Auf Zions Höhn
Jeder Mensch, der sich bereitwillig der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage anschließt und bestrebt ist, nach ihren Grundsätzen und Verordnungen zu leben, steht „auf Zions Höhn“.
Ich habe im Laufe meines langen Lebens miterlebt, wie die Maßstäbe, die eine Zivilisation zu ihrem Bestehen braucht, einer nach dem anderen hinweggefegt worden sind.
Wir leben in einer Zeit, in der altbewährte Maßstäbe wie Moral, Ehe, Zuhause und Familie vor Gericht, in Ratsgremien, in Parlamenten und in Schulen Stück für Stück zunichte gemacht werden. Ob wir glücklich sind, hängt aber von eben diesen Maßstäben ab.
Der Apostel Paulus hat vorhergesagt, dass die Menschen in unseren, den Letzten Tagen, „ungehorsam gegen die Eltern, … lieblos, … roh, … mehr dem Vergnügen als Gott zugewandt“ sein werden (2 Timotheus 3:2-4).
Er hat auch gesagt: „Böse Menschen und Schwindler … werden immer mehr in das Böse hineingeraten; sie sind betrogene Betrüger.“ (2 Timotheus 3:13.) Er hat Recht. Dennoch erfüllen mich beim Gedanken an die Zukunft Optimismus und Zuversicht.
Paulus wies den jungen Timotheus an, weiterhin in dem zu verbleiben, was er von den Aposteln gelernt hatte, denn dadurch werde er Rettung finden: „Denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dir Weisheit verleihen können, damit du durch den Glauben an Jesus Christus gerettet wirst.“ (2 Timotheus 3:15.)
Es ist wichtig, dass wir die heiligen Schriften kennen, denn aus ihnen lernen wir, wie der Mensch durch den Geist geführt wird.
Ich habe schon Äußerungen wie die folgende gehört: „Gern hätte ich Verfolgung und Prüfungen auf mich genommen, wenn ich in den Anfangstagen der Kirche hätte leben dürfen, wo ein solcher Strom von Offenbarungen als heilige Schrift veröffentlicht wurde. Warum ist das heutzutage nicht mehr so?“
Die Offenbarungen, die dem Propheten Joseph Smith gegeben und als heilige Schrift veröffentlicht wurden, sind die dauerhafte Grundlage der Kirche, wodurch das Evangelium Jesu Christi zu „jeder Nation“ gelangen konnte (2 Nephi 26:13).1
In der heiligen Schrift werden die Aufgaben des Propheten und Präsidenten sowie seiner Ratgeber, ebenso des Kollegiums der Zwölf Apostel, der Kollegien der Siebziger, der Präsidierenden Bischofschaft sowie des Pfahls, der Gemeinde und des Zweigs genau festgelegt. Die Ämter des Melchisedekischen und des Aaronischen Priestertums werden definiert. Es finden sich darin die vorgesehenen Wege, wie Inspiration und Offenbarung an Führungskräfte, Lehrkräfte, Eltern und jeden Einzelnen gelangen können.
Widerstand und Prüfungen sind heutzutage anders, wahrscheinlich heftiger und gefährlicher als in den Anfangstagen der Kirche, aber sie richten sich nicht so sehr gegen die Kirche in ihrer Gesamtheit, sondern gegen den Einzelnen. In den Offenbarungen der Anfangszeit, die als heilige Schrift zur dauerhaften Führung der Kirche veröffentlicht worden sind und auch heute noch Gültigkeit besitzen, werden die heiligen Handlungen und die Bündnisse dargelegt.
In einer dieser Schriftstellen wird uns verheißen: „Wenn ihr bereit seid, werdet ihr euch nicht fürchten.“ (LuB 38:30.)
Ich will Ihnen sagen, was schon alles unternommen worden ist, um uns bereitzumachen. Vielleicht verstehen Sie dann, weshalb ich mich vor der Zukunft nicht fürchte, sondern guten Mutes und zuversichtlich bin.
Ich kann aber natürlich nicht im Detail auf alles eingehen, noch nicht einmal alles aufzählen, was die Erste Präsidentschaft und das Kollegium der Zwölf Apostel in den vergangenen Jahren unternommen haben. Doch Sie können daraus ersehen, dass es fortdauernde Offenbarung gibt, die sowohl der Kirche insgesamt als auch jedem einzelnen Mitglied offen steht. Ich werde nun einige Punkte ansprechen.
