Den Willen und den Zeitplan des Herrn annehmen
Nach der Ansprache „Auf dass wir nicht zurückschrecken“ anlässlich einer Andacht des Bildungswesens der Kirche an der University of Texas in Arlington am 3. März 2013
Fester Glaube an den Erlöser bedeutet, dass man fügsam seinen Willen und seinen Zeitplan annimmt – auch wenn das Ergebnis nicht dem entspricht, was man sich erhofft oder wünscht.
Elder Neal A. Maxwell (1926–2004) war ein geliebter Jünger des Herrn Jesus Christus. Er gehörte 23 Jahre, von 1981 bis 2004, dem Kollegium der Zwölf Apostel an. Die geistige Kraft seiner Worte und sein Beispiel treuer Nachfolge sind den Mitgliedern der wiederhergestellten Kirche des Erlösers und den Menschen in der Welt bis heute ein großer Segen.
Im Oktober 1997 waren Elder Maxwell und seine Frau bei meiner Frau und mir an der Brigham-Young-Universität Idaho (damals Ricks College) zu Gast. Elder Maxwell sollte bei einer Andacht zu den Studenten, den Mitarbeitern und dem Lehrkörper sprechen.
Anfang des Jahres hatte sich Elder Maxwell 46 Tage lang einer kräftezehrenden Chemotherapie gegen Leukämie unterzogen. Durch die Reha-Maßnahmen und die anhaltende Therapie machte er im Laufe des Frühjahrs und der Sommermonate Fortschritte. Dennoch stand es um seine Kraft und seine Kondition nicht zum Besten, als er nach Rexburg kam. Nachdem Susan und ich Elder Maxwell und seine Frau vom Flughafen abgeholt hatten, fuhren wir mit ihnen zu uns nach Hause, damit sie sich vor der Andacht etwas ausruhen und einen kleinen Imbiss zu sich nehmen konnten.
Ich fragte Elder Maxwell, was er aus seiner Krankheit gelernt habe. Seine klare und eindringliche Antwort werde ich nie vergessen. „Dave“, sagte er, „ich habe gelernt, dass nicht zurückzuschrecken viel wichtiger ist als zu überleben.“
Seine Antwort auf meine Frage war ein Grundsatz, mit dem er während seiner Chemotherapie ausgiebig persönlich Erfahrung gemacht hatte. Im Januar 1997, an dem Tag, als die erste Reihe von Behandlungen beginnen sollte, schaute Elder Maxwell seine Frau an, nahm ihre Hand, seufzte tief und meinte: „Ich möchte nur nicht zurückschrecken.“
In seiner Ansprache bei der Herbst-Generalkonferenz 1997 sprach Elder Maxwell mit großer Überzeugungskraft: „Wenn wir vor unseren … Prüfungen und Leiden stehen, können auch wir so wie Jesus den Vater anflehen, dass wir nicht zurückschrecken, also zurückweichen oder zurückschaudern (siehe LuB 19:18). Nicht zurückschrecken ist viel wichtiger als überleben! Außerdem eifern wir Jesus nach, wenn wir den bitteren Kelch trinken, ohne verbittert zu werden.“1
Schriftstellen über das Leiden des Heilands, als er das unbegrenzte und ewige Sühnopfer vollbrachte, wurden für mich noch bewegender und bedeutsamer:
„Denn siehe, ich, Gott, habe das für alle gelitten, damit sie nicht leiden müssen, sofern sie umkehren;
aber sofern sie nicht umkehren, müssen sie leiden so wie ich,
und dieses Leiden ließ mich, selbst Gott, den Größten von allen, der Schmerzen wegen zittern und aus jeder Pore bluten und an Leib und Geist leiden – und ich wollte den bitteren Kelch nicht trinken und zurückschrecken –,
doch Ehre sei dem Vater, und ich trank davon und vollendete meine Vorbereitungen für die Menschenkinder.“ (LuB 19:16-19.)
Der Heiland schreckte weder in Getsemani noch auf Golgota zurück.
Auch Elder Maxwell schreckte nicht zurück. Dieser machtvolle Apostel strebte beständig vorwärts, und ihm wurde zusätzliche Zeit in diesem Leben gewährt, zu lieben, zu dienen, zu lehren und Zeugnis zu geben. Die abschließenden Jahre seines Lebens setzten durch Worte ebenso wie durch Taten ein markantes Ausrufezeichen hinter sein Beispiel der treuen Nachfolge Christi.
