„Seht eure Kleinen!”
„Keine Gruppe in der Kirche ist so empfänglich für die Wahrheit, sowohl was die Lernfähigkeit als auch was das Behalten betrifft.”
Ein Bischof hat mir einmal erzählt, wie er eine Frau in seiner Gemeinde zu einem Amt berufen hat. Dabei haben sie gemeinsam im Buch Mormon das siebzehnte Kapitel in 3 Nephi gelesen.
Sie haben gelesen, wie der Herr die Nephiten aufgefordert hat, ihre Kinder zu ihm zu bringen, wie Jesus für die Kinder gebetet und sie gesegnet hat und wie Engel erschienen sind und ihnen in dem Kreis aus Feuer gedient haben. Diese vertrauten Worte sind eindringliche, poetische Verse. Dann sagte der Bischof interessanterweise: „Schwester Breinholt, der Herr kann nicht selbst jeden Sonntag zu uns in die Gemeinde kommen. Aber inspiriert von unserem himmlischen Vater, berufen wir Sie, für einige Kinder unserer Gemeinde das zu tun, was Jesus Christus für sie tun würde, wenn er hier wäre. Wir berufen Sie als PV-Lehrerin!”
Als ich von diesem außergewöhnlichen Erlebnis hörte, wollte ich diese Verse noch einmal lesen, um besser zu verstehen, was der Herr mit den nephitischen Kindern gemacht hat und was er für unsere Kinder tun würde, wenn er hier wäre. Das Beispiel des Herrn und die Ermahnung des Bischofs gelten für uns alle - ob wir den Kindern in unserer Familie, bei den Nachbarn oder bei unseren Freunden oder in der Kirche liebevoll dienen. Kinder gehören uns allen.
Behalten wir das nun im Sinn, und betrachten wir ein paar Verse im siebzehnten Kapitel im dritten Nephi. Entdecken wir gemeinsam, welches Muster der Herr dort gibt.
Seine Einladung in Vers 11 ist nicht einfach beiläufig dahingesagt worden: „Er gebot ihnen, ihre kleinen Kinder zu bringen.” (Hervorhebung hinzugefügt.) Achten Sie auch darauf, was in Vers 11 nicht steht. Dort steht nicht: die Kleinen sind ja nicht so wichtig, schließlich sind sie noch nicht verantwortlich. Dort steht auch nicht, daß die Kinder anderswohin gebracht werden sollten, damit sie nicht störten. Und es steht dort auch nicht, daß die Kinder ja doch nichts mitbekommen. Vielmehr steht dort, daß die Kinder das, was im Gottesreich bedeutsam ist, lernen müssen.
Gottes Kinder haben, wie wir alle, das von Gott verliehene Recht auf geistige Belehrung.
„So brachten sie ihre kleinen Kinder und setzten sie rings um ihn auf den Boden, und Jesus stand in der Mitte.” (Vers 12.) Meinen wir jemals, Kinder ständen unter uns? Offensichtlich war Jesus der Ansicht, daß die nephitischen Kinder nicht nur würdig waren, sich in seiner Gegenwart aufzuhalten, sondern sie waren auch seiner Zeit und Aufmerksamkeit würdig. Die Kinder brauchten ihn, und er stand direkt bei ihnen in der Mitte.
Aus Vers 12 geht außerdem hervor, daß Jesus wartete, „bis sie alle zu ihm gebracht worden waren”. Er war nicht an einer repräsentativen Auswahl interessiert, und er gab sich nicht mit ein paar Kindern zufrieden. Er wollte, daß sie alle dort waren, und er diente ihnen allen.
Dann betete Jesus so mächtig zum Vater, daß es heißt: „So Großes und Wunderbares, wie wir es Jesus reden gesehen und auch gehört haben, das kann keine Zunge aussprechen, auch kann kein Mensch es niederschreiben, und das Menschenherz kann es nicht erfassen.” (Vers 17.) Und die Kinder waren dort! Sie hörten das Gebet; sie sahen, was geschah, und sie blieben nicht unberührt. Kinder können wundersame Ereignisse verstehen und sollen sie auch miterleben - zum Beispiel einen Priestertumssegen, ein besonderes Fasten in Gemeinde und Familie, das Zeugnis und die Gebete ihrer Eltern und Führer und Evangeliumsgespräche mit Menschen, die sie lieben.