Vor über 40 Jahren wurde beschlossen, dass jedes Mitglied der Kirche schnell und leicht Zugriff auf die Lehre haben soll, und zu diesem Zweck wollte die Kirche eine eigene Ausgabe der heiligen Schriften herausgeben. Wir gingen daran, in die King-James-Bibel Querverweise zum Buch Mormon, zum Buch Lehre und Bündnisse und zur Köstlichen Perle einzufügen. Der Text der King-James-Bibel wurde dabei aber nicht verändert.
Schon Jahrhunderte zuvor war die Grundlage für die heutige Zeit gelegt worden. Neunzig Prozent des Textes der King-James-Bibel liegen in der Form vor, wie ihn William Tyndale und John Wycliffe übersetzt haben. Diesen ersten Übersetzern, diesen Märtyrern, verdanken wir viel.
William Tyndale hat gesagt: „Ich will dafür sorgen, dass ein Junge, der den Pflug lenkt, mehr von der heiligen Schrift versteht als [die Geistlichen].“2
Alma hatte große Prüfungen überstanden, und noch weit größere lagen vor ihm. Über ihn hieß es: „Und nun, da das Predigen des Wortes sehr dazu führte, dass das Volk das tat, was gerecht war – ja, es hatte eine mächtigere Wirkung auf den Sinn des Volkes gehabt als das Schwert oder sonst etwas, was ihnen zugestoßen war –, darum dachte Alma, es sei ratsam, dass sie die Kraft des Gotteswortes erprobten.“ (Alma 31:5.)
Genau das hatten auch wir im Sinn, als wir das Projekt mit den Schriften in Angriff nahmen. Wir wollten, dass jedes Mitglied der Kirche die heiligen Schriften kennt und die Grundsätze und Lehren darin versteht. Wir gingen daran, heute das zu tun, was Tyndale und Wycliffe damals getan hatten.
Sowohl Tyndale als auch Wycliffe wurden aufs Äußerste verfolgt. Tyndale schmachtete in einem eiskalten Gefängnis in Brüssel. Seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen, und ihm war schrecklich kalt. Er schrieb an die Bischöfe und bat um seinen Mantel und seine Mütze. Er bat um eine Kerze mit der Begründung: „Es ist fürwahr ermüdend, allein im Dunkeln zu sitzen.“3 Über diese Bitte waren sie so erzürnt, dass sie ihn aus dem Gefängnis holten und vor einer großen Menschenmenge auf dem Scheiterhaufen verbrannten.
Wycliffe entging zwar diesem Schicksal, doch auf dem Konstanzer Konzil wurde angeordnet, dass sein Leichnam exhumiert, auf dem Scheiterhaufen verbrannt und seine Asche sodann in alle Windrichtungen zerstreut werden solle.4
Von der Mutter eines Siebzigers, Edward Stevenson, borgte sich der Prophet Joseph Smith das mehrbändige Buch der Märtyrer, verfasst von John Foxe, einem englischen Geistlichen des 16. Jahrhunderts. Nachdem er die Bücher gelesen hatte, sagte er: „Ich habe diese Märtyrer mit Hilfe des Urim und Tummim gesehen, und es waren aufrechte, eifrige Jünger Christi gemäß dem Licht, das sie besaßen, und sie werden errettet werden.“5
Mehr als 70 000 Verse mit Querverweisen zu versehen sowie Fußnoten und Hilfsmittel zu den heiligen Schriften zu erstellen, war gewiss ein äußerst schwieriges Unterfangen, und vielleicht war es sogar unmöglich. Doch wir nahmen es in Angriff. Es dauerte zwölf Jahre, und über 600 Menschen haben dabei mitgewirkt. Darunter gab es Experten für die griechische, lateinische und hebräische Sprache sowie Fachleute für alte Manuskripte. Die meisten aber waren ganz gewöhnliche, glaubenstreue Mitglieder der Kirche.
Der Geist der Inspiration ruhte über diesem Werk.
Ohne Computer wäre so ein Unterfangen gar nicht möglich gewesen.
Ein bemerkenswertes System wurde entworfen, das es möglich machte, zehntausende Fußnoten zu ordnen und auf diese Weise jedem Jungen und jedem Mädchen hinter dem Pflug die heiligen Schriften zu eröffnen.
