Kapitel 24
Unsere Suche nach der Wahrheit
Das Center für Nahoststudien der Brigham-Young-Universität in Jerusalem öffnete am 8. März 1987 achtzig Studenten seine Pforten. Am Vormittag kamen drei Umzugswagen und zwei Busse beim Kibbuz Ramat Rachel an, bei jener Siedlung am südöstlichen Rand Jerusalems also, in der die Auslandsstudenten in den letzten sieben Jahren untergebracht gewesen waren und wo sie studiert hatten. Die Studenten freuten sich schon auf den Umzug in das neue Center und luden fröhlich ihre Sachen und die gesamte Ausstattung der Uni in die Fahrzeuge. Bei ihrem neuen Zuhause bildeten sie gleich eine Menschenkette und begannen, Bücher, Kisten und Koffer die Treppen zum Skopusberg hinaufzuschaffen.
David Galbraith, der Leiter des Auslandsprogramms, grinste, als er das Treiben beobachtete. Die Mitarbeiter der Universität hatten unermüdlich daran gearbeitet, das Gebäude betriebsbereit zu machen, allerdings war noch nicht alles ganz fertiggestellt. Die Mitarbeiter stellten Waschmaschinen und Trockner auf, nahmen die Zimmereinteilung vor und kauften Bedarfsgüter ein. Irgendwie hatten sie vergessen, Handtücher und Toilettenpapier zu besorgen, aber jetzt waren auch diese Sachen auf dem Weg von Tel Aviv ins Center.
Zwei Jahre zuvor, als BYU-Präsident Jeffrey R. Holland mit der Vereinbarung, dass die Kirche sich in keinerlei Form missionarisch betätigen werde, nach Jerusalem gekommen war, hatte er einen guten Eindruck hinterlassen. Orthodoxe Rabbiner standen dem Abkommen jedoch skeptisch gegenüber. Sie setzten ihre Demonstrationen auf der Baustelle, vor dem Büro des Bürgermeisters und vor Davids Wohnung fort.
In der Hoffnung, ein positives Image zu erzeugen, hatte die Kirche eine der größten israelischen PR-Firmen beauftragt, in Zeitungen und im Fernsehen informative Anzeigen zu schalten. Einige der Kirche freundlich gesinnte Juden schrieben auch Briefe an israelische Politiker, in denen sie sich für die Ehrlichkeit der Heiligen verbürgten.
Bis vor kurzem hatte der Inspektor der städtischen Aufsichtsbehörde darauf bestanden, dass das Gebäude vor der kompletten Fertigstellung nicht benutzt werden dürfe. David und seine Mitarbeiter hatten jedoch die Erlaubnis erhalten, in den bereits fertiggestellten Teil einzuziehen, also in die unteren vier Stockwerke, in denen sich Wohnräume und einige Klassenzimmer befanden. Als der Inspektor erfuhr, dass mehrere städtische Dienststellen hierfür die Genehmigung erteilt hatten, staunte er.
Nachdem die Studenten den Umzug bewerkstelligt hatten, versammelte David sie in einem großen Hörsaal zu einer dreistündigen Informationsveranstaltung über das neue Gebäude. Der Tag verlief friedlich und ohne Proteste. Vom Campus aus hatten die Studentinnen und Studenten einen beeindruckenden Blick auf den Sonnenuntergang über der Altstadt von Jerusalem. Vor solch einer wunderbaren Kulisse sollten sie mehr über die alte Stadt und die in Jerusalem lebenden Gläubigen erfahren.
„Endlich sind wir in unser neues Gebäude eingezogen“, berichtete David Präsident Holland später am selben Tag.
