Wie man auf die Weise des Geistes lehrt
Auch wenn wir alle Lehrer sind, müssen wir uns völlig darüber im Klaren sein, dass der Heilige Geist der wahre Lehrer und Zeuge aller Wahrheit ist.
Vor vielen Jahren, als ich mit meinem Mitarbeiter in der Missionarsschule war, hörte ich eine Kinderstimme sagen: „Oma, sind das echte Missionare?“ Ich drehte mich um und sah ein kleines Mädchen an der Hand seiner Großmutter. Es deutete auf mich und meinen Mitarbeiter. Ich lächelte, reichte ihm die Hand, sah ihm direkt in die Augen und sagte: „Hallo, ich bin Elder Richardson, und wir sind echte Missionare.“ Das Mädchen strahlte, als es mich ansah, und freute sich riesig, in der Gegenwart waschechter Missionare zu sein.
Nach diesem Erlebnis war ich von neuem Eifer beseelt. Ich wollte als Missionar so sein, wie der Erlöser, meine Familie und dieses kleine Mädchen es von mir erwarteten. In den folgenden zwei Jahren strengte ich mich sehr an, wie ein echter Missionar auszusehen, zu denken, zu handeln und vor allem zu lehren.
Nach meiner Heimkehr trat immer deutlicher zutage, dass ich zwar meine Mission verlassen hatte, nicht aber meine Mission mich. In der Tat habe ich auch nach all den Jahren noch immer das Gefühl, dass meine Missionszeit die besten zwei Jahre für mein Leben waren. Ein unerwartetes Souvenir von meiner Mission war die Stimme dieses kleinen Mädchens. Erst jetzt wieder hörte ich in Gedanken: „Oma, ist das ein echter Priestertumsträger?“ „Oma, ist das ein echter Ehemann oder ein echter Vater?“ Oder „Oma, ist das ein echtes Mitglied der Kirche?“
Meiner Erfahrung nach ist ein Schlüssel dazu, dass man in jedem Lebensbereich echt wird, dass man so lehren kann, dass es dem Lernen nicht im Weg steht. Ein echtes Leben erfordert nämlich echtes Lernen, und das wiederum hängt von echtem Lehren ab. „Die Aufgabe, [erfolgreich] zu lehren, obliegt nicht nur denen, die in der Kirche offiziell als Lehrkraft berufen sind.“1 Genau genommen hat jedes Familienmitglied, jeder Führungsbeamte und jedes Mitglied der Kirche (auch die Jugendlichen und Kinder) die Aufgabe, zu lehren.
Auch wenn wir alle Lehrer sind, müssen wir uns völlig darüber im Klaren sein, dass der Heilige Geist der wahre Lehrer und Zeuge aller Wahrheit ist. Wer das nicht ganz versteht, versucht entweder, die Aufgabe des Heiligen Geistes zu übernehmen und alles selbst zu schaffen, oder er lädt den Geist höflich ein, bei ihm zu sein, jedoch nur in stützender Funktion. Oder er meint, er habe die ganze Lehrtätigkeit dem Heiligen Geist überlassen, während er in Wirklichkeit nur improvisiert. Alle Eltern, Führungsbeamten und Lehrer haben die Pflicht, „durch den Geist“ zu lehren.2 Sie dürfen nicht „vor dem Geist“ oder „hinter dem Geist“ lehren, sondern müssen „durch den Geist“ lehren, damit dieser die Wahrheit ungehindert darlegen kann.
Moroni macht uns begreiflich, wie wir „durch den Geist“ lehren können, ohne den Heiligen Geist als den wahren Lehrer zu verdrängen, zu verwischen oder zu verwerfen. Moroni hat gesagt, dass die Heiligen ihre Versammlungen „auf die Weise“ durchführten, „wie der Geist auf sie einwirkte“.3 Dies erfordert mehr, als den Geist nur bei sich zu haben. Wir müssen uns so verhalten, dass es seiner Weise entspricht; vielleicht müssen wir also unsere Lehrmethodik ändern, um der seinen nachzueifern. Wenn wir unsere Weise mit der des Heiligen Geistes in Einklang bringen, kann dieser ungehindert lehren und Zeugnis geben. Diese wichtige Angleichung lässt sich an folgendem Beispiel erläutern.
