2013
Die Kraft, auszuharren
November 2013


Die Kraft, auszuharren

Unsere Fähigkeit, in Rechtschaffenheit bis ans Ende auszuharren, steht unmittelbar im Verhältnis zur Stärke unseres Zeugnisses und zur Tiefe unserer Bekehrung.

Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, erwartet uns ein neuer Tag mit den Schwierigkeiten des Lebens. Diese Schwierigkeiten treten in unterschiedlichster Form auf: körperliche Beschwerden, finanzielle Rückschläge, Probleme in einer Beziehung, seelische Belastungen oder auch ein schwankender Glaube.

Viele der Schwierigkeiten, denen wir im Leben begegnen, kann man lösen und überwinden. Andere sind nur schwer zu verstehen und unmöglich zu bewältigen, und sie verfolgen uns, bis wir ins Jenseits übertreten. Während wir die Probleme, die wir lösen können, vorübergehend ertragen und die Probleme, die wir nicht lösen können, fortgesetzt ertragen, müssen wir daran denken, dass die geistige Kraft, die wir dadurch entwickeln, uns helfen wird, in allen Schwierigkeiten auszuharren, die uns im Leben begegnen.

Brüder und Schwestern, wir haben einen liebevollen Vater im Himmel, der das Leben hier auf der Erde so gestaltet hat, dass jeder für sich das lernt, was ihn für das ewige Leben in seiner Gegenwart befähigt.

Eine Begebenheit aus dem Leben des Propheten Joseph Smith verdeutlicht diesen Grundsatz. Der Prophet und einige seiner Mitstreiter waren bereits monatelang in Liberty in Missouri inhaftiert gewesen. Während er im Gefängnis schmachtete, flehte der Prophet Joseph Smith den Herrn in demütigem Gebet an, die Heiligen mögen von ihrem damaligem Leiden befreit werden. Der Herr antwortete, indem er ihm – und uns allen – aufzeigte, dass die Schwierigkeiten, die sich uns stellen, uns letztlich zum Guten dienen, wenn wir gut darin ausharren. Die Antwort des Herrn auf die Bitte Joseph Smiths lautete:

„Mein Sohn, Friede sei deiner Seele; dein Ungemach und deine Bedrängnisse werden nur einen kleinen Augenblick dauern,

und dann, wenn du gut darin ausharrst, wird Gott dich in der Höhe erhöhen.“1

Der Vater im Himmel hat unsere Reise durchs Leben so geplant, dass dabei unser Charakter geprüft wird. Wir sind sowohl guten als auch bösen Einflüssen ausgesetzt und haben die Entscheidungsfreiheit bekommen, selbst zu wählen, welchen Weg wir einschlagen. In alter Zeit hat der Prophet Samuel im Buch Mormon gesagt: „Ihr seid frei; es ist euch gewährt, für euch selbst zu handeln; denn siehe, Gott hat euch die Erkenntnis gegeben, und er hat euch frei gemacht.“2

Dem Vater im Himmel war außerdem klar, dass wir aufgrund unserer sterblichen Natur nicht immer die richtigen, also rechte, Entscheidungen treffen würden. Da wir nicht vollkommen sind und Fehler machen, brauchen wir Hilfe, um in seine Gegenwart zurückzukehren. Diese Hilfe wird uns durch die Lehren, durch das Beispiel und durch das Sühnopfer Jesu Christi zuteil. Das Sühnopfer des Erretters ermöglicht es uns, dank der Umkehr eines Tages errettet und erhöht zu werden. Wenn wir ehrlich und aufrichtig umkehren, kann uns das Sühnopfer helfen, rein zu werden, unser Wesen zu ändern und in unseren Schwierigkeiten gut auszuharren.

Das Ausharren ist ein entscheidender Grundsatz in der Lehre Jesu Christi. Er ist so wichtig, weil unsere ewige Zukunft davon abhängt, ob wir in Rechtschaffenheit ausharren.

In 2 Nephi 31 erklärt uns der Prophet Nephi: Nachdem wir wie Jesus Christus die errettende heilige Handlung Taufe und anschließend die Gabe des Heiligen Geistes empfangen haben, müssen wir vorwärtsstreben und uns am Wort von Christus weiden und bis ans Ende ausharren: „Siehe, so spricht der Vater: [Wir werden] ewiges Leben haben!“3

Um also die größte aller Segnungen des himmlischen Vaters zu erlangen, nämlich das ewige Leben, müssen wir die dazu erforderlichen heiligen Handlungen empfangen und dann die damit einhergehenden Bündnisse einhalten. In anderen Worten: Wir müssen gut ausharren.