Ich glaube, die meisten unter uns erwarten von einem Mann mit der Geisteskraft und Erfahrung und vom Kaliber eines Elder Maxwell wahrscheinlich, dass er einer schweren Erkrankung und dem Tod mit dem Wissen um Gottes Plan des Glücklichseins und mit Zuversicht, Anstand und Würde begegnet. Aber ich bezeuge, dass Segnungen dieser Art nicht ausschließlich Generalautoritäten oder einigen wenigen auserwählten Mitgliedern der Kirche vorbehalten sind.
Seitdem ich ins Kollegium der Zwölf Apostel berufen wurde, habe ich durch meine Aufgaben und Reisen treue, mutige und tapfere Mitglieder der Kirche in aller Welt kennenlernen dürfen. Ich möchte Ihnen von einem jungen Mann und einer jungen Frau erzählen, die mir viel gegeben haben und mit denen ich entscheidende geistige Lektionen darüber gelernt habe, dass man nicht zurückschrecken darf und es zulassen muss, dass der eigene Wille „im Willen des Vaters verschlungen“ wird (Mosia 15:7).
Die Geschichte ist wahr und die erwähnten Personen gibt es wirklich. Ich werde sie jedoch nicht bei ihrem tatsächlichen Namen nennen. Sie haben mir erlaubt, einige Abschnitte aus ihren Tagebüchern zu verwenden.
„Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“
John ist ein würdiger Priestertumsträger, er hat treu eine Vollzeitmission erfüllt. Nach seiner Mission ging er mit Heather aus, einer rechtschaffenen, lieben, jungen Frau, die er dann auch heiratete. John war 23 und Heather 20 Jahre alt, als sie für Zeit und alle Ewigkeit im Haus des Herrn aneinander gesiegelt wurden.
Etwa drei Wochen nach ihrer Eheschließung im Tempel wurde bei John Knochenkrebs festgestellt. Da auch in der Lunge Metastasen gefunden wurden, war die Prognose nicht gut.
John schrieb in sein Tagebuch: „Das war der beängstigendste Tag meines Lebens. Nicht nur, weil ich erfuhr, dass ich Krebs hatte, sondern auch, weil ich frisch verheiratet war und irgendwie das Gefühl hatte, als Ehemann versagt zu haben. Ich war der Ernährer und Beschützer unserer jungen Familie, und jetzt – drei Wochen nachdem ich diese Rolle übernommen hatte – hatte ich das Gefühl, ich hätte versagt.“
Heather schrieb: „Diese Nachricht war niederschmetternd, und ich erinnere mich, wie sehr sich unsere Sichtweise veränderte. Ich saß im Wartezimmer im Krankenhaus und schrieb, während wir auf die Befunde warteten, Dankesbriefe für die Hochzeitsgeschenke. Doch nachdem wir von Johns Krebserkrankung erfahren hatten, schienen Schmortöpfe und Kochgeschirr auf einmal nicht mehr so wichtig. Das war der schlimmste Tag in meinem Leben, aber ich weiß noch, dass ich am Abend voller Dankbarkeit für unsere Siegelung im Tempel zu Bett ging. Auch wenn die Ärzte John nur eine Überlebenschance von 30 Prozent eingeräumt hatten, wusste ich doch, dass ich eine Chance von 100 Prozent hatte, für immer mit ihm zusammen zu sein, sofern wir treu blieben.“
Etwa einen Monat danach begann John mit der Chemotherapie. Er beschrieb seine Erfahrungen so: „Durch die Behandlung ging es mir so elend wie noch nie zuvor. Die Haare fielen mir aus, ich nahm 19 Kilo ab und spürte, dass mein ganzer Körper aus dem Gleichgewicht geriet. Die Chemotherapie beeinträchtigte mich sowohl emotional als auch mental und geistig. In den Monaten der Chemotherapie glich mein Leben einer Achterbahnfahrt mit Höhen, Tiefen und allem, was dazwischen liegt. Doch in all diesem Auf und Ab bewahrten Heather und ich uns den Glauben, dass Gott mich heilen werde. Wir wussten es einfach.“
