2011
Ein Zeuge
November 2011


Ein Zeuge

Das Buch Mormon ist die beste Richtschnur dafür, festzustellen, wo wir stehen und wie wir uns verbessern können.

President Henry B. Eyring

Ich bin dankbar für diese Gelegenheit, an diesem Sabbattag bei einer Generalkonferenz der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zu Ihnen sprechen zu können. Jedes Mitglied der Kirche hat den gleichen heiligen Auftrag. Bei unserer Taufe haben wir ihn angenommen und versprochen, ihm gerecht zu werden. Aus den Worten Almas, des großen Propheten im Buch Mormon, geht hervor, was wir Gott versprochen haben, nämlich, wie wir sein wollen: „Willens …, mit den Trauernden zu trauern, ja, und diejenigen zu trösten, die des Trostes bedürfen, und allzeit und in allem und überall, wo auch immer ihr euch befinden mögt, selbst bis in den Tod, als Zeugen Gottes aufzutreten, damit ihr von Gott erlöst und zu denen von der ersten Auferstehung gezählt werdet, damit ihr ewiges Leben habet.“1

Dies ist kein geringer Auftrag und eine herrliche Verheißung von Gott. Ich möchte Ihnen heute Mut machen. Das Buch Mormon macht nicht nur diesen Auftrag deutlich, es führt uns auch aufwärts auf dem Weg zum ewigen Leben.

Erstens haben wir versprochen, Nächstenliebe zu entwickeln. Zweitens haben wir versprochen, Zeugen Gottes zu werden. Und drittens haben wir versprochen, auszuharren. Das Buch Mormon ist die beste Richtschnur dafür, festzustellen, wo wir stehen und wie wir uns verbessern können.

Beginnen wir mit dem Auftrag, Nächstenliebe zu entwickeln. Denken Sie an die Erfahrungen, die Sie erst kürzlich gemacht haben. Viele von Ihnen haben sich an einem „Tag des Dienens“ beteiligt. Tausende Projekte sind überall auf der Welt durchgeführt worden.

In den einzelnen Gremien haben Mitglieder aus Ihren Reihen gebetet, um herauszufinden, was sie als Dienstprojekt planen sollten. Sie haben sich an Gott gewandt, um zu erfahren, wem sie etwas Gutes tun sollen, in welcher Form das geschehen soll und wen sie zur Mitwirkung auffordern sollen. Vielleicht haben sie sogar darum gebetet, dass die Schaufeln und die Getränke nicht vergessen werden. Vor allem aber haben sie darum gebetet, dass alle, die sich an dem Projekt beteiligen, und alle, denen es zugutekommt, Gottes Liebe spüren.

Ich weiß, dass diese Gebete in mindestens einer Gemeinde erhört wurden. Über 120 Mitglieder boten ihre Hilfe an. Drei Stunden lang brachten sie die Außenanlagen einer Kirche hier vor Ort in Ordnung. Die Arbeit war anstrengend, aber zugleich befriedigend. Die Geistlichen der Kirche zeigten sich dankbar. Alle, die an diesem Tag zusammenarbeiteten, empfanden Einigkeit und größere Liebe. Manche sagten sogar, es sei eine Freude gewesen, Unkraut zu jäten und Büsche zu schneiden.

Worte aus dem Buch Mormon machten ihnen deutlich, warum sie diese Freude empfanden. König Benjamin hat zu seinem Volk gesagt: „Lernt, dass wenn ihr im Dienste eurer Mitmenschen seid, ihr … im Dienste eures Gottes seid.“2 Und Mormon hat im Buch Mormon diese erklärenden Worte gebraucht: „Die Nächstenliebe ist die reine Christusliebe, und sie dauert für immer fort; und bei wem am letzten Tag gefunden wird, dass er sie besitzt, mit dem wird es wohl sein.“3

Der Herr hält, was er Ihnen verspricht, sofern Sie auch Ihr Versprechen halten. Wenn Sie anderen in seinem Namen dienen, lässt er Sie seine Liebe spüren. Und mit der Zeit wird diese Nächstenliebe zu einem Teil Ihres Wesens. Sie werden im Herzen spüren, wie die Zusicherung Mormons sich erfüllt, dass mit Ihnen alles wohl sein wird, wenn Sie weiterhin Ihren Mitmenschen Gutes tun.

