2000–2009
Tu deine Pflicht – das ist das Beste
Oktober 2005


Tu deine Pflicht – das ist das Beste

Das Priestertum ist nicht so sehr ein Geschenk, sondern vielmehr ein Auftrag zum Dienen, der Vorzug, jemanden aufrichten zu können, und die Möglichkeit, anderen ein Segen zu sein.

Meine Brüder im Priestertum, die hier im Konferenzzentrum und in aller Welt versammelt sind – die Aufgabe, einige Worte an Sie zu richten, stimmt mich demütig. Ich bete, dass der Geist des Herrn bei mir ist.

Mir ist bewusst, dass unter den Zuhörern heute Abend vom eben erst ordinierten Diakon bis zum ältesten Hohen Priester alles vertreten ist. Für jeden von uns sind die Wiederherstellung des Aaronischen Priestertums, das Oliver Cowdery und Joseph Smith von Johannes dem Täufer übertragen wurde, und die des Melchisedekischen Priestertums, das sie von Petrus, Jakobus und Johannes erhielten, heilige und bedeutende Ereignisse.

Euch Diakonen möchte ich sagen, dass ich mich noch daran erinnern kann, wie ich zum Diakon ordiniert wurde. Unsere Bischofschaft betonte, welch heilige Aufgabe es ist, das Abendmahl auszuteilen. Sie legte Wert auf anständige Kleidung, ein würdevolles Auftreten und darauf, wie wichtig es ist, innerlich und äußerlich rein zu sein. Als uns gezeigt wurde, wie wir das Abendmahl austeilen sollten, erfuhren wir auch, wie wir Louis McDonald, einem Bruder in unserer Gemeinde, der an einer Lähmung litt, helfen sollten, damit er die heiligen Symbole nehmen konnte.

Wie gut erinnere ich mich noch daran, wie ich beauftragt wurde, das Abendmahl in der Reihe auszuteilen, in der Bruder McDonald saß. Ängstlich und zögernd ging ich auf diesen wunderbaren Bruder zu, doch da sah ich sein Lächeln und seinen dankbaren Gesichtsausdruck, der zeigte, wie gern er am Abendmahl teilnehmen wollte. Mit der linken Hand hielt ich das Abendmahlsgeschirr, dann nahm ich ein kleines Stück Brot und presste es an seine Lippen. Auch das Wasser reichte ich ihm auf dieselbe Weise. Ich hatte das Gefühl, auf heiligem Boden zu stehen. Und so war es auch. Dass wir Bruder McDonald das Abendmahl reichen durften, machte uns alle zu besseren Diakonen.

Vor zwei Monaten, am Sonntag, dem 31. Juli, war ich in Fort A. P. Hill in Virginia und nahm an einer Abendmahlsversammlung unserer Kirche teil, die während des nationalen Pfadfindertreffens abgehalten wurde. Ich war dort, um zu 5000 jungen Männern und ihren Führern zu sprechen, die in der Woche davor an den Aktivitäten des Pfadfindertreffens teilgenommen hatten. Andächtig saßen sie in einem natürlichen Amphitheater, als ein eindrucksvoller Chor, bestehend aus 400 Trägern des Aaronischen Priestertums, sang:

Ein Mormonenjunge, ein Mormonenjunge,

ich bin ein Mormonenjunge.

Ein König selbst mag mich beneiden,

denn ich bin ein Mormonenjunge.1

Das Abendmahl wurde gesegnet, wobei 65 Priester an den vielen großen Abendmahlstischen amtierten, die an verschiedenen Stellen aufgestellt worden waren. Etwa 180 Diakone teilten dann das Abendmahl aus. Innerhalb der Zeit, die es dauert, das Abendmahl in einer vollen Kapelle auszuteilen, wurde es auch an diese große Gruppe ausgeteilt. Das war ein Ehrfurcht gebietender Anblick an diesem Morgen, als diese jungen Männer im Aaronischen Priestertum an dieser heiligen Handlung teilnahmen.

Es ist wichtig, dass jeder Diakon zu der Erkenntnis geführt wird, dass das Amt, zu dem er ordiniert worden ist, heilig ist. In einer Gemeinde wurde das den Jungen im Zusammenhang mit dem Einsammeln des Fastopfers erfolgreich vermittelt.

Am Fasttag besuchten die Diakone und Lehrer die Mitglieder, sodass jedes Mitglied die Möglichkeit bekam, etwas zu spenden. Die Diakone waren davon nicht sehr begeistert, denn sie mussten früher als sonst aufstehen, um diesen Auftrag auszuführen.