Vor vielen Jahren unternahm ich mit meinen Kindern eine Wanderung zum Gipfel des South Sister, einem Berg in Oregon mit 3157 Metern Höhe. Nach mehreren Stunden stießen wir auf einen Abhang mit vulkanischem Geröll und 45 Grad Steigung. Da wir den Gipfel vor Augen hatten, drängten wir weiter, mussten aber feststellen, dass unsere Füße bei jedem Schritt in das Geröll einsanken und einige Zentimeter rückwärts rutschten. Mein zwölfjähriger Sohn kämpfte sich voran, während ich bei meiner achtjährigen Tochter blieb. Bald setzten Erschöpfung und Entmutigung ein, und meine Tochter war untröstlich bei dem Gedanken, dass sie vielleicht nicht wie ihr Bruder den Gipfel erreichen würde. Mein erster Gedanke war, sie zu tragen. Mein Geist war willig, doch leider war mein Fleisch schwach. Wir setzten uns auf die Steine, beurteilten unsere Lage und machten einen neuen Plan. Ich sagte ihr, sie solle ihre Hände in meine hinteren Hosentaschen stecken, sich gut festhalten und vor allem, sobald ich meinen Fuß hob, um einen Schritt zu machen, schnell ihren Fuß an dessen Stelle setzen. Sie machte mir jede Bewegung nach und verließ sich darauf, dass ich sie mitnahm, indem sie sich an meine Hosentaschen hängte. Nach einer halben Ewigkeit erreichten wir den Gipfel des Berges. Ihre Freude und Genugtuung waren unbeschreiblich. Sie und ihr Bruder waren meiner Ansicht nach echte Bergsteiger.
Der Erfolg meiner Tochter war das Ergebnis ihrer eifrigen Bemühungen und weil sie auf die Weise vorankletterte, wie ich es machte. Als sie ihre Bewegungen auf meine abstimmte, erreichten wir einen gemeinsamen Rhythmus, sodass ich meine ganze Kraft einsetzen konnte. Das ist auch dann der Fall, wenn wir „auf die Weise“ lehren, „wie der Geist auf [uns einwirkt]“. Wenn wir unsere Lehrmethodik mit der des Heiligen Geistes in Einklang bringen, stärkt uns der Geist und kann zugleich ungehindert wirken. Beachten Sie in diesem Sinne zwei grundlegende Wirkungsweisen des Geistes, die für uns nachahmenswert sind.
Erstens lehrt der Heilige Geist Menschen auf sehr persönliche Weise. Dadurch wird es uns möglich, die Wahrheit sehr eingehend selbst zu erkennen. Wegen unserer unterschiedlichen Bedürfnisse, Lebensumstände und Entwicklung lehrt der Heilige Geist uns das, was wir wissen und tun müssen, damit wir so werden können, wie wir sein müssen. Bitte beachten Sie, dass der Heilige Geist uns zwar bei allem erkennen lässt, „ob es wahr ist“4, dass er uns aber nicht alle Wahrheit mit einem Mal kundtut. Der Geist lehrt die Wahrheit „Zeile um Zeile, Weisung um Weisung, hier ein wenig und dort ein wenig“.5
Wer auf die Weise des Geistes lehrt, versteht, dass er Menschen lehrt und nicht lediglich Lektionen durchnimmt. Somit überwindet er den Drang, alles zu besprechen, was im Leitfaden steht, oder alles weiterzugeben, was er selbst zu diesem Thema gelernt hat, und konzentriert sich stattdessen auf das, was seine Familie oder seine Schüler wissen und tun müssen. Eltern, Führungsbeamte und Lehrer, die so lehren wie der Geist, lernen schnell, dass zu echtem Lehren weitaus mehr gehört als nur reden und erzählen. Deshalb halten sie bewusst inne, beobachten aufmerksam und erkennen dann, was als Nächstes zu tun ist.6 Wenn sie so vorgehen, ist der Heilige Geist in der Lage, sowohl den Lernenden als auch den Lehrenden einzugeben, was sie tun und sagen sollen.7
Zweitens lehrt der Heilige Geist, indem er uns auffordert, uns etwas eingibt, uns ermutigt oder uns zum Handeln drängt. Christus hat uns zugesichert, dass wir die Wahrheit erkennen, wenn wir unser Handeln an der Lehre ausrichten.8 Der Geist führt und leitet uns und zeigt uns, was wir tun sollen.9 Er wird indes nichts für uns bewerkstelligen, was nur wir selbst für uns zuwege bringen können. Der Heilige Geist kann nämlich nicht für uns lernen, für uns fühlen oder für uns handeln, denn dies würde ja im Widerspruch zur Lehre von der Entscheidungsfreiheit stehen. Er kann uns Gelegenheiten verschaffen und uns auffordern, zu lernen, zu fühlen und zu handeln.