So wie Sie Gott versprochen haben, Nächstenliebe zu entwickeln, haben Sie ihm versprochen, sein Zeuge zu sein, Ihr Leben lang, wo Sie sich auch befinden. Wiederum kenne ich keine bessere Richtschnur als das Buch Mormon, wenn es darum geht, dieses Versprechen zu halten.

Einmal wurde ich von einer Universität eingeladen, bei einer Abschlussfeier zu sprechen. Der Rektor wollte ursprünglich Präsident Gordon B. Hinckley einladen, stellte aber fest, dass er verhindert war. So erhielt ich stattdessen die Einladung. Ich war damals eines der jüngeren Mitglieder im Kollegium der Zwölf Apostel.

Die Dame, die mich als Redner eingeladen hatte, bekam Bedenken, als sie mehr über meine Aufgaben als Apostel erfuhr. Sie rief mich an und sagte, sie habe herausgefunden, dass meine Aufgabe darin bestehe, als Zeuge Jesu Christi aufzutreten.

Sehr nachdrücklich wies sie mich darauf hin, dass ich bei meiner Rede dort nichts dergleichen tun könne. Sie erklärte, dass die Universität Menschen aller Glaubensrichtungen respektiere, auch diejenigen, die die Existenz eines Gottes leugneten. Sie wiederholte: „Sie dürfen Ihrem Auftrag hier nicht nachkommen.“

Als ich auflegte, beschäftigten mich einige schwierige Fragen. Sollte ich der Universität mitteilen, dass ich nun doch nicht reden würde? Es blieben nur noch zwei Wochen Zeit bis zur Veranstaltung. Ich war als Redner angekündigt worden. Wenn ich diese Vereinbarung nicht einhielt, wie würde sich das auf den Ruf der Kirche auswirken?

Ich betete, um Gottes Willen zu erfahren. Die Antwort erging in einer Weise, die mich überraschte. Mir wurde bewusst, dass Nephi, Abinadi, Alma, Amulek und die Söhne Mosias durch ihr Beispiel gezeigt hatten, was ich zu tun hatte. Sie waren angesichts tödlicher Gefahren unerschrockene Zeugen Jesu Christi gewesen.

Es gab also nur eine Entscheidung zu treffen: wie ich mich vorbereiten sollte. Ich grub alles aus, was ich über die Universität erfahren konnte. Als der Tag, an dem ich reden sollte, näherrückte, wuchs meine Nervosität und meine Gebete wurden noch inniger.

Dann geschah ein Wunder, ähnlich der Teilung des Roten Meeres: Ich fand einen Zeitungsartikel. Die Universität war für ihr humanitäres Engagement ausgezeichnet worden, das sich mit dem vergleichen ließ, was wir als Kirche in unserer humanitären Arbeit in aller Welt leisten. Also beschrieb ich in meiner Rede, was die Kirche und was die Universität getan hatten, um Menschen in großer Not beizustehen. Ich sagte, ich wisse, dass Jesus Christus der Ursprung der Segnungen sei, die diejenigen empfangen hatten, denen die Kirche und die Universität geholfen hatten.

Nach der Feier stand das Publikum auf und applaudierte, was etwas ungewöhnlich für mich war. Ich war erstaunt, aber immer noch ein wenig besorgt. Ich musste daran denken, wie es Abinadi ergangen war. Nur Alma hatte sein Zeugnis angenommen. Aber an diesem Abend beim anschließenden Festbankett hörte ich den Rektor der Universität sagen, dass er in meiner Rede die Worte Gottes vernommen habe.

Ich muss sagen, solch eine einem Wunder gleichkommende Rettung aus höchster Not habe ich als Zeuge Christi nur selten erlebt. Aber es ist gewiss, dass sich das Buch Mormon auf Ihren Charakter, Ihre Kraft und Ihren Mut auswirkt, als Zeuge Gottes aufzutreten. Die darin enthaltenen Lehren und mutigen Vorbilder richten Sie auf, leiten Sie an und machen Ihnen Mut.

Jedem Missionar, der den Namen und das Evangelium Jesu Christi verkündet, kommt es zugute, wenn er sich täglich am Buch Mormon weidet. Eltern, die sich abmühen, einem Kind ein Zeugnis vom Erlöser ins Herz zu pflanzen, erhalten Hilfe, wenn sie nach Wegen suchen, wie sie die Worte und den Geist des Buches Mormon in ihr Zuhause und in das Leben eines jeden in der Familie bringen können. Bei uns hat es sich bewährt.

