Treuhandschaft – eine heilige Pflicht
Wir dienen unserem Nächsten, weil wir daran glauben, dass Gott dies möchte.
Wir leben in einer gefährlichen Zeit, in der viele glauben, dass wir vor Gott keine Rechenschaft ablegen müssen und keine Verantwortung oder Treuhandschaft uns selbst oder anderen gegenüber haben. Viele versinken in Selbstsucht, setzen die eigenen Bedürfnisse an die erste Stelle, und das Vergnügen ist ihnen wichtiger als Rechtschaffenheit. Sie sind nicht der Ansicht, dass sie ihres Bruders Hüter sind. In der Kirche jedoch glauben wir daran, dass Treuhandschaft eine heilige Pflicht ist.
Vor kurzem besuchten einige sehr angesehene jüdische Führer und Rabbiner Einrichtungen der Kirche im Salzseetal, darunter den Welfare Square, das Zentrum für humanitäre Hilfe, das Genealogie-Archiv und den Oquirrh-Mountain-Utah-Tempel während der Tage der offenen Tür. Am Ende des Besuchs erklärte einer der bedeutendsten Rabbiner Amerikas, was er gesehen und verspürt hatte.1
Er zitierte einige jüdische Denker aus dem Talmud2 und wies darauf hin, dass es zwei sehr unterschiedliche Gründe dafür gebe, warum Menschen sich gütig oder großzügig verhalten. Manche Leute besuchen die Kranken, helfen den Armen und dienen dem Nächsten, weil sie glauben, dass es richtig ist und dass andere dasselbe für sie tun werden, wenn sie einmal in Not sind. Er erklärte, das sei zwar gut, man baue Gemeinschaften auf, die einander helfen, und es sei ein edles Motiv, aber es wäre ein noch höherer Beweggrund, wenn man seinem Nächsten dient, weil man daran glaubt, dass Gott dies möchte.
Er sagte, nach diesem Besuch glaube er, dass die Heiligen der Letzten Tage wohltätige und humanitäre Anstrengungen unternehmen und das Erlösungswerk im Tempel verrichten, um das zu tun, was wir für Gottes Willen halten.
Dieses Verantwortungsbewusstsein, wie es auch im ersten Gebot – Gott zu lieben – inbegriffen ist, hat einmal jemand beschrieben als „Gehorsam, der nicht erzwungen werden kann“.3 Wir wollen das Rechte tun, weil wir den Vater im Himmel lieben und ihm gefallen wollen, und nicht, weil uns jemand zum Gehorsam zwingt.
Der Krieg im Himmel brach aus, als der Satan erklärt hatte, dass er alle zwingen wolle, ihm gehorsam zu sein. Das wurde verworfen. Daher haben wir jetzt die sittliche Entscheidungsfreiheit und können selbst wählen, welchen Weg wir beschreiten. Aber für diese Entscheidungsfreiheit müssen wir auch Rechenschaft ablegen. Der Herr hat gesagt, dass „jedermann am Tag des Gerichts für seine Sünden selbst verantwortlich sei.“4 Rechenschaft und Treuhandschaft spielen in unserer Lehre eine bedeutende Rolle.5
In der Kirche ist Treuhandschaft nicht auf eine vorübergehende Pflicht oder Verantwortung beschränkt. Präsident Spencer W. Kimball hat gesagt: „Wir sind Treuhänder für unseren Körper, unsere Gedanken, unsere Familie und unser Eigentum. … Ein treuer Verwalter übt gerechte Herrschaft aus, sorgt für die Seinen und kümmert sich um die Armen und Bedürftigen.“6
Von den vielen Bereichen, über die wir Treuhänder sind, will ich heute zwei besprechen. Erstens: Treuhandschaft für uns selbst und unsere Familie. Zweitens: Treuhandschaft für die Armen und Bedürftigen.
Der Herr hat über Rechenschaft und Treuhandschaft oft anhand von Gleichnissen gesprochen. Als kleiner Junge besuchte ich im Sommer oft meine Großeltern auf ihrer Ranch. Sie hatten weder Strom noch fließend Wasser noch sanitäre Anlagen. Neben ihrem kleinen Haus befand sich jedoch eine Wasserquelle. Die Quelle speiste einen kleinen Teich mit klarem, reinem Wasser. Mehrmals am Tag half ich meiner Großmutter, Wasser zum Trinken, zum Kochen, zum Baden und zum Wäschewaschen ins Haus zu holen. Meinen Großeltern lag diese lebenspendende Quelle sehr am Herzen, und sie trafen besondere Vorkehrungen, um sie zu schützen.
Viele Jahre später, als mein Großvater Anfang neunzig war, wohnte er nicht mehr auf dem Grundstück und konnte sich auch nicht mehr darum kümmern. Einmal brachte ich ihn zu der Ranch, die ihm so wichtig war. Seine frohe Erwartung schlug in Enttäuschung um, als er sah, dass der Zaun, der die Quelle geschützt hatte, in schlechtem Zustand war und die Kühe die Quelle beschädigt hatten. Das kostbare, reine Quellwasser war nun völlig verschmutzt. Der Schaden und die Verschmutzung ärgerten ihn. Die Verpflichtung, an die er sich sein ganzes Arbeitsleben lang gehalten hatte, war gebrochen. Ihm schien, als hätte er diese lebenserhaltende Quelle, die ihm so wichtig war, nicht ausreichend geschützt.
So wie die reine Quelle verschmutzt wurde, als sie nicht geschützt war, leben wir in einer Zeit, in der Tugend und Keuschheit ungeschützt sind.7 Die ewige Bedeutung sittlichen Verhaltens wird missachtet. Ein liebevoller Vater im Himmel hat uns die Mittel gegeben, um seine Geistkinder zur Erde zu bringen, damit sie das volle Maß ihrer Schöpfung erfüllen können. Er hat gesagt, dass man die Quellen, die neues Leben schaffen, rein halten muss, genau wie die schöne Quelle auf der Ranch Schutz brauchte, um Leben erhalten zu können. Das ist einer der Gründe, warum Tugend und Keuschheit im Plan des himmlischen Vaters so wichtig sind.
Aufgrund der Reaktion meines Großvaters auf die verschmutzte Quelle sicherte man sie und besserte sie aus, und sie erhielt wieder ihre ursprüngliche Schönheit und Reinheit.
Als Diener des Herrn Jesus Christus ist es unsere heilige Pflicht, seinen sittlichen Maßstab zu lehren, der für alle seine Kinder gleichermaßen gilt. Wenn unsere Gedanken oder Taten unrein sind, missachten wir seinen Maßstab. Der Herr hat gesagt: „Ich … kann nicht mit dem geringsten Maß von Billigung auf Sünde blicken.“8 Manche versuchen, ihr Verhalten zu rechtfertigen.
In einem Gedicht von John Holmes mit dem Titel „Talk“ belehrt ein alter, tauber Schiffsbauer aus New England einen jungen Mann über Rechtfertigungen. Der junge Mann berichtet über eine Lektion, die er gelernt hat: „Ich wusste nicht, dass es egal ist, wie das Schiff gebaut wird, aber es muss segeln können; dem Meer sind Ausreden egal.“9
Es gibt so eine Redensart, was in einer bestimmten Stadt geschehe, bleibe auch dort. Mir gefällt, was auf einem Schild in Sevier County in Utah steht: „Was in Sevier County geschieht … kannst du deinen Freunden erzählen!!!“ Wenn wir erkennen, dass wir vor Gott Rechenschaft ablegen müssen, wird uns auch klar, wie töricht es ist, sich zu rechtfertigen. Wer sich ständig rechtfertigt, ist wie ein kleines Kind, das sich die Augen zuhält und glaubt, wenn es niemanden sieht, kann es auch nicht gesehen werden. Stellen wir uns einmal vor, wir würden vor dem Erretter für unser Handeln Rechenschaft ablegen – es wäre schnell klar, was wirklich hinter jeder Rechtfertigung steckt.
Es gibt natürlich manche, die bereits so gehandelt haben, wie es diesem heiligen sittlichen Maßstab nicht entspricht. Seien Sie sich bitte bewusst, dass jeder durch das Sühnopfer des Erretters umkehren und wie die Quelle wieder rein werden kann. Umkehr ist schwierig und erfordert ein reuiges Herz und einen zerknirschten Geist.10 Aber wenn wir die verschiedenen Schritte der Umkehr rechtschaffen befolgen, gilt auch für uns, was Alma zu seinem Sohn Korianton gesagt hat, der in sittlicher Hinsicht gesündigt hatte: „Und nun, mein Sohn, wünsche ich, du würdest dich von diesen Dingen nicht mehr beunruhigen lassen, sondern dich nur von deinen Sünden beunruhigen lassen, mit jener Unruhe, die dich hinabführt zur Umkehr.“11 Der Erretter hat gesagt: „Siehe, wer von seinen Sünden umgekehrt ist, dem ist vergeben, und ich der Herr, denke nicht mehr an sie.“12
Im Hinblick auf die Verantwortung gegenüber unserer Familie haben manche gesagt, wenn wir dem Erretter einst Bericht erstatten und er von uns Rechenschaft über unsere irdischen Verpflichtungen verlangt, wird er zwei wichtige Fragen stellen, die mit unseren Angehörigen zu tun haben. Die erste Frage wird unsere Beziehung zu unserem Ehepartner betreffen und die zweite ein jedes unserer Kinder.13
Es ist nicht schwer, die Prioritäten durcheinanderzuwerfen. Es ist unsere Pflicht, für die körperliche Sicherheit und das Wohlergehen unserer Kinder zu sorgen. Allerdings legen manche Eltern zu viel Wert auf zeitlichen und materiellen Besitz. Manche unternehmen nur sehr wenig, um ihre Kinder mit dem Evangelium Jesu Christi vertraut zu machen.14 Vergessen Sie nicht, dass religiöse Gepflogenheiten in der Familie ebenso wichtig sind wie Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Eltern können ihren Kindern auch helfen, Talente zu entdecken und zu entfalten. Wir sind verantwortlich für die Talente, die wir bekommen haben. Ein Kind, dem man nicht beibringt, für seine Zeit und Talente Verantwortung zu übernehmen, neigt zu dem törichten und unrechten Verhalten, das auf der ganzen Welt so verbreitet ist.15 In der Proklamation zur Familie wird davor gewarnt, dass jemand, der „seinen familiären Verpflichtungen nicht nachkommt, eines Tages vor Gott Rechenschaft ablegen muss.“16
Die zweite Treuhandschaft besteht darin, sich um die Armen und Bedürftigen zu kümmern. Das trifft auf nahezu jeden von uns irgendwann einmal zu. Die Art und Weise, wie der Herr uns ermahnt hat, dass wir für die Bedürftigen verantwortlich sind, gehört zu den unmissverständlichsten Schriftstellen: „Wenn jemand von dem Überfluss nimmt, den ich gemacht habe, und von seinem Teil nicht … den Armen und den Bedürftigen abgibt, so wird er zusammen mit den Schlechten in der Hölle seine Augen emporheben in seiner Qual.“17 Wir sind als Treuhänder für alle irdischen Segnungen verantwortlich, die der Herr uns gibt.
Die jüdischen Führer, von denen ich eingangs sprach, waren besonders beeindruckt davon, dass wir fasten und dann ein großzügiges Fastopfer zahlen. Sie fanden es bemerkenswert, dass Mitglieder der Kirche in aller Welt jeden Monat fasten und dann aus freien Stücken etwas für die Bedürftigen geben.
Als die Rabbiner den Welfare Square besuchten, waren sie bewegt, als sie hörten, dass sich die Mitglieder sogar in einer wirtschaftlich schwierigen Lage um die Probleme anderer kümmern, und weiterhin großzügig für die Armen und Bedürftigen spenden.
Als ich als Bischof berufen wurde, warnte mich mein Vorgänger, Bischof Russell Johnson, ich solle vorsichtig sein, wenn ich die Mitglieder um etwas bitte. Er sagte: „Einige erfüllen jede Bitte, auch unter großen Opfern.“ Er erzählte von einer Witwe Mitte achtzig, die ihren kranken Mann und ihren kranken Sohn viele Jahre lang gepflegt hatte, bevor sie verstarben. Bischof Johnson berichtete, dass sie sich trotz ihres geringen Einkommens immer bemüht hatte, zu helfen. Ich stellte fest, dass dies stimmte. Jedes Mal, wenn ich erwähnte, dass eine Spende oder Hilfe für andere gebraucht werde, war Sarah oft die Erste, die handelte.