Im thematischen Index kann jedes Mitglied in ein paar Minuten Begriffe wie etwa Sühnopfer, Umkehr, Heiliger Geist nachschlagen und in allen vier kanonisierten Werken erhellende Querverweise finden.
Nachdem einige Jahre an dem Projekt gearbeitet worden war, erkundigten wir uns, wie weit denn die mühsame, arbeitsintensive Aufgabe der alphabetischen Themengliederung gediehen war. Zurück kam die Antwort: „Wir waren schon bei Himmel und Hölle, haben Liebe und Lust hinter uns und nähern uns jetzt der Umkehr.“
Wir nahmen auch die Originalmanuskripte des Buches Mormon zur Hand. So konnten wir die Druckfehler ausmerzen, die sich bei der Übersetzung der heiligen Schriften so einschleichen.
Besonders beachtenswert am Topical Guide sind die 18 Seiten unter der Überschrift „Jesus Christus“. Dort steht klein gedruckt und mit minimalem Zeilenabstand die umfassendste Aufstellung von Querverweisen aus der heiligen Schrift zum Begriff Jesus Christus, die je in der Geschichte dieser Welt zusammengestellt worden ist. Wer sich in diese Schriftstellen vertieft, erfährt daraus, wessen Kirche dies wirklich ist, was und mit wessen Vollmacht sie lehrt, und das alles verankert im heiligen Namen Jesu Christi, des Gottessohnes, des Messias, des Erlösers, unseres Herrn.
Dem Buch Lehre und Bündnisse wurden zwei neue Offenbarungen hinzugefügt – Abschnitt 137, eine Vision, die der Prophet Joseph Smith anlässlich des Vollzugs des Endowments geschaut hat, und Abschnitt 138, Präsident Joseph F. Smiths Vision von der Erlösung der Toten. Als das Werk dann gerade fertig war und gedruckt werden sollte, wurde eine großartige Offenbarung über das Priestertum gegeben und als amtliche Erklärung noch in die Schriften aufgenommen (siehe LuB, Amtliche Erklärung 2). Dadurch ist erneut der Beweis erbracht, dass die heiligen Schriften kein abgeschlossenes Werk darstellen.
Danach standen wir vor der großen Herausforderung, die heiligen Schriften in die Sprachen übersetzen zu lassen, die in der Kirche gesprochen werden. Derzeit existiert die Dreifachkombination samt dem Schriftenführer in 24 Sprachen, und weitere werden folgen. Das Buch Mormon gibt es derzeit in 106 Sprachen, an 49 Übersetzungen wird noch gearbeitet.
Noch anderes wurde in Angriff genommen. Das Buch Mormon erhielt einen Untertitel: Das Buch Mormon – ein weiterer Zeuge für Jesus Christus.
Da die grundlegenden Lehren nun so fest stehen wie der Granit des Salt-Lake-Tempels und jedermann zugänglich sind, können immer mehr Menschen den ununterbrochenen Strom von Offenbarungen in der Kirche miterleben. „Wir glauben alles, was Gott offenbart hat, und alles, was er jetzt offenbart; und wir glauben, dass er noch viel Großes und Wichtiges offenbaren wird, was das Reich Gottes betrifft.“ (9. Glaubensartikel.)
Während die Veröffentlichung der heiligen Schriften vorangetrieben wurde, wurde auch ein weiteres großes Werk in Angriff genommen. Auch das sollte Jahre dauern. Der gesamte Lehrplan der Kirche wurde neu verfasst. Alle Leitfäden für das Priestertum und die Hilfsorganisationen – für Kinder, für Jugendliche und für Erwachsene – wurden überarbeitet, und nun stehen die heiligen Schriften, Jesus Christus, das Priestertum und die Familie im Mittelpunkt.
Hunderte ehrenamtliche Helfer haben jahrein, jahraus daran gearbeitet. Darunter waren erfahrene Autoren, Pädagogen, Lehrer sowie Experten aus verwandten Bereichen, doch die meisten waren gewöhnliche Mitglieder der Kirche. Der Lehrplan basiert nun auf den Schriften; die Vollmacht des Priestertums wird herausgestellt und die Heiligkeit der Familie hervorgehoben.
