Weihnachten mit einem Pfarrer
Es war 1967 und ich war in Deutschland, in Hildesheim, auf Mission.Weihnachten rückte immer näher und ich freute mich darauf. Heiligabendwar ein Sonntag, und eine schöne Versammlung und weitere angemessene und besondere Feierlichkeiten waren geplant.
Aber zwei Wochen vor Weihnachten wurde ich nach Rendsburg versetzt. Mein Mitarbeiter, Elder Fadel, und ich waren neu dort, und ich fragte mich, wie die Mitglieder dort wohl waren und wie wir Weihnachten feiern mochten.
Wir erfuhren bald, dass es im Zweig Rendsburg nur wenige Mitglieder gab, und für den Heiligen Abend war kaum etwas außer einer besonderen Abendmahlsversammlung vorgesehen. Unsere Vermieterin gehörte der Kirche an. Bei ihr waren wir am ersten Weihnachtsfeiertag zum Abendessen eingeladen. Ich glaubte, das würde mein ganzes Weihnachtsfest sein. Aber bald sollte sich etwas ändern.
Die Missionare, die vor uns dort gewesen waren, hatten uns ein Notizbuch mit den Namen von verschiedenen Menschen hinterlassen, die Kontakt mit den Missionaren wünschten. Da in der Weihnachtszeit alle so beschäftigt waren, hatten wir keine Chance, neue Kontakte zu knüpfen. Also dachten wir, diese Namen könnten ein guter Anfang sein. Wir begannen, die Menschen, die auf der Liste standen, zu besuchen. Wir gingen zum Haus von Frau Lübbert, einer, wie wir feststellten, wunderbaren, fröhlichen Dame. Sie bat uns herein und wir erfuhren, dass ihr Mann evangelischer Pfarrer gewesen war. Er war in jenem Jahr gestorben. Ihr Sohn war auch Pfarrer. Zu Weihnachten wollte er nach Hause kommen und es war das erste Weihnachtsfest, das die beiden ohne Ehemann und Vater verbrachten. Plötzlich strahlte sie uns an und fragte, ob wir sie Heiligabend besuchen wollten. Da wir nichts anderes vorhatten, nahmen wir die Einladung an.
Der Heilige Abend brach an. Wir hatten eine wunderschöne Abendmahlsversammlung, in der wir über den Erretter sprachen und die Weihnachtsgeschichte hörten. Mein Mitarbeiter und ich halfen beim Abendmahl. Dabei dachten wir darüber nach, dass der Erretter für uns das Leben hingegeben hat.
Nach der Versammlung waren wir mit den Lübberts an der evangelischen Kirche verabredet. Wir gingen durch den Park und es fing gerade an zu schneien. Wir blieben stehen und sahen zu, wie Kinder und Eltern auf einem zugefrorenen Teich Schlittschuh liefen. Hie und da sahen wir Weihnachtslichter und hörten Kirchenglocken läuten, die zur Christmette riefen.
Die Lübberts warteten in ihrer Kirche auf uns. Es herrschte ein wunderbarer Geist; wir hörten dem Pfarrer zu und sangen Weihnachtslieder – wobei die Kirche älter war als einige der Lieder. Für uns war es auch etwas ganz Besonderes, das Lied „Stille Nacht“ in der Originalsprache zu singen.
Nach dem Gottesdienst stiegen wir in Pfarrer Lübberts Auto und fuhren zu den Lübberts nach Hause. Frau Lübbert hatte für das Abendessen eine Gans zubereitet und musste noch letzte Hand anlegen. In der Zeit unterhielten mein Mitarbeiter und ich uns mit Pfarrer Lübbert über seine Tätigkeit als Pfarrer. Er erzählte, dass er sich in einer Bewegung engagierte, die sich bemühte, die christlichen Kirchen einander näher zu bringen. Viele hegten diesen Traum, aber andere stellten sich dagegen und bekämpften diese Bewegung.
Dann sprachen wir über unseren geistlichen Dienst. Wir erzählten ihm vom Buch Mormon und von der Wiederherstellung der Kirche. Wir erzählten ihm von lebenden Propheten und sprachen über Jesus Christus. Wir gaben Zeugnis davon, dass er unser Erretter ist. Zwischen uns herrschte keine Feindseligkeit. Keiner setzte den Glauben des anderen herab. Wenn ich daran zurückdenke, kommen mir die Worte aus 2 Nephi 25:26 in den Sinn. An diesem Heiligen Abend haben wir wahrhaftig von Christus geredet und uns über Christus gefreut. Er stand im Mittelpunkt und war der Grund unseres Beisammenseins.
Als wir das Haupt neigten, um das Essen zu segnen, bat Pfarrer Lübbert um einen Segen für seine Mitknechte in der Sache Christi, dass wir zu jenen geführt würden, die Jesus suchten. Das Essen war hervorragend – es gab Gänsebraten mit vielen Beilagen und besondere deutsche Nachspeisen.
Es ist eine deutsche Tradition, dass die Eltern dann in das Zimmer gehen, wo auch der gerade geschmückte Weihnachtsbaum steht, und die Kerzen am Baum anzünden. Dann dürfen die Kinder das Zimmer betreten und den Baum und ihre Geschenke ansehen. Also zog sich Frau Lübbert in das Wohnzimmer zurück und schloss die große Schiebetür. Kurz darauf öffnete sie die Tür und bat ihre „Söhne“ herein.
Wir betraten das Zimmer. Die einzige Lichtquelle war der gedämpfte Schein der Weihnachtsbaumkerzen. Frau Lübbert gab meinem Mitarbeiter und mir Geschenke: ein paar Süßigkeiten und einen Bildband über Rendsburg. Dann überreichte sie ihrem Sohn die Geschenke und sie hielten einen Augenblick lang inne und dachten an ihren Ehemann und Vater. Danach schlugen wir in der Bibel das Lukasevangelium auf und lasen die Weihnachtsgeschichte. Der Geist berührte uns alle und bezeugte erneut, dass diese Geschichte wahr ist. Wir sangen Weihnachtslieder und die Texte bezeugten uns die Liebe, die wir für Jesus Christus empfanden, für sein Leben, seine Lehren und die kostbarste Gabe – sein Sühnopfer.
Ich glaube, dass meine Füße an jenem Abend nicht den Boden berührten, als wir zur Bushaltestelle gingen. Der Weihnachtsmann war nicht gekommen. Ich war nicht umhergerannt, um Geschenke zu kaufen. Ich hatte kein Konzert besucht oder die traditionellen Weihnachtsfilme angeschaut. Meine Familie war weit weg, die Pakete von zu Hause hatte ich aufgrund der Versetzung noch nicht erhalten. Aber so glücklich wie an dem Abend war ich am Heiligen Abend noch nie gewesen. Zum ersten Mal in meinem Leben war mein Weihnachtsfest völlig auf Christus ausgerichtet gewesen. Und das einzige Geschenk, das ich gemacht hatte, war mein Zeugnis von ihm.
Blaine K. Gehring gehört zur Gemeinde East Mill Creek 4 im Pfahl East Mill Creek in Salt Lake City.