Hintergrundwissen zum Neuen Testament
Liebet einander – was im Neuen Testament über das Familienleben steht
Der Begriff „Haus“, wie er damals im Neuen Testament verwendet wurde, vermag auch das Familienleben oder den „Haushalt Gottes“ in der heutigen Zeit zu stärken
Im Neuen Testament spielte sich so manches vor dem Hintergrund des damaligen Familienlebens ab. So entwickelte sich die Gottesverehrung im Christentum aus den familiären Gepflogenheiten im Haushalt (griechisch oikos oder oikia, was „Haus“ oder „Haushalt“ bedeutet und sich sowohl auf das Gebäude als auch auf dessen Bewohner bezieht).1 Als Bezeichnung für sich selbst griffen die Christen auf Bilder und Begriffe aus dem Familienleben zurück – so waren etwa die Gläubigen „Brüder“ und „Schwestern“, und die Kirche wurde als Haushalt Gottes angesehen (oikos theou) und somit als Gottes Familie (siehe 1 Timotheus 3:15; 5:1,2; siehe auch Epheser 2:19).
Viele kirchliche Aktivitäten aus der damaligen Zeit und auch viele Lehren aus dem Neuen Testament hatten ihren Ursprung im Familienleben. Einblicke in das Familienleben im Neuen Testament können daher dazu beitragen, dass jeder Einzelne ebenso wie Ehepaare und Familien gestärkt werden und dass all die unterschiedlichen „Hausgenossen Gottes“ unserer Zeit ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln.
Das Konzept des „Haushalts“ im Neuen Testament
Im Mittelmeerraum bestand der „Haushalt“ in der Regel nicht bloß aus Eltern und deren Kindern, sondern dazu gehörten auch weitläufigere Verwandte wie Cousins und Cousinen, ältere Familienangehörige oder erwachsene Geschwister der Eltern samt deren Ehepartnern. Eine Familie innerhalb der Dorfgemeinschaft in Galiläa umfasste also all diese Verwandten, die zusammen unter einem Dach wohnten und auch gemeinsam arbeiteten (siehe Markus 10:29). In der römischen Welt zählten zu einem wohlhabenden Haushalt zusätzliche Unterhaltsberechtigte, etwa Knechte und Mägde, Sklaven, ehemalige Sklaven oder sonstige Beschäftigte.
Abänderung typischer innerfamiliärer Bezeichnungen durch das Christentum
In einigen Büchern im Neuen Testament finden sich Weisungen an die Mitglieder eines frühchristlichen Haushalts (siehe Kolosser 3:18 bis 4:1; 1 Petrus 2:13 bis 3:12; Epheser 5:21 bis 6:9; 1 Timotheus 2:8-15; 5:1-22; 6:1-10; Titus 2:1-10). Solche Bezeichnungen werden in der Wissenschaft auch „Haustafeln“ genannt und haben ihre Entsprechung in ähnlichen Stellen der griechischen und der hellenistisch-jüdischen Literatur, in denen der gesellschaftliche Zusammenhalt dadurch beschworen wird, dass ein geordnetes Familienleben in höchsten Tönen gelobt wird, bei dem jedes Familienmitglied eine kulturell bedingte Aufgabe hat, der er auch im vorgesehenen Zusammenspiel mit allen anderen Akteuren nachkommt.
In den entsprechenden Schriftstellen im Neuen Testament werden solche traditionellen Werte der damaligen Zeit betont, welche bestehende gesellschaftliche Strukturen aufrechterhalten – etwa der Rat, einer Obrigkeit untertan zu sein, Auseinandersetzungen zu meiden oder jedermann gegenüber höflich zu sein (siehe 1 Petrus 2:17; 1 Timotheus 2:1,2; Titus 3:1,2).
Die Haustafeln im Neuen Testament enthalten jedoch auch einige vom Wesen her wichtige inhaltliche Abänderungen. Sie betonen zum Beispiel, dass man einander zugetan sein müsse, und fassen das Beziehungskonzept weiter, sodass auch Gott miteinbezogen wird:
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Kinder sollen ihren Eltern im Herrn gehorchen (siehe Epheser 6:1-3; Kolosser 3:20).
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Der Vater soll seine Kinder nicht zum Zorn reizen, sondern sie in der Zucht und Weisung des Herrn erziehen (siehe Epheser 6:4; Kolosser 3:21).
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Der Ehemann darf seine Frau nicht grob behandeln, sondern muss rücksichtsvoll sein und sie ehren und lieben, wie auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat (siehe Epheser 5:25-33; Kolosser 3:19; 1 Petrus 3:7).
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Die Weisung in Epheser 5:22, dass sich die Frau ihrem Mann unterordnen solle wie dem Herrn, steht erst nach der einleitenden Ankündigung in Epheser 5:21, dass nämlich alle Haushaltsangehörigen – also der Mann ebenso wie die Frau – „in der Ehrfurcht vor Christus“ (Epheser 5:21, Zürcher Bibel) einander zugetan sein sollen.2 Paulus rät: „In Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst.“ (Philipper 2:3.)
Eine weitere christliche Abänderung ist daraus ersichtlich, wie das traditionellerweise jeweils schwächere Glied einer Zweierbeziehung – also Frau, Kind oder Sklave3 – als ein „mit Würde ausgestattetes Wesen“ bezeichnet wird, woraus hervorgeht, dass auch ihm „eine wesentliche Rolle zukommt“4.
Und der Rat an die Frauen in 1 Petrus 3:1-6 widerspricht völlig dem alten Brauch, dass die Frau ihren Mann fürchten müsse und seine Art der Gottesverehrung zu übernehmen habe. Vielmehr ist es so, dass der Glaube einer gläubigen Frau ihren ungläubigen Mann vielleicht auf ihre Seite zu ziehen vermag.
Die Haushalte in alter Zeit waren zwar patriarchalisch und den damaligen Gepflogenheiten entsprechend auf einer festen Hierarchie aufgebaut, doch diese Abänderungen drängten einen christlichen Haushalt zu mehr Gleichstellung und Achtung vor jedem Einzelnen, weil sie der Familie vor Augen führten, dass die Familienmitglieder einander lieben sollen, wie der Erretter uns liebt (Johannes 13:34).
Auf Jesus Christus blicken
Was im Neuen Testament zur Familie steht, sind Grundsätze, die auch heute jeder Familie und jedem Einzelnen zugutekommen, die als Jünger Jesu Christi leben wollen. Die zentrale Lehre – damals wie heute – ist die, dass wir auf Jesus Christus blicken und in allen Beziehungen seinem Beispiel für selbstloses, großzügiges Dienen folgen sollