Dass eure Lasten leicht seien
Lasten bieten uns die Gelegenheit, Tugenden an den Tag zu legen, die letztlich zu unserer Vervollkommnung beitragen.
Vor vielen Jahren ging ich einmal bei Tagesanbruch durch die engen, kopfsteingepflasterten Straßen von Cusco, hoch oben in den peruanischen Anden. Da sah ich einen der einheimischen Indianer die Straße entlanggehen. Er war von kleiner Statur, doch auf dem Rücken trug er einen riesigen Jutesack mit einer gewaltigen Menge Feuerholz. Der Sack schien so groß zu sein wie er. Die Last muss genauso schwer gewesen sein wie er. Er hatte sie mit einem Seil befestigt, das er um den Sack geschlungen und sich um die Stirn gewickelt hatte. An beiden Seiten des Kopfes hielt er die Seilenden fest in der Hand. An der Stirn hatte er einen Lumpen unter das Seil geklemmt, damit das Seil nicht in die Haut schnitt. Wegen der schweren Last ging er vornübergebeugt und mit schleppenden Schritten.
Der Mann trug das Feuerholz zum Markt, wo es verkauft werden sollte. An einem gewöhnlichen Tag legte er diese Strecke durch die Stadt vielleicht zwei oder drei Mal zurück, mit ebenso unbequemen, schweren Lasten.
Die Erinnerung an dieses Bild, wie der Mann sich in gebeugter Haltung mühsam die Straße entlangschleppte, hat für mich im Laufe der Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen. Wie lange konnte er wohl noch so schwere Lasten tragen?
Das Leben bürdet uns allerlei Lasten auf, wovon manche leicht, doch andere unerträglich schwer sind. Menschen mühen sich jeden Tag mit Lasten ab, die ihre Seele bedrücken. Viele von uns kämpfen mit solchen Lasten. Sie können in seelischer oder in körperlicher Hinsicht schwer sein. Sie können einen beunruhigen, bedrücken und aufreiben, und vielleicht muss man sie jahrelang ertragen.
Allgemein kann man sagen, dass unsere Lasten aus drei Quellen stammen. Manche Lasten sind das natürliche Ergebnis der Verhältnisse in der Welt, in der wir leben. Krankheiten, körperliche Behinderungen, Wirbelstürme und Erdbeben ereilen uns von Zeit zu Zeit, ohne dass wir etwas dafür können. Wir können uns auf diese Risiken vorbereiten, und manchmal kann man sie vorhersagen, aber im natürlichen Lauf der Dinge erleben wir alle einige dieser Herausforderungen.
Andere Lasten werden uns durch das Fehlverhalten anderer auferlegt. Misshandlung, Missbrauch und Suchtverhalten können dazu führen, dass für ein argloses Mitglied der Familie das Zuhause alles andere ist als der Himmel auf Erden. Sünde, falsche Traditionen, Unterdrückung und Verbrechen haben schon viele Opfer gefordert, ebenso können auch weniger schwerwiegende Vergehen wie Klatsch und Tratsch oder Lieblosigkeit schlimmes Leid verursachen.
Unsere eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten verursachen viele unserer Probleme und können uns schwere Lasten auf die Schultern laden. Die beschwerlichste Last, die wir uns selbst aufbürden, ist die Last der Sünde. Wir alle kennen die Reue und den Schmerz, die zwangsläufig folgen, wenn wir die Gebote nicht halten.
Ganz unabhängig davon, welche Lasten wir im Leben zu tragen haben – ob sie nun eine natürliche Ursache haben oder auf das Fehlverhalten anderer oder unsere eigenen Fehler und Schwächen zurückgehen –, sind wir doch alle Kinder des himmlischen Vaters, der uns liebt und uns gemäß seinem ewigen Plan auf die Erde gesandt hat, damit wir wachsen und uns weiterentwickeln. Die einzigartigen Erfahrungen, die jeder von uns macht, können uns bei der Vorbereitung auf unsere Rückkehr zu ihm helfen. Unser Ungemach und unsere Bedrängnisse, wie schwer zu tragen sie auch seien, werden aus himmlischer Sicht „nur einen kleinen Augenblick dauern, und dann, wenn [wir] gut darin [ausharren], wird Gott [uns] in der Höhe erhöhen“.1 Wir müssen unser Möglichstes tun, um unsere Lasten so lange, wie der „kleine Augenblick“ dauern mag, „gut“ zu tragen.