Heather zeichnete ihre Gedanken und Gefühle wie folgt auf: „Ich konnte es nicht ertragen, dass John die Nacht über allein im Krankenhaus verbringen sollte, und so schlief ich jede Nacht auf dem kleinen Sofa in seinem Zimmer. Tagsüber besuchten uns viele Freunde und Angehörige, aber nachts war es am schwersten. Dann starrte ich zur Decke und fragte mich, was der Vater im Himmel mit uns vorhatte. Manchmal wanderten meine Gedanken auch an finstere Orte, und die Angst, John zu verlieren, überwältigte mich nahezu. Ich wusste aber, dass diese Gedanken nicht vom Vater im Himmel kamen. Ich betete immer öfter um Trost, und der Herr gab mir die Kraft, weiterzumachen.“
Drei Monate später unterzog sich John einer Operation, um einen großen Tumor aus seinem Bein entfernen zu lassen. Zwei Tage nach der Operation besuchte ich John und Heather im Krankenhaus. Wir sprachen darüber, wie ich John während seiner Mission kennengelernt hatte, über ihre Ehe, den Krebs und die für die Ewigkeit entscheidenden Lektionen, die wir aus den Prüfungen des Erdenlebens lernen. Als unsere gemeinsame Zeit zu Ende ging, fragte John, ob ich ihm einen Priestertumssegen spenden könne. Ich erwiderte, dass ich das gern tun würde, dass ich vorher aber noch ein paar Fragen stellen wolle.
Dann stellte ich ihm Fragen, wie ich sie nie vorgehabt und auch nie zuvor in Erwägung gezogen hatte: „John, hast du den Glauben, nicht geheilt zu werden? Sollte es der Wille unseres Vaters im Himmel sein, dass du in deiner Jugend durch den Tod in die Geisterwelt versetzt wirst, um dort deinen Dienst fortzusetzen, hast du dann den Glauben, dich seinem Willen zu unterwerfen und nicht geheilt zu werden?“
Häufig lesen wir in den heiligen Schriften, dass der Erretter oder seine Diener die geistige Gabe der Heilung ausübten (siehe 1 Korinther 12:9; LuB 35:9; 46:20) und zu erkennen vermochten, ob jemand den Glauben hatte, geheilt zu werden (siehe Apostelgeschichte 14:9; 3 Nephi 17:8; LuB 46:19). Doch als John, Heather und ich miteinander Rat hielten und mit diesen Fragen rangen, wurde uns immer klarer, dass sich – falls es Gottes Wille war, dass dieser liebe junge Mann geheilt würde – diese Segnung erst empfangen ließ, wenn das tapfere Paar zunächst einmal den Glauben hatte, nicht geheilt zu werden. Anders gesagt: John und Heather mussten durch das Sühnopfer des Herrn Jesus Christus die uns allen innewohnende Neigung des „natürlichen Menschen“ ablegen (Mosia 3:19), ungeduldig die Segnungen einzufordern, die wir uns wünschen und die wir zu verdienen meinen, und unaufhörlich darauf zu bestehen, dass wir sie erhalten.
Uns wurde ein Grundsatz bewusst, der für jeden treuen Jünger gilt: Fester Glaube an den Erlöser bedeutet, dass man fügsam den Willen Gottes und seinen Zeitplan annimmt – auch wenn das Ergebnis nicht dem entspricht, was man sich erhofft oder wünscht. Natürlich wünschten, ersehnten und erflehten John und Heather mit aller Macht, ganzem Sinn und aller Kraft eine Heilung. Doch noch wichtiger war, dass sie willens waren, „sich allem zu fügen, was der Herr für richtig hält, [ihnen] aufzuerlegen, so wie ein Kind sich seinem Vater fügt“ (Mosia 3:19). Sie mussten tatsächlich gewillt sein, ihre ganze Seele als Opfer darzubringen (siehe Omni 1:26) und demütig zu beten: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ (Lukas 22:42.)
