1990–1999
Laß den Ball nicht fallen!
Oktober 1994


Laß den Ball nicht fallen!

Als Träger des Priestertums müssen wir einer höheren Loyalität entsprechen als andere Männer. Wir müssen Gott gegenüber loyal sein, in dessen Namen zu sprechen und zu handeln wir bevollmächtigt sind.

Während ich heute der Konferenz gelauscht habe, habe ich darüber nachgedacht, welch großartige Organisation dies ist - die Kirche Jesu Christi, die in diesen Letzten Tagen unter der Führung eines wahren Propheten, den wir unterstützen und den wir lieben, voranschreitet.

Bischof Edgley hat Ihnen eine Basketballgeschichte erzählt. Ich möchte Ihnen eine Baseballgeschichte erzählen. Sie ist mir wieder eingefallen, als ich vor kurzem an einem Abend im Fernsehen eine Sendung über Baseball angeschaut habe, der einmal die Freizeitbeschäftigung der Amerikaner war.

Mir ist klar, daß Baseball die Menschen in den meisten Ländern der Erde nicht interessiert, aber ich spreche darüber, um einen Grundsatz hervorzuheben, der die Menschen auf der ganzen Welt angeht.

Das Ereignis, das ich meine, fand bei der Weltmeisterschaft von 1912 statt. Es war eine Serie von acht Spielen, weil eines der Spiele wegen schlechter Lichtverhältnisse mittendrin abgebrochen wurde. Damals wurden die Spielfelder noch nicht künstlich beleuchtet. Es war das letzte Spiel, und es stand 1:1. Die Red Sox waren am Schlag, die New York Giants standen im Feld. Der Schläger schlug den Ball in hohem Bogen weg.

Zwei Spieler von New York liefen hinterher. Fred Snodgrass, ein Mittelfeldspieler bedeutete seinem Kameraden, daß er den Ball nehmen wollte. Er lief direkt unter den Ball, der in seinem Handschuh landete. Er glitt ihm aus der Hand und fiel zu Boden. Ein Heulen ging durch die Ränge. Die tobenden Fans konnten es nicht glauben. Snodgrass hatte den Ball fallenlassen.

Er hatte schon Hunderte von Bällen gefangen. Aber jetzt, im entscheidenden Augenblick, ließ er den Ball fallen.

Die New York Giants verloren. Die Boston Red Sox gewannen die Meisterschaft.

Snodgrass kam im nächsten Jahr zurück und spielte neun weitere Jahre brilliant. Er wurde 86 Jahre alt und starb 1974. Aber wann immer er nach diesem einen Ausrutscher jemandem vorgestellt wurde, war die erwartete Reaktion: „O ja, Sie haben doch damals den Ball fallen lassen.”

Einige von den älteren Männern hier erinnern sich vielleicht an das Footballspiel vom Rose Bowl 1929, als ein Spieler namens Roy Riegels den Ball, den die gegnerische Mannschaft hatte fallenlassen, aufnahm und über fast das ganze Feld zum falschen Tor rannte. Er wurde von einem Spieler seiner eigenen Mannschaft angegriffen und zu Fall gebracht, wodurch ein Touchdown, ein Punktgewinn des Gegners, vermieden wurde. Unter Streß hatte er seinen Orientierungssinn verloren. Sein Fehler kostete die Mannschaft den Sieg. Er war ein großartiger Spieler. Er wurde 84 Jahre alt, aber immer erinnerte man sich an ihn als an den Mann, der in die falsche Richtung gelaufen war.

Dieses Phänomen ist nicht nur dem Sport eigen. So etwas geschieht jeden Tag im Leben.

Da gibt es den Studenten, der meint, er sei gut genug, und dann - im Streß der Abschlußprüfung - versagt er.

Da gibt es den Fahrer, der sich sein ganzes Leben nichts zuschulden hat kommen lassen, und dann - in einem Augenblick der Unachtsamkeit - wird er in einen tragischen Unfall verwickelt.

Da gibt es den zuverlässigen Angestellten, dessen Leistung hervorragend gewesen ist, und dann gibt er der Versuchung nach und stiehlt eine Kleinigkeit von seinem Arbeitgeber. Er ist mit einem Stigma versehen, das anscheinend nie ganz verschwindet.

Da ist das Leben voller Anstand, und dann kommt das vernichtende einmalige moralische Versagen, das einen nicht losläßt.

Da ist der Wutausbruch, der mit einem Schlag eine lange gepflegte Beziehung zerstört. Da ist die kleine Sünde, die irgendwie wächst und schließlich dazu führt, daß man sich von der Kirche abwendet.