„All die vielen Monate haben wir an einem Gebäude aus Zement und Stein gearbeitet“, schrieb er. „Nun hauchen die Studenten ihm Leben ein, und durch die kalten Gänge und die leblosen Räume weht ein Lüftchen von Fröhlichkeit.“
Nicht lange nachdem Ezra Taft Benson Präsident der Kirche geworden war, übertrug er Elder Russell M. Nelson eine neue Aufgabe. „Sie werden für alle Angelegenheiten der Kirche in Europa und Afrika zuständig sein“, wies er ihn an, „mit dem Sonderauftrag, die Länder in Osteuropa für das Evangelium zu öffnen.“
Elder Nelson war bestürzt. „Ich bin doch Herzchirurg“, dachte er. „Was weiß ich schon darüber, wie man ein Land für das Evangelium öffnet?“ Mit wenigen Ausnahmen hatte die Kirche, seit die Region nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Einfluss der Sowjetunion geraten war, keine Missionare mehr nach Mittel- und Osteuropa entsandt. Elder Nelson fragte sich, ob der Auftrag nicht eher an jemanden ergehen sollte, der sich besser mit Diplomatie auskannte. Warum nicht einen Anwalt wie Elder Dallin H. Oaks entsenden?
Elder Nelson behielt seine Gedanken jedoch für sich und nahm den Auftrag an.
Kurze Zeit später begannen sich die diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zu verbessern. Im Oktober 1986 traf Konstantin Chartschew, Vorsitzender des Rates für religiöse Angelegenheiten in der Sowjetunion, in Washington, D.C., mit Vertretern der Kirche zusammen. Er wollte ihnen begreiflich machen, dass es in der Sowjetunion Religionsfreiheit gibt. Nachdem Elder Nelson von dem Treffen erfahren hatte, empfahl er der Kirche, zwei Generalautoritäten zu entsenden, die mit Chartschew zusammenkommen und den Dialog fortsetzen sollten. Die Erste Präsidentschaft wählte ihn und Elder Hans B. Ringger von den Siebzigern aus.
Am Vormittag des 10. Juni 1987 suchten Elder Nelson und Elder Ringger daher Konstantin Chartschew in seinem Büro in Moskau auf. Dieser war gerade dabei, eine Reise in anderen Angelegenheiten anzutreten, und hatte nicht viel Zeit für ein Gespräch.
„Wir möchten Ihnen nur eine Frage stellen“, sagte Elder Nelson zu ihm. „Was müssten wir tun, um die Kirche, die wir vertreten, in Russland zu errichten?“
Chartschew erklärte rasch, eine Kirche könne in einem Bezirk oder einer Stadt eingetragen werden, sobald sie zwanzig volljährige, dort ansässige Mitglieder habe.
Elder Nelson fragte, ob die Kirche in der Sowjetunion ein Besucherzentrum oder einen Lesesaal einrichten könne – einen Ort, den Interessierte aus eigenen Stücken aufsuchen könnten, um etwas über die Lehren der Kirche zu erfahren.
„Nein“, antwortete der Vorsitzende.
„Dann haben wir hier ein Henne-Ei-Problem“, erklärte Elder Nelson. „Sie sagen, wir können erst anerkannt werden, wenn wir Mitglieder haben, aber es wird schwierig sein, Mitglieder zu gewinnen, wenn wir keinen Lesesaal oder kein Besucherzentrum haben.“
„Das ist Ihr Problem“, meinte Chartschew. Er gab ihnen seine Telefonnummer und bot ihnen an, sich erneut mit ihnen zu treffen. In der Zwischenzeit sollten sie mit seinen beiden Stellvertretern sprechen. „Schönen Tag noch!“, empfahl er sich kurz.
Die Vertreter gaben Elder Nelson und Elder Ringger einige weitere Informationen. In der Sowjetunion, so führten sie aus, hätten die Bürger Gewissensfreiheit und könnten ihre Religion offen ausüben. Missionaren war es jedoch nicht gestattet, im Land tätig zu werden, und der Staat regelte die Einfuhr religiöser Schriften. Man durfte zuhause den Gottesdienst abhalten, andere dazu einladen und denen von seinem Glauben erzählen, die sich dafür interessierten.
In der Stadt gab es mehrere Gotteshäuser, und die beiden Stellvertreter arrangierten für Elder Nelson und Elder Ringger Treffen mit Führern der russisch-orthodoxen, der adventistischen und der evangelischen Christen sowie mit der jüdischen Gemeinde in der Stadt. Als Elder Nelson und Elder Ringger nun durch die Stadt fuhren und mit anderen Gläubigen zusammenkamen, waren sie ob der religiösen Vielfalt in dem offiziell atheistischen Land überrascht.
