen Informationen niemals ohne ausdrückliche Zustimmung weiter.

  • Denken Sie daran: Was jemand fühlt, ist nicht gleichbedeutend damit, wie er auf diese Gefühle reagiert. Auf der Website der Kirche heißt es: „Die Kirche unterscheidet zwischen gleichgeschlechtlichen Neigungen und homosexuellem Verhalten. Wer sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt oder sich als schwul, lesbisch oder bisexuell betrachtet, kann Bündnisse mit Gott eingehen und halten und sich in vollem Umfang und würdig am Kirchenleben beteiligen. Wenn man sich als schwul, lesbisch oder bisexuell betrachtet oder sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt, ist das keine Sünde und es stellt kein Hindernis dafür dar, in der Kirche mitzuwirken, Berufungen zu erfüllen oder in den Tempel zu gehen.“3

  • Wenn sich ein Mitglied als homosexuell oder transgender betrachtet, müssen Sie darauf achten, dass Sie nicht seine Möglichkeiten beschneiden, sich einzubringen. Jedes Mitglied Ihrer Gemeinde hat einzigartige Lebenserfahrung und Sichtweisen, die für die Gemeinde von Nutzen sein können. Elder Christofferson hat hierzu gesagt: „Für jemanden, der … die Maßstäbe und Lehren des Evangeliums Christi befolgt, obwohl er gleichgeschlechtliche Neigungen haben mag …, gibt es überhaupt keinen Grund, warum er nicht an allem teilhaben [oder] voll und ganz beteiligtes Mitglied der Kirche sein, berufen werden, sich äußern, in den Tempel gehen und dort dienen kann. Und all die anderen Chancen und Segnungen, die aus der Mitgliedschaft in der Kirche erwachsen können, stehen ihm ebenfalls offen.“4

Dazulernen und weiterhin Liebe zum Ausdruck bringen

young men and young women interact during a youth activity

In meiner Zeit als Bischof bin ich zu der festen Überzeugung gelangt, dass jeder unserer Brüder und Schwestern in der Lage ist, einen wunderbaren und einzigartigen Beitrag zum Evangelium Jesu Christi, zu unserer Gemeinschaft und zum Leben eines jeden Einzelnen zu leisten. Welche Aufgabe wir in der Gemeinde haben mögen – die Verantwortung und der Vorzug, als Gemeinschaft besser zusammenzuwachsen, ist sehr beglückend, vorausgesetzt, wir bemühen uns für jeden unserer Brüder und Schwestern im Geiste um mehr Liebe, Verständnis und Unterstützung.

Jean B. Bingham, Präsidentin der Frauenhilfsvereinigung der Kirche, hat bezeugt: „Wenn Sinn und Herz offen sind, entdeckt man in seinen Mitmenschen Ungeahntes und Wundervolles. Wenn man sich auf andere einlässt, sie wahrnimmt und ihnen mit offenem Herzen begegnet, versteht man, dass jeder Mensch Teil der Menschheit ist.“5

Anmerkungen

  1. D. Todd Christofferson, zitiert in: „Gleichgeschlechtliche Neigungen“, Hilfe fürs Leben, ChurchofJesusChrist.org

  2. Quentin L. Cook, zitiert in: „Gleichgeschlechtliche Neigungen“, Hilfe fürs Leben, ChurchofJesusChrist.org

  3. „Gleichgeschlechtliche Neigungen“, Hilfe fürs Leben, ChurchofJesusChrist.org; siehe auch Allgemeines Handbuch: Wie man in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage dient, 38.6.15, ChurchofJesusChrist.org

  4. D. Todd Christofferson, zitiert in: „Gleichgeschlechtliche Neigungen“, Hilfe fürs Leben, ChurchofJesusChrist.org

  5. Jean B. Bingham, zitiert in: „Gleichgeschlechtliche Neigungen“, Hilfe fürs Leben, ChurchofJesusChrist.org