Junge Erwachsene
Wie wir das Gute in uns selbst erkennen
Die Verfasserin lebt in Utah.
Wie würdest du die Gabe der Unterscheidung definieren? Bis vor kurzem hatte ich einen wesentlichen Zweck dieser Gabe völlig übersehen.
Die meiste Zeit meines Lebens war ich der Meinung, mit der Gabe der Unterscheidung könne man Richtig von Falsch und Wahr von Unwahr unterscheiden. Das macht zwar einen wichtigen Teil dieser Gabe aus, doch ich habe unlängst gelernt, dass sie noch mehr umfasst.
In den Fußnoten einer Ansprache, die auf der Frühjahrs-Generalkonferenz 2020 gehalten wurde, habe ich einen wahren Schatz gefunden. Einer der Redner zitierte Präsident Stephen L. Richards (1879–1959), ehemals Erster Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, mit den Worten: „Die höchste Form des Erkennens besteht darin, dass man das bessere Wesen in anderen Menschen bemerkt und es ans Licht bringt – das Gute, was in ihnen schlummert.“1
Klingt das nicht wie reine Poesie?
Der Heilige Geist kann uns helfen, das Gute zu entdecken, was in unseren Mitmenschen schlummert. Ich fand das so schön und treffend ausgedrückt, dass ich mehr über dieses Thema erfahren wollte. Ich fand heraus, dass Elder David A. Bednar vom Kollegium der Zwölf Apostel gesagt hat, die Gabe der Unterscheidung diene auch dazu, „das Gute, was vielleicht in uns selbst verborgen ist, zu entdecken und ans Licht zu bringen“2.
Seit dieser Entdeckung ist mir klar, wie wichtig dieser Teil der Gabe der Unterscheidung ist. Erst wenn wir die guten Eigenschaften in uns selbst ausfindig gemacht haben, können wir sie weiterentwickeln. Und dadurch fühlen wir uns eher wie Kinder Gottes – die wir ja auch tatsächlich sind – und handeln entsprechend (siehe Psalm 82:6; Mosia 5:7; Moroni 7:19).
Wie können wir nun also das Gute in uns selbst entdecken? Zum Einstieg hier ein paar Anregungen.
Konzentriere dich darauf, deine Stärken zum Segen für andere einzusetzen
Wir wissen aus der Lehre, dass jeder Mensch von Gott bestimmte Gaben bekommen hat (siehe Lehre und Bündnisse 46:11) – und es ist nicht vermessen, wenn wir uns Gedanken über unsere Gaben machen. Der Herr fordert uns sogar dazu auf! In den heiligen Schriften heißt es, wir sollen „ernstlich nach den besten Gaben trachten und immer bedenken, wozu sie gegeben sind“ (Lehre und Bündnisse 46:8; Hervorhebung hinzugefügt).
In dem Maß, wie wir uns unserer Gaben oder Talente bewusstwerden, sollten wir auch nach Möglichkeiten suchen, wie wir sie zum Nutzen anderer einsetzen können.
Du weißt nicht, welche Gaben du hast? Frag jemanden, dem du vertraust! Frag ihn, worin deine Stärken bestehen. Vielleicht findest du, dass so etwas irgendwie seltsam wäre. Ich fand das auch! Aber du tust das ja nicht, um Komplimente einzuheimsen. Das Ziel ist vielmehr, herauszufinden, mit welchen Eigenschaften und Charakterzügen gerade du deinen Brüdern und Schwestern draußen in der Welt von Nutzen sein kannst (siehe Mosia 8:18).
Eine freundliche Nachbarin sagte mir zum Beispiel einmal, eine meiner Gaben bestehe darin, den Menschen die Befangenheit zu nehmen. Anstatt die Bemerkung nur als höfliches Lob abzutun, fing ich an, auf dieses Gabe zu achten. Dabei wurde mir rasch klar, dass mir der Vater im Himmel helfen kann, meine soziale Kompetenz so einzusetzen, dass ich meinen Freundeskreis erweitere und auch anderen Menschen dadurch Segnungen eröffne.
Sobald du an dir eine Gabe erkannt hast, kannst du dich bewusst dafür entscheiden, sie zum Segen anderer einzusetzen (siehe Lehre und Bündnisse 82:18).
Befasse dich mit deinem Patriarchalischen Segen
Der Patriarchalische Segen ist für die Suche nach den uns verliehenen, einzigartigen Gottesgaben eine ausgezeichnete Fundstelle. Elder Larry R. Lawrence, ein emeritiertes Mitglied der Siebziger, hat gesagt: „Der Geist kann uns unsere Schwächen zeigen, aber er ist auch in der Lage, uns unsere Stärken zu zeigen. … Wenn wir unseren Patriarchalischen Segen lesen, werden wir daran erinnert, dass der Vater im Himmel unser göttliches Potenzial kennt.“3
Der Patriarchalische Segen hilft dir, dich auf die Entfaltung jener Eigenschaften zu konzentrieren, die du benötigst, um dein Potenzial zu verwirklichen.