Doch als Elder Nelson und Elder Ringger über die Voraussetzungen für den Aufbau der Kirche in der Sowjetunion nachdachten, schien ihnen ihre Aufgabe schier unüberwindbar. Wie sollten sie ohne Missionare oder einen Leseraum jemals die zwanzig Personen erreichen, die sie brauchten, um als Kirche anerkannt zu werden?
An seinem letzten Tag in Moskau konnte Elder Nelson nicht schlafen. Er stand auf und ging zum Roten Platz, jenem großen Platz vor dem Kreml, dem von Mauern umgebenen Sitz der sowjetischen Regierung. Der Platz war leer, und er dachte an die unzähligen Menschen, die den Platz später am Tag aufsuchen würden. Seit er in der Stadt war, hatte ihn der Anblick der ganz gewöhnlichen Menschen auf den Straßen sehr berührt. Er wollte sich jedem von ihnen in Liebe zuwenden und ihnen vom wiederhergestellten Evangelium Jesu Christi erzählen.
Die Fragen „Wer bin ich?“ und „Warum bin ich hier?“ gingen ihm ständig durch den Kopf. Er wusste, dass er Chirurg, Amerikaner, Ehemann, Vater und Großvater war. Aber nach Moskau war er als Apostel des Herrn gekommen. Und obwohl ihm seine Aufgabe überwältigend erschien – vor allem mit dem jetzigen Wissen um die Hindernisse, die es zu überwinden galt, um die Kirche in der Sowjetunion aufzubauen –, hatte er nicht die Hoffnung verloren.
„Apostel kennen ihren Auftrag“, dachte er. Der Erretter hatte sie beauftragt, in die Welt hinauszugehen und alle Nationen, Stämme, Sprachen und Völker zu unterweisen. Die Botschaft des Evangeliums war für alle Kinder Gottes gedacht.
In seinem Bericht über die Reise drückte Elder Nelson seinen Glauben an die Macht des Herrn aus, zu Gebieten wie Mittel- und Osteuropa die Türen zu öffnen. „Gemeinsam können wir beginnen, den Willen unseres Vaters im Himmel zu tun, der alle seine Kinder liebt – auch wenn es noch so kleine Schritte sind“, schrieb er. „Das Schicksal und die Errettung der Seelen von einer Dreiviertelmilliarde Menschen hängen von unserem Handeln ab.“
Am 6. August 1987 stand Apostel Dallin H. Oaks mit ernstem Blick an einem Stehpult der Brigham-Young-Universität. Ein großes Publikum hatte sich eingefunden. Zwei Jahre waren seit den Bombenanschlägen in Salt Lake City vergangen, bei denen zwei Mitglieder der Kirche ums Leben gekommen waren. Der Antiquar Mark Hofmann war damals für diese Tat angeklagt und verurteilt worden. Es stellte sich auch heraus, dass Hofmann viele der Schriftstücke, mit denen er gehandelt und von denen er einige auch der Kirche verkauft hatte, gefälscht hatte, darunter zahlreiche, die den Glauben an die heilige Geschichte der Kirche untergraben sollten.
In jenen zwei Jahren hatten Wissenschaftler an der Brigham-Young-Universität jedoch viel zur Festigung des Glaubens beigetragen. Die Zeitschrift BYU Studies und das Institut für Religionswissenschaft an der Universität hatten erkenntnisreiche neue Bücher und Artikel über Joseph Smith und seine Übersetzungen herausgegeben. Die Stiftung Foundation for Ancient Research and Mormon Studies hatte zudem auch mit der Herausgabe der gesammelten Werke von Hugh Nibley begonnen, der mehr als sonst jemand mit seinen Arbeiten das Buch Mormon und die Köstliche Perle wissenschaftlich untersucht und belegt hatte. Zudem hatte die BYU mit einem renommierten internationalen Verlag vereinbart, die Encyclopedia of Mormonism herauszugeben, die Artikel zu Geschichte, Lehre und Gepflogenheiten der Kirche enthielt.
