Was will der Herr von mir?
Möge der Herr Sie dabei segnen, dass Sie erkennen, was er von Ihnen will, und dass Sie Ihren Willen dem seinen unterordnen.
Ein Werkzeug in den Händen Gottes zu werden ist ein großartiger Vorzug und eine heilige Verpflichtung. Wo auch immer wir leben, wie auch immer unsere Lebensumstände aussehen, unabhängig von Familienstand oder Alter – der Herr braucht jede Einzelne von uns, damit sie ihren einzigartigen Beitrag zum Aufbau seines Reiches in der letzten Evangeliumszeit leistet. Ich bezeuge: Wir können wissen, was der Herr von uns möchte, und wir können die Segnung tatsächlich erleben, „die uns zuteil geworden ist, dass wir in den Händen Gottes zu Werkzeugen geworden sind, dieses große Werk zuwege zu bringen“.1 Heute Abend möchte ich Ihnen davon berichten, auf welchem Weg ich erkannt habe, wie man ein solches Werkzeug wird.
Ich beginne dort, wo mein Weg geendet hat – bei einer erhabenen Wahrheit, die Elder Neal A. Maxwell so zum Ausdruck gebracht hat: „Das einzige wirklich Persönliche, was wir auf Gottes Altar legen können, ist, dass wir unseren Willen ihm unterwerfen. All das andere, was wir ‚geben‘, ist eigentlich nur etwas, was er uns gegeben oder geliehen hat. Wenn Sie und ich uns jedoch unterordnen, indem wir unseren Willen im Willen des Vaters verschlungen sein lassen, dann geben wir ihm wirklich etwas! Das ist der einzige Besitz, den wir wirklich geben können!“2
Meine lieben Schwestern, ich bezeuge Ihnen: Um wirklich ein Werkzeug in den Händen Gottes zu sein und dieser Segnung am „Tag dieses Lebens“, da wir unsere „Arbeiten verrichten“3 sollen, völlig teilhaftig zu werden, müssen wir uns, wie Elder Maxwell es sagt, dem Herrn „unterordnen“.4
Für mich setzte die Läuterung, die zu meinem Zeugnis von diesem Grundsatz geführt hat, ganz unerwartet ein, als ich Mitte dreißig war und meinen Patriarchalischen Segen empfangen sollte. Ich hatte zur Vorbereitung gefastet und gebetet und mich im Herzen gefragt: „Was erwartet der Herr von mir?“ Voll froher Erwartung und mit unseren vier kleinen Kindern im Schlepptau machten mein Mann und ich uns auf den Weg zum Haus des bejahrten Patriarchen. Der Segen, den er mir gab, betonte die Missionsarbeit – immer und immer wieder.
Ich sage es nicht gern, aber ich war enttäuscht und aufgewühlt. Bis dahin hatte ich das Buch Mormon kaum jemals ganz durchgelesen. Ohne Zweifel war ich nicht darauf vorbereitet, eine Mission zu erfüllen. Also legte ich meinen Patriarchalischen Segen in eine Schublade. Während ich mich vor allem meiner wachsenden Familie widmete, begann ich jedoch ernsthaft und planmäßig in den Schriften zu lesen.
Die Jahre vergingen, und mein Mann und ich konzentrierten uns darauf, unsere Kinder auf deren Vollzeitmission vorzubereiten. Da wir unsere Söhne in mehrere Länder auf Mission geschickt hatten, war ich aufrichtig überzeugt, meine missionarische Pflicht sei damit erfüllt.
Dann wurde mein Mann als Missionspräsident in ein recht unsicheres, chaotisches Land in der Dritten Welt berufen – 10 000 Meilen von Zuhause und Lichtjahre von der Kultur und der Sprache entfernt, die ich kannte. Doch in dem Moment, da ich als Vollzeitmissionarin berufen wurde, fühlte ich mich ein wenig wie Alma und die Söhne Mosias – ich spürte, dass ich berufen war, als Werkzeug „in den Händen Gottes … dieses große Werk zuwege zu bringen“.5 Und noch etwas spürte ich, was sie ja vielleicht auch gespürt haben – überwältigende Furcht!
In den folgenden Tagen zog ich meinen Patriarchalischen Segen immer wieder hervor und las ihn auf der Suche nach tieferem Verständnis durch. Selbst das Wissen, dass nun eine Verheißung in Erfüllung gehen sollte, die ich vor Jahrzehnten von einem Patriarchen erhalten hatte, beruhigte mich nicht. Könnte ich wohl meine verheirateten und ledigen Kinder und meine alternden Schwiegereltern zurücklassen? Würde ich wohl das Richtige sagen und tun? Was würden mein Mann und ich dort essen? Würde ich in einem Land sicher sein, das politisch instabil und wohl auch gefährlich war? Dem allen fühlte ich mich in keiner Weise gewachsen.
