Hoffen auf den Herrn: „Dein Wille geschehe“
Der Zweck des Erdenlebens besteht darin, dass wir wachsen, uns entwickeln und durch eigene Erfahrungen gestärkt werden.
An diesem Sonntagmorgen geben wir dankbar Zeugnis, dass unser Erlöser wirklich lebt. Sein Evangelium ist durch den Propheten Joseph Smith wiederhergestellt worden. Das Buch Mormon ist wahr. Wir werden heute von einem lebenden Propheten, Präsident Thomas S. Monson, geführt. Vor allem geben wir feierlich Zeugnis vom Sühnopfer Jesu Christi und den ewigen Segnungen, die daraus erwachsen.
In den letzten Monaten hatte ich die Gelegenheit, mich mit dem Sühnopfer Jesu zu befassen, und habe mehr darüber gelernt, wie er sich darauf vorbereitet hat, dieses ewige Opfer für einen jeden von uns zu vollbringen.
Die Vorbereitung begann schon im Vorherdasein, als der Erlöser zu seinem Vater voller Vertrauen sagte: „Dein Wille geschehe, und die Herrlichkeit sei dein immerdar.“1 Von da an und bis heute hat er seine Entscheidungsfreiheit dahingehend ausgeübt, den Plan unseres Vaters im Himmel anzunehmen und auszuführen. In den Schriften lesen wir, dass er in jungen Jahren „in dem [war], was [seinem] Vater gehört“2, und „auf den Herrn wartete, auf dass die Zeit seines geistlichen Wirkens komme“.3 Als der Heiland dreißig Jahre alt war, musste er große Versuchungen durchleiden, doch widerstand er mit den Worten: „Weg mit dir, Satan!“4 In Getsemani brachte er sein Vertrauen dem Vater gegenüber zum Ausdruck. Er sagte: „Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“5 So machte er von seiner Entscheidungsfreiheit Gebrauch, um für unsere Sünden zu leiden. Während man den Erlöser vor Gericht demütigte und er bei der Kreuzigung Todesqualen litt, hoffte er auf seinen Vater und war willens, wegen unserer Verbrechen durchbohrt und wegen unserer Sünden zermalmt zu werden.6 Selbst als er ausrief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“,7 hoffte er auf seinen Vater und übte seine Entscheidungsfreiheit aus, um seinen Feinden zu verzeihen8, für seine Mutter zu sorgen9 und alles zu ertragen, bis sein Leben und seine irdische Mission beendet waren.10
Ich habe mich schon oft gefragt: Warum müssen der Sohn Gottes, seine heiligen Propheten und all die glaubenstreuen Heiligen Prüfungen und Drangsal erleiden, wo sie doch nur den Willen des Vaters im Himmel erfüllen wollen? Warum ist es gerade für sie so schwer?
Ich denke da an Joseph Smith, der als Junge schwer krank war und zeitlebens Verfolgung erdulden musste. Wie der Erlöser rief auch er aus: „O Gott, wo bist du?“11 Und doch übte er, als er anscheinend allein war, seine Entscheidungsfreiheit dahingehend aus, auf den Herrn zu hoffen und den Willen seines himmlischen Vaters auszuführen.
Auch denke ich an unsere Vorfahren, die Pioniere, die aus Nauvoo vertrieben worden waren und über die Prärie zogen. Sie übten ihre Entscheidungsfreiheit dahingehend aus, dem Propheten zu folgen – selbst als Krankheit und Entbehrung sie trafen, manche sogar der Tod. Warum diese furchtbaren Prüfungen? Wozu? Zu welchem Zweck?
