2009
Lass Tugend deine Gedanken zieren
November 2009


Lass Tugend deine Gedanken zieren

Wir müssen fest und entschlossen dazu stehen, christliche Tugenden aufrechtzuerhalten.

Bishop H. David Burton

Danke, Elder Pace, für dieses schöne Anfangsgebet – für die Zuhörer und besonders auch für die Sprecher.

„Lass Tugend immerfort deine Gedanken zieren; dann wird dein Vertrauen in der Gegenwart Gottes stark werden.“ (LuB 121:45.)

Als mein zwölfter Geburtstag näherrückte, gab es noch ein paar Bedingungen, die ich erfüllen musste, ehe ich die PV abschließen konnte. Eine davon war, die 13 Glaubensartikel in der vorgegebenen Reihenfolge aufzusagen. Die ersten zwölf Artikel waren ja relativ leicht, aber der 13. war viel schwieriger. Die Schwierigkeit lag darin, sich die Reihenfolge der Tugenden zu merken. Dank einer geduldigen und beharrlichen PV-Lehrerin gelang mir das Auswendiglernen schließlich.

Jahre später zogen meine Frau, die Kinder und ich in unser erstes Haus. Wir waren überrascht, als wir erfuhren, dass meine ehemalige PV-Lehrerin nebenan wohnte. Während der vierzig Jahre, die wir in derselben Nachbarschaft wohnten, hat sie unser kleines Geheimnis über meine Lernschwäche für sich behalten.

„Wir glauben, dass es recht ist, ehrlich, treu, keusch, gütig und tugendhaft zu sein und allen Menschen Gutes zu tun; ja, wir können sagen, dass wir der Ermahnung des Paulus folgen – wir glauben alles, wir hoffen alles, wir haben viel ertragen und hoffen, alles ertragen zu können. Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist, so trachten wir danach.“ (13. Glaubensartikel.)

Ich möchte heute über Eigenschaften sprechen, die wir als Tugenden bezeichnen. Tugendhafte Eigenschaften sind die Grundelemente eines christlichen Lebens und äußerer Ausdruck des inneren Menschen. Die einzelnen Tugenden enden oft auf die Nachsilbe „-heit“ oder „-keit“. Einige davon sind Redlichkeit, Keuschheit, Geistigkeit, Verantwortlichkeit, Höflichkeit; aber auch Demut, Nächstenliebe und Treue sind die Tugenden, über die ich heute spreche. Die Nachsilben -heit und -keit bezeichnen häufig einen Zustand oder eine Eigenschaft.

Wenn wir aufmerksam beobachten, was in der Gesellschaft vor sich geht, erkennen wir, dass diese Tugenden immer seltener werden. Denken Sie nur an das Verhalten der Autofahrer auf verstopften Straßen; aggressives Fahren ist an der Tagesordnung. In der politischen Diskussion gibt es keine Spur von Höflichkeit. Während die Länder dieser Welt vor finanziellen und wirtschaftlichen Herausforderungen stehen, scheinen Treue und Ehrlichkeit durch Gier und Korruption ersetzt worden zu sein. Wenn man eine Schule besucht, bekommt man oft grobe Ausdrücke zu hören und unanständige Kleidung zu sehen. So mancher Sportler zeigt kaum Sportsgeist und nur selten Demut, außer wenn er öffentlich für rechtliche oder moralische Verfehlungen angeprangert wird. Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich kaum verantwortlich für das eigene materielle Wohlergehen. In finanzieller Not geben viele den Banken und Kreditgebern die Schuld dafür, Geldsummen bereitgestellt zu haben, mit denen unersättliche Wünsche statt finanzierbare Bedürfnisse befriedigt wurden. Gelegentlich weicht unsere Großzügigkeit bei der Unterstützung einer guten Sache unserer Gier, mehr zu besitzen, als wir brauchen.

Brüder und Schwestern, wir dürfen keinen Anteil an der Tugendmisere haben, die unsere Gesellschaft durchsetzt und infiziert. Wenn wir der Welt folgen und uns von christlichen Tugenden abwenden, könnte das katastrophale Folgen haben. Glaube und Treue des Einzelnen, was ja von Belang für die Ewigkeit ist, werden schwinden. Der Zusammenhalt und die Geistigkeit in der Familie werden darunter leiden. Der Einfluss der Religion auf die Gesellschaft wird abnehmen und die Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt und vielleicht sogar gänzlich abgeschafft werden. Der Same all dessen, was den natürlichen Menschen quält, wird zur hellen Freude des Satans gelegt sein.

Wir müssen fest und entschlossen dazu stehen, christliche Tugenden aufrechtzuerhalten – auch die von mir genannten einfachen Tugenden des täglichen Lebens. Tugendhafte Eigenschaften müssen schon zu Hause von Eltern vermittelt werden, die aufmerksam und ein Vorbild sind. Das gute Beispiel der Eltern regt zur Nachahmung an; ein schlechtes Beispiel ist der Freibrief für die Kinder, die Lehren der Eltern zu missachten, und häufig übertreffen sie das schlechte Beispiel ihrer Eltern dann noch. Ein vorgetäuschtes Beispiel zerstört jede Glaubwürdigkeit.

