Botschaft von der Ersten Präsidentschaft
Unsere kleinen Kinder
Als unsere Enkelkinder noch klein waren, sind meine Frau und ich einmal mit einigen von ihnen in den Zirkus gegangen. Ich weiß noch, dass ich ihnen und den vielen Gleichaltrigen mit größerem Interesse zugeschaut habe als dem Mann am Trapez. Voll Staunen beobachtete ich, wie sie abwechselnd lachten und mit weit geöffneten Augen das Geschehen in der Arena verfolgten. Und ich dachte darüber nach, dass Kinder eigentlich ein Wunder sind, denn durch sie wird das Leben auf der Welt und dessen Zweck unablässig erneuert. Während ich beobachtete, wie sie gebannt zuschauten, musste ich sogar in dieser Zirkusatmosphäre an die schöne und ergreifende Szene in 3 Nephi denken, wo geschildert wird, wie der auferstandene Herr kleine Kinder in den Arm nahm und weinte, als er sie segnete und zu den Leuten sagte: „Seht eure Kleinen.“ (3 Nephi 17:23.)
Es ist ganz offensichtlich, dass sowohl das viele Gute als auch das schreckliche Böse in der heutigen Welt Früchte der Kindererziehung von gestern sind – die einen süß, die anderen bitter. Unsere Welt wird in wenigen Jahren so aussehen, wie wir die heranwachsende Generation erziehen. Wenn Sie sich wegen der Zukunft Sorgen machen, dann kümmern Sie sich um die Erziehung Ihrer Kinder. Der Verfasser der Sprichwörter hat es weise ausgedrückt: „Erzieh den Knaben für seinen Lebensweg, dann weicht er auch im Alter nicht davon ab.“ (Sprichwörter 22:6.)
Als ich noch ein Kind war, verbrachten wir den Sommer auf einer Obstplantage. Wir bauten Pfirsiche in großen Mengen an. Unser Vater nahm uns zu Vorführungen in der Landwirtschaftsschule mit, wo gezeigt wurde, wie man Bäume beschneidet. Im Januar und Februar gingen wir jeden Samstag zur Plantage hinaus und beschnitten die Bäume. Wir lernten, wie man dadurch, dass man an den richtigen Stellen Schnitte vornimmt und Zweige absägt, selbst dann, wenn Schnee liegt und das Holz tot zu sein scheint, einen Baum so formen kann, dass die Sonne die Früchte erreicht, die im Frühling und Sommer hervorkommen. Wir lernten auch, dass wir im Februar recht gut bestimmen konnten, was für Früchte wir im September ernten würden.
E. T. Sullivan hat einmal die folgenden interessanten Worte geschrieben: „Wenn Gott will, dass in der Welt ein großes Werk vollbracht oder ein großes Unrecht wiedergutgemacht wird, geht er auf höchst ungewöhnliche Weise vor. Er entfesselt weder Erdbeben noch sendet er Blitze und Donner, sondern er lässt ein hilfloses Baby auf die Welt kommen, vielleicht in der bescheidenen Wohnung irgendeiner unbekannten Mutter. Sodann gibt er der Mutter einen Gedanken ins Herz, und sie gibt ihn an das Kind weiter. Und dann wartet Gott. Die stärksten Kräfte auf dieser Welt sind nicht Erdbeben, Blitz und Donner, sondern Babys.“1
Und ich möchte hinzufügen: Diese Babys werden später gute oder böse Kräfte fördern, was zum großen Teil davon abhängt, wie man sie erzieht. Der Herr hat unmissverständlich gesagt: „Ich … habe euch geboten, eure Kinder in Licht und Wahrheit aufzuziehen.“ (LuB 93:40.)
Vier Grundregeln
Bitte verzeihen Sie, wenn ich etwas vorschlage, was offensichtlich ist. Ich tue das nur, weil das Offensichtliche allzu oft außer Acht gelassen wird. Offensichtlich sind vier Grundregeln, was Kinder betrifft: Man muss sie 1) lieben, 2) unterweisen, 3) achten und 4) mit ihnen und für sie beten.
Eine Zeit lang klebte an vielen Autos ein Aufkleber mit der Frage: „Hast du heute schon dein Kind umarmt?“ Wie glücklich und gesegnet ist doch ein Kind, das die Liebe seiner Eltern fühlt. Dieses Gefühl der Liebe und Geborgenheit wird in späteren Jahren kostbare Früchte hervorbringen. Die Härte und Kälte, die weite Kreise unserer Gesellschaft kennzeichnet, ist größtenteils ein Ergebnis der Härte und Kälte, der die Kinder Jahre zuvor ausgesetzt waren.