Wer auf die Weise des Geistes lehrt, hilft anderen, indem er sie auffordert, ermutigt und ihnen Gelegenheiten bietet, ihre Entscheidungsfreiheit zu nutzen. Eltern, Führungsbeamte und Lehrer sind sich dessen bewusst, dass sie nicht für ihre Familie, Gemeinde oder Schüler fühlen, lernen oder sogar umkehren können. Statt zu fragen, „was kann ich für meine Kinder, Schüler oder andere tun?“, fragen sie, „wie fordere ich meine Mitmenschen auf, selbst zu lernen, und helfe ihnen dabei?“ Eltern, die so vorgehen wie der Heilige Geist, schaffen ein Zuhause, wo die Kinder Grundsätze lernen, statt nur etwas über Grundsätze zu erfahren. Ebenso hilft ein Lehrer dem Lernenden, die Lehren des Evangeliums zu verstehen und zu leben, statt nur über die Lehre zu reden. Der Heilige Geist wirkt ungehindert, wenn Menschen ihre Entscheidungsfreiheit richtig nutzen.
Angesichts der derzeitigen Zustände in der Welt brauchen wir unbedingt echtes Lernen und Lehren in unseren Familien, Versammlungen und Evangeliumsklassen. Ich weiß, dass Sie sich bei Ihren Bemühungen, besser zu werden, manchmal überfordert fühlen. Bitte verlieren Sie nicht den Mut. Ich denke an die Wanderung mit meinen Kindern zurück. Wir einigten uns darauf, dass wir jedes Mal, wenn wir anhielten, um nach Luft zu schnappen, nicht darauf achten wollten, wie weit wir noch gehen mussten, sondern uns vielmehr umdrehen würden, um den Berg hinunterzublicken. Wir wollten die Landschaft in uns aufnehmen und zueinander sagen: „Sieh mal, wie weit wir schon gekommen sind.“ Dann wollten wir tief Luft holen, uns schnell umdrehen, den Berg hinaufschauen und weiterwandern, einen Schritt nach dem anderen. Brüder und Schwestern, Sie können auf die Weise erziehen und lehren, wie der Geist wirkt. Ich weiß, dass Sie dazu imstande sind. Ich bezeuge, dass Sie dazu imstande sind und dass so manches Leben sich ändern wird.
Ich bin sehr gesegnet worden durch echte Lehrer, die mit dem Geist und vor allem durch den Geist gelehrt haben. Ich bitte Sie, bringen Sie Ihre Lehrmethodik bei allem, was Sie tun, mit der des Heiligen Geistes in Einklang. Ich bezeuge, dass Jesus Christus unser Erlöser ist und dass sein Evangelium wiederhergestellt wurde. Aus diesem Grund müssen wir echte Eltern, echte Führer, echte Lehrer und echte Lernende sein. Ich bezeuge, dass Gott Ihnen in Ihren Bemühungen helfen wird. Im heiligen Namen unseres Erlösers, Jesus Christus. Amen.