2014
Verborgene Wunden können heilen
September 2014


Verborgene Wunden können heilen

Die meisten Jugendlichen kommen heutzutage schon vor ihrem 18. Geburtstag mit Pornografie in Berührung. Hier einige Anregungen, was Eltern unternehmen können.

Composite of 5 individual youth looking serious or hurt.

In der großen Schlacht um die Stadt Kumeni kämpften Helamans 2060 junge Krieger, wie er berichtet, „mit dem Mut der Verzweiflung“ gegen ihre Feinde (siehe Alma 57:19). „[Es gab] nicht eine einzige Seele unter ihnen, die [in diesem Kampf] zugrunde ging“, aber es war „auch nicht eine Seele unter ihnen, die nicht viele Wunden empfangen hatte“ (Alma 57:25). Viele der jungen Krieger waren so schwer verwundet, dass sie wegen des Blutverlusts ohnmächtig wurden.

Diese jungen Krieger fochten einen Kampf aus, den ihre Eltern ihnen nicht abnehmen konnten, und sie mussten sich dem Kampf stellen, weil ihre Gesellschaft angegriffen worden war. Ein ähnlich verheerender Krieg tobt, aus ähnlichen Gründen, auch heutzutage unter den Jugendlichen. Und wie beim Volk Ammon ist es auch heute den Eltern nicht möglich, diesen Kampf anstelle ihrer Jugendlichen auszufechten. Aber sie können lernen, die verborgenen Wunden zu erkennen, die dieser Krieg ihren Kindern zufügt, und ihre Kinder mit dem Wissen und den Hilfen ausstatten, die sie zum Überleben brauchen.

Man muss den Tatsachen ins Auge sehen

Einige in den USA erstellte Studien kommen zu dem Schluss, dass heute nahezu hundert Prozent der Jugendlichen mit Pornografie in Berührung kommen, ehe sie die Highschool abschließen, und dass dies meist über das Internet geschieht, während die Kinder damit beschäftigt sind, ihre Hausaufgaben machen.1 Eine Untersuchung aus dem Jahr 2008 hat ergeben, dass sich schätzungsweise neun von zehn jungen Männern und fast ein Drittel der jungen Frauen nach eigenen Angaben pornografisches Material ansehen.2 Konsum und Suchtverhalten beginnen durchschnittlich im Alter von elf Jahren. Wir hoffen natürlich, dass sich durch den Einfluss des Evangeliums niedrigere Zahlen ergeben, doch zeigen Studien, dass sich die Mitglieder der Kirche „nicht von anderen unterscheiden, wenn es um die Intensität oder das Ausmaß einer sexuellen Sucht geht“3. Leider geht es anscheinend nicht mehr um die Frage, ob unsere Kinder mit Pornografie in Berührung kommen, sondern wann – und wie sie damit fertig werden. Ja, wir können davon ausgehen, dass bereits viele unserer Jugendlichen Wunden aus diesem Kampf davongetragen haben. Das heißt aber nicht, dass sie daran zugrunde gehen müssen.

In dem Bemühen, ihre Kinder zu schützen, können sich Eltern darin verzetteln, dass sie sich lediglich mit Filtern und Internetregeln befassen. Mark Butler, Professor für den Fachbereich Familienleben an der Brigham-Young-Universität, bestätigt, dass es wichtig ist, unser Zuhause und unsere Kinder zu schützen, merkt aber an, dass „technische Lösungen nur der Beginn sind. Der wichtigste Schutzschild ist der, den wir über unser Herz legen, und dieser geistige Schutzschild wird in der Familie geformt und angepasst.“4 Filter sowie Familienregeln für die PC-Nutzung sind wichtig und hilfreich, aber oft entwickelt sich die Pornografiesucht außerhalb der eigenen vier Wände, etwa in einer öffentlichen Bibliothek, bei Freunden oder dort, wo Hotspots zur Verfügung stehen und das Internet ungefiltert zugänglich ist.

Elder D. Todd Christofferson vom Kollegium der Zwölf Apostel hat gesagt: „Im Mittelpunkt der Gegenmaßnahmen stehen mehr und strengere Vorschriften. Vielleicht bringt das einige von prinzipienlosem Verhalten ab, aber andere werden einfach nur kreativer darin werden, Gesetze zu umgehen. Es kann nie genug Regeln geben, die so ins kleinste Detail ausgearbeitet sind, dass darin jede Situation vorausgesehen und abgedeckt wird. … Letztlich können die Grundursachen und die Symptome des gesellschaftlichen Zerfalls nur wirksam bekämpft werden, wenn jeder Einzelne einen moralischen Kompass in sich trägt.“5 So ist also die beste Verteidigung, mit der Sie die Jugendlichen wappnen können, der Wunsch, ein tugendhaftes Leben zu führen.

