Die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn
Nach einer Ansprache bei der Frühjahrs-Generalkonferenz 2005
Glaubenstreue und Gehorsam ermöglichen es uns, diese wichtige Gabe zu erhalten, und oft hilft uns der Zeitplan des Herrn, sie zu erkennen.
Ich habe wiederholt über diesen Vers aus dem Buch Mormon nachgedacht: „Aber siehe, ich, Nephi, werde euch zeigen, dass die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn über all denen waltet, die er ihres Glaubens wegen erwählt hat, um sie mächtig zu machen, ja, zur Kraft der Befreiung.“ (1 Nephi 1:20.)
Ich bezeuge, dass es die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn wirklich gibt und dass sie nicht wahllos oder zufällig auftritt. Oft hilft uns der vom Herrn für seine liebevolle, große Barmherzigkeit gewählte Zeitpunkt, sie zu erkennen und anzuerkennen.
Was ist die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn?
Die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn setzt sich zusammen aus Segnungen, Stärke, Schutz, Bestätigung, Führung, liebevoller Güte, Trost, Unterstützung und geistigen Gaben, die wir ganz persönlich von, wegen und durch Jesus Christus, den Herrn, erhalten. Der Herr passt wahrhaftig „seine große Barmherzigkeit den Umständen der Menschenkinder“ an (LuB 46:15).
Denkt daran, wie der Erlöser seinen Aposteln erklärte, dass er sie nicht ohne Trost zurücklassen werde. Er wollte nicht nur einen „anderen Beistand“ senden (Johannes 14:16), nämlich den Heiligen Geist, sondern der Heiland sagte, dass er selbst zu ihnen kommen werde (siehe Johannes 14:18). Ich bin der Ansicht, dass eine Art, wie der Heiland zu jedem von uns kommen kann, in seiner überreichen, liebevollen, großen Barmherzigkeit besteht. Wenn wir beispielsweise vor Herausforderungen oder Prüfungen stehen, sind die Gabe des Glaubens und ein angemessenes Selbstvertrauen, das über unser eigenes Leistungsvermögen hinausreicht, Beispiele für die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn. Umkehr, Sündenvergebung und ein ruhiges Gewissen sind Beispiele für die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn. Auch die Ausdauer und seelische Kraft, die es uns ermöglichen, trotz körperlicher Einschränkungen und geistiger Schwierigkeiten frohen Mutes vorwärtszustreben, sind ein Beispiel für die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn.
Vor kurzem trat die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn bei einer Pfahlkonferenz in dem bewegenden Zeugnis einer jungen Frau und Mutter von vier Kindern zutage, deren Mann im Dezember 2003 im Irak getötet worden war. Diese tapfere Schwester erzählte, wie sie noch nach der Benachrichtigung vom Tod ihres Mannes eine Karte mit Weihnachtsgrüßen von ihm erhalten hatte. Vor die harte Tatsache einschneidender Veränderungen gestellt, wurde die liebe Schwester zur rechten Zeit liebevoll daran erinnert, dass die Familie wirklich für immer besteht. Sie hat mir erlaubt, aus dieser Weihnachtskarte zu zitieren:
„An die beste Familie der Welt! Habt eine schöne Zeit und denkt an die wahre Bedeutung von Weihnachten! Der Herr hat es möglich gemacht, dass wir für immer zusammen sein können. Wenn wir auch getrennt sind, werden wir doch als Familie zusammen sein.
Gott segne und behüte euch und gebe, dass dieses Weihnachtsfest unsere Liebesgabe an ihn dort oben sein möge!
Ich liebe euch von ganzem Herzen. Euer Vater, dein lieber Mann!“
Offensichtlich bezog sich der Mann in seiner Weihnachtskarte auf die Trennung, die durch seinen militärischen Auftrag bedingt war. Der Schwester aber brachten die Worte des verstorbenen Gefährten für die Ewigkeit und Vaters, wie eine Stimme aus dem Staub, eine dringend benötigte geistige Bestätigung und ein Zeugnis. Wie ich bereits sagte, tritt die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn nicht wahllos oder zufällig in Erscheinung. Glaubenstreue, Gehorsam und Demut bringen liebevolle Barmherzigkeit in unser Leben. Oft ermöglicht uns erst der Zeitplan des Herrn, diese so wichtigen Segnungen zu erkennen und zu schätzen.