Unsere Fähigkeit, in Rechtschaffenheit bis ans Ende auszuharren, steht unmittelbar im Verhältnis zur Stärke unseres Zeugnisses und zur Tiefe unserer Bekehrung. Wenn unser Zeugnis stark ist und wir wahrhaft zum Evangelium Jesu Christi bekehrt sind, werden unsere Entscheidungen durch den Heiligen Geist inspiriert und auf Christus ausgerichtet sein und unseren Wunsch stärken, in Rechtschaffenheit auszuharren. Ist unser Zeugnis schwach und unsere Bekehrung nur oberflächlich, ist das Risiko weitaus größer, dass wir durch die irrigen Sitten und Gebräuche der Welt zu falschen Entscheidungen verleitet werden.

Ich würde gerne ein Erlebnis erzählen, das verdeutlicht, wie viel Kraft es erfordert, körperlich auszuharren, und dies damit vergleichen, wie viel Kraft es erfordert, geistig auszuharren. Nach meiner Mission hatte ich die Gelegenheit, für einen hoch angesehenen Trainer und Buchautoren an einem College in Kalifornien Basketball zu spielen. Dieser Trainer achtete streng darauf, dass seine Spieler vor Beginn einer Basketball-Saison in Form waren. Eine der Voraussetzungen für das Training, bevor irgendjemand auf dem Spielfeld einen Basketball auch nur anfassen durfte, war es, querfeldein eine hügelige Strecke in der Nähe des Colleges in einer vorgegebenen, knapp bemessenen Zeit laufen zu können. Ich kann mich noch an meinen ersten Versuch erinnern, diese Strecke gleich nach meiner Mission zu laufen – ich dachte, ich sterbe!

Ich musste wochenlang hart trainieren, bevor ich es schließlich in der Zeit schaffte, die der Trainer vorgegeben hatte. Es war ein tolles Gefühl, diese Strecke nicht nur absolvieren, sondern im Endspurt sogar noch etwas zulegen zu können.

Um richtig Basketball spielen zu können, muss man durchtrainiert sein. Körperlich in Form zu sein, hat seinen Preis – und dieser Preis ist Hingabe, Ausdauer und Selbstdisziplin. Geistig auszuharren hat ebenfalls seinen Preis. Es ist der gleiche, nämlich Hingabe, Ausdauer und Selbstdisziplin.

Ein Zeugnis muss, wie der Körper, in Form sein, wenn man ausharren möchte. Wie hält man nun sein Zeugnis in Form? Man bringt seinen Körper nicht in Form, indem man Basketball einfach im Fernsehen anschaut. Genauso wenig kann man sein Zeugnis in Form bringen, indem man die Generalkonferenz einfach im Fernsehen anschaut. Wir müssen uns mit den Grundprinzipien des Evangeliums Jesu Christi befassen und sie lernen und dann unser Bestes geben, sie zu leben. Auf diese Weise werden wir zu Jüngern Jesu Christi und bauen ein dauerhaftes Zeugnis auf.

Wenn wir im Leben auf Widrigkeiten stoßen und den Wunsch haben, uns die Eigenschaften Jesu Christi anzueignen, müssen wir geistig vorbereitet sein. Geistig vorbereitet zu sein bedeutet, geistige Widerstandskraft und Stärke entwickelt zu haben, also in geistiger Hinsicht gut in Form zu sein. Und zwar so gut, dass wir beständig das Rechte wählen. Wir sind in unserem Wunsch und unserer Fähigkeit, das Evangelium zu leben, unverrückbar. Wie ein unbekannter Schriftsteller einmal sagte, müssen wir wie der Fels sein, den ein Fluss nicht wegzuspülen vermag.

Da wir jeden Tag vor Schwierigkeiten stehen, müssen wir auch jeden Tag an unserer geistigen Widerstandskraft arbeiten. Wenn wir geistige Widerstandskraft entwickeln, werden die irrigen Sitten und Gebräuche der Welt und unsere täglichen Schwierigkeiten unsere Fähigkeit, in Rechtschaffenheit auszuharren, kaum beeinträchtigen.

Wir finden großartige Beispiele für geistige Widerstandskraft in der Geschichte unserer eigenen Familie. In den vielen Begebenheiten über unsere Vorfahren können wir Beispiele finden, die belegen, wie gut es ist, auszuharren.