Die achtjährige Megan spielt gern Klavier. Kürzlich versprach ihr ihre Klavierlehrerin einen Donut, wenn sie täglich übe. Die Lehrerin sagte, sie werde Donuts besorgen und Megan irgendwann in der Woche anrufen. Wenn sie an diesem Tag geübt hätte, würde sie die Belohnung bekommen. Als der Anruf kam, war Megan nicht zu Hause und konnte nicht Bericht erstatten. Bei der wöchentlichen Unterrichtsstunde fragte die Lehrerin Megan, ob sie geübt habe, worauf Megan antwortete, sie denke schon, und die Belohnung annahm. Als Megans Mutter den Donut sah, unterhielt sie sich mit Megan darüber und erklärte ihr, dass sie ehrlich sein müsse. Von ihrer Mutter dazu ermuntert, rief Megan ihre Lehrerin an und entschuldigte sich. Als Lehrerin und Schülerin sich dann trafen, stellte sich heraus, dass Megan ihre Musiktheorieaufgabe wirklich erfüllt und sich die Belohnung daher absolut verdient hatte. Dank weiser Eltern konnte Megan etwas Wichtiges lernen, woran sie noch lange denken wird.

Unser 15-jähriger Enkelsohn Ben läuft für sein Leben gern Ski. Er hat schon sehr erfolgreich an Wettbewerben teilgenommen. Vor einem dieser Wettbewerbe, der in Idaho stattfand, erinnerten ihn seine Eltern daran, dass seine Teilnahme von seinen Schulnoten abhing. Es wurde eine Ferienwohnung in Sun Valley reserviert, die Großeltern nahmen sich vor, beim Wettbewerb zuzuschauen, und Ben versuchte fieberhaft, die hohen schulischen Ziele zu erreichen, die er sich mit seinen Eltern gesteckt hatte. Letzten Endes verfehlte er aber das Ziel, wenn auch nur knapp. Ben verpasste den Skiwettkampf und verlor Punkte, die er zur Qualifikation für die Jugendspiele brauchte, lernte aber etwas sehr Wertvolles, nämlich Verantwortlichkeit und Zuverlässigkeit zu schätzen. Wenn Eltern standfest bleiben, bereitet ihnen das oft größere Qual als den Kindern, denen sie etwas beizubringen versuchen.

Präsident James E. Faust hat die Redlichkeit als Mutter vieler Tugenden bezeichnet. Er sagte, Redlichkeit könne als „standhaftes Einhalten eines Kodexes moralischer Werte“ definiert werden. Er erklärte auch, dass „Redlichkeit das Licht ist, das aus einem disziplinierten Gewissen erstrahlt; sie ist die uns innewohnende Kraft der Pflicht“ („Integrity, the Mother of Many Virtues“, Speaking Out on Moral Issues, 1998, Seite 61f.). Es ist schwierig, tugendhafte Eigenschaften an den Tag zu legen, wenn man nicht redlich ist. Ohne Redlichkeit wird Ehrlichkeit oft vergessen. Wenn es an Redlichkeit mangelt, leidet die Höflichkeit. Wenn Redlichkeit nicht wichtig ist, ist es schwer, Geistigkeit zu wahren. Zur Zeit des Alten Testaments riet Mose den Israeliten: „Wenn ein Mann dem Herrn ein Gelübde ablegt oder sich durch einen Eid zu einer Enthaltung verpflichtet, dann darf er sein Wort nicht brechen; genau so, wie er es ausgesprochen hat, muss er es ausführen.“ (Numeri 30:3.)

Präsident Thomas S. Monson hat uns vor einigen Jahren erklärt, dass „die meisten Menschen … keine Verzweiflungstaten begehen, wenn sie gelernt haben, dass Würde, Ehrlichkeit und Integrität wichtiger sind als Rache und Wut, und wenn sie verstehen, dass Achtung und Güte letzten Endes eher Aussicht auf Erfolg bieten“ („Family Values in a Violent Society“, Deseret News, 16. Januar 1994, Seite A12, zitiert in „Frieden finden“, Liahona, März 2004, Seite 4).

Vielleicht haben Sie schon einmal vom verlorenen Bataillon aus dem Ersten Weltkrieg gehört, von den verlorenen zehn Stämmen Israels oder auch von den verlorenen Jungs aus J. M. Barries Stück Peter Pan. Vielleicht kennen Sie auch Michael McLeans Album The Forgotten Carols. Tugendhafte Eigenschaften – insbesondere die anfangs genannten Tugenden – dürfen niemals vergessen oder außer Acht gelassen werden. Wenn sie vergessen oder außer Acht gelassen werden, werden sie unweigerlich zu „verlorenen Tugenden“. Falls die Tugenden verloren gehen, werden Familien spürbar geschwächt, der Glaube des Einzelnen an den Herrn Jesus Christus wird aufgeweicht und wichtige, ewige Beziehungen geraten in Gefahr.

Wenn Tugendhaftigkeit von vielen Menschen praktiziert wird, kann die Gesellschaft aus der Hand des Satans befreit und sein tückischer Plan, das Herz, den Sinn und den Geist der Menschen einzunehmen, vereitelt werden.

Wir müssen jetzt gemeinsam das retten und erhalten, was tugendhaft oder liebenswert ist, was „guten Klang hat oder lobenswert ist“. Wenn wir zulassen, dass Tugend immerfort unsere Gedanken ziert, und wir tugendhafte Eigenschaften hegen, werden die Gesellschaft und ihre Institutionen besser, unsere Kinder und Familien werden gestärkt, und Glaube und Redlichkeit werden den Einzelnen glücklich machen.

Ich bezeuge und verkünde, dass unser himmlischer Vater von seinen Kindern jederzeit Redlichkeit, Höflichkeit, Treue, Nächstenliebe, Großzügigkeit, Anstand und auch alle anderen Tugenden erwartet. Mögen wir die Demut besitzen, dies als Anlass zu nehmen, unsere Pflicht zu erfüllen und zu zeigen, dass wir dazu fähig sind. Darum bete ich im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.