Dennoch waren viele Mitglieder durch Mark Hofmanns Betrug verwirrt, was die BYU dazu veranlasste, eine wissenschaftliche Konferenz über die Geschichte der Kirche und den Fall Hofmann zu organisieren. Nun war Elder Oaks bei der Konferenz, um über die Rolle der Kirche bei den Ereignissen in Zusammenhang mit der Tragödie zu sprechen.
Wie die Zuhörer wussten, verbüßte Hofmann mittlerweile eine lebenslange Haftstrafe. Im Januar hatte er gestanden, drei Bomben gebaut zu haben, darunter eine, die ihn versehentlich selbst verletzt hatte. Die Geschichte, die er den Ermittlern erzählte, war ziemlich verwickelt und tragisch. Obwohl er ein Leben lang Mitglied der Kirche gewesen war, hatte er als junger Mann seinen Glauben an Gott verloren. Mit der Zeit wurde er ein geschickter Fälscher und nutzte seine Kenntnisse der Geschichte der Kirche, um selbst Schriftstücke herzustellen. Wie er später zugab, wollte er mit diesen Fälschungen nicht nur Geld verdienen, sondern auch die Kirche blamieren und in Verruf bringen. Um seine Machenschaften zu verbergen, hatte er absichtlich zwei Menschen umgebracht.
Zu Beginn seiner Ausführungen wies Elder Oaks darauf hin, dass die Morde in den Medien große Aufmerksamkeit erregt hatten. Einige Kommentatoren hatten Präsident Gordon B. Hinckley und weiteren Führern der Kirche zur Last gelegt, dass sie von Mark Hofmann gefälschte Dokumente erworben hatten. Sie argumentierten, wahrhaft inspirierte Führer wären nicht auf solche Fälschungen hereingefallen. Andere wiederum beschuldigten die kirchlichen Führer, geschichtliche Tatsachen im Dunkeln zu belassen, obwohl die Kirche alle maßgeblichen Hofmann-Dokumente sehr wohl veröffentlicht und Wissenschaftlern die Möglichkeit gegeben hatte, sich damit zu befassen.
Elder Oaks merkte an, dass viele Leute, so auch Wissenschaftler und landesweit anerkannte Experten für Fälschungen, die Schriftstücke ebenfalls als echt betrachtet hatten. Er hob weiter die vertrauensvolle Haltung hervor, die den führenden Amtsträgern der Kirche eigen war.
„Im Zuge ihres persönlichen geistlichen Wirkens dürfen die Führer der Kirche nicht argwöhnisch sein und jeden der aberhundert Menschen in Frage stellen, mit denen sie Jahr für Jahr zusammenkommen“, erklärte er. „Für einen Führer der Kirche ist es besser, gelegentlich enttäuscht zu werden, als ständig misstrauisch zu sein.“ Wenn sie es nicht schafften, einige wenige Betrüger zu entlarven, war das eben der Preis, um die im Herzen Aufrechten besser beraten und ihnen Trost spenden zu können.
Schon vor der Gründung der Kirche hatte der Herr Joseph Smith warnend darauf hingewiesen, dass man „die Schlechten von den Rechtschaffenen nicht immer unterscheiden“ könne. Männer wie Mark Hofmann bewiesen, dass Gott die Mitglieder und die Führer der Kirche nicht immer vor betrügerischen Menschen schütze.
Am Schluss seiner Rede äußerte Elder Oaks die Hoffnung, dass aus diesem schrecklichen Vorkommnis etwas gelernt werden könne. „Wenn es um Naivität angesichts von Bösartigkeit geht“, räumte er ein, „sind Schuldzuweisungen keineswegs fehl am Platz.