Anzeichen einer Sucht

Man kann seinen Körper nicht missbrauchen, ohne auch dem Geist Verletzungen zuzufügen, und diese hinterlassen stets auch geistig Narben.

Wenn Eltern aufmerksam auf solche Anzeichen achten, ist es leichter, eine Pornografiesucht zu bemerken. Man muss allerdings beachten, dass Anzeichen wie diese nicht zwangsläufig auf eine Pornografiesucht hindeuten. Wenn ein Jugendlicher solche Verhaltensweisen zeigt, kann dies auf ein tieferliegendes Problem hindeuten, etwa Drogenmissbrauch, Pornografiesucht, Mobbing oder anderes. Ganz unabhängig von der Ursache sind diese Anzeichen ein Signal für Sie, dass Sie mit Ihrem Kind auf liebevolle Weise ganz offen ins Gespräch kommen müssen.

A mother and teenage daughter sitting and talking at a kitchen table in Paraguay.

Geringe Selbstachtung

Jugendliche, die Probleme mit Pornografie haben, verspüren oft tiefe Scham, die ihre Selbstachtung untergräbt. Der Verlust der Selbstachtung zeigt sich beispielsweise in schlechten Leistungen in der Schule, in Antriebslosigkeit und einem Mangel an Selbstdisziplin in puncto Körperpflege oder Schlafgewohnheiten.

Sozialer Rückzug

Pornografiesucht gedeiht im Verborgenen, daher kann es sein, dass der Jugendliche sich mehr und mehr von der Familie und sonstigen sozialen Kontakten zurückzieht. Dies ist der häufigste Anhaltspunkt dafür, dass ein Problem mit Pornografie vorliegt. Ein Jugendlicher, der bei abgeschlossener Tür übermäßig viel Zeit in seinem Zimmer verbringt und sich von anderen zurückzieht, ist nicht immer bloß schüchtern. Selbst wenn er mit anderen zusammen ist, hat er oft Probleme im zwischenmenschlichen Umgang. Je schlimmer die Sucht wird, desto mehr kapselt sich der Jugendliche ab, und es kommt häufig vor, dass er wütend wird, wenn jemand in seinen Privatbereich eindringt. Wer Probleme mit Pornografie hat, gelangt zu einem verzerrten Bild von seinem eigenen Wert und der Tugendhaftigkeit anderer und zieht sich, weil er sich schämt und sich unwürdig und heuchlerisch vorkommt, von denen zurück, die er für bessere Menschen hält.

Depressionen

Eine Depression ist ein zweischneidiges Symptom, weil sie sowohl der Hinweis auf eine Sucht als auch der Auslöser einer Sucht sein könnte. Wiederholte Äußerungen der Hoffnungslosigkeit, eine hartnäckig pessimistische Grundstimmung und der Ausdruck von Hilflosigkeit können Anzeichen einer Depression sein. Auch wenn ein Jugendlicher im Spaß über Selbstmord redet, deutet dies auf eine Depression hin. Weitere Anzeichen einer Depression sind etwa, dass jemand mehr oder weniger isst als gewöhnlich, nicht schlafen kann oder viel zu viel schläft und körperlich völlig erschöpft ist – im Grunde also alles, was sich als extremes Verhalten bezeichnen lässt.

Weitere Anzeichen dafür, dass jemand Pornografie konsumiert, sind beispielsweise zunehmende Aggressivität, Unehrlichkeit, selbstgefällige Anmaßung und dass sich der Betreffende bei allem, was geistig ausgerichtet ist, entweder unwohl fühlt oder es ihm nichts bedeutet.

Nicht alle Anzeichen einer Pornografiesucht können hier angeführt werden. Eltern können am besten beurteilen, inwieweit ihre Kinder im Teenageralter ausreichend gegen Pornografie gewappnet sind, indem sie mit ihnen offen über Sexualität und über ihre seelische und geistige Gesundheit reden.

Mein Kind ist süchtig. Was nun?