Wenn wir solche Fragen stellen, wird uns bewusst, dass der Zweck des Erdenlebens darin besteht, dass wir wachsen, uns entwickeln und durch eigene Erfahrungen gestärkt werden. Wie schaffen wir das? Wir finden die Antwort in den heiligen Schriften, in diesem kurzen Satz: Wir hoffen auf den Herrn.12 Jeder von uns erhält Prüfungen und Versuchungen. Dank dieser Herausforderungen im Leben prüfen wir selbst und unser Vater im Himmel, ob wir die Entscheidungsfreiheit dahingehend ausüben, seinem Sohn zu folgen. Gott weiß bereits, was wir noch lernen dürfen: Ganz gleich, wie schwierig unsere Lebensumstände auch sein mögen, wird uns „dies alles … Erfahrung bringen und … zum Guten dienen“.13
Bedeutet das, dass wir den Sinn unserer Prüfungen immer verstehen? Hat mitunter nicht jeder von uns Grund auszurufen: „O Gott, wo bist du?“14 Aber natürlich! Wenn der Ehepartner stirbt, stellt der Hinterbliebene diese Frage. Sieht sich eine Familie finanziellen Schwierigkeiten gegenüber, fragt sich das der Vater. Wenn Kinder vom Weg abweichen, rufen Mutter und Vater dies schmerzerfüllt aus. Doch es stimmt: „Wenn man am Abend auch weint, am Morgen herrscht wieder Jubel.“15 Und wenn wir erst an Glauben und Verständnis zugenommen haben, erheben wir uns und entscheiden uns, auf den Herrn zu hoffen, und sagen: „Dein Wille geschehe.“16
Was bedeutet es also, auf den Herrn zu hoffen? In den Schriften hat das Wort hoffen die Bedeutung „erwarten“, „ahnen“ und „auf etwas vertrauen“. Auf den Herrn hoffen und ihm vertrauen erfordert Glauben, Geduld, Demut, Sanftmut, Langmut und dass wir die Gebote halten und bis ans Ende ausharren.
Auf den Herrn hoffen bedeutet, die Saat des Glaubens zu pflanzen und sie „mit großem Eifer und mit Geduld“17 zu nähren.
Es bedeutet, so zu Gott, dem Vater im Himmel, zu beten wie der Erlöser: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe.“18 Bei so einem Gebet schütten wir unsere ganze Seele aus und tun es im Namen unseres Heilands, Jesus Christus.
Auf den Herrn hoffen bedeutet, nachzusinnen und den Heiligen Geist zu empfangen, damit wir alles wissen, was wir tun sollen.19
Wenn wir auf die Eingebungen des Geistes hören, bemerken wir, dass Bedrängnis Geduld bewirkt20, und wir lernen, in Geduld fortzufahren, bis wir vollkommen geworden sind.21
Auf den Herrn hoffen bedeutet „fest im Glauben stehen“22 und darin vorwärtsstreben, „erfüllt vom vollkommenen Glanz der Hoffnung“.23
Wir verlassen uns dann „allein auf die Verdienste Christi“24 und „sagen, wobei [seine] Gnade [uns] beistehe: Dein Wille geschehe, o Herr, und nicht der unsere.“25
Wenn wir auf den Herrn hoffen, sind wir „unverrückbar im Halten der Gebote“26 und wissen, dass wir „eines Tages von all [unseren] Bedrängnissen ausruhen“27 werden.
Wir werfen nicht unsere Zuversicht weg28, dass „alles, womit [wir] bedrängt worden [sind, zu unserem] Guten zusammenwirken [wird]“.29
Solche Bedrängnisse kommen in vielerlei Form und Gestalt. Was Ijob erlebte, lässt uns daran denken, was zu ertragen von uns vielleicht gefordert wird. Ijob verlor seinen gesamten Besitz: sein Land, sein Haus, seine Tiere, außerdem Angehörige, seinen Ruf, die körperliche Gesundheit und sogar das seelische Wohlbefinden. Dennoch hoffte er auf den Herrn und gab dieses mächtige Zeugnis:
„Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt, als Letzter erhebt er sich über dem Staub.
Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen.“30
„Er mag mich töten, ich harre auf ihn.“31
Trotz des leuchtenden Beispiels von Ijob, den Propheten und dem Erlöser ist es für uns nicht leicht, auf den Herrn zu hoffen, besonders wenn wir seinen Plan für uns und seine Absichten nicht gänzlich verstehen. Dieses Verständnis empfängt man meist „Zeile um Zeile, Weisung um Weisung“.32
Ich habe in meinem Leben erfahren, dass ich auf ein Gebet manchmal keine Antwort erhalte, weil der Herr weiß, dass ich dafür nicht bereit bin. Wenn er antwortet, ist es oftmals „hier ein wenig und dort ein wenig“33, denn mehr als das kann ich gar nicht ertragen oder bin ich nicht willens zu tun.