Unsere Suche nach der Wahrheit sollten wir alle mit den Mitteln ehrlicher und objektiver Wissenschaftlichkeit und mit aufrichtigem, respektvollem Glauben betreiben“, schloss er. „Wir alle müssen achtsamer sein.“
Als Isaac „Ike“ Ferguson am 30. April 1988 aus dem Flugzeug stieg, schlug ihm die Hitze der Stadt N’Djamena im Tschad entgegen. Prompt war ihm bewusst, dass er sich nunmehr weit weg von dem kühlen Frühlingswetter seiner Heimatstadt Bountiful in Utah befand. Überall um sich herum sah er Menschen in weißen Gewändern und mit Kopfbedeckung. In alle Richtungen erstreckte sich bis zum Horizont bloß Sandwüste.
Auf Ersuchen der Ersten Präsidentschaft war Ike hierher an den Wüstenrand Nordafrikas gekommen, um humanitäre Projekte der Kirche zu begutachten. Über Generationen hinweg hatte die Kirche ihr Fastopfer vor allem zur Unterstützung bedürftiger Mitglieder eingesetzt. Anfang der 1980er Jahre hatte jedoch in Äthiopien eine Hungersnot gewütet – einem Land, in dem die Kirche gar nicht offiziell vertreten war. Die Fernsehbilder von hungernden Kindern und Lagern, in denen sich Hilfesuchende drängten, berührten Menschen auf der ganzen Welt, auch Mitglieder der Kirche. Am 27. Januar 1985 hatte die Kirche in den USA und Kanada daher zu einem Sonderfasten für humanitäre Zwecke aufgerufen, wobei als Fastopfer ein Geldbetrag von insgesamt 6 Millionen Dollar für die Hilfe in Afrika erzielt wurde.
Einige Monate später reiste Elder M. Russell Ballard, einer der Präsidenten des Ersten Kollegiums der Siebziger, nach Äthiopien, um humanitäre Hilfsorganisationen ausfindig zu machen, mit denen die Kirche kooperieren und am wirkungsvollsten Gutes tun konnte. Ike, der im Fach Öffentliches Gesundheitswesen promoviert hatte und einige Berufserfahrung besaß, wurde daraufhin beauftragt, von einem Büro in Utah aus die Verwaltung der humanitären Spenden zu beaufsichtigen. An seinem ersten Tag erhielt er einen Computer, ein Telefon und die Genehmigung, Millionen von Dollar an Hilfsgeldern aus dem Fastopfer in Äthiopien zu verteilen.
Aufbauend auf der Arbeit von Elder Ballard hatte sich Ike an weitere internationale Hilfsorganisationen gewandt und sich beraten lassen, wie die Spenden am sinnvollsten eingesetzt werden könnten. Daher vergab er umfangreiche Zuschüsse an Hilfsorganisationen, die bereits in Äthiopien und den Nachbarländern mit ähnlich gelagerten Problemen tätig waren. Zehn Monate nach dem ersten Fastenaufruf führte die Kirche ein zweites Fasten zur Bekämpfung des Hungers durch.
Die Zuwendungen der Mitglieder erwiesen sich in Äthiopien als so hilfreich, dass der Wohlfahrtsdienst der Kirche begann, auch in anderen Teilen der Welt mit Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten. Schon bald unterstützte Ike eine Gesundheitsmesse in der Karibik, schickte medizinische Geräte zur Behandlung von Kindern mit Zerebralparese nach Ungarn und lieferte Impfstoffe nach Bolivien.
Nach seiner Ankunft in N’Djamena besichtigte Ike mehrere Tage lang humanitäre Projekte im Tschad und in Niger. Er flog in das nigrische Majia-Tal, wo die Kirche für ein Wiederaufforstungsprojekt hunderttausende Dollar zur Verfügung gestellt hatte. Aus der Luft konnte er Reihen von dürreresistenten Bäumen erkennen, die einen „lebenden Zaun“ zwischen dem reichen Ackerland im Tal und der vorrückenden Wüste bildeten. Das Flugzeug landete, und Vertreter einer humanitären Partnerorganisation der Kirche fuhren ihn durch die wiederaufgeforsteten Gebiete.