Die Nachbarschaft, in der ich aufwuchs, war gewissermaßen ein Mikrokosmos der Welt, wo sehr verschiedenartige Menschen lebten. Sie bildeten eine eng zusammengewachsene Gruppe, und ich glaube, wir kannten sie alle. Ich glaube auch, dass wir sie alle gern hatten – das heißt, alle bis auf einen Mann. Ich muss etwas gestehen: Ich konnte diesen Mann nicht ausstehen. Ich bin zwar mittlerweile von dieser Regung umgekehrt, aber rückblickend wird mir die Intensität meines Gefühls durchaus wieder bewusst. Woher kam diese starke Abneigung? Weil er seine Kinder mit dem Riemen, dem Stock oder was ihm gerade in die Hand kam, prügelte, wenn sie seinen schnell erregten Zorn nur im Geringsten entfachten.
Vielleicht lag es daran, dass ich in einer Familie lebte, wo es einen Vater gab, der seine Kinder wie durch Zauberkraft disziplinieren konnte, ohne sich irgendwelcher Züchtigungsmittel bedienen zu müssen, obwohl sie es gelegentlich wohl verdient hätten.
Inzwischen weiß ich, dass der Mann, den ich nicht leiden konnte, zu der Sorte Eltern gehört, die anscheinend außerstande sind, diejenigen, die sie in die Welt gesetzt haben, anders als nur grob zu behandeln. Außerdem ist mir klar geworden, dass dieser Mann, der in meinen Kindheitserinnerungen seinen Platz hat, nur ein Beispiel für unzählige andere auf der ganzen Welt ist, die Kinder misshandeln und missbrauchen. Jeder Sozialarbeiter, jeder Diensthabende in der Notaufnahme eines größeren Krankenhauses, jeder Polizist, jeder Richter in einer großen Stadt kann von solchen Menschen berichten. Die ganze Tragik zeigt sich dann, wenn kleine Kinder geprügelt, getreten, geschlagen oder gar sexuell missbraucht werden. In das Umfeld dieser gewalttätigen Kinderschänder gehören auch lasterhafte Menschen, die Kinder für pornografische Zwecke ausnutzen.
Auf diese hässlichen Vorstellungen will ich gar nicht weiter eingehen. Ich möchte dazu nur eines sagen: Wer sich als Anhänger Christi oder Mitglied dieser Kirche ausgibt, ob Mann oder Frau, kann Derartiges nicht tun, ohne Gott zu beleidigen und die Lehre seines Sohnes mit Füßen zu treten. Jesus selbst stellte ein Kind in die Mitte, als Beispiel für die Reinheit und Unschuld von Kindern, und sagte dann: „Wer einen von diesen Kleinen … zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde.“ (Matthäus 18:6.) Kann man diejenigen, die Kinder misshandeln, nachdrücklicher verurteilen, als der Erlöser der Menschheit es mit diesen Worten getan hat?
Fangen Sie bei sich an
Möchten Sie, dass sich der Geist der Liebe in der Welt ausbreitet? Dann beginnen Sie damit in Ihrer eigenen Familie! Betrachten Sie Ihre kleinen Kinder und erblicken Sie in ihnen die Wunder Gottes, aus dessen Gegenwart sie gerade gekommen sind.
Präsident Brigham Young (1801–1877) hat einmal gesagt: „Ein Kind liebt das Lächeln seiner Mutter, aber es hasst ihr Stirnrunzeln. Ich sage den Müttern, sie sollen nicht zulassen, dass die Kinder Böses tun, gleichzeitig sollen sie sie aber milde behandeln.“2
Weiter hat er erklärt: „Erzieht eure Kinder dazu, dass sie den Herrn lieben und fürchten; befasst euch mit ihren Neigungen und ihrem Temperament und behandelt sie dementsprechend; lasst euch nie dazu verleiten, sie in hitziger Leidenschaft zu züchtigen. Lehrt sie, euch zu lieben und nicht zu fürchten.“3
Natürlich muss man ein Kind zuweilen zurechtweisen. Wenn man es aber zu streng oder gar auf grausame Weise bestraft, führt dies unweigerlich dazu, dass das Kind nicht sein Verhalten ändert, sondern von Groll und Erbitterung erfüllt wird. Damit verbessert man nichts, sondern verschlimmert das Problem nur. Man bewirkt genau das Gegenteil. Als der Herr ausführte, in welchem Geist seine Kirche regiert werden soll, bezog er sich auch auf den Geist, der in der Familie herrschen soll, wie folgende Offenbarung belegt:
„Keine Macht und kein Einfluss [kann und soll] anders geltend gemacht werden als nur mit überzeugender Rede, mit Langmut, mit Milde und Sanftmut und mit ungeheuchelter Liebe …, alsbald mit aller Deutlichkeit zurechtweisend, wenn vom Heiligen Geist dazu bewegt; und danach demjenigen, den du zurechtgewiesen hast, vermehrte Liebe erweisend, damit er nicht meint, du seiest sein Feind, damit er weiß, dass deine Treue stärker ist als die Fesseln des Todes.“ (LuB 121:41,43,44.)