In meinem Streben nach innerem Frieden gab ich mir doppelt Mühe, in den Tempel zu gehen. Ich sann über die Bedeutung meiner Bündnisse so nach, wie ich es nie zuvor getan hatte. Meine Tempelbündnisse waren für mich an diesem wichtigen Scheideweg Grundlage und zugleich Ansporn. Ja, ich hatte Angst, aber mir war auch klar, dass ich aus eigenem Willen persönliche, bindende, heilige Verpflichtungen eingegangen war, die ich halten wollte. Schließlich war es nicht Sache eines anderen, diesen Dienst zu leisten. Dies war meine Berufung auf Mission, und ich war fest entschlossen zu dienen.
Der Vater von Joseph Smith hat seinem Sohn den folgenden Segen gegeben: „Der Herr, dein Gott, hat dich aus den Himmeln beim Namen gerufen. Du wurdest … zu dem großen Werk des Herrn berufen, nämlich in dieser Generation ein Werk zu vollbringen, das niemand anderer … so wie du tun würde – in allem gemäß dem Willen des Herrn“.6 Der Prophet Joseph Smith war berufen worden, im großen Werk des Herrn seinen einzigartigen Teil zu tun, und so überwältigt und unvorbereitet ich mich selbst auch fühlte, so war ich doch ganz gewiss ebenso zu meinem Teil des Werkes berufen. Diese Einsicht war hilfreich und machte mir Mut.
Ich betete ständig und fragte immer wieder: „Vater, wie kann ich das vollbringen, wozu du mich berufen hast?“ Kurz bevor wir ins Missionsfeld aufbrechen wollten, brachten zwei Freunde eines Morgens ein Geschenk vorbei – ein kleines Gesangbuch zum Mitnehmen. Später am selben Tag bekam ich durch dieses Gesangbuch die Antwort auf mein monatelanges Flehen im Gebet. Ich hatte mich zurückgezogen, um Trost zu finden, und da kamen mir die folgenden Worte deutlich in den Sinn:
Sei still, ich bin bei dir, o hab keine Angst,
denn ich bin dein Gott, geb dir Hilfe und Licht.
Ich stärke dich, helf dir, damit du kannst bestehn.
Dann kannst du deinen Weg mit meiner Allmacht gehn.7
Ich erkannte also, dass der Herr bei mir sein und mir helfen werde, doch dies war erst der Anfang. Ich musste noch viel mehr darüber lernen, wie man tatsächlich ein Werkzeug in der Hand Gottes wird.
In jenem fernen Land, weit weg von daheim, traten mein Mann und ich unseren Dienst an – wie die Pioniere jeden Schritt im Glauben. Sehr oft waren wir buchstäblich allein – wir suchten unseren Weg in einem Land, dessen Lebensweise uns fremd war und in dem Dutzende Sprachen gesprochen wurden, die wir nicht beherrschten. Die folgenden Worte Sarah Clevelands, einer der frühen Führungskräfte der FHV in Nauvoo, beschreiben unsere Gefühle am besten: „Wir haben uns im Namen des Herrn diesem Werk angeschlossen. Gehen wir unerschrocken vorwärts.“8
Das Erste, was ich gelernt habe, um ein Werkzeug in Gottes Hand zu werden, bestand darin, dass ich in den Schriften forschen, fasten, beten, den Tempel besuchen und glaubenstreu nach den Bündnissen leben musste, die ich im Haus des Herrn geschlossen hatte. Der zweite Schritt bestand darin, dass ich, um unerschrocken vorwärts gehen zu können, völlig auf den Herrn vertrauen und ernsthaft nach persönlicher Offenbarung trachten musste. Um diese Offenbarung erhalten zu können, musste ich würdig leben, sodass der Heilige Geist ständig bei mir sein konnte.
Das Letzte, was es zu lernen galt, war eben das, was Elder Maxwell gesagt hatte. Da ich auf die Hilfe, die Führung und den Schutz des Herrn so sehr angewiesen war, ordnete ich meinen Willen selbst in den alltäglichen Kleinigkeiten seinem Willen unter. Je mehr ich das tat, desto enger wurde meine Beziehung zum himmlischen Vater, was sich auch heute noch für meine Familie und mich segensreich auswirkt.
Mein Lebensweg unterscheidet sich von Ihrem. Von jeder von Ihnen könnte ich viel darüber erfahren, wie Sie Ihren Willen dem des Herrn unterordnen, indem Sie ernsthaft bestrebt sind zu erkennen, was er von Ihnen will. Wir können uns alle am wiederhergestellten Evangelium Jesu Christi erfreuen und dankbar sein für das große Glück, dass wir ein Zeugnis vom Erretter und seinem Sühnopfer haben. Ich weiß: Es war nicht leicht, ein Werkzeug in der Hand Gottes zu werden, aber dieses Bestreben hat uns geistig wachsen lassen und unser Leben in ganz persönlicher, wunderbarer Weise bereichert.
Liebe Schwestern, möge der Herr Sie dabei segnen, dass Sie erkennen, was er von Ihnen will, und dass Sie Ihren Willen dem seinen unterordnen. Ich bezeuge, dass unser Wille „der einzige Besitz [ist], den wir wirklich geben können“.9 Im Namen Jesu Christi. Amen.