2016
Entscheidung fürs Leben: Wie ich Selbstmordgedanken überwunden habe
September 2016


Entscheidung fürs Leben: Wie ich Selbstmordgedanken überwunden habe

Das Licht der Welt hat mir geholfen, die Finsternis einer Winterdepression zu überstehen.

woman sitting in the grass

Foto © iStock/Thinkstock

Mein Kampf gegen Selbstmordgedanken begann kurz nach meinem Umzug in eine kalte Ortschaft in Island. Der Mangel an Sonnenlicht im Winter löste eine schwere Winterdepression aus. Als das Leid so schlimm wurde, dass ich nicht mehr damit fertig wurde, dachte ich darüber nach, mir das Leben zu nehmen.

Im ersten Jahr gestand ich mir gar nicht ein, dass ich depressiv war. Ich traute mich nicht, irgendjemand von meinen Gedanken zu erzählen, nicht einmal meinem Mann. Niemand in meiner Familie oder in der Kirche wusste, dass ich an einer lebensbedrohlichen Krankheit litt. Sie sahen bloß ein aktives Mitglied der Kirche mit einem lebendigen Zeugnis, das keine größeren Probleme bewältigen musste. Ich betete häufig und flehte um Hilfe, und der Vater im Himmel gab mir Kraft. Ich achtete mehr auf meine Ernährung, trieb häufig Sport, vertiefte mich in die heiligen Schriften, war für andere da und befolgte alle Gebote. Das war jedoch nicht genug.

Wie eine riesige Welle flutete mir die Depression entgegen. Ich lief immer schneller und betete noch intensiver, doch ich konnte ihr nicht immer entkommen. Ich schwamm gegen die Strömung und flehte, ich möge nur durchhalten, bis die Kinder von der Schule heimkamen oder bis zum Mittagessen. An einigen Tagen lebte ich von Minute zu Minute und kämpfte mit all meiner Willenskraft gegen meine Gedanken und meinen inneren Drang an.

Ich erinnere mich noch gut an den heftigen psychischen Schmerz, als ich das erste Mal beinahe Selbstmord beging. Ich hatte das nicht geplant – ich verlor einfach eine Zeit lang die Fähigkeit, rational zu denken. Erst hinterher wurde mir bewusst, dass ich kurz davor gewesen war, mich umzubringen. Ich fragte mich, was mit mir los war. Ich sagte mir, Selbstmordgedanken seien nicht gut, und tat dann so, als hätte ich niemals welche gehabt. Ich schaffte es, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich solche Gedanken nie wieder haben würde.

Doch dann, wenn ich sie am wenigsten erwartete, kamen sie wieder. Meiner unerträglichen Qual ein Ende zu bereiten, war eine sehr große Versuchung. Doch ich wollte gesund werden. Damals begriff ich zwar nicht, dass ich unter einer akuten Krankheit litt (einer Krankheit, die massiv und unerwartet auftritt), doch wusste ich, dass ich genesen konnte. Also bat ich um einen Priestertumssegen.

Mein Mann, der ja gar nichts von meinen inneren Kämpfen wusste, sagte in diesem Segen vieles, was mir bewusst machte, dass der Vater im Himmel meine Not kannte. Er verhieß mir, dass ich meine Probleme überwinden würde. Ich wurde nicht augenblicklich geheilt, aber ich akzeptierte, dass der Vater im Himmel mir helfen würde, meinen Kampf zu überstehen.

Dann kam der Sommer und mit ihm viel Sonnenschein und lange Tage. Selbst mitten in der Nacht wurde es nie ganz dunkel. Ich war glücklich und fühlte mich wieder wie ich selbst. Doch als die Tage im September drastisch kürzer wurden, kam meine Depression zurück und mit ihr die Selbstmordgedanken. Ich hatte Angst. Zuerst versuchte ich es wie im Jahr zuvor: Ich betete mehr, trieb mehr Sport und strengte mich bei allem mehr an. Doch der Drang, mir das Leben zu nehmen, wurde immer stärker und immer heftiger. Zwei Monate kämpfte ich, bis mir schließlich klar wurde, dass ich aus eigener Kraft keinen weiteren Winter überleben würde. Ich begriff, dass der Vater im Himmel uns Ärzte und die moderne Medizin zu unserem Nutzen gegeben hat. Ich musste bereit sein, über meine Depression zu reden und zum Arzt zu gehen, um gesund werden zu können.

Um Hilfe bitten war das Schwierigste, was ich jemals getan habe. Ich konnte kaum sprechen, als ich meinem Mann unter Tränen von meiner Depression berichtete und ihm sagte, dass ich Hilfe brauchte. Das Wort Selbstmord konnte ich überhaupt nicht aussprechen. Mein Mann vereinbarte für mich einen Termin bei einer Psychiaterin.

Mein Arzt verschrieb mir ein Medikament, das mir durch den Winter half. Wie vielen anderen Patienten fiel es mir nicht leicht, die richtige Dosierung zu finden und mit den Nebenwirkungen umzugehen. Das stellte eine weitere Belastung für meine Ehe und meine Familie dar, doch mein Mann und meine Kinder standen mir bei.

Als der Frühling kam, wurde meine schwere Depression leichter und ich brauchte keine Medikamente mehr. Wir zogen an einen sonnigen Ort. Ich war überzeugt, dass nun alles gut werden und ich meine psychische Erkrankung endlich hinter mir lassen würde. Aber noch war ich nicht völlig gesund. Die Gedanken und Gefühle und der Drang von damals riefen Schuldgefühle in mir hervor. Es gefiel mir nicht, dass meine Kinder, die im Jugendalter waren, mitbekommen hatten, dass ich selbstmordgefährdet gewesen war. Ich hatte das Gefühl, über ein Jahr meines Lebens verschwendet zu haben.

Auch hatte ich Angst – insbesondere, als der September wieder die kürzeren Tage mit sich brachte. Tagtäglich wurde ich von Erinnerungen heimgesucht und hatte Angst, dass die akute Depression wiederkommen würde. Doch ich konnte den Einfluss des Herrn in meinem Leben erkennen, als ich zu einer hervorragenden Ärztin geführt wurde, bei der ich in Therapie ging. Ich erfuhr, dass ich auch unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Meine Ärztin half mir, damit umzugehen.

Und dann erlebte ich ein Wunder: Nachdem ich inständig gebetet und mich bemüht hatte, das Sühnopfer des Erretters anzuwenden, nahm der Herr die Schuldgefühle von mir – und zwar ganz plötzlich und deutlich spürbar. Seine Stimme gab mir zu verstehen, dass ich mich gar nicht schuldig fühlen brauchte, da die Depression nicht meine Schuld war. Mit der Macht des Sühnopfers hat Jesus Christus diese Last für mich auf sich genommen. Ich wurde von Licht erfüllt und schöpfte wieder Hoffnung.

Christ healing woman

Ich kenne nicht alle Gründe, weshalb ich eine lebensbedrohliche Krankheit mit all den damit verbundenen Problemen durchmachen musste. Die Erinnerung ist zwar noch da, aber der seelische und körperliche Schmerz sind vergangen. Ich bin jeden Tag für meine Familie, meine Ärztin und meine Zeit hier auf Erden dankbar. Durch meine Krankheit habe ich Mitgefühl und Liebe für meine Mitmenschen entwickelt. Ich habe mich seelisch und geistig weiterentwickelt und vieles gelernt, was ich sonst nicht gelernt hätte. Ich habe wertvolle geistige Momente mit dem Vater im Himmel und dem Erretter erlebt. Diese Erfahrungen haben mir Mut gemacht, das Leben mit offenen Armen anzunehmen.