Was John, Heather und mir zunächst wie quälende Fragen vorkam, entpuppte sich als Teil einer allgegenwärtigen Reihe scheinbar widersprüchlicher Evangeliumsgrundsätze. Denken Sie an die mahnenden Worte des Erlösers: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Matthäus 10:39.) Er hat auch erklärt: „Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein.“ (Matthäus 19:30.) Und der Herr erklärte seinen Jüngern der Letzten Tage: „Durch dein Wort werden viele Hohe erniedrigt werden, und durch dein Wort werden viele Niedrige erhöht werden.“ (LuB 112:8.) Somit schien es, dass der Glaube, nicht geheilt zu werden, in eine beeindruckende Reihe scheinbarer Widersprüche passte, die von uns erfordern, dass wir bitten, suchen und anklopfen, damit wir Erkenntnis und Verständnis empfangen (siehe 3 Nephi 14:7).
Nachdem John sich Zeit genommen hatte, über meine Fragen nachzudenken und mit seiner Frau zu sprechen, sagte er zu mir: „Elder Bednar, ich möchte nicht sterben. Ich möchte Heather nicht allein lassen. Aber wenn es der Wille des Herrn ist, mich in die Geisterwelt zu versetzen, dann, so glaube ich, kann ich das akzeptieren.“
Das Herz schwoll mir vor Dankbarkeit und Hochachtung, als ich miterlebte, wie dieses junge Paar sich dem schwierigsten aller geistigen Kämpfe stellte und seinen Willen demütig dem Willen Gottes unterordnete. Mein Glaube wurde dadurch gestärkt, dass ich miterlebte, wie dieses Paar zuließ, dass der nachvollziehbare starke Wunsch nach Heilung „im Willen des Vaters verschlungen“ wurde (Mosia 15:7).
John beschrieb seine Reaktion auf unser Gespräch und den Segen, den er bekommen hatte: „Elder Bednar sprach mit uns über Elder Maxwells Gedanken, nicht zurückzuschrecken sei besser als zu überleben. Dann fragte Elder Bednar uns: ‚Ich weiß, dass ihr den Glauben habt, geheilt zu werden. Habt ihr aber auch den Glauben, nicht geheilt zu werden?ʻ Diese Vorstellung war mir fremd. Im Grunde fragte er, ob ich den Glauben hatte, Gottes Willen anzunehmen, auch wenn sein Wille darin bestand, dass ich nicht geheilt werde. Sollte die Zeit für mich nahen, dass ich durch den Tod in die Geisterwelt hinüberging, war ich dann bereit, mich diesem seinem Willen zu beugen und ihn anzunehmen?“
John berichtete weiter: „Den Glauben zu haben, nicht geheilt zu werden, schien dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen. Doch diese Sichtweise änderte unsere Gedankengänge und machte es uns möglich, voll und ganz auf den Plan zu vertrauen, den der Vater für uns hat. Uns wurde klar, dass wir den Glauben aufbringen müssen, dass der Herr weiß, wohin er uns führt, und dass er uns – ganz gleich, wie das Ergebnis auch ausfallen mag – von dort, wo wir sind, dahin führt, wo wir hinmüssen. Während wir beteten, gingen unsere Bitten von ‚Bitte, heile michʻ in ‚Bitte, gib mir den Glauben, das anzunehmen, was du für mich vorgesehen hastʻ über.
Ich war sicher, dass Elder Bednar, der ja ein Apostel ist, die lebenswichtigen Teile meines Körpers segnen würde, damit sie wieder in Ordnung kämen, und dass ich aus dem Bett springen und tanzen oder etwas ähnlich Aufsehenerregendes tun würde. Doch als er mich an dem Tag segnete, war ich erstaunt, dass sich der Segen im Wortlaut kaum von dem meines Vaters, meines Schwiegervaters und meines Missionspräsidenten unterschied. Mir wurde klar, dass es letzten Endes nicht darauf ankommt, wessen Hände auf meinem Kopf liegen. Die Macht Gottes ist immer die gleiche, und sein Wille wird einem jeden von uns durch seine bevollmächtigten Diener kundgetan.“
Heather schrieb: „An diesem Tag hatte ich gemischte Gefühle. Ich war überzeugt, dass Elder Bednar John die Hände auflegen und ihn vollständig vom Krebs heilen würde. Ich wusste, dass er durch die Macht des Priestertums geheilt werden konnte, und das wünschte ich mir so sehr. Nachdem er zu uns über den Glauben, nicht geheilt zu werden, gesprochen hatte, bekam ich große Angst. Bis zu dem Punkt hatte ich es nie für möglich gehalten, dass es zum Plan des Herrn gehören könnte, dass ich meinen mir frisch angetrauten Mann verliere. Mein Glaube war von den Ergebnissen abhängig, die ich mir wünschte; er war sozusagen eindimensional. Obwohl der Gedanke an den Glauben, nicht geheilt zu werden, zunächst erschreckend war, befreite er mich letztlich von meinen Sorgen. Durch ihn wurde es mir möglich, völlig darauf zu vertrauen, dass der Vater im Himmel mich besser kennt, als ich mich selbst kenne, und dass er das tun würde, was für John und mich am besten war.“
Der Segen wurde gespendet, und Wochen, Monate und Jahre vergingen. Johns Krebs ging auf wundersame Weise zurück. Er konnte sein Studium abschließen und fand eine gute Anstellung. John und Heather vertieften ihre Beziehung weiter und genossen das gemeinsame Leben.