Die Erste Präsidentschaft und das Kollegium der Zwölf Apostel gaben „Die Familie – eine Proklamation an die Welt“ heraus.6 Danach veröffentlichten sie „Der lebendige Christus – das Zeugnis der Apostel“.7
In aller Welt entstanden neue Seminarklassen und Religionsinstitute. Lehrkräfte und Schüler lernen und unterrichten durch den Geist (siehe LuB 50:17-22), und allmählich leuchtet beiden ein, was in den Schriften steht, ebenso die Worte der Propheten, der Plan der Erlösung, das Sühnopfer Jesu Christi, der Abfall vom Glauben und die Wiederherstellung, die einzigartige Stellung der wiederhergestellten Kirche, und sie lernen die darin enthaltenen Grundsätze und Lehren kennen. Die Schüler werden dazu angehalten, sich das tägliche Schriftstudium zur Gewohnheit zu machen.
Der Montagabend blieb dem Familienabend vorbehalten. An diesem Tag werden sämtliche Aktivitäten in der Kirche eingestellt, damit die Familie zusammensein kann.
Als logische Folge davon wurde auch die Missionsarbeit unter dem Titel „Verkündet mein Evangelium!“ so gestaltet, dass sie mit den Offenbarungen einhergeht. Jedes Jahr kehren über 25 000 Missionare nach der Mission in 148 Länder zurück; sie haben zwei Jahre lang die Lehre kennen gelernt und gelernt, durch den Geist zu unterrichten und Zeugnis zu geben.
Die Grundsätze der Führung des Priestertums wurden deutlicher gemacht. Den Priestertumskollegien – sowohl des Aaronischen als auch des Melchisedekischen Priestertums – wurde ein höherer Stellenwert verliehen. Immer und überall gibt es Führer – Bischöfe und Präsidenten –, welche die Schlüssel innehaben, mit denen sie anleiten, Missverständnisse aus dem Weg räumen und falsche Lehren aufdecken und richtig stellen.
Die Studienanleitung für die Erwachsenen im Priestertum und in der FHV gründet sich auf die Lehren der Präsidenten der Kirche.
Die Zeitschriften der Kirche erscheinen nunmehr in neuem Gewand und in 50 Sprachen.
Eine eindrucksvolle Epoche des Tempelbaus schreitet weiter voran – 122 Tempel gibt es nun, in denen die heiligen Handlungen vollzogen werden, und zwei weitere sind gestern angekündigt worden.
Im Englischen wurde die Genealogie umbenannt. Den treuen Mitgliedern steht die neueste Technik zur Verfügung, damit sie Namen vorbereiten und in den Tempel mitnehmen können.
All dies ist ein Beweis dafür, dass Offenbarung nicht aufgehört hat. Es gibt noch mehr – viel zu viel, als dass man es im Detail beschreiben könnte.
In der Kirche existiert ein zentraler Kern der Kraft, der tiefer liegt als alle Programme, Versammlungen oder Vereinigungen. Er ändert sich nicht. Er kann nicht verwittern. Er ist beständig und verlässlich. Er vergeht oder verblasst nie.
Die Kirche ist zwar in den Gemeindehäusern untergebracht, doch sie lebt im Herzen und in der Seele eines jeden Heiligen der Letzten Tage.
Überall auf der Welt erlangen demütige Mitglieder Inspiration aus der heiligen Schrift, und diese Inspiration führt sie durchs Leben; dabei ist ihnen gar nicht recht bewusst, dass sie damit die „besonders wertvolle Perle“ (Matthäus 13:46) gefunden haben, über die der Herr zu seinen Jüngern sprach.
Als Emma Smith, die Frau des Propheten Joseph Smith, Lieder für das erste Gesangbuch auswählte, nahm sie auch das Lied „Herr und Gott der Himmelsheere“ mit auf, das ja eigentlich ein Gebet ist:
Wenn die Erde zitternd bebet,
lass uns furchtlos aufrecht stehn;
wenn dein Zorn Zerstörung sendet,
schirme uns auf Zions Höhn.8
Jeder Mensch, der sich bereitwillig der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage anschließt und bestrebt ist, nach ihren Grundsätzen und Verordnungen zu leben, steht „auf Zions Höhn“.
Ein jeder kann diese Gewissheit erlangen, die durch Inspiration kommt und die bezeugt, dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist und dass die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ganz einfach das ist, was Christus von ihr gesagt hat, nämlich „die einzige wahre und lebendige Kirche auf dem Antlitz der ganzen Erde“ (LuB 1:30). Im Namen Jesu Christi. Amen.