In all dem hat jemand den Ball fallenlassen. Er hatte die Selbstsicherheit, vielleicht sogar die Überheblichkeit zu meinen, daß er sich nicht anzustrengen brauche, daß er es mühelos schaffen werde. Aber der Ball glitt ihm aus der Hand und fiel zu Boden, und er vergab das Spiel. Oder er meint, er könne sich den Fehler eines anderen zunutzemachen, läuft in die falsche Richtung und schenkt den Gegnern den Sieg.

All das zeigt, daß wir ständig wachsam sein müssen. Es zeigt, wie wichtig unnachgiebige Selbstbeherrschung ist. Es zeigt, wie nötig es ist, uns ständig gegen die Versuchung zu wappnen. Es warnt uns davor, unsere Zeit, und vor allem unsere Freizeit, falsch zu nutzen.

An der Brigham-Young-Universität haben wir immer großartige Trainer gehabt. Wir haben sie heute ebenso wie in der Vergangenheit. Einer von ihnen war Eugene L. Roberts. Er wuchs in Provo auf und ließ sich ziellos mit den falschen Freunden treiben. Dann geschah etwas Bemerkenswertes. Ich lese Ihnen seine eigenen Worte vor:

„Vor einigen Jahren, als Provo von häßlichen Saloons und anderen Formen fragwürdigen Vergnügens verunziert war, stand ich eines Tages an der Straße und wartete auf meine Bande. Da bemerkte ich, daß das Tabernakel (in Provo) beleuchtet war und daß eine große Menge dahinströmte. Ich hatte nichts zu tun, so schlenderte ich also hinüber und ging hinein. Ich dachte, ich würde den einen oder anderen meiner Freunde sehen oder zumindest ein Mädchen, an dem ich interessiert war. Beim Eintreten stieß ich auf drei, vier meiner Kameraden und wir setzten uns unter die Galerie, wo eine Gruppe von Mädchen saßen, die Spaß zu versprechen schienen. Das, was von der Kanzel kam, interessierte uns nicht. Wir wußten, daß die Leute auf dem Podium alte Knacker waren. Die hatten keine Ahnung vom Leben und konnten uns sicher nichts sagen, denn wir wußten, wo’s langging. Wir machten es uns also bequem, um uns zu amüsieren. Mitten in unseren Störungen donnerten von der Kanzel die folgenden Worte:

,Man kann den Charakter eines Menschen nicht danach beurteilen, wie er seine tägliche Arbeit verrichtet. Beobachte ihn, wenn seine Arbeit erledigt ist. Schau, wohin er geht. Beachte, welche Freunde er sich aussucht, und was er tut, wenn ihm freie Hand gelassen wird. Dann kannst du seinen wahren Charakter sehen.’

Ich blickte zum Podium hinaus”, fährt Roberts fort, „weil ich von diesen machtvollen Worten getroffen war. Ich sah da einen schlanken, schwarzhaarigen Mann mit einem scharfen Blick, einen Mann, den ich kannte und fürchtete, für den ich aber keine besondere Liebe hegte. …

[Der Sprecher] fuhr fort und stellte einen Vergleich an. Er sagte:

, Nehmen wir beispielsweise den Adler. Dieser Vogel verrichtet sein Tagewerk so hart und wirkungsvoll wie sonst ein Vogel oder ein Tier. Er sorgt für sich und seine Jungen sozusagen im Schweiße seines Angesichts. Sobald das Tagewerk erledigt ist und der Adler Zeit hat, das zu tun, was er will, beachten Sie, wie er seine Freizeit verbringt. Er fliegt in die höchsten Höhen des Himmels, breitet die Flügel aus und badet sich in der Höhenluft, denn er liebt die reine Luft und die luftige Höhe.

Betrachten wir andererseits das Wildschwein. Dieses Tier grunzt und gräbt und sorgt für seine Jungen - wie der Adler auch. Sobald das Tagewerk erledigt ist und es Freizeit hat, beachten Sie, was es tut. Das Wildschwein sucht sich das schlammigste Loch im Revier aus und rollt und suhlt sich im Schmutz, denn das liebt es. Die Menschen können in ihrer Freizeit entweder Adler oder Wildschweine sein.’

Als ich diese kurzen Worte gehört hatte, war ich sprachlos”, sagte Gene Roberts. „Ich wandte mich verlegen meinen Freunden zu, denn ich schämte mich, daß ich beim Zuhören erwischt worden war. Wie überrascht war ich doch, als ich jeden in der Gruppe dabei ertappte, daß seine Aufmerksamkeit auf den Sprecher gerichtet war und die Augen in die Ferne zu blicken schienen.