Ike erfuhr, dass die Bäume den Wind davon abhielten, den Boden zu erodieren, und zudem Futter für Schafe, Ziegen und Rinder boten. Außerdem waren sie für die Anwohner eine langfristige Brennstoffquelle. Die Bauern in der Gegend hatten die landwirtschaftliche Produktion seit Beginn des Projekts um bis zu 30 Prozent steigern können und viele Menschen vor der Bedrohung durch die Wüste bewahrt.
Einige Tage später flog Ike nach Ghana, wo die Kirche mittlerweile eine Mission und Dutzende von Zweigen hatte. Dort traf er Vertreter von Africare, einer weiteren Partnerorganisation, um über eine sechzehn Hektar große Farm in Abomosu – einer Stadt etwa hundertzwanzig Kilometer nordwestlich von Accra – zu beraten, die von der Kirche zu humanitären Zwecken betrieben wurde.
Die Farm war 1985 gegründet worden, nachdem eine schwere Dürre die Nahrungsmittelversorgung im ganzen Land dezimiert hatte. Wie die kircheneigenen Farmen in den Vereinigten Staaten versorgte auch diese Farm Notleidende mit Lebensmitteln und förderte gleichzeitig Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Menschen. Einheimische Mitglieder bewirtschafteten die Farm mit Unterstützung durch die Ghana-Mission Accra. Zunächst waren alle Arbeitskräfte ehrenamtlich tätig gewesen, doch nun bezahlte der Betrieb die Bauern, von denen die meisten der Kirche angehörten.
Nach drei Anbauperioden war die Farm mäßig erfolgreich bei der Produktion von Mais, Maniok, Kochbananen und weiteren Feldfrüchten für die bedürftige Bevölkerung. Doch der Nutzen, den sie erbrachte, stand noch in keinem Verhältnis zu den hohen Betriebskosten.
Berater von Africare erklärten Ike, die Farm würde ihrer Meinung nach der örtlichen Gemeinschaft am besten dienen, wenn die Kirche den Menschen in Abomosu erlaube, die Farm in eine Genossenschaft umzuwandeln. Einheimische Bauern, die sich traditioneller Anbaumethoden bedienten, könnten zusammenarbeiten und für das Gemeinwesen mehr Lebensmittel liefern. Die Kirche würde den Betrieb in gewisser Hinsicht finanziell weiter unterstützen, doch ohne die volle Verantwortung für den Erfolg zu tragen.
Bevor sie Ghana verließen, stellten Ike und die Berater diese Idee etwa 150 Mitgliedern der Abomosu-Gemeinschaft vor, darunter auch dem örtlichen Stammesführer. Der Plan wurde gut aufgenommen, und viele Bauern waren mehr als bereit, sich an der Genossenschaft zu beteiligen.
Im April desselben Jahres kam Manuel Navarro mit einer enttäuschenden Nachricht heim zu seinem Vater. Die letzten Monaten hatte er in Lima verbracht und fleißig studiert, um an einer angesehenen Universität in der Stadt aufgenommen zu werden. Doch trotz aller Bemühungen war ihm das nicht gelungen. Für die nächste Aufnahmeprüfung müsste er ein weiteres halbes Jahr lernen.
„Manuel“, fragte sein Vater, „willst du dich weiter auf die Universität vorbereiten – oder willst du dich auf eine Mission vorbereiten?“
Manuel wusste, dass der Prophet jeden würdigen, dazu fähigen jungen Mann in der Kirche aufgefordert hatte, auf Mission zu gehen. Auch stand in seinem Patriarchalischen Segen etwas von einer Mission. Er hatte jedoch geplant, erst nach seiner Einschreibung an der Universität auf Mission zu gehen, denn er meinte, dass es für ihn einfacher wäre, nach der Mission an die Universität zurückzukehren, wenn er schon vor der Abreise immatrikuliert war. Nun war er sich nicht sicher, was er tun sollte. Sein Vater sagte ihm, er solle sich etwas Zeit für seine Entscheidung nehmen.
Kurzerhand griff Manuel zum Buch Mormon, las darin und betete. Dabei spürte er, wie der Geist seine Entscheidung leitete. Schon am nächsten Tag hatte er die Antwort auf die Frage seines Vaters. Er wusste, dass er auf Mission gehen musste.