Ich stelle mir oft vor, wie ich eines Tages hoffentlich als Mutter sein werde. Ohne dass es mir bewusst ist, denke ich oft, eine gute Mutter müsse fit, organisiert und hübsch sein – und ihr Rezept für Zimtschnecken müsse alle FHV-Schwestern vor Neid erblassen lassen. Solche Vorstellungen sind ja an sich nichts Schlechtes, doch die Beschäftigung mit meinem Patriarchalischen Segen hat mir gezeigt, dass der Herr mehr Wert darauf legt, dass ich als Mutter später freundlich und nachsichtig bin. Für mich sind christliche Eigenschaften wie diese am wichtigsten, denn an ihnen sollte ich am meisten arbeiten.
Nutze die Zeit beim Abendmahl zum Nachdenken und zur inneren Einkehr
Das Abendmahl ist eine Zeit, in der wir über den Erretter nachdenken. Zugleich kannst du auch in dich gehen und prüfen, inwieweit du damit vorankommst, wie er zu werden. Wenn du deine in dir schlummernden guten Eigenschaften entdecken willst, kann ein wöchentlicher Rückblick auf deine Leistungen, Erfahrungen und Begegnungen helfen. So fallen dir Begebenheiten auf, bei denen deine Gaben offenkundig geworden sind.
Präsident Henry B. Eyring, Zweiter Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, hat einmal gesagt: „Wenn Sie während des Abendmahls über Ihr Leben nachdenken, so hoffe ich, dass Ihre Gedanken nicht nur bei dem verweilen, was Sie falsch gemacht haben, sondern auch das einschließen, was Sie richtig gemacht haben – Momente, in denen Sie gespürt haben, dass der Vater im Himmel und der Erretter sich über Sie freuen. Sie können sich während des Abendmahls auch kurz die Zeit nehmen und Gott bitten, dass Sie all dies besser erkennen mögen.“4
Hier sind Fragen, die du dir selbst oder Gott während des Abendmahls stellen könntest:
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Wie habe ich es diese Woche geschafft, dem Beispiel Christi zu folgen?
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Für wen war ich da?
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Wobei habe ich diese Woche den Geist gespürt? Warum?
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Welche christliche Eigenschaft versuche ich zu entwickeln? Wie mache ich mich dabei?
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Gibt es etwas, wobei ich um Hilfe beten sollte?
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Gibt es jemanden, dem ich vergeben muss?
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Bei welchem Problem – sei es groß oder klein – haben mir der Vater im Himmel und Jesus Christus diese Woche geholfen?
Anstatt mich nur auf Fehler und Mängel zu konzentrieren, denke ich lieber über die Güte Gottes nach und überdenke während des Abendmahls mein Leben. Das hilft mir, noch mehr auf Gott zu vertrauen.
Mach deine Berufung groß
Eine Berufung haben wir aus einem bestimmten Grund, auch wenn dieser vielleicht zunächst nicht ersichtlich ist.
Ich wurde einmal in die FHV-Präsidentschaft meiner JAE-Gemeinde berufen. Ich konnte es kaum erwarten loszulegen. Aber nach ein paar Monaten war ich total demotiviert. Ich strengte mich an, für andere da zu sein, konnte bei ihnen jedoch kein geistiges Wachstum erkennen. Meine vielen Besuche und Bemühungen, Freundschaften zu schließen, schienen zwecklos.
Eines Sonntags hatte ich das Gefühl, dass mir einfach die geistigen Gaben fehlen, die man für aufrichtiges Dienen braucht. Während des Abendmahls betete ich um eine Bestätigung dafür, dass ich meiner Berufung doch gewachsen sei. Ich hatte die Eingebung, um einen Priestertumssegen zu bitten.
Als mir mein Bischof die Hände auflegte, sagte er gleich zu Anfang: „Der Vater im Himmel schätzt die Freundlichkeit, die du anderen entgegenbringst.“
Der Geist drang mir ins Herz, und ich fühlte mich darin bestätigt, dass der Herr mit meinen Bemühungen zufrieden war. Ich glaubte nun daran, dass ich zumindest einen Teil der Gaben, die man braucht, um sich liebevoll um andere zu kümmern, auch wirklich besaß. Zuvor hatte ich nur meine Misserfolge und nicht meine Erfolge gesehen.
Unsere Berufungen bieten uns großartige Gelegenheiten, unsere geistigen Gaben zu entdecken und einzusetzen.
Fang gleich damit an
Um unsere guten Seiten zu entdecken, müssen wir nicht abwarten.
Präsident Dieter F. Uchtdorf, damals Zweiter Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, hat gesagt:
„Manchmal verlässt uns der Mut, weil wir glauben, wir seien nie ,genug‘ – nie geistig genug, nie angesehen, intelligent, gesund, reich, freundlich oder fähig genug. …
Ich habe in meinem Leben gelernt, dass man nicht immer ,genug‘ sein muss, um der Mensch zu werden, den Gott haben möchte.“5
Fang einfach mit einem Gebet an. Erzähl dem Vater im Himmel, wie du dich gerade fühlst und wie du dich künftig selbst sehen möchtest. Bitte speziell um die Gabe der Unterscheidung, die dir hilft zu erkennen, welche guten Eigenschaften in dir schlummern. Bei solchen Gebeten habe ich einige der schönsten Momente meines Lebens erlebt. Ich glaube, der Vater im Himmel möchte uns sehr gern helfen, alles zu sehen, was er sieht.
Seien wir uns dessen bewusst, dass wir Kinder Gottes sind. Als solche sind wir zu Großem bestimmt (siehe Lehre und Bündnisse 78:17). Durch die Gabe der Unterscheidung können wir das selbst erkennen.