Die Bischofschaft fühlte sich inspiriert, mit einem Bus voller Diakone und Lehrer zum Welfare Square in Salt Lake City zu fahren. Dort sahen sie, wie Not leidende Kinder neue Schuhe und etwas zum Anziehen erhielten. Dort erlebten sie mit, wie leere Körbe mit Lebensmitteln gefüllt wurden. Aber keiner bezahlte dafür mit Geld. Jemand sagte nur kurz: „Junge Männer, durch das Geld, das ihr am Fasttag einsammelt, wird all das – Nahrungsmittel, Kleidung und ein Dach über dem Kopf – den Bedürftigen zur Verfügung gestellt.“ Daraufhin lächelten die jungen Männer des Aaronischen Priestertums häufiger, hielten sich aufrechter und dienten williger in dieser Aufgabe.

Nun zu euch, die ihr Lehrer und Priester seid: Jeder von euch soll den Auftrag erhalten, mit einem Heimlehrpartner, der das Melchisedekische Priestertum trägt, heimlehren zu gehen. Das ist eine gute Gelegenheit, sich für eine Mission bereitzumachen. Es ist ein Vorzug, Disziplin und Pflichterfüllung lernen zu dürfen. Wenn ein Junge den Auftrag erhält, über andere „zu wachen“2, denkt er automatisch nicht mehr nur an sich selbst.

Präsident David O. McKay hat einmal gesagt: „Das Heimlehren ist eine unserer dringlichsten und lohnendsten Aufgaben, die es uns ermöglicht, die Kinder des himmlischen Vaters zu nähren und zu inspirieren, zu beraten und zu unterweisen. … [Es] ist ein göttlicher Dienst, eine göttliche Berufung. Wir Heimlehrer haben die Aufgabe, den Geist Gottes in jedes Herz, in jede Familie zu tragen.“ 3

Das Heimlehren ist die Antwort auf viele Gebete und ermöglicht es uns, Wunder mitzuerleben.

Wenn ich an das Heimlehren denke, erinnert mich das an einen Mann namens Johann Denndorfer aus Debrecen in Ungarn. Er war Jahre zuvor in Deutschland Mitglied der Kirche geworden und war nun, nach dem Zweiten Weltkrieg, praktisch ein Gefangener in seiner Heimat Ungarn. Er sehnte sich so sehr danach, Kontakt zur Kirche zu haben! Dann besuchten ihn seine Heimlehrer. Bruder Walter Krause und sein Heimlehrpartner reisten aus dem Norden Ostdeutschlands bis nach Ungarn, um ihren Heimlehrauftrag zu erfüllen. Ehe sie Deutschland verließen, hatte Bruder Krause seinen Heimlehrpartner gefragt: „Magst du diese Woche mit mir heimlehren gehen?“

Sein Partner fragte: „Wann denn?“

„Morgen“, erwiderte Bruder Krause.

Und dann die Frage: „Wann kommen wir zurück?“

Ohne zu zögern, antwortete Bruder Krause: „Ach, in etwa einer Woche.“ Und so machten sie sich auf die Reise, um Bruder Denndorfer und andere zu besuchen. Seit der Vorkriegszeit war Bruder Denndorfer nicht mehr von Heimlehrern besucht worden. Als er nun die Diener des Herrn sah, war er überwältigt. Er gab ihnen nicht die Hand, sondern ging in sein Schlafzimmer und holte aus einem geheimen Versteck den Zehnten, den er seit vielen Jahren zurückgelegt hatte. Er gab den Zehnten seinen Heimlehrern und sagte dann: „Jetzt kann ich Ihnen die Hand geben.“

Was die Priester im Aaronischen Priestertum betrifft, so habt ihr jungen Männer die Möglichkeit, das Abendmahl zu segnen, weiterhin eure Aufgabe als Heimlehrer zu erfüllen und die Taufe zu vollziehen.

Es ist fünfundfünfzig Jahre her, da kannte ich einen Jungen, Robert Williams, der Priester im Aaronischen Priestertum war. Als Bischof war ich sein Kollegiumspräsident. Robert stotterte hilflos, wenn er redete. Er war unsicher, schüchtern und hatte Angst vor sich selbst und allen anderen; diese Sprachbehinderung war für ihn niederschmetternd. Er nahm nur selten einen Auftrag an und konnte niemandem in die Augen blicken; er sah immer nur zu Boden. Dann nahm er eines Tages durch eine ungewöhnliche Verkettung verschiedener Umstände die Aufgabe an, jemanden zu taufen.

Ich saß im Taufraum des Tabernakels neben Robert. Ich wusste, er brauchte alle nur erdenkliche Hilfe. In Vorbereitung auf die heilige Handlung, die er vollziehen sollte, war er in makelloses Weiß gekleidet. Ich fragte ihn, wie er sich fühlte. Er starrte zu Boden und brachte heftig stotternd hervor, dass ihm elend zumute sei.

