2016
Von meinem Bruder gerettet
August 2016


Von meinem Bruder gerettet

Die Verfasserin lebt in Idaho.

Als mein Bruder Tanner 12 wurde, lud ich ihn ein, zusammen mit mir in den Tempel zu gehen. Damals hatte ich keine Ahnung, wie sehr wir in den kommenden Jahren unsere gegenseitige Unterstützung brauchen würden.

going to the temple

Ich war knapp zwölf, als der Twin-Falls-Idaho-Tempel geweiht wurde. Ich war begeistert, als meine ältere Schwester mich zum ersten Mal fragte, ob ich ab jetzt regelmäßig mit ihr und ihrer Freundin in den Tempel gehen wolle.

Als mein jüngerer Bruder Tanner drei Jahre später zwölf wurde, freute ich mich, weil ich jetzt ihn einladen konnte, mit mir in den Tempel zu gehen.

Wenn wir morgens zum Tempel gehen wollten, motivierten wir uns gegenseitig, aufzustehen und uns auf den Weg zu machen. Wenn wir müde waren, machte Tanner Späße, damit uns das Aufstehen leichter fiel. Nach dem Tempelbesuch unterhielten wir uns immer kurz darüber, wie wir uns im Tempel gefühlt und worüber wir nachgedacht hatten.

Der Tempelbesuch mit Tanner war für mich der geistige Höhepunkt der Woche. Unsere regelmäßigen Tempelbesuche vertieften unsere Freundschaft. Das gab mir mehr Kraft, als ich je gedacht hätte, als einige Prüfungen auf mich zukamen. Unsere beiden älteren Schwestern waren ausgezogen, um aufs College zu gehen, und unsere Gemeinde war gerade geteilt worden. Tanner und ich waren somit fast die einzigen aktiven Jugendlichen in unserer Gemeinde.

Wir verbrachten viele Stunden damit, Jugendliche, die weniger aktiv waren, zu den Versammlungen und den Aktivitäten der Jugendlichen einzuladen. Die Anstrengungen schienen jedoch vergebens, denn niemand kam, ganz gleich, auf wie viele Mädchen ich freundschaftlich zugegangen war.

Unsere Eltern standen uns so gut es ging bei. Sie gaben uns Zeugnis, wenn wir mutlos waren, und hörten sich unseren Frust an, wenn wir aufgebracht waren. Doch trotzdem hatten wir nicht ganz plötzlich mehr Freunde in der Kirche. Mir fiel es immer schwerer hinzugehen, weil ich dort die einzige Junge Dame war. Da wir in der Schule sehr eingespannt waren, fanden unsere Tempelbesuche immer seltener statt.

having more fun at work

Ich verbrachte viel Zeit damit, in den heiligen Schriften zu lesen und den Herrn anzuflehen, er möge mir helfen, stark zu bleiben. Ich fühlte mich einsam und erschöpft. Ich wollte nicht mehr alleine sein, nicht mehr vergeblich versuchen, etwas zu erreichen, und mich nicht mehr geistig und seelisch so abmühen.

Zu ebendieser Zeit hatte ich im städtischen Schwimmbad einen Job als Bademeisterin. Dort gefiel es mir viel besser als in der Kirche, weil meine Arbeitskollegen meine Freunde waren und sich immer sehr freuten, mich zu sehen. Eines Tages beschloss ich, nicht mehr zu den Aktivitäten der Jugendlichen zu gehen, da mir die Arbeit mehr Spaß machte und ich so auch mehr Geld verdienen konnte.

Ich fand das nicht weiter schlimm, bis mir auffiel, dass ich meine Maßstäbe lockerte. Ich sagte nichts, wenn meine Freunde fluchten, und eines Tages rutschte mir selbst ein Fluch heraus. Ich war entsetzt, weil ich bis dahin nie geflucht hatte. Einmal sah ich mir mit meinen Freunden aus dem Schwimmbad abends bei einer Party sogar einen unanständigen Film an. Ich fühlte mich furchtbar und fragte mich, was eigentlich mit mir los war.

Meine Eltern hatten mir gesagt, dass Tanner viel einsamer geworden war, seitdem ich nicht mehr zu den Aktivitäten der Jugendlichen ging. Jede Woche fragte er mich: „Kommst du heute Abend mit?“ Wenn er heimkam, ging er geradewegs in sein Zimmer und las lange in den heiligen Schriften. Er redete kaum noch mit mir und wenn ich fragte, ob alles in Ordnung sei, antwortete er nur mit einem Nein und ging weg.

An einem Abend kam er weinend nach Hause, weil er sich so alleine fühlte.

family history classes with my brother

Da beschloss ich, die Aktivitäten wieder zu besuchen. Es spielte keine Rolle, wie schwierig es für mich war, die einzige Junge Dame zu sein. Tanner brauchte mich.

Mein Bruder nahm in der Kirche an einem Familienforschungskurs teil, und ich beschloss, den Kurs mit ihm zu besuchen. Wir wollten wieder regelmäßiger in den Tempel gehen, und jetzt konnten wir auch selbst Namen dafür finden.

Es machte uns Spaß, am Sonntag gemeinsam den Kurs zu besuchen. Nach den Versammlungen suchten wir gemeinsam nach Namen. Das Beste daran, eigene Namen zum Tempel mitzunehmen, war, dass wir sie gemeinsam gefunden hatten. Und noch besser war, dass wir einander in der Kirche unterstützten und die Zeit dort sogar genießen konnten, weil wir mit dem Werk des Herrn befasst waren.

Tanners Gewissenhaftigkeit – dass er treu alle Versammlungen und Aktivitäten besuchte – war mir ein großes Beispiel. Ich hatte zwar ein Zeugnis vom Evangelium, doch er half mir, ein Zeugnis davon zu bekommen, wie wichtig es ist, in die Kirche und zu den Aktivitäten zu gehen.

Wir konnten einander Trost spenden, und mit unserem Zeugnis vom Tempel unterstützen wir einander darin, in der Kirche stark zu bleiben. An der Anzahl der Jugendlichen, die in die Kirche und zu den Aktivitäten kamen, änderte sich eigentlich nichts, aber Tanner und ich wurden stärker und konnten des anderen Last tragen, während wir gemeinsam vorwärtsstrebten.

Ich bin so froh, dass ich ihn eingeladen habe, mit mir in den Tempel zu gehen. Ich bin mir sicher, dass es ihm geholfen hat, aber vor allem hat es mich gerettet!