Das Vorbild bleibt in Erinnerung
„Seht eure Kleinen“, und unterweist sie recht. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern, dass Ihr Beispiel mehr zählt als alles andere, um einem Kind die richtigen Verhaltensweisen einzuprägen. Es ist immer interessant, den Kindern alter Freunde zu begegnen und zu sehen, wie sich in einer neuen Generation das Verhalten der Väter und Mütter widerspiegelt.
Im alten Rom soll sich einmal eine Gruppe Frauen voller Eitelkeit gegenseitig ihren Schmuck gezeigt haben. Darunter war Cornelia, die Mutter von zwei Jungen. Als eine der Frauen sie fragte: „Und wo ist dein Schmuck?“, wies sie auf ihre beiden Söhne und antwortete: „Das sind meine Juwelen!“ Unter ihrer Obhut wuchsen die Söhne auf und ahmten die Mutter nach. Als Gaius und Tiberius Gracchus – die Gracchen, wie man sie nannte – gehörten sie zu den einflussreichsten und erfolgreichsten Reformern in der Geschichte Roms. Solange man sich ihrer noch erinnert und von ihnen spricht, wird man auch lobend die Mutter erwähnen, die sie nach dem Vorbild ihres eigenen Lebens großgezogen hat.
Ich möchte noch einmal auf die Worte Brigham Youngs zurückkommen: „Seid allezeit darum bemüht, dass die Kinder, die Gott euch in seiner Güte gegeben hat, von klein auf lernen, wie wichtig die Wahrworte Gottes und wie wunderbar die Grundsätze unserer heiligen Religion sind, damit sie sie, wenn sie zu Männern und Frauen herangewachsen sind, noch immer wertschätzen und niemals von der Wahrheit lassen.“4
Mir ist bewusst, dass einige Eltern trotz aller überschwänglichen Liebe und eifriger und beständiger Bemühungen, die Kinder zu unterweisen, mitansehen müssen, wie sie sich in entgegengesetzter Richtung entwickeln, und darüber weinen, wie ihre ungeratenen Söhne und Töchter vorsätzlich einen Weg einschlagen, der zu tragischen Konsequenzen führt. Ihnen gilt mein Mitgefühl, und für gewöhnlich verweise ich sie auf die Worte Ezechiels: „Ein Sohn soll nicht die Schuld seines Vaters tragen und ein Vater nicht die Schuld seines Sohnes.“ (Ezechiel 18:20.)
Dies ist aber eher die Ausnahme als die Regel. Solche Sonderfälle entbinden uns nicht davon, diejenigen, für die Gott uns eine heilige Verantwortung gegeben hat, mit Liebe, gutem Beispiel und richtigen Grundsätzen nach besten Kräften großzuziehen.
Vergessen wir auch nie, dass wir unsere kleinen Kinder achten müssen. Aus dem offenbarten Wort des Herrn wissen wir, dass sie ebenso wie wir Kinder Gottes sind. Damit verdienen sie die Achtung, die sich aus der Kenntnis dieses ewigen Grundsatzes ergeben muss. Der Herr hat uns sogar deutlich wissen lassen, dass wir nur dann in seine Gegenwart eingehen dürfen, wenn wir ebenso rein, unschuldig und ohne Falschheit werden wie die Kinder: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matthäus 18:3.)