Vor einiger Zeit sprach ich mit einem Priestertumsführer, der das Gefühl hatte, er solle sich die Namen aller Jugendlichen seines Pfahles im Alter zwischen 13 und 21 Jahren einprägen. Mithilfe von Fotos dieser jungen Männer und Frauen legte er Karteikarten an, die er immer wieder durchsah, wenn er geschäftlich auf Reisen war, und auch bei anderen Gelegenheiten. Dieser Priestertumsführer lernte schnell die Namen sämtlicher Jugendlicher.
Eines Nachts hatte der Priestertumsführer einen Traum, in dem einer der jungen Männer, den er nur von einem Bild kannte, vorkam. In dem Traum sah er diesen jungen Mann mit einem weißen Hemd und dem Namensschild eines Missionars. Mit einem Mitarbeiter neben sich belehrte der junge Mann eine Familie. Er hielt ein Buch Mormon in der Hand und war anscheinend im Begriff, die Wahrheit dieses Buches zu bezeugen. Da erwachte der Priestertumsführer aus seinem Traum.
Während einer darauffolgenden Priestertumsversammlung sprach der Priestertumsführer den jungen Mann aus seinem Traum an und bat ihn um ein kurzes Gespräch. Nach ein paar einleitenden Worten redete er den jungen Mann mit seinem Namen an und sagte: „Ich bin eigentlich kein Träumer. Ich habe noch nie von jemandem aus diesem Pfahl geträumt, außer von dir. Ich werde dir von meinem Traum erzählen. Vielleicht kannst du mir sagen, was er zu bedeuten hat.“
Der Priestertumsführer erzählte seinen Traum und fragte den jungen Mann, was das wohl bedeute. Mit erstickter Stimme erwiderte der junge Mann nur: „Das bedeutet: Gott weiß, wer ich bin.“ Das Gespräch zwischen diesem jungen Mann und seinem Priestertumsführer hatte eine enorme Wirkung. Sie kamen überein, sich während der folgenden Monate immer wieder zu treffen.
Der junge Mann empfing die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn durch einen inspirierten Priestertumsführer. Ich wiederhole nochmals: Die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn tritt nicht wahllos oder zufällig zutage. Glaubenstreue und Gehorsam ermöglichen es uns, diese wichtige Gabe zu erhalten, und oft hilft uns erst der Zeitplan des Herrn, sie zu erkennen.
Wir dürfen die Macht der liebevollen Barmherzigkeit des Herrn weder unterschätzen noch ignorieren. Die Einfachheit, die Schönheit und die Beständigkeit der liebevollen, großen Barmherzigkeit des Herrn werden viel dazu beitragen, uns in den unruhigen Zeiten, in denen wir jetzt leben und auch weiterhin leben werden, zu stärken und zu beschützen. Wenn Worte den Trost, den wir brauchen, oder die Freude, die wir empfinden, nicht ausdrücken können, wenn es einfach zwecklos ist, das Unerklärliche erklären zu wollen, wenn Unrecht und die Ungerechtigkeiten des Lebens nicht mit Vernunft und Verstand zu begreifen sind, wenn unsere irdische Erfahrung und Urteilsfähigkeit nicht ausreicht, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen, und wenn wir uns vielleicht völlig verlassen vorkommen, dann werden wir wirklich mit der liebevollen, großen Barmherzigkeit des Herrn gesegnet und mächtig gemacht, ja, zur Kraft der Befreiung (siehe 1 Nephi 1:20).
Wen hat der Herr erwählt, seine liebevolle, große Barmherzigkeit zu empfangen?
Das Wort erwählt in 1 Nephi 1:20 ist ein Schlüsselbegriff, wenn man die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn verstehen will. Laut Wörterbuch ist jemand erwählt, der ausgesucht wurde oder einen Vorzug erhalten hat. Dieser Begriff lässt sich auch auf die Erwählten Gottes beziehen.1
Mancher, der diese Botschaft hört oder liest, mag irrtümlicherweise annehmen, die liebevolle, große Barmherzigkeit stehe ihm kaum oder gar nicht zu, weil er bestimmt nicht erwählt worden sei oder jemals erwählt werde. Wir denken vielleicht fälschlicherweise, derartige Segnungen und Gaben seien anderen vorbehalten, die anscheinend rechtschaffener sind oder prominentere Berufungen innehaben. Ich bezeuge, dass die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn uns allen zugänglich ist und dass der Erlöser Israels uns solche Gaben sehr gern zukommen lassen möchte.Erwählt zu werden oder zu sein ist kein Privileg, das man verliehen bekommt. Vielmehr bestimmen wir alle letztendlich selbst, ob wir erwählt werden.
Beachtet, wie das Wort erwählt in diesen Versen verwendet wird:
„Siehe, viele gibt es, die berufen sind, aber wenige werden erwählt. Und warum werden sie nicht erwählt?