Ich sehe, dass dieses Wunder in jeder Abendmahlsversammlung und jedem Unterricht, den ich in der Kirche besuche, geschieht. Sprecher und Lehrer sind sehr vertraut mit den heiligen Schriften und man kann spüren, wie sehr sie ihnen am Herzen liegen, vor allem das Buch Mormon. Ihr Zeugnis kommt offensichtlich aus tiefstem Herzen. Sie lehren mit immer größerer Überzeugung und geben machtvoll Zeugnis.

Ich sehe auch Anzeichen dafür, dass wir das dritte Versprechen, das wir alle bei der Taufe abgegeben haben, besser erfüllen. Wir haben gelobt, auszuharren – unser Leben lang Gottes Gebote zu halten.

Einmal besuchte ich eine alte Freundin im Krankenhaus. Sie hatte Krebs im Endstadium. Ich nahm meine beiden kleinen Töchter mit. Ich ging nicht davon aus, dass sie überhaupt dazu in der Lage war, sie zu erkennen. Ihre eigene Familie war da und umringte ihr Bett, als wir das Zimmer betraten.

Sie schaute auf und lächelte. Ihren Blick, als sie sah, dass wir unsere Töchter mitgebracht hatten, werde ich nie vergessen. Sie winkte sie heran, damit sie sich zu ihr aufs Bett setzten. Sie setzte sich auf, nahm sie in den Arm und stellte sie ihrer Familie vor. Sie sprach darüber, was für besondere kleine Mädchen es seien. Es war, als würde sie zwei Prinzessinnen an einem Königshof vorstellen.

Ich hatte nur mit einem kurzen Besuch gerechnet. Sicher ist sie müde, dachte ich. Aber als ich sie beobachtete, war es, als ob die Jahre von ihr abfielen. Sie strahlte und war offensichtlich von Liebe zu uns allen erfüllt.

Sie schien den Augenblick zu genießen, als ob die Zeit angehalten hätte. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie damit verbracht, im Dienst für den Herrn Kindern zur Seite zu stehen. Sie wusste aus dem Buch Mormon, dass der auferstandene Heiland die kleinen Kinder gesegnet hatte, eines nach dem anderen, und dann vor Freude geweint hatte.4 Und sie hatte diese Freude lange genug selbst erlebt, sodass sie imstande war, in liebevollem Dienst für ihn bis ans Ende auszuharren.

Das gleiche Wunder beobachtete ich im Schlafzimmer eines Mannes, der dem Herrn schon so lange treu gedient hatte, dass man annehmen konnte, er habe genug getan und könne nun ausruhen.

Ich wusste, dass er wegen einer Krankheit eine lange, schmerzhafte Behandlung über sich ergehen lassen hatte. Die Ärzte hatten ihm mitgeteilt, die Krankheit sei unheilbar. Sie sagten, sie könnten nichts weiter tun, und machten ihm keine Hoffnung.

Seine Frau führte mich in sein Schlafzimmer. Da lag er auf dem Rücken auf einem sorgfältig zurechtgemachten Bett. Er trug ein frisch gebügeltes weißes Hemd, eine Krawatte und neue Schuhe.

Er sah meinen überraschten Blick, lachte leise und erklärte: „Nachdem Sie mir einen Segen gegeben haben, will ich bereit sein, dem Ruf zu folgen, mein Bett zu nehmen und mich an die Arbeit zu machen.“ Offenkundig war er bereit für das Interview, das schon bald darauf der Herr, dem er so treu gedient hatte, mit ihm führen sollte.

Er war ein wahrhaft bekehrter Heiliger der Letzten Tage – ein Beispiel für viele, denen ich begegne, nachdem sie ihr ganzes Leben in den Dienst des Herrn gestellt haben. Sie streben weiter vorwärts.