„In Ordnung“, sagte sein Vater. „Dann unterstützen wir dich dabei.“
Zunächst suchte sich Manuel einen Job. Er nahm an, dass er in einer Bank in der Nähe werde arbeiten können, da sein Vater einige Angestellte dort kannte. Stattdessen fuhr ihn sein Vater in die Innenstadt zur Baustelle des künftigen Gemeindehauses des Zweiges. Er fragte den Bauleiter, ob es im Bautrupp eine Stelle für Manuel gäbe. „Ganz bestimmt“, sagte dieser. „Wir werden schon Arbeit für ihn finden.“
Manuel kam im Juni zum Bautrupp. Jedes Mal, wenn er seinen Lohn bekam, erinnerte ihn der Vorarbeiter, sobald er ihm den Scheck gab, daran, ihn für die Mission zu verwenden. Manuels Mutter half ihm ebenfalls dabei, den Großteil seines Lohns für seinen Missionsfonds und den Zehnten beiseitezulegen.
Eine Mission war kostspielig, und die angeschlagene Wirtschaft in Peru machte es vielen Heiligen dort schwer, ihre Mission vollständig selbst zu finanzieren. Jahrelang waren alle Vollzeitmissionare auf sich selbst, ihre Familie, ihre Gemeinde und sogar auf die Großzügigkeit von Fremden angewiesen gewesen, um ihre Mission zu finanzieren. Nachdem Präsident Kimball alle in Frage kommenden jungen Männer aufgefordert hatte, eine Mission zu erfüllen, bat die Kirche ihre Mitglieder, in einen allgemeinen Missionsfonds für diejenigen einzuzahlen, die finanzielle Unterstützung benötigten.
Mittel vor Ort sollten allerdings zumindest ein Drittel der Kosten für die Mission abdecken. Und wenn ein Missionar den Rest nicht selbst aufbringen konnte, durfte er auf den allgemeinen Fonds zurückgreifen. In Peru und anderen südamerikanischen Ländern organisierten die Führer der Kirche zudem, dass die Missionare bei einheimischen Mitgliedern täglich eine Mahlzeit bekamen, was ihnen wiederum half, Geld zu sparen. Manuel schaffte es, die Hälfte der Kosten für seine Mission zu erarbeiten, und seine Eltern kamen für den Rest auf.
Nach etwa sechs Monaten Arbeit erhielt Manuel seine Missionsberufung. Sein Vater sagte, sie könnten den Brief entweder sofort öffnen oder bis Sonntag warten und ihn dann in der Abendmahlsversammlung verlesen. So lange konnte Manuel die Spannung nicht aushalten – doch er wollte wenigstens abwarten, bis seine Mutter am Abend von der Arbeit heimkam.
Als sie endlich zuhause war, öffnete Manuel den Umschlag, und sein Blick fiel zuerst auf die Unterschrift von Präsident Ezra Taft Benson. Dann begann er, das Berufungsschreiben zu lesen, und sein Herz schlug mit jedem Wort schneller. Als er sah, dass er in der Peru-Mission Lima Nord dienen werde, war er überglücklich.
Schon immer war es sein Wunsch gewesen, in seinem Heimatland eine Mission zu erfüllen.
In der letzten Versammlung bei der Generalkonferenz im April 1989 saß Präsident Ezra Taft Benson gleich beim Pult im Tabernakel in Salt Lake City und erfreute sich an den inspirierten Botschaften der Redner. Doch als es an der Zeit für seine eigene Ansprache war, fühlte er sich nicht stark genug. Er bat seinen Zweiten Ratgeber, Thomas S. Monson, vorzulesen, was er für den Anlass vorbereitet hatte.
In den Jahren zuvor hatte der Prophet direkt zu verschiedenen Zielgruppen in der Kirche gesprochen: zu Jungen Damen und Jungen Männern, Müttern und Vätern, alleinstehenden erwachsenen Frauen und alleinstehenden erwachsenen Männern. Heute wollte er sich an die Kinder wenden.