Eines Samstags rief mich eine andere Schwester an und sagte: „Bischof, kommen Sie schnell! Retten Sie Sarah!“ Die Schwester berichtete, dass die achtzigjährige Sarah oben auf einer Leiter stand und die Dachrinne dieser Nachbarin säuberte. Die Schwester hatte große Angst, dass Sarah hinunterfallen würde, und bat den Bischof daher, einzuschreiten.
Damit möchte ich nicht sagen, jeder könne oder solle Sarah nachahmen. Manche haben ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht immer sofort zur Stelle sein können. Mir gefällt ein Ausspruch von Anne Morrow Lindbergh, den Elder Neal A. Maxwell oft zitierte: „Mein Leben reicht nicht aus, um all den Menschen gerecht zu werden, für die mein Herz schlägt.“18 König Benjamin hat gesagt: „Seht zu, dass dies alles in Weisheit und Ordnung geschieht; denn es ist nicht erforderlich, dass der Mensch schneller laufe, als er Kraft hat.“19 Aber er setzte hinzu, dass wir eifrig sein sollen.
Ich freue mich, wenn ich sehe, dass die Mitglieder überall in der Kirche alles tun, was sie können, um so wie Christus zu dienen, wo auch immer es nötig ist. Dank des Beitrags ihrer Mitglieder kann sich die Kirche schnell und im Stillen, ohne großes Aufsehen um die Not in aller Welt kümmern.20 Sie hat bereits auf die Naturkatastrophen in den Philippinen, den pazifischen Inseln und Indonesien reagiert.
Im vergangenen Jahr halfen die Mitglieder nach dem Hurrikan Gustav. Die Kirche arbeitete eng mit einer humanitären Organisation zusammen, die von Martin Luther King III. geleitet wird. Herr King besuchte anschließend Salt Lake City und sagte: „Ich bin eigentlich hergekommen, um der Kirche für die humanitäre Unterstützung zu danken, aber ich habe schnell erkannt, dass das, was Sie tun, im Grunde noch viel tiefer reicht. Nachdem ich das Zentrum für humanitäre Hilfe und den Welfare Square besucht und dem Tag der offenen Tür des Tempels beigewohnt habe, bin ich noch viel dankbarer, warum Sie das tun, was Sie tun.“
In unserem Bemühen, ein guter Treuhänder zu sein, folgen wir Jesus Christus nach. Wir wollen eifrig seinen Willen tun, den er uns durch seine Lehren und sein Beispiel kundgetan hat. Von ganzem Herzen möchten wir den Mitgliedern der Kirche dafür danken, dass sie so großzügig spenden und wie Christus dienen.
Als Jesaja davon sprach, dass man fasten, die Hungrigen speisen und die Nackten kleiden solle, verhieß er in bewegenden Worten: „Wenn du dann rufst, wird der Herr dir Antwort geben.“21 Er fuhr fort: „Wenn du … dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, … wird [der Herr] dich immer führen. … Du gleichst … einer Quelle, deren Wasser niemals versiegt, … die Grundmauern aus der Zeit vergangener Generationen stellst du wieder her.“22
Ich hoffe, dass jeder von uns allein und als Familie die Treuhandschaft überprüft, für die wir die Verantwortung tragen und über die wir Rechenschaft ablegen müssen. Ich bete, dass wir dabei erkennen, dass wir letztlich Gott Rechenschaft schuldig sind, und dass wir das tun, wozu uns niemand zwingen kann.
Ich bin dankbar, dass uns ein liebevoller, glaubenstreuer Prophet rät, für diejenigen da zu sein, die in Not sind, und sie zu retten. Ich weiß, wenn wir seinen Rat beherzigen, sind wir dieser Verheißung des Herrn würdig: „Und wer als treuer, als gerechter und als weiser Treuhänder befunden wird, der wird in die Freude seines Herrn eingehen und wird ewiges Leben ererben.“23
Von dieser heiligen Wahrheit gebe ich aufrichtig Zeugnis. Im Namen Jesu Christi. Amen.