Ein solches Beispiel aus der Geschichte meiner Familie möge diesen Grundsatz verdeutlichen. Mein Urgroßvater Joseph Watson Maynes wurde 1856 in Hull in der englischen Grafschaft Yorkshire geboren. Seine Familie schloss sich in England der Kirche an und begab sich dann auf den Weg nach Salt Lake City. 1883 heiratete er Emily Keep, mit der er acht Kinder bekam. Joseph wurde im Juni 1910 auf eine Vollzeitmission berufen. Da war er 53 Jahre alt. Mit der Unterstützung seiner Frau und seiner acht Kinder kehrte er in seine englische Heimat zurück, um seine Mission zu erfüllen.

Nachdem er etwa zwei Jahre treu gedient hatte, waren er und sein Mitarbeiter gerade mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Sonntagsschule in Gloucester, als sein Reifen platzte. Er stieg ab, um den Schaden zu begutachten. Als er sah, dass es sich dabei nicht nur um eine Kleinigkeit handelte und es eine Weile dauern würde, das Fahrrad zu reparieren, sagte er seinem Mitarbeiter, er solle vorausfahren und mit den Versammlungen beginnen und er werde bald nachkommen. Kaum hatte er dies gesagt, sank er zu Boden. Er starb an einem plötzlichen Herzinfarkt.

Joseph Watson Maynes sah seine Frau und seine acht Kinder in diesem Leben nie wieder. Sein Leichnam konnte nach Salt Lake City zurückgebracht werden, und der Trauergottesdienst wurde in der alten Waterloo Assembly Hall ausgerichtet. Eine Aussage, die Elder Anthony W. Ivins vom Kollegium der Zwölf Apostel aus diesem Anlass traf, enthält eine wichtige Lehre in Bezug auf das Leben, den Tod und das Ausharren: „Genau das gibt uns das Evangelium – wir sind nicht immun gegen den Tod, aber wir können durch die Hoffnung auf eine herrliche Auferstehung den Sieg über den Tod davontragen. … Dies gilt auch für [Joseph Maynes]. … Es ist angenehm, befriedigend und eine Freude zu wissen, dass Menschen ihr Leben in Rechtschaffenheit und im Glauben niederlegen und dem Glauben treu geblieben sind.“4

Diese Begebenheit aus meiner Familie inspiriert mich, mein Bestes zu geben und dem Beispiel an Ausdauer und geistiger Widerstandskraft zu folgen, das mein Urgroßvater gegeben hat. Ebenso inspirierend finde ich den Glauben seiner Frau Emily, deren Leben nach dem Tod ihres Mannes sicherlich eine schwere Bürde war. Ihr Zeugnis war stark und sie war voll und ganz bekehrt. Bis an ihr Lebensende blieb sie dem Glauben treu und versorgte ihre acht Kinder allein.

Der Apostel Paulus mahnte: „Wir [wollen] alle Last und die Fesseln der Sünde abwerfen. Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist.“5 In dem Wettkampf voller Hindernisse, der uns hier auf Erden aufgetragen ist, geht es um Ausdauer. Die Hindernisse in diesem Wettkampf sind die Schwierigkeiten, die jeden Morgen auf uns warten. Wir sind hier auf Erden, um diesen Wettkampf zu bestreiten, unsere sittliche Entscheidungsfreiheit auszuüben und zwischen Richtig und Falsch zu wählen. Um den Wettkampf ehrenhaft und gut zu beenden und zu unserem Vater im Himmel zurückzukehren, müssen wir den Preis zahlen: Hingabe, Ausdauer und Selbstdisziplin. Wir müssen geistig in Form kommen. Wir müssen geistige Widerstandskraft entwickeln. Wir brauchen ein starkes Zeugnis, das zu wahrer Bekehrung führt, und infolgedessen werden wir den inneren Frieden und die Kraft finden, die wir brauchen, um in jeglichen Schwierigkeiten auszuharren, die uns begegnen.

Vor welchen Schwierigkeiten Sie jeden Morgen auch stehen mögen, denken Sie daran: Mit der geistigen Kraft, die Sie entwickeln, und mit der Hilfe des Herrn können Sie am Ende des Wettkampfs ebenso zuversichtlich sein wie der Apostel Paulus, der gesagt hat:

„Denn ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe.

Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten.

Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird.“6

Ich gebe Ihnen mein Zeugnis, dass ich weiß, dass es einen liebevollen Vater im Himmel gibt und dass er einen erhabenen und ewigen Plan des Glücklichseins hat, durch den wir zu dieser Zeit auf der Erde sind. Möge der Geist des Herrn uns alle dazu inspirieren, in uns die Kraft zu entwickeln, auszuharren. Im Namen Jesu Christi. Amen.