„Er nahm ihre kleinen Kinder, eines nach dem anderen, und segnete sie und betete für sie zum Vater.” (Vers 21.) Jesus diente einer Gruppe von rund 2500 Männern, Frauen und Kindern. Überlegen Sie doch, wie lange es gedauert haben muß, bis er jedes einzelne Kind, „eines nach dem anderen”, gesegnet und für es gebetet hatte. Er muß viele Kinder in den Armen und auf dem Schoß gehalten haben. Und er weinte, weil er von Freude überwältigt war.
„Er redete zur Menge und sprach zu ihnen: Seht eure Kleinen!” (Vers 23.) Jesus lenkte die Aufmerksamkeit der Menge auf die Kinder. Und ich glaube, sie sollten die Kinder nicht nur mit den Augen betrachten, sondern ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken, über sie nachsinnen, über die Gegenwart hinausschauen und ihre ewigen Möglichkeiten sehen.
„Und als sie schauten, um zu sehen, … sahen [sie] die Himmel offen, und sie sahen Engel aus dem Himmel herabkommen, gleichsam inmitten von Feuer; und sie kamen herab und stellten sich im Kreis um die Kleinen, und sie waren von Feuer umschlossen; und die Engel dienten ihnen.” (Vers 24.)
Mir drängt sich die Frage auf, was wohl geschehen wäre, wenn die Menge nur mit den natürlichen und nicht mit den geistigen Augen hingeschaut hätte. Hätten sie dann die Engel herabkommen sehen? Hätten sie sehen können, wie ihre Kinder von Feuer umschlossen waren? Hätten sie zusehen können, wie die Engel ihren Kindern dienten? Ich finde es bedeutsam, daß Jesus Christus später die heiligsten Belehrungen nur den Kindern gab und ihnen dann die Zunge löste, so daß sie die Menge belehren konnten (siehe 3 Nephi 26:14).
Nimmt es noch wunder, daß die Nephiten nach dem Erscheinen Christi zweihundert Jahre lang in Frieden und Rechtschaffenheit lebten? Dank der wundersamen Unterweisung, der Segnungen und der Aufmerksamkeit, die sie und ihre Kinder erhielten, beharrten ihre Kindeskinder noch viele Generationen in Rechtschaffenheit.
Wir dürfen die Fähigkeit der heutigen Kinder, in Rechtschaffenheit zu beharren, nicht unterschätzen. Keine Gruppe in der Kirche ist so empfänglich für die Wahrheit, sowohl was die Lernfähigkeit als auch was das Behalten betrifft. Keine Gruppe ist ebenso anfällig für falsche Lehren, und keiner Gruppe setzen Vernachlässigung und Mißbrauch mehr zu. Kinder können nicht selbst für sich sorgen. Wir, die Erwachsenen der Welt, müssen ihnen den Weg bereiten. Unsere kleinen Kinder in aller Welt verdienen es, daß „ihrer gedacht [wird] und sie durch das gute Wort Gottes genährt [werden], um sie auf dem rechten Weg zu halten” (Moroni 6:4).
Jesus hat uns deutlich aufgezeigt, was wir tun müssen, um der Aufgabe, die Kinder zu nähren und zu belehren, gerecht zu werden. Wir stehen vor anderen Herausforderungen als die Nephiten, weil wir in einer anderen Zeit leben. Aber der Weg des Herrn ist zeitlos. In seiner Kirche kann es keinen anderen Weg geben. Wie er gezeigt hat, ist es für die Kinder in unserer Familie, in der Kirche und in unserem Gemeinwesen lebenswichtig, daß wir da sind und ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Wir können herausfinden, was sie brauchen, und ihnen dienen, wenn wir ihnen unsere Zeit widmen. Wir können unsere Kinder aus dem Blickwinkel der Ewigkeit sehen und erkennen, daß sie alle von Jesus Christus wissen und die wichtigen Wahrheiten seines Evangeliums lernen. Wir können ihnen helfen, wundersame geistige Erlebnisse zu haben. Sie können hören, wie wir aufrichtig für sie beten. Wenn wir dem Beispiel des Herrn nachfolgen, sind wir die Engel, die ihnen auf der Erde dienen.
An einem geschäftigen Sonntag, der Flur im Gemeindehaus war voller Leute, bemerkte der Bischof einen kleinen Jungen, der weinend auf der Erde saß. Der Bischof dachte nicht mehr daran, was er noch alles zu tun hatte, sondern wandte sich sofort dem weinenden Kind zu. Er setzte sich zu ihm auf den Fußboden und hielt den kleinen Jungen fest im Arm, bis er aufhörte, zu weinen, und ihm erklären konnte, was los war. Dann ging das Kind getröstet an der Hand seines irdischen dienenden Engels den Gang hinunter.