Wir verließen an jenem Abend still das Tabernakel und trennten uns ungewöhnlich früh voneinander. Auf meinem ganzen Nachhauseweg dachte ich an diese Rede. Ich zählte mich sofort zu den Wildschweinen. Jahrelang dachte ich an diese Rede. An jenem Abend wurden mir die kaum merkbaren Anfänge des Ehrgeizes eingepflanzt, die Gruppe der Wildschweine zu verlassen und mich zu den Adlern zu erheben. …

Zur gleichen Zeit wurde mir das Verlangen eingeflößt, die Schlammlöcher des gesellschaftlichen Reviers zuzuschütten, damit es Menschen mit Neigung zum Wildschwein schwerfallen würde, sich im Freizeitschmutz zu wälzen. Dadurch, daß ich ständig über diese Rede nachdachte, wollte ich mein ganzes Leben und meinen Beruf darauf verwenden, zuträgliche Freizeitbeschäftigungen für junge Menschen zu schaffen, damit es für sie natürlich und einfach sein würde, einem Zeitvertreib nach der Art des Adlers nachzugehen.

Der Mann, der diese Rede hielt, die mein ganzes Leben nachhaltiger beeinflußte als jede andere, war Präsident George H. Brimhall. Möge Gott ihn segnen.” (Raymond

Brimhall Holbrook und Esther Hamilton Holbrook, The lall Pine Tree, Seite 111-113.)

Diese einfache Geschichte, von einem großartigen Lehrer erzählt, gab dem Leben eines ziellosen Streuners eine ganz neue Richtung und machte ihn zum fähigen und begabten Führer. Ich habe sie erzählt, weil ich der Meinung bin, daß die meisten von uns ständig vor der Entscheidung stehen, ob sie sich im Schlamm suhlen oder in luftige Höhen erheben wollen.

Was wir in der Freizeit tun, kann enorm viel ausmachen. Schade um jeden armen Mann oder Jungen mit niedrigen Zielen und schwachem Ehrgeiz, der nach dem Tagewerk Abendbrot ißt und dann den Fernseher einschaltet und sich den restlichen Abend lang Porno-Videos oder verkommene Filme ansieht. Können Sie sich ein Bild vorstellen, das Präsident Brimhalls Beschreibung eines Wildschweins näher kommt, das die Schlammlöcher des Reviers sucht und sich darin suhlt?

Es gibt einen besseren Weg, meine Brüder. Wollen Sie den Ball fallenlassen? Wollen Sie dem Satan helfen, Punkte zu machen? Das kann man kaum besser anstellen, als daß man sich von der Flut der Pornographie, die über uns hinwegfegt, verschlingen läßt. Wenn wir ihr erliegen, ruiniert sie unseren Körper, unseren Verstand und unsere Seele.

Dagegen besteht die Absicht des Evangeliums darin, uns vorwärts und aufwärts zu größeren Leistungen, ja, zum Gottsein hinzuführen. Diese großartige Möglichkeit wurde vom Propheten Joseph Smith im King-Follett-Vortrag erwähnt (siehe Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 353.) und von Lorenzo Snow besonders hervorgehoben. Es ist der große und unvergleichliche Gedanke: Wie Gott heute ist, kann der Mensch einst werden! (Siehe The Teachings of Lorenzo Snow, Seite 1.)

Unsere Feinde kritisieren uns, weil wir das glauben. Wir sagen dazu, daß diese erhabene Auffassung in keiner Weise Gott, den ewigen Vater, herabwürdigt. Er ist der Allmächtige. Er ist der Schöpfer und Herrscher des Alls. Er ist der größte von allen und wird es immer bleiben. Aber wie ein irdischer Vater seinen Söhnen und Töchtern Erfolg im Leben wünscht, so, glaube ich, hat auch unser Vater im Himmel den Wunsch, daß seine Kinder ihm nahe kommen und in göttlicher Kraft und Weisheit herrlich an seiner Seite stehen.

Das Heute ist ein Teil der Ewigkeit. Wie Amulek im Buch Mormon erklärte: „Dieses Leben ist die Zeit, da der Mensch sich vorbereiten soll, Gott zu begegnen.” (Alma 34:32.)

Ewige Wachsamkeit ist der Preis ewiger Entwicklung. Wir mögen gelegentlich stolpern. Ich danke dem Herrn für den großartigen Grundsatz der Umkehr und der Vergebung. Wenn wir den Ball fallenlassen, wenn wir einen Fehler machen, gibt uns das Wort des Herrn Trost, daß er uns die Sünden vergibt und sie nicht mehr im Gedächtnis behält. Irgendwie neigen wir aber dazu, sie gegen uns selbst im Gedächtnis zu behalten.

