2021
Unterschiede müssen uns nicht entzweien
September 2021


Nur online: Junge Erwachsene

Unterschiede müssen uns nicht entzweien

Mir fiel es schwer, ein gutes Verhältnis zu einer Freundin aufrechtzuerhalten, die meine Glaubensansichten nicht teilt, doch dank der Liebe Gottes gelingt es mir jetzt

Zwei Frauen umarmen einander

Wer eine Beziehung pflegen möchte, findet den größten Hinweis, der je gegeben wurde, im Verweis auf den Erretter: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab.“ (Johannes 3:16; Hervorhebung hinzugefügt.)

Immer wenn ich eine scheinbar unlösbare Frage habe oder mich in einem unangenehmen Konflikt befinde, wende ich mich an Jesus Christus, denn der Friede und die Liebe, die von ihm ausgehen, schenken mir Trost. Für mich ist es so, dass seine Liebe das wettmacht, was fehlt.

Die Liebe Jesu Christi war auch die Antwort, die ich erhielt, als mir eine gute Freundin sagte, dass sie sich von der Kirche abwenden werde. Vor dieser Entscheidung hatte sie mir ihre aufrichtigen Fragen mitgeteilt, mich um meine Meinung gebeten und mir ihren Schmerz anvertraut. Ihr Schmerz war echt, ihre Fragen waren ernstgemeint, und ich fühlte mich geehrt, dass sie sich mir anvertraut hatte. Die Gedanken, die ich im Gegenzug äußerte, schienen sie jedoch oftmals gar nicht zu erreichen.

Am Ende eines Gesprächs wusste ich häufig gar nicht, wie ich ihr helfen sollte. In einem Gespräch stellte sie mir etwa eine aufrichtige Frage zu etwas, dessen ich mir selbst unsicher war. Sie merkte sofort, dass ich nicht so richtig wusste, was ich antworten sollte. Ich weiß noch, wie sie sagte: „Das glaubst du doch nicht wirklich, Emily. Ich weiß, du glaubst es nicht.“

Und sie hatte recht.

Nach diesem Gespräch merkte ich, wie ich mich von ihr distanzierte. Es war mir unangenehm, mit ihr über Geistiges zu sprechen, und ich war wegen unserer unterschiedlichen Glaubensansichten und meiner eigenen Unzulänglichkeit, darauf die rechte Antwort zu finden, frustriert. Ich gab die Hoffnung auf. Allmählich hörte ich auf, mit ihr über ihre Fragen zum Evangelium zu sprechen – aus Angst, keine Antworten zu haben. Ich dachte einfach, dass wir zu unterschiedlich seien, als dass wir befreundet sein könnten.

Es dauerte ein paar Monate, bis ich erkannte, dass ich bei der Suche nach einer Antwort auf ihre (und meine) Fragen die wichtigste Antwort aus den Augen verloren hatte: Gott hat die Welt geliebt – und Gott liebt also auch meine Freundin.

In einer Ansprache auf der Herbst-Generalkonferenz 2020 erinnerte uns Präsident Dallin H. Oaks, Erster Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, an Folgendes: „Die Lehre unseres Erretters, [einander] zu lieben, basiert auf der Tatsache, dass alle Menschen geliebte Kinder Gottes sind.“ Er beendete seine Botschaft mit dem Hinweis auf den Blickwinkel, der sich daraus ergibt: „Das Wissen, dass wir alle Kinder Gottes sind, ermöglicht es uns, wie Gott den Wert aller anderen zu sehen.“1

Diese Worte drangen mir ins Herz. Diese grundlegende Wahrheit hatte ich bei meiner Reaktion auf den Rückzug meiner Freundin von der Kirche nicht bedacht.

Zu wissen, dass meine Freundin ungeachtet unserer Glaubensunterschiede ein geliebtes Kind Gottes ist, hat für mich alles verändert.

Monate waren vergangen und ich fühlte mich meiner Freundin noch immer entfremdet, aber nach dieser Erkenntnis rief ich sie umgehend an und erzählte ihr von Gottes Liebe. Ich konnte ihr erklären, warum ich mich von ihr distanziert hatte. Ich versuchte, in Worte zu kleiden, wieso es mir wehtat, wenn sie das, was mir so wertvoll war, respektlos abtat. Zum Glück war sie verständnisvoll und wir entschuldigten uns am Ende beide. Wir tauschten uns darüber aus, wie wichtig unsere Freundschaft war und dass unsere Gemeinsamkeiten stärker waren als unsere Unterschiede. Ich sagte ihr, dass ich sie so annehmen wolle, wie sie ist, und doch meine Grundsätze und meinen Glauben beibehalten wolle – und dass ich hoffte, wir könnten uns weiterhin gegenseitig unterstützen. Ich war so froh, dass sie das genauso sah.

So wie Zoram für Nephi „ein treuer Freund“ (2 Nephi 1:30) war, möchte ich für sie eine gute Freundin sein, ungeachtet unserer Unterschiede.

Ich bin dankbar für die Liebe Gottes, die so rein, so mächtig und so allgegenwärtig ist, dass sie uns in schwierigen Gesprächen begleiten kann. Ich bin dankbar, dass die Liebe Gottes jeder Menschenseele offensteht. Ich bin dankbar, dass die Liebe Gottes es uns ermöglicht, einander ganz und gar zu lieben. Wie unbeschreiblich ist doch Gottes Liebe!

Anmerkung

  1. Dallin H. Oaks, „Liebt eure Feinde“, Liahona, November 2020, Seite 28f.