Einige Zeit später erhielt ich einen Brief von ihnen, in dem sie mir mitteilten, dass der Krebs zurückgekehrt war. Die Chemotherapie wurde wieder aufgenommen, eine Operation stand bevor. John erklärte: „Diese Nachricht war für Heather und mich nicht nur eine Enttäuschung, sondern auch verwirrend. Gab es etwas, was wir beim ersten Mal nicht gelernt hatten? Erwartete der Herr darüber hinaus noch mehr von uns?
So begann ich also, um Klarheit zu beten und darum, dass der Herr mich begreifen ließe, wozu dieser Rückfall diente. Eines Tages, als ich gerade im Neuen Testament las, erhielt ich eine Antwort. Ich las, wie Christus und seine Apostel auf dem See waren und ein Sturm heraufzog. In ihrer Angst, das Boot würde kentern, wandten sich die Jünger an den Erlöser und fragten: ‚Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?ʻ Genau so fühlte ich mich! Kümmert es dich nicht, dass ich Krebs habe? Kümmert es dich nicht, dass wir Kinder haben wollen? Doch als ich die Geschichte weiterlas, fand ich meine Antwort. Der Herr schaute sie an und sagte: ‚O ihr Kleingläubigenʻ, und er streckte die Hand aus und glättete die Wogen.
In dem Augenblick musste ich mich fragen: ‚Glaube ich das wirklich? Glaube ich wirklich, dass er damals die Wogen geglättet hat? Oder ist das einfach nur eine schöne Geschichte?ʻ Die Antwort ist: Ich glaube es, und weil ich weiß, dass er die Wogen geglättet hat, weiß ich auch, dass er mich heilen kann. Bis zu dem Punkt war es mir schwergefallen, mich damit abzufinden, dass ich Glauben an Christus haben und mich doch seinem unausweichlichen Willen beugen musste. Das war für mich zweierlei, und manchmal hatte ich das Gefühl, dass das eine im Widerspruch zum anderen stand. Warum soll ich Glauben haben, wenn sich sein Wille letzten Endes doch durchsetzt?, fragte ich mich. Nach dieser Erfahrung wusste ich, dass Glaube – zumindest in meiner Situation – nicht zwangsläufig bedeutete, dass der Herr mich heilen würde, sondern dass er mich heilen konnte. Ich musste daran glauben, dass er es konnte, und dann lag es an ihm, ob es auch geschah.
Als ich zuließ, dass diese beiden Gedanken nebeneinander bestanden – gebündelter Glaube an Jesus Christus und völlige Unterordnung unter seinen Willen –, fand ich mehr Trost und Frieden. Es war beeindruckend, die Hand des Herrn in unserem Leben zu erkennen. Alles hat sich gefügt, Wunder sind geschehen, und es stimmt uns immerfort demütig, wenn wir sehen, wie sich Gottes Plan in unserem Leben entfaltet.“
Rechtschaffenheit und Glaube gehören unbedingt dazu, wenn man Berge versetzen will – vorausgesetzt, dass das Bergeversetzen Gottes Absichten entspricht und im Einklang mit seinem Willen steht. Rechtschaffenheit und Glaube gehören unbedingt dazu, wenn Kranke, Taube oder Lahme geheilt werden sollen – vorausgesetzt, dass eine solche Heilung Gottes Absichten entspricht und im Einklang mit seinem Willen steht. Doch selbst mit starkem Glauben werden viele Berge nicht versetzt. Und nicht alle Kranken und Gebrechlichen werden geheilt. Wenn jeder Widerstand ausgeräumt und jede Krankheit beseitigt würde, dann wären die wichtigsten Ziele im Plan des Vaters vereitelt.