Ich glaube, der Herr hätte das auch so gemacht.
Eine junge Mutter aus Alaska, die vorübergehend in Rußland gewohnt hat, hat dort eine Mitgliederfamilie mit zwei kleinen Söhnen besucht. Sie erfuhr, daß die Kinder die heiligen Schriften lesen und lieben und danach hungern, mehr zu lernen. Dann besuchte sie den kleinen Zweig und stellte fest, daß die Mitglieder noch gar keine Erfahrung damit hatten, wie sie am Sonntag die Kinder in der Kirche belehren sollten, weil die Kirche dort doch noch so neu ist.
Sie sagte: „Ich wußte, was den Kindern dadurch entging, und hatte das überwältigende Gefühl, daß ich helfen sollte.” Und sie fügte hinzu: „Ich hatte auch das Gefühl, daß ich einmal zur Rechenschaft gezogen würde, wenn ich nicht half.” Also tat sie es. Kurz danach wurde sie als Distrikts-PV-Leiterin berufen und wurde so für diese Kinder zum irdischen dienenden Engel.
Eine Freundin von mir wurde von einem jungen Mann, den sie in der PV unterrichtet
hatte, zu seiner Eheschließung im Tempel eingeladen. Sie fuhr hin und fragte ihn: „David, du bist doch weggezogen, und ich habe dich schon jahrelang nicht gesehen. Warum hast du überhaupt noch an mich gedacht?”
„Schwester McMullin”, antwortete er, „Sie haben uns darüber belehrt, was es heißt, rein zu sein und würdig, das Priestertum zu bekommen. Sie haben uns erklärt, daß wir uns gründlich die Hände waschen und saubere Kleidung tragen müssen, wenn wir das Abendmahl austeilen. Sie haben uns auch beigebracht, was es heißt, innerlich rein zu sein. Wenn ich als Jugendlicher in Versuchung geraten bin und Entscheidungen treffen mußte, habe ich immer Ihre Stimme gehört:, Ein Diakon ist innerlich und äußerlich rein.’ Wegen Ihnen bin ich würdig, in den Tempel zu gehen. Deshalb möchte ich, daß Sie mitkommen.”
Eine Schwester, die mit ihrem Mann in Neuguinea auf Mission war, hat uns darüber geschrieben, wie sie kleine Kinder unter einem Baum auf einer großen Kokosnußplantage im Evangelium unterrichtet hat. Nach dem Unterricht stellten sich die Kinder immer in einer Reihe auf, um etwas von dem kostbaren kühlen Wasser zu trinken, das diese irdischen dienenden Engel in Kunststoffbehälter füllten und einfroren, ehe sie zu den Kindern fuhren.
Ich glaube, der Herr würde auch das gutheißen.
Jeder von uns, unter welchen Umständen auch immer, kann einem Kind auf eine besondere, wichtige Weise helfen, wie kein anderer es kann. Wir können den Kindern lebensspendendes Wasser, Essen, Liebe und Trost schenken, aber noch wichtiger ist, daß wir ihnen das „lebendige Wasser” des Evangeliums anbieten können (siehe Johannes 4:10-14).
Wenn wir den Kindern mit der gleichen Hingabe dienen wie Jesus Christus, dann schenken wir ihnen Liebe, Geborgenheit, Glauben, Zeugnis und den Mut, dem Bösen zu widerstehen. Das sind vorbeugende Maßnahmen, die dazu beitragen, der steigenden Flut der sich heute immer weiter ausbreitenden Unmoral entgegenzuwirken. Das Evangelium kann und muß heute ihr Leben bestimmen. Stellen Sie sich vor, wie die Kirche von morgen aussehen kann, wenn wir den Kindern heute geben, was sie brauchen. Stellen Sie sich auch vor, wie sie aussehen wird, wenn wir es nicht tun.
Schwestern, indem wir den Kindern dienen, können auch wir mithelfen, daß das Evangelium über Generationen hinweg lebendig bleibt, denn in unseren Händen halten wir unser kostbarstes und unser verletzlichstes Gut - unsere Kinder. Das bezeuge ich im Namen Jesu Christi. Amen.