„Wie sehr ich euch doch liebhabe!“, begann seine Ansprache. „Wie sehr euer himmlischer Vater euch doch liebhat.“
Mittlerweile gehörten über 1,2 Millionen Kinder der Primarvereinigung an. Für 1988 hatten Dwan J. Young, Präsidentin der Primarvereinigung der Kirche, und ihr Ausschuss einen Satz aus dem Buch Mormon als Jahresmotto gewählt: „Kommt zu Christus.“ Präsidentin Young und ihr Ausschuss hatten die Kinder auch aufgefordert, etwas über das Buch Mormon zu lernen.
Präsident Benson war begeistert, dass Kinder aus aller Welt der Aufforderung nachkamen. Beim Familienabend und in der Primarvereinigung sangen sie vom Buch Mormon, spielten Geschichten nach und machten Spiele, die Botschaften aus dem Buch Mormon vermittelten. Manche Kinder verdienten sogar Geld, um Bücher Mormon zu kaufen, die dann in der ganzen Welt verteilt werden sollten.
In seiner Botschaft forderte Präsident Benson die Kinder auf, jeden Tag zum Vater im Himmel zu beten. „Dankt ihm dafür, dass er unseren ältesten Bruder, Jesus Christus, auf die Welt geschickt hat. Er hat es möglich gemacht, dass wir in unser himmlisches Zuhause zurückkehren können.“
Im Laufe seines geistlichen Dienstes hatte Präsident Benson viele Male über das Sühnopfer Jesu Christi gesprochen. In den letzten Jahren hatte er vermehrt auch aus dem Buch Mormon zitiert, um Aspekte der Mission Christi zu betonen, die auch anderen Christen bekannt waren. Ein neues PV-Liederbuch, das den Heiligen bald zur Verfügung stehen sollte, unterstrich diese Botschaften. Das Liederbuch für Kinder verfügte über einen neuen Abschnitt mit dem Titel „Der Erretter“ und enthielt viel mehr Lieder über Jesus als das Vorgängerbuch Sing mit mir.
Immer wieder forderte Präsident Benson die Heiligen auf, sich zu Christus zu bekehren und seine errettende Gnade in Anspruch zu nehmen. „Durch seine Gnade“, so der Prophet, „werden wir stark genug, die nötigen Werke zu vollbringen, die wir aus eigener Kraft nicht vollbringen können.“
Gleichzeitig hielt er die Heiligen zu einem rechtschaffenen Leben an. In seiner Ansprache an die Kinder forderte er sie auf, mutig für ihre Überzeugung einzutreten. Er warnte sie auch davor, dass der Satan alles daransetzen werde, sie in Versuchung zu führen.
„Er hat das Herz schlechter Männer und Frauen gefangen“, erklärte er, „die möchten, dass ihr euch mit so etwas Schlechtem wie Pornografie, Drogen, schlechter Sprache und Unmoral beschäftigt.“ Er forderte die Kinder auf, Videos, Filme und Fernsehsendungen, die nicht gut sind, zu meiden.
Gegen Ende seiner Rede spendete Präsident Benson den Kindern Trost, die in Angst lebten. In den letzten Jahren hatten sich die Führer der Kirche verstärkt gegen Kindesmissbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung ausgesprochen, und die Kirche hatte Leitlinien veröffentlicht, um örtlichen Führern bei der Unterstützung von Betroffenen zu helfen.
„Sogar dann, wenn es so aussieht, als ob es keinen etwas kümmert, kümmert sich euer himmlischer Vater“, versprach der Prophet. „Er möchte, dass ihr beschützt und sicher seid. Wenn ihr es nicht seid, sprecht bitte mit jemandem, der euch helfen kann. Vater oder Mutter, ein Lehrer, euer Bischof oder ein Freund.“
Nachdem sich Präsident Monson gesetzt hatte, wurde eine Videoaufzeichnung gezeigt, in der Präsident Benson einer Gruppe von Kindern, die sich um ihn versammelt hatten, ein Lied vortrug. Danach sang der Tabernakelchor „Ich bin ein Kind von Gott“, und die Generalkonferenz wurde mit einem Schlussgebet beendet.