Elder M. Russell Ballard vom Kollegium der Zwölf Apostel hat gesagt: „Ungeachtet der Sucht, in der jemand gefangen ist, gibt es immer Hoffnung“6, und zwar dank dem Sühnopfer Jesu Christi.

Im Grunde ist „jede Sucht eine fehlgeleitete Bewältigungsstrategie“, erklärt Professor Butler. Kinder, die nicht gelernt haben, mit Schuld, Scham, Kummer oder Schmerz umzugehen, neigen oft dazu, sich Suchtverhalten hinzugeben, um ihre negativen Gefühle zu betäuben. Selbst weniger schwerwiegende Emotionen wie Stress, Langeweile oder Einsamkeit können zu einem Suchtverhalten führen, wenn das Kind nicht weiß, wie es mit solchen Gefühlen umgehen soll.

Healing Hidden Wounds

Die Eltern können ihren Kindern helfen, gute Bewältigungsstrategien zu entwickeln, indem sie mit gutem Beispiel vorangehen. Anhand der folgenden Fragen können Sie Ihre eigenen Bewältigungsstrategien überprüfen: Wenn Sie unter Stress stehen, müde oder verzweifelt sind, kapseln Sie sich dann ab? Flüchten Sie vor Ihren Problemen in irgendwelche Unterhaltung, anstatt die Probleme anzugehen? Zeigen Sie durch Ihr Verhalten, dass die beste Art und Weise, ein Problem zu lösen, darin besteht, dass man sich auf den Vater im Himmel, auf den Erlöser sowie auf das Netz an Beziehungen zu anderen verlässt?

Kinder müssen lernen, die Anzeichen für eine geistige Wunde (etwa Bedrücktheit, Schuldgefühle oder Schmerz) zu erkennen, damit sie aus diesem Schmerz wertvolle Lehren ziehen können. Seelische Schmerzen sind an sich nichts Schlechtes. Alma der Jüngere beschrieb die Qual aufgrund seiner Sünden als „außerordentlich“ und „bitter“ (siehe Alma 36:21), Petrus „weinte bitterlich“, nachdem er Christus verleugnet hatte (siehe Lukas 22:62), und Zeezrom wurde „aufgrund seiner Schlechtigkeit“ gepeinigt (siehe Alma 15:3). Sie können Ihren Kindern zu der Erkenntnis verhelfen, dass Schmerz kein furchtbares Gefühl sein muss, das es unter allen Umständen zu vermeiden gilt, sondern dass er ein Lehrmeister sein kann, der zu einer unglaublichen Entwicklung führt. Alma, Petrus und Zeezrom haben sich von dem Schmerz, den sie wegen ihrer Sünden verspürten, zur Umkehr bringen lassen und wurden eifrige Verfechter des Evangeliums. Durch Ihr eigenes Beispiel und Ihre Führung können Sie Ihren Kindern helfen, Umkehr als etwas Wertvolleres zu betrachten als die Sucht.

Präsident Dieter F. Uchtdorf, Zweiter Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, hat gesagt: „Es gibt … einen schwerwiegenden Unterschied zwischen der Traurigkeit, die zur Umkehr führt, und derjenigen, die zur Verzweiflung führt.

Der Apostel Paulus hat gesagt: ‚Die gottgewollte Traurigkeit verursacht … Sinnesänderung zum Heil; die weltliche Traurigkeit aber führt zum Tod.‘ [2 Korinther 7:10; Hervorhebung hinzugefügt.] Gottgewollte Traurigkeit regt durch das Sühnopfer zu Veränderungen an und fördert die Hoffnung. Weltliche Traurigkeit zieht uns hinab, lässt die Hoffnung erlöschen und verleitet uns dazu, uns weiteren Versuchungen hinzugeben. …

Bei wahrer Umkehr geht es um eine Umwandlung, nicht um Pein und Qual. Und doch sind tiefes Bedauern und echte Reue, weil man nicht folgsam war, oftmals schmerzhafte, aber sehr wichtige Schritte auf dem heiligen Weg der Umkehr. Wenn Schuldbewusstsein aber in Selbstverachtung umschlägt oder uns davon abhält, uns wieder zu erheben, ist es eher hinderlich als unserer Umkehr förderlich.“7