Weil sie ihr Herz so sehr auf die Dinge dieser Welt gesetzt haben und nach den Ehren der Menschen streben.“ (LuB 121:34,35; Hervorhebung hinzugefügt.)
Ich glaube, die Schlussfolgerung aus diesen Versen ist ziemlich einfach. Gott hat keine Liste von Lieblingen, der unser Name hoffentlich eines Tages hinzugefügt werden wird. Er beschränkt die „Erwählten“ nicht auf einige wenige. Vielmehr bestimmen letztendlich unser Herz, unser Sehnen und unser Gehorsam, ob wir zu den Erwählten Gottes zählen.
Henoch wurde vom Herrn über genau diesen Punkt der Lehre unterwiesen. Beachtet, wie das Wort erwählen in diesen Versen verwendet wird:
„Sieh diese deine Brüder; sie sind das Werk meiner eigenen Hände, und ich gab ihnen ihre Erkenntnis an dem Tag, da ich sie erschuf; und im Garten von Eden gab ich dem Menschen seine Selbständigkeit; und deinen Brüdern habe ich gesagt und auch das Gebot gegeben, dass sie einander lieben sollen und dass sie mich, ihren Vater, erwählen sollen.“ (Mose 7:32,33; Hervorhebung hinzugefügt.)
Wie wir dieser Schriftstelle entnehmen können, wurde uns die Entscheidungsfreiheit im Grunde dazu gegeben, dass wir einander lieben und Gott erwählen. Demnach werden wir Gottes Erwählte und haben Anspruch auf seine liebevolle, große Barmherzigkeit, wenn wir unsere Entscheidungsfreiheit dazu nutzen, uns für Gott zu entscheiden – also ihn zu erwählen.
Eine der bekanntesten und meistzitierten Schriftstellen finden wir in Mose 1:39. Dieser Vers beschreibt klar und deutlich das Werk unseres ewigen Vaters: „Denn siehe, dies ist mein Werk und meine Herrlichkeit – die Unsterblichkeit und das ewige Leben des Menschen zustande zu bringen.“ (Hervorhebung hinzugefügt.)
Eine ähnliche Schriftstelle im Buch Lehre und Bündnisse beschreibt ebenso klar und deutlich unser vorrangiges Werk als Söhne und Töchter des ewigen Vaters. Interessanterweise scheint dieser Vers nicht so gut bekannt zu sein, und er wird auch nicht so oft zitiert: „Siehe, dies ist dein Werk: meine Gebote zu halten, ja, mit all deiner Macht, ganzem Sinn und aller Kraft.“ (LuB 11:20; Hervorhebung hinzugefügt.)
Das Werk des himmlischen Vaters besteht demnach darin, die Unsterblichkeit und das ewige Leben seiner Kinder zustande zu bringen. Unser Werk ist es, seine Gebote mit all unserer Macht, ganzem Sinn und aller Kraft zu halten – und dadurch werden wir erwählt und empfangen und erkennen durch den Heiligen Geist die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn in unserem täglichen Leben.
Wir können uns glücklich schätzen, inspirierten Rat von Führern der Kirche des Erlösers zu erhalten – zeitgemäßen Rat für unsere Verhältnisse und unsere Probleme. Wir werden belehrt, erhoben, erbaut, zur Umkehr aufgerufen und gestärkt. Wie ihr bin auch ich begierig, den Ermahnungen, Ratschlägen und persönlichen Eingebungen zu folgen, mit denen wir gesegnet werden. Wahrhaftig: „Der Herr ist gütig zu allen, sein Erbarmen waltet über all seinen Werken.“ (Psalmen 145:9.)
Ich bin dankbar für die Wiederherstellung des Evangeliums Jesu Christi durch den Propheten Joseph Smith und für die Kenntnis, die wir heute von der liebevollen, großen Barmherzigkeit des Herrn haben. Unsere Wünsche, unsere Glaubenstreue und unser Gehorsam bringen uns seine große Barmherzigkeit und helfen uns, sie zu erkennen. Als einer seiner Diener gebe ich mein besonderes Zeugnis, dass Jesus der Messias ist, unser Erretter und Erlöser. Ich weiß, dass er lebt und dass seine liebevolle, große Barmherzigkeit uns allen zugänglich ist. Jeder von uns kann ein Auge oder ein Ohr für die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn haben und klar erkennen, wie er uns in diesen Letzten Tagen durch sie stärkt und uns beisteht. Möge unser Herz stets von Dankbarkeit für seine überreiche, liebevolle, große Barmherzigkeit erfüllt sein.