Viel zu oft bitten wir um Geduld, aber bitteschön sofort! Als junger Mann betete Präsident David O. McKay darum, ein Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums zu erlangen. Viele Jahre später, als er eine Mission in Schottland erfüllte, empfing er schließlich das ersehnte Zeugnis. Später schrieb er darüber: „Das verlieh mir die Gewissheit, dass aufrichtiges Beten ,irgendwann, irgendwo‘ erhört wird.“34
Wir wissen vielleicht nicht, wann oder wie der Herr uns antworten wird, aber zu seiner Zeit und auf seine Weise werden wir seine Antwort erhalten, das bezeuge ich. Manche Fragen werden möglicherweise erst im Jenseits beantwortet. Das kann auf einige Verheißungen in unserem Patriarchalischen Segen zutreffen oder auf Segnungen, die ein Angehöriger herbeisehnt. Geben wir unser Vertrauen in den Herrn nicht auf. Seine Segnungen sind ewig, nicht zeitlich.
Wenn wir auf den Herrn hoffen, verschafft uns das die wertvolle Gelegenheit zu entdecken, dass viele auch auf uns hoffen. Unsere Kinder hoffen auf uns, dass wir ihnen mit Geduld, Liebe und Verständnis begegnen. Unsere Eltern hoffen auf uns, dass wir Dankbarkeit und Mitgefühl zeigen. Unsere Brüder und Schwestern hoffen auf uns, dass wir tolerant, barmherzig und vergebungsbereit sind. Unser Ehepartner hofft auf uns, dass wir ihn so lieben, wie der Heiland einen jeden von uns liebt.
Wenn wir körperliches Leid ertragen, wird uns noch bewusster, auf wie viele wir doch hoffen können. Allen Marias und Martas, allen barmherzigen Samaritern, die den Kranken dienen, den Schwachen beistehen und für diejenigen sorgen, die geistig oder körperlich Beschwerden haben, danke ich im Namen des liebevollen Vaters im Himmel und seines geliebten Sohnes. Während Sie Tag für Tag so dienen, wie Christus es getan hat, hoffen Sie auf den Herrn und erfüllen den Willen Ihres Vaters im Himmel. Er sichert Ihnen unmissverständlich zu: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“35 Er kennt Ihr Opfer und Ihren Kummer. Er hört Ihre Gebete. Sie werden seinen Frieden und seine Ruhe in sich tragen, wenn Sie weiterhin gläubig auf ihn hoffen.
Jeder von uns wird vom Herrn mehr geliebt, als wir wahrscheinlich verstehen oder uns vorstellen können. Begegnen wir daher einander mit mehr Güte, und seien wir auch uns selbst gegenüber gütiger. Denken wir daran: Wenn wir auf den Herrn hoffen, werden wir durch sein Sühnopfer „ein Heiliger …, fügsam, sanftmütig, demütig, geduldig, voll von Liebe und willig, [uns] allem zu fügen, was der Herr für richtig hält, [uns] aufzuerlegen, so wie ein Kind sich seinem Vater fügt“.36
Diese Fügsamkeit hat unser Heiland seinem Vater gegenüber im Garten Getsemani gezeigt. Inständig bat er seine Jünger: „Wacht mit mir!“37, doch dreimal kehrte er zu ihnen zurück und fand sie schlafend vor. Ohne Begleitung seiner Jünger und am Ende auch ohne die Gegenwart seines Vaters entschied sich der Erlöser, unsere „Schmerzen und Bedrängnisse und Versuchungen jeder Art“38 zu erleiden. Ein Engel wurde gesandt, ihn zu stärken39, und so schreckte er nicht zurück und trank den bitteren Kelch.40 Er hoffte auf seinen Vater und sprach: „Dein Wille geschehe.“41 Demütig trat er die Weinkelter allein.42 Als einer seiner zwölf Apostel in diesen Letzten Tagen bete ich nun, dass wir gestärkt werden, damit wir mit ihm wachen können und unser Leben lang auf ihn hoffen.
Am heutigen Sonntag sage ich Dank, dass wir in unserem Getsemani niemals allein sind.43 Er, der über uns wacht, „schläft und schlummert nicht“.44 Seine Engel hier und jenseits des Schleiers sind „rings um [uns], um [uns] zu stützen“.45 Ich gebe mein besonderes Zeugnis, dass die Verheißung unseres Erlösers wahr ist, nämlich: „Die aber, die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt.“46 Mögen wir auf ihn hoffen, indem wir gläubig vorwärtsstreben und in unseren Gebeten sagen „dein Wille geschehe“47, und so ehrenvoll zu ihm zurückkehren. Im heiligen Namen unseres Erretters und Erlösers, ja, im Namen Jesu Christi. Amen.