Präsident Marion G. Romney hat es so ausgedrückt: „Wer sich wirklich und vollständig bekehrt hat, kennt kein Verlangen mehr nach dem, was dem Evangelium Jesu Christi widerspricht. Vielmehr liebt er Gott und ist fest und unerschütterlich entschlossen, seine Gebote zu halten.“5

Diese feste Entschlossenheit beobachte ich immer häufiger bei den reiferen Jüngern Jesu Christi. Wie die Schwester, die meine Töchter begrüßt hat, und wie der Mann mit den neuen Schuhen, der bereit war, aufzustehen und für den Herrn loszumarschieren, folgen sie seinem Gebot bis ans Ende. Sie alle haben solche Entschlossenheit schon gesehen.

Sie sehen sie auch, wenn Sie wiederum das Buch Mormon aufschlagen. Mein Herz ist immer noch voller Bewunderung, wenn ich diese Worte eines alternden und entschlossenen Dieners Gottes lese: „Denn auch eben jetzt zittert meine ganze Gestalt über die Maßen, während ich mich unterfange, zu euch zu sprechen; aber der Herr … steht mir bei und hat mir gewährt, zu euch zu sprechen.“6

Sie können wie ich Mut aus der beispielhaften Ausdauer Moronis schöpfen. Er war allein in seinem Amt. Er wusste, dass sein Lebensende nahe war. Doch hören Sie an, was er um derentwillen niederschrieb, die noch nicht geboren waren, Abkömmlinge seiner Todfeinde: „Ja, kommt zu Christus, und werdet in ihm vollkommen, und verzichtet auf alles, was ungöttlich ist, und wenn ihr auf alles verzichtet, was ungöttlich ist, und Gott mit all eurer Macht, ganzem Sinn und aller Kraft liebt, dann ist seine Gnade ausreichend für euch, damit ihr durch seine Gnade in Christus vollkommen seiet.“7

Moroni gab dieses Zeugnis als sein Abschiedswort. Er mahnte wie alle Propheten im Buch Mormon zur Nächstenliebe. Er fügte sein Zeugnis vom Erlöser hinzu, als sein Tod nahe war. Er war ein wahrhaft bekehrtes Kind Gottes, wie wir es sein können: voller Nächstenliebe, beständig und furchtlos als Zeuge für den Erlöser und sein Evangelium und entschlossen, bis ans Ende auszuharren.

Moroni hat uns gesagt, was dazu notwendig ist. Er sagte, der erste Schritt zur umfassenden Bekehrung sei der Glaube. Wenn wir uns gebeterfüllt mit dem Buch Mormon befassen, wächst unser Glaube an Gottvater, an seinen geliebten Sohn und an sein Evangelium. Auch Ihr Glaube an Gottes Propheten aus alter und aus neuer Zeit wird gefestigt.

Dieses Buch kann Sie Gott näherbringen als jedes andere Buch. Es kann das Leben zum Besseren verändern. Ich lege Ihnen ans Herz, das zu tun, was einer meiner Mitarbeiter auf Mission gemacht hat. Als Jugendlicher war er von zu Hause fortgelaufen, und jemand hatte ihm in die Kiste, die er auf seiner Suche nach mehr Glück mit sich herumtrug, ein Buch Mormon gelegt.

Jahre vergingen. Er zog von Ort zu Ort durch die ganze Welt. Er war allein und unglücklich, als eines Tages sein Blick auf die Kiste fiel. In der Kiste war alles, was er mit sich trug. Ganz unten in der Kiste fand er das Buch Mormon. Er las die Verheißung darin und stellte sie auf die Probe. Er wusste, dass es wahr ist. Dieses Zeugnis änderte sein Leben. Er fand Glück, wie er es sich nie hätte träumen lassen.

Vielleicht ist Ihr Buch Mormon vor Ihrem Blick verborgen aufgrund von Sorgen oder weil Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das richten, was Sie auf Ihrer Reise angesammelt haben. Ich bitte Sie eindringlich, sich ausgiebig und oft an seinen Seiten zu laben. In ihm steckt die Fülle des Evangeliums Jesu Christi, der einzige Weg, der heim zu Gott führt.

Ich weiß und bezeuge, dass Gott lebt und Ihre Gebete erhören wird. Jesus Christus ist der Erretter der Welt. Das Buch Mormon ist wahrhaft ein sicherer Zeuge dafür, dass er lebt und dass er unser auferstandener und lebendiger Erlöser ist.

Das Buch Mormon ist ein kostbarer Zeuge. Zum Abschluss gebe ich Ihnen mein Zeugnis. Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.