Für das Priestertum dieser Kirche ist es so wichtig, daß wir ein untadeliges Leben führen. Wie Paulus uns ermahnt: „Und schließlich: Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!

Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den Anschlägen des Teufels widerstehen könnt.Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt. … Seid also standhaft: Gürtet euch mit Wahrheit, zieht als Panzer die Gerechtigkeit an …

Vor allem greift zum Schild des Glaubens! Mit ihm könnt ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen!” (Epheser 6:10,11, 12,14,16.)

Wir leben alle in der Welt. Natürlich. Wir können nicht in Abgeschiedenheit leben. Wir können aber in der Welt leben, ohne an den unziemlichen Wegen der Welt teilzuhaben.

Der Druck wird immer stärker. Der Widersacher ist schlau und raffiniert. Er spricht mit betörender Stimme von faszinierenden und anziehenden Dingen. Wir können es uns nicht leisten, in der Wachsamkeit nachzulassen. Wir können es uns nicht leisten, den Ball fallen zulassen. Wir brauchen nicht in die falsche Richtung zu laufen. Die richtige Richtung ist einfach. Sie besteht darin, den Programmen der Kirche zu folgen, die Evangeliumsgrundsätze in unser Leben aufzunehmen und das, was von uns als Söhnen und Töchtern Gottes mit einem großen Erbe und einem wunderbaren und ewigen Potential erwartet wird, niemals aus den Augen zu verlieren.

Die Worte des Scout-Versprechen sind einfach und eine enorme Herausforderung: „Bei meiner Ehre will ich mein Bestes hin.” Wenn jeder von uns diese Anstrengung unternähme, wäre die Welt viel besser, und wir wären viel glücklicher. Es sind so oft die kleinen und überaus belanglosen Handlungen im Leben, die letzten Endes so viel ausmachen. Ein riesiges Flugzeug, das nur einen Grad vom Kurs abweicht, wird, sofern der Kurs nicht korrigiert wird, einfach Kreise ziehen, bis die Tanks leer sind und es abstürzt. Das wird Bruder Uchtdorf mir sicher bestätigen. Die Geschichte der Kirche ist voll von Fällen, wo Menschen durch kleine, anscheinend unbedeutende Entscheidungen den Weg zum Abfall einschlugen. Oliver Cowdery war einer davon. Martin Harris ein weiterer. David Whitmer gehörte auch dazu.

Thomas B. Marsh, der erste Präsident des Kollegiums der Zwölf, ergriff in einem Streit um ein wenig Sahne Partei für seine Frau. Er wollte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und brachte sie vor die höchsten Ratsgremien der Kirche. Er verlor seinen Platz und erlangte ihn nie völlig wieder. Er ließ den Ball in einem entscheidenden Augenblick fallen, und man erinnert sich an ihn seither wegen dem, was er tat.

Der Herr vergibt, aber das Leben vergibt manchmal nicht.

In der Welt, in der wir leben, müssen wir vorsichtig sein. Die Versuchungen sind enorm. Wir alle wissen von ihnen. Die kleinen Entscheidungen können so entscheidend und so immerwährend wichtig in ihren Folgen sein.

Wir müssen einander stärken und helfen und das Spiel gemeinsam spielen, wenn wir den Sieg erringen wollen. Vergessen Sie Fred Snodgrass nicht. Das hätte nie passieren dürfen. Er hat die Meisterschaft vergeben. Vergessen Sie Roy Riegels nicht. Er rannte in die falsche Richtung und meinte, die Menge jubelte ihm zu, während sie seinen Fehler bejammerte. Halten Sie sich von den Schlammlöchern des Lebens fern. Blicken Sie zum Himmel auf und beziehen Sie daraus Kraft. Als Träger des Priestertums müssen wir einer höheren Loyalität entsprechen als andere Männer. Wir müssen Gott gegenüber loyal sein, in dessen Namen zu sprechen und zu handeln wir bevollmächtigt sind.

Danke für Ihre Tugend und Treue, meine Brüder. Dieses Werk wird wie eine Stadt, die auf einem Berg liegt und deren Licht nicht verborgen bleiben kann, weil so viele von Ihnen standhaft und treu sind. Möge der Herr Sie segnen. Möge er Ihnen Frieden gewähren, den Frieden, welcher der Ehrlichkeit, der Integrität und dem Gebet entspringt. Möge er Sie mit der Liebe Ihrer Familie, Ihrer Frau und Ihrer Kinder, segnen. Möge er uns alle mit dem Wunsch segnen, treu zu leben, ohne zu stolpern, solange wir auf dem Weg zur Unsterblichkeit und zum ewigen Leben gehen. Darum bitte ich demütig im Namen Jesu Christi. Amen.