Lasten bieten uns die Gelegenheit, Tugenden an den Tag zu legen, die letztlich zu unserer Vervollkommnung beitragen. Sie sind eine Aufforderung, „den Einflüsterungen des Heiligen Geistes [nachzugeben] und den natürlichen Menschen [abzulegen] und durch das Sühnopfer Christi, des Herrn, ein Heiliger … und so … wie ein Kind [zu werden], fügsam, sanftmütig, demütig, geduldig, voll von Liebe und willig, sich allem zu fügen, was der Herr für richtig hält, [uns] aufzuerlegen, so wie ein Kind sich seinem Vater fügt“.2 So werden Lasten zu Segnungen – auch wenn solche Segnungen oftmals gut getarnt sind und man Zeit, Anstrengung und Glauben braucht, um sie anzunehmen und zu verstehen. Vier Beispiele mögen dies veranschaulichen:
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Erstens: Adam wurde gesagt, der Erdboden sei um seinetwillen, das heißt, zu seinem Wohl, verflucht, und im Schweiße seines Angesichts werde er sein Brot essen.3 Arbeit ist eine ständige Last, zugleich aber auch ein ständiger Segen, zu unserem Wohl, denn durch Arbeit lernen wir manches, was wir nur „im Schweiße [unseres] Angesichts“ lernen können.
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Zweitens: Alma bemerkte, dass die Armut und die „Bedrängnisse [der Armen unter den Zoramiten] sie wahrhaft demütig gemacht hatten und dass sie bereit waren, das Wort zu vernehmen“.4 Er sagte weiter: „Weil ihr gezwungen seid, demütig zu sein, seid ihr gesegnet.“5 Unsere wirtschaftlichen Sorgen mögen uns bereit machen, das Wort des Herrn zu vernehmen.
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Drittens: Wegen „der überaus langen Dauer [ihres] Krieges“, waren die Herzen vieler Nephiten und Lamaniten „so sehr erweicht worden wegen ihrer Bedrängnisse, dass sie sich vor Gott demütigten, bis in die Tiefen der Demut hinab“.6 Politische Unruhen, ein Chaos in der Gesellschaft und in einigen Teilen der Welt auch neuzeitliche Gadiantonräuber können uns bescheiden werden lassen und uns veranlassen, nach dem Schutz des Himmels vor den gesellschaftlichen Stürmen zu suchen.
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Viertens: Joseph Smith wurde gesagt, dass all das Schreckliche, was er seit Jahren durch die Hand seiner Feinde erdulden musste, ihm „Erfahrung bringen und [ihm] zum Guten dienen“ werde.7 Das Leid, das wir durch die Vergehen anderer erfahren, ist eine wertvolle, wenn auch schmerzhafte Schule, durch die wir unser eigenes Verhalten verbessern.
Außerdem können wir dadurch, dass wir unsere Lasten tapfer tragen, einen Vorrat an Verständnis für die Probleme anderer anlegen. Der Apostel Paulus hat gesagt, es solle „einer … des anderen Last“ tragen und damit das Gesetz Christi erfüllen.8 Unser Taufbündnis macht es demnach erforderlich, dass wir „willens [sind], einer des anderen Last zu tragen, damit sie leicht sei, ja, und willens …, mit den Trauernden zu trauern, ja, und diejenigen zu trösten, die des Trostes bedürfen“.9
Wenn wir unser Taufbündnis einhalten, erleichtern wir unsere eigene Last sowie auch die Lasten der beladenen Seelen, denen wir beistehen.10 Wer auf diese Weise Hilfe leistet, steht auf heiligem Boden. Der Erretter erklärte dies folgendermaßen:
„Wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben?
Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben?
Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“11
Durch all dies bietet uns der Heiland an, uns zu stärken und zu unterstützen, und zu seiner Zeit und auf seine Weise schenkt er uns Befreiung. Nachdem Alma und seine Anhänger den Heeren König Noas entkommen waren, gründeten sie eine Stadt, die sie Helam nannten. Sie bestellten den Boden, errichteten Gebäude und gediehen über die Maßen.12 Doch dann, ohne Vorwarnung, brachte ein Heer der Lamaniten sie in Knechtschaft und „niemand konnte sie befreien außer der Herr, ihr Gott“.13 Diese Befreiung erfolgte jedoch nicht sofort.
Die Feinde bürdeten „ihnen Arbeiten auf und setzte[n] Arbeitsaufseher über sie“.14 Obwohl ihnen mit dem Tod gedroht wurde, wenn sie beteten,15 schütteten Alma und sein Volk „ihr Herz vor [Gott] aus; und er wusste die Gedanken ihres Herzens“.16 Weil sie rechtschaffen waren und sich treu an ihr Taufbündnis17 hielten, wurden sie nach und nach befreit. Der Herr sagte ihnen:
„Ich werde … die Lasten, die euch auf die Schultern gelegt sind, leicht machen, sodass ihr sie nicht mehr auf eurem Rücken spüren könnt, selbst nicht während ihr in Knechtschaft seid; und das werde ich tun, damit ihr später als Zeugen für mich auftretet und damit ihr mit Gewissheit wisst, dass ich, der Herr, Gott, mich meines Volkes in seinen Bedrängnissen annehme.
Und nun begab es sich: Die Lasten, die Alma und seinen Brüdern aufgelegt waren, wurden leicht gemacht; ja, der Herr stärkte sie, sodass sie ihre Lasten mühelos tragen konnten, und sie unterwarfen sich frohgemut und mit Geduld in allem dem Willen des Herrn.
Und es begab sich: So groß war ihr Glaube und ihre Geduld, dass die Stimme des Herrn abermals an sie erging, nämlich: Seid voller Trost, denn morgen werde ich euch aus der Knechtschaft befreien.“18
Voller Barmherzigkeit bietet uns der Sohn Gottes Befreiung aus der Knechtschaft unserer Sünden an. Dies ist eine der schwersten Lasten, die wir überhaupt tragen können. Während des Sühnopfers litt Christus „gemäß dem Fleische, damit er die Sünden seines Volkes auf sich nehmen kann, damit er ihre Übertretungen auslöschen kann gemäß der Macht seiner Befreiung“.19 Christus hat „das für alle gelitten, damit sie nicht leiden müssen, sofern sie umkehren“.20 Wenn wir umkehren und die Gebote halten, gehen mit der Hilfe, die nur der Erlöser bieten kann, Vergebung einher und dass unser belastetes Gewissen erleichtert wird, denn „wer auch immer umkehrt, [wird] gewisslich Barmherzigkeit finden“.21
Ich denke immer wieder an den Mann in Peru, der vornübergebeugt und mit großer Mühe diesen riesigen Sack Feuerholz auf dem Rücken trug. Für mich ist er ein Gleichnis für uns alle, die wir uns mit den Lasten des Lebens abmühen. Ich weiß: Wenn wir die Gebote und die Bündnisse, die wir mit Gott geschlossen haben, halten, hilft er uns mit unseren Lasten. Er gibt uns Kraft. Wenn wir Umkehr üben, vergibt er uns und segnet uns mit Frieden im Gewissen und mit Freude.22 Mögen wir uns dann frohgemut und mit Geduld in allem dem Willen des Herrn unterwerfen. Darum bitte ich im Namen Jesu Christi. Amen.