Ihre Kinder werden in der Lage sein, ihre geistigen Wunden auszuhalten, wenn sie die Aussicht und die Hoffnung auf ein tugendhaftes Leben haben. Diese Zuversicht entsteht durch tägliches inniges Beten und ernsthaftes Schriftstudium.8 Professor Butler rät den Eltern: „Kraft Ihres Vorbilds schaffen Sie eine überzeugende Aussicht auf jene Freude, jenen Frieden und jenes Glück, die mit einem tugendhaften Leben Hand in Hand gehen. Vom Wunsch, tugendhaft zu leben, bis zur Umsetzung ist es ein langer Weg, aber der Wunsch ist die Keimzelle.“ Es kann manchmal eine Weile dauern, bis der Wunsch, tugendhaft zu leben, überhaupt entsteht. „Der natürliche Mensch ist ziemlich unverwüstlich, und es dauert oft lange, bis man ihn loswird“, meint Professor Butler. Wenn von einer Sucht die Rede ist, heißt das nicht, dass man für seine Entscheidungen nicht mehr verantwortlich ist. Es bedeutet aber, dass heimtückische Gewohnheiten oft nur durch geduldiges und beharrliches Eingreifen überwunden werden können (beispielsweise mithilfe des Genesungsprogramms für Suchtkranke).

Cropped version of Christ talking to a rich young man. Christ has His arms extended as He gestures toward a poorly dressed man and woman. The painting depicts the event wherein Christ was approached by a young man who inquired of Christ what he should do to gain eternal life. Christ instructed him to obey the commandments and to give his wealth to the poor and follow Him. The young man was unable to part with his wealth and went away sorrowfully. (Matthew 19:16-26) (Mark 10:17-27) (Luke 18:18-27)

Es gibt Hoffnung

Wie Helamans Krieger beweisen unsere Jugendlichen oft „großen Mut“, wenn sie mit Bösem konfrontiert werden (siehe Alma 56:45). So wie diese Krieger aus dem Buch Mormon auf den Glauben ihrer Eltern vertraut haben, müssen auch wir unseren Jugendlichen unser Zeugnis vom Evangelium und unseren treuen Glauben vermitteln, damit auch sie sagen können: „Wir zweifeln nicht; unsere Mütter [und Väter] haben es gewusst.“ (Alma 56:48.) Der Herr hat verheißen: „Ich werde eure Schlachten schlagen.“ (LuB 105:14.) Wenn unsere Jugendlichen Glauben an das Sühnopfer Jesu Christi üben, werden sie „mächtig [gemacht], ja, zur Kraft der Befreiung“ (1 Nephi 1:20).

Anmerkungen

  1. Siehe John L. Hart, „In Your Family? Undetected, Pornography Invades Homes, Ruins Lives“, Church News, 3. März 2007; ldschurchnews.com

  2. Siehe Jason S. Carroll und andere, „Generation XXX: Pornography Acceptance and Use among Emerging Adults“, Journal of Adolescent Research, 23, Nr. 1, 2008, Seite 6–30

  3. John L. Hart und Sarah Jane Weaver, „Defending the Home against Pornography“, Church News, 21. April 2007; ldschurchnews.com

  4. Mark Butler, aus einem Interview mit dem Verfasser, 2. August 2013; siehe auch Mark H. Butler, Spiritual Exodus: A Latter-day Saint Guide to Recovery from Behavioral Addiction; Boyd K. Packer, „Der Schild des Glaubens“, Der Stern, Juli 1995, Seite 8

  5. D. Todd Christofferson, „Moralische Disziplin“, Liahona, November 2009, Seite 106f.

  6. M. Russell Ballard, „O welch schlauer Plan des Bösen!“, Liahona, November 2010, Seite 110

  7. Dieter F. Uchtdorf, „Sie können sich wieder aufrichten!“, Liahona, November 2013, Seite 56

  8. Siehe M. Russell Ballard, „O welch schlauer Plan des Bösen!“, Seite 110

  9. Bruce Carpenter, aus einem Interview mit dem Verfasser vom 12. September 2013

Familienregeln für die Computernutzung sind wichtig, aber man kann sich darin auch verzetteln und sich lediglich mit Filtern und Schutzmaßnahmen befassen.

Wir müssen unseren Jugendlichen unser Zeugnis vom Evangelium und unseren treuen Glauben vermitteln.

Wenn unsere Jugendlichen Glauben an das Sühnopfer Jesu Christi ausüben, können sie von ihren geistigen Wunden geheilt werden.

Foto von diawka/iStock/Thinkstock

Ausschnitt aus dem Gemälde Christus und der reiche Jüngling von Heinrich Hofmann, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der C. Harrison Conroy Co.