Viele der Lektionen, die wir in diesem Leben lernen sollen, nehmen wir nur durch das an, was wir erfahren und manchmal auch erleiden. Und Gott erwartet von uns und vertraut darauf, dass wir vorübergehendes Ungemach in diesem Leben mit seiner Hilfe bewältigen, damit wir lernen, was wir lernen müssen, und damit schließlich das aus uns wird, was wir in der Ewigkeit sein sollen.
Die Bedeutung von allem
Die Geschichte von John und Heather ist ebenso gewöhnlich, wie sie außergewöhnlich ist. Dieses junge Paar ist bezeichnend für Millionen treuer Mitglieder der Kirche in aller Welt, die ihre Bündnisse halten und mit beständigem Glauben an Christus und erfüllt vom vollkommenen Glanz der Hoffnung auf dem engen und schmalen Pfad vorwärtsstreben (siehe 2 Nephi 31:19,20). John und Heather hatten keine hervorstechende Führungsposition in der Kirche inne, sie waren nicht mit Generalautoritäten verwandt, und manchmal hatten sie Angst und Zweifel. In vielerlei Hinsicht ist ihre Geschichte ganz gewöhnlich.
Aber dieser junge Mann und diese junge Frau wurden auf außergewöhnliche Weise gesegnet, um durch Leid und Widrigkeiten wichtige Lektionen für die Ewigkeit zu lernen. Ich habe Ihnen diese Begebenheit erzählt, weil John und Heather, wie so viele von Ihnen, schließlich begriffen haben, dass es wichtiger ist, nicht zurückzuschrecken, als zu überleben. Daher geht es bei dem, was sie erlebt haben, in erster Linie nicht um Leben oder Tod, sondern vielmehr darum, zu lernen, zu leben und zu werden.
Vielleicht ist diese Geschichte auch Ihre Geschichte – oder könnte es sein. Sie stehen vergleichbaren Herausforderungen gegenüber oder haben sie, mit dem gleichen Mut und der geistigen Sichtweise wie John und Heather, hinter oder noch vor sich. Ich weiß nicht, warum manche Menschen die Lektionen der Ewigkeit durch Prüfungen und Leid lernen, während andere ähnliche Lektionen durch Rettung und Heilung lernen. Ich kenne nicht alle Gründe oder alle Absichten, und ich weiß nicht alles über den Zeitplan des Herrn. Sie und ich können mit Nephi sagen: Wir wissen nicht „die Bedeutung von allem“ (1 Nephi 11:17).
Doch einiges weiß ich ganz gewiss: Ich weiß, dass wir Geistsöhne und -töchter des Vaters im Himmel sind, der uns liebt. Ich weiß, dass der ewige Vater der Urheber des Plans des Glücklichseins ist. Ich weiß, dass Jesus Christus unser Heiland und Erlöser ist. Ich weiß, dass Jesus den Plan des Vaters durch sein unbegrenztes und ewiges Sühnopfer möglich gemacht hat. Ich weiß, dass der Herr, der für uns so viel erduldet hat,2 „seinem Volk beistehen [kann] gemäß dessen Schwächen“ (Alma 7:12). Und ich weiß, dass eine der größten Segnungen des Erdenlebens darin besteht, nicht zurückzuschrecken und zudem zuzulassen, dass unser Wille „im Willen des Vaters verschlungen“ wird (Mosia 15:7).
Auch wenn ich nicht alles darüber weiß, wie und wann und wo und warum diese Segnungen eintreten, bezeuge ich doch, dass es sie wirklich gibt. Und ich weiß: Wenn Sie mit unerschütterlichem Glauben an Christus vorwärtsstreben, werden Sie mit der Fähigkeit gesegnet, nicht zurückzuschrecken.