Wir beteten beide inbrünstig, dass er seiner Aufgabe gewachsen sein möge. Dann kündigte der Sekretär an: „Nancy Ann McArthur wird nun von Robert Williams, einem Priester, getauft.“

Robert erhob sich neben mir, stieg in das Taufbecken, nahm die kleine Nancy an der Hand und half ihr in das Wasser, das ein Menschenleben reinwaschen und eine geistige Neugeburt bewirken kann. Er sprach die Worte: „Nancy Ann McArthur, beauftragt von Jesus Christus taufe ich dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ Dann taufte er sie. Er stotterte nicht ein einziges Mal! Er blieb kein einziges Mal stecken! Gerade war ein Wunder geschehen. Dann vollzog Robert die Taufe für zwei, drei weitere Kinder auf die gleiche Weise.

Als ich in den Ankleideraum eilte und ihm gratulierte, erwartete ich denselben ungehinderten Redefluss. Doch ich hatte mich getäuscht. Er blickte zu Boden und stotterte seinen Dank.

Ich bezeuge Ihnen, dass Robert, als er mit der Vollmacht des Aaronischen Priestertums handelte, mit Macht, mit Überzeugung und mit der Hilfe des Himmels sprach.

Vor etwas mehr als zwei Jahren hatte ich die Ehre, beim Trauergottesdienst für Robert Williams zu sprechen und diesen treuen Priestertumsträger zu würdigen, der sein Leben lang sein Bestes gab, um sein Priestertum zu ehren.

Vielleicht sind manche von euch jungen Männern, die ihr heute hier seid, von Natur aus schüchtern oder ihr fühlt euch einer Berufung nicht gewachsen. Aber denkt daran: Dieses Werk ist nicht nur euer oder mein Werk. Wir können nach oben blicken und Gott um Hilfe bitten.

Ich weiß genauso gut wie manche von euch, was Enttäuschung ist und wie man sich als junger Mensch gedemütigt fühlen kann. Als Junge spielte ich in der Grundschule und in den ersten Jahren der Highschool Baseball. Zwei Mannschaftskapitäne wurden ernannt, die abwechselnd die Spieler auswählten, die sie in ihrer Mannschaft haben wollten. Natürlich wurden die besten Spieler immer als Erster, Zweiter und Dritter aufgerufen. Als Vierter oder Fünfter ausgewählt zu werden, das ging noch, aber als Letzter aufgerufen und dann irgendwo im letzten Winkel des Spielfeldes aufgestellt zu werden, das war ein Alptraum. Ich weiß es, ich habe es selbst erlebt.

Wie sehr hoffte ich doch, der Ball würde nie in meine Richtung fliegen, denn ich wusste, ich würde ihn fallen lassen, die Läufer würden Punkte sammeln, und alle würden mich auslachen.

An den Tag, an dem das Blatt sich wendete, kann ich mich erinnern, als sei es gestern gewesen. Es fing an, wie ich eben geschildert habe: Ich wurde als Letzter aufgerufen. Mit hängendem Kopf bezog ich meine Position an der hintersten Linie und sah zu, wie die Läufer sich aufstellten. Zwei Schlagmänner versuchten ihr Glück, trafen aber den Ball nicht. Der nächste Schlagmann jedoch landete plötzlich einen gewaltigen Schlag. Ich hörte ihn sogar sagen: „Das wird ein Homerun.“ Das war demütigend, denn der Ball flog genau in meine Richtung. Konnte ich ihn überhaupt erreichen? Ich rannte in die Richtung, wo er wohl herunterkommen würde, sprach im Laufen ein stilles Stoßgebet und streckte die Hände aus. Ich konnte es selbst nicht fassen: Ich hatte den Ball gefangen! Meine Mannschaft gewann das Spiel.

Dieses eine Erlebnis gab mir Auftrieb und weckte in mir den Wunsch, zu üben. Bald wurde ich nicht mehr als Letzter ausgewählt, sondern leistete meinen Beitrag für die Mannschaft.

Wir alle können einen solchen Schub an Selbstvertrauen erleben. Wir alle können auf unsere Leistung stolz sein. Dabei hilft uns eine Formel aus nur drei Wörtern: Gib niemals auf.

Aus dem Bühnenstück Shenandoah stammt dieser inspirierende Satz: „Wenn wir es nicht versuchen, dann tun wir nichts, und wenn wir nichts tun, wozu sind wir dann da?“

Wunder gibt es überall dort, wo eine Berufung im Priestertum groß gemacht wird. Wenn der Glaube an die Stelle des Zweifels tritt, wenn selbstloses Dienen jedes selbstsüchtige Bestreben auslöscht, dann bringt die Macht Gottes seine Absichten zuwege. Das Priestertum ist nicht so sehr ein Geschenk, sondern vielmehr ein Auftrag zum Dienen, der Vorzug, jemanden aufrichten zu können, und die Möglichkeit, anderen ein Segen zu sein.

Der Ruf der Pflicht kann still und leise ergehen, wenn wir Priestertumsträger uns daran begeben, unseren Auftrag auszuführen. Präsident George Albert Smith, dieser bescheidene und doch so tüchtige Führer, hat gesagt: „Ihre Pflicht besteht vor allem darin zu erfahren, was der Herr will, und dann Ihre Berufung vor Ihren Mitmenschen mit der Macht und Kraft Ihres heiligen Priestertums auf eine Weise groß zu machen, dass die Leute Ihnen gern folgen.“4

Und wie macht man eine Berufung groß? Ganz einfach, indem man den Dienst leistet, der dazugehört. Der Älteste macht die Berufung als Ältester dadurch groß, dass er lernt, was einem Ältesten obliegt, und es dann tut. Dasselbe gilt auch für den Diakon, den Lehrer, den Priester und den Bischof – für jeden, der ein Amt im Priestertum innehat.

Brüder, durch Tun – und nicht nur Träumen – werden Menschen gesegnet und geführt, werden Seelen errettet. „Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst“5, riet Jakobus.

Mögen alle, die mich hören können, sich erneut anstrengen, sich die Führung des Herrn in ihrem Leben zu verdienen. Es gibt viele, die um Hilfe flehen und beten. Es gibt manche, die mutlos sind und eine hilfreiche Hand brauchen.

Vor vielen Jahren, als ich Bischof war, präsidierte ich über eine sehr große Gemeinde mit über tausend Mitgliedern, darunter 87 Witwen. Einmal besuchte ich mit einem meiner Ratgeber eine Witwe und ihre behinderte Tochter. Als wir die Wohnung verließen, stand eine Frau, die gegenüber wohnte, vor ihrer Wohnungstür und sprach uns an. Sie sprach mit fremdländischem Akzent und fragte mich, ob ich Bischof sei, was ich bejahte. Sie sagte mir, ihr sei aufgefallen, dass ich oft Besuche machte. Dann sagte sie: „Niemand besucht mich und meinen bettlägerigen Mann. Haben Sie Zeit, auch uns zu besuchen, auch wenn wir nicht zu Ihrer Kirche gehören?“

Als wir ihre Wohnung betraten, stellten wir fest, dass sie und ihr Mann im Radio den Tabernakelchor anhörten. Wir unterhielten uns eine Weile und gaben dann ihrem Mann einen Segen.

Nach diesem ersten Besuch ging ich vorbei, sooft ich konnte. Schließlich wurde das Ehepaar von den Missionaren besucht, und die Frau, Angela Anastor, ließ sich taufen. Einige Zeit später verstarb ihr Mann. Mir wurde die Ehre zuteil, den Trauergottesdienst zu leiten, und ich hielt auch eine Rede. Schwester Anastor übersetzte später die oft verwendete Broschüre „Joseph Smith erzählt seine Geschichte“ ins Griechische.

Mir gefällt das Motto: „Tu deine Pflicht – das ist das Beste; das Übrige überlass dem Herrn.“6

Der aktive Dienst im Aaronischen Priestertum macht euch junge Männer bereit, das Melchisedekische Priestertum zu empfangen, eine Mission zu erfüllen und im heiligen Tempel zu heiraten.

Ihr werdet euch immer an eure Priestertumsberater und eure Kameraden in den Kollegien des Aaronischen Priestertums erinnern und dabei erfahren, dass „Gott uns Erinnerungen gegeben hat, damit wir im Dezember unseres Lebens Junirosen haben können“.7

Ihr jungen Männer im Aaronischen Priestertum, eure Zukunft ruft; bereitet euch darauf vor. Möge euch der himmlische Vater dabei immer leiten. Möge er uns alle leiten in unserem Bemühen, das Priestertum zu ehren, das wir tragen, und unsere Berufung groß zu machen, darum bitte ich demütig im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. Evan Stephens, „A Mormon Boy,“ in Best-Loved Poems of the LDS People, Hg. Jack M. Lyon und andere, Seite 296

  2. Siehe LuB 20:53

  3. Priesthood Home Teaching Handbook, überarbeitete Ausgabe, 1967, Seite iif.

  4. Frühjahrs-Generalkonferenz 1942

  5. Jakobus 1:22

  6. Henry Wadsworth Longfellow, „The Legend Beautiful“, in The Complete Poetical Works of Longfellow, Seite 258

  7. Nach James Barrie, in Peter‘s Quotations: Ideas for Our Time, Hg. Laurence J. Peter, Seite 335