Von Channing Pollock stammen diese interessanten und herausfordernden Worte: „Wenn man bedenkt, wie wir als junger Mensch das Unrecht verachtet haben, müssten einige von uns eigentlich wünschen …, wir könnten als alter Mensch auf die Welt kommen und immer jünger und reiner, einfacher und unschuldiger werden, bis wir uns schließlich mit der unbefleckten Seele eines kleinen Kindes zur ewigen Ruhe niederlegen.“5
Quellen der Kraft
„Seht eure Kleinen!“ Beten Sie mit ihnen. Beten Sie für sie, und segnen Sie sie. Sie kommen in eine komplizierte, schwierige Welt, wo sie sich gegen eine Flut widriger Umstände behaupten müssen. Dafür brauchen sie so viel Kraft und Glauben, wie Sie ihnen in der Zeit, da sie bei Ihnen sind, nur mitgeben können. Dazu bedürfen sie auch einer noch größeren Kraft, die ihnen nur aus der Macht Gottes zufließen kann. Von ihnen wird mehr verlangt, als einfach mit dem Strom zu schwimmen. Sie müssen die Welt auf eine höhere Stufe heben, und die einzigen Mittel, die sie dafür einsetzen können, sind ihr eigenes Vorbild und die Überzeugungskraft, die sich aus ihrem Zeugnis ergibt und aus ihrer Erkenntnis dessen, was von Gott kommt. Sie brauchen die Hilfe des Herrn. Beten Sie mit ihnen, solang sie noch klein sind, damit sie die Kraftquelle kennenlernen, auf die sie jederzeit zurückgreifen können, wenn sie in Not sind.
Ich höre allzu gern zu, wenn ein Kind betet. Ich höre auch gern zu, wenn Eltern für ihre Kinder beten. Ich empfinde Ehrfurcht vor dem Vater, der mit der Vollmacht des heiligen Priestertums seinem Sohn oder seiner Tochter die Hände auflegt, wenn eine schwierige Entscheidung ansteht, und seinem Kind im Namen des Herrn und unter der Führung des Heiligen Geistes einen väterlichen Segen spendet.
Wie viel besser wäre es um die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben, bestellt, wenn jeder Vater seine Kinder als sein kostbarstes Gut betrachtete, wenn er sie gütig und liebevoll durch sein Vorbild lenkte und sie in Zeiten, da sie besonderen Belastungen ausgesetzt sind, mit der Macht des heiligen Priestertums segnete; und wenn jede Mutter ihre Kinder als Juwelen ansähe, als Geschenk vom Gott des Himmels, der ihr ewiger Vater ist, und sie voll echter Liebe nach der Weisheit und Weisung des Herrn erzöge.
Jesaja sagte einst: „Alle deine Söhne werden Jünger des Herrn sein und groß ist der Friede deiner Söhne.“ (Jesaja 54:13.) Dem möchte ich hinzufügen: „Groß soll auch der Friede und die Freude ihrer Väter und Mütter sein.“
FÜR DIE HEIMLEHRER
Bereiten Sie sich gebeterfüllt vor und tragen Sie diese Botschaft anhand einer Unterrichtsmethode vor, bei der Ihre Zuhörer einbezogen werden. Dazu einige Beispiele:
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Zeigen Sie ein Bild vom Heiland zusammen mit Kindern. Lesen Sie mit der Familie einige der Schriftstellen, die Präsident Hinckley in dem Artikel zitiert, und sprechen Sie darüber. Veranschaulichen Sie die Schriftstellen mit Beispielen aus dem Artikel. Erklären Sie zum Schluss, inwiefern diese Schriftstellen für Sie eine Richtschnur waren.
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Werfen Sie einen kleinen Gegenstand in eine Schüssel Wasser, um die Wellenbildung zu demonstrieren. Lesen Sie Teile aus dem Abschnitt „Vier Grundregeln“ und machen Sie deutlich, wie sich das Handeln der Eltern auf die Kinder auswirkt. Lesen Sie zum Abschluss die letzten beiden Absätze des Artikels vor.
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Wenn es in der Familie kleine Kinder gibt, kann man die Macht des Vorbilds verdeutlichen, indem alle nachmachen, was einer vormacht. Der Betreffende kann in die Hände klatschen, drei Schritte gehen, sich umdrehen usw. Lesen Sie den ersten Absatz im Abschnitt „Das Vorbild bleibt in Erinnerung“, und erzählen Sie die Geschichte von der römischen Frau und welche Einstellung sie zu ihren Kindern hatte. Besprechen Sie, wie sich ihr Beispiel auf ihre Söhne ausgewirkt hat. Sie können ein, zwei Zitate aus diesem Abschnitt vorlesen. Geben Sie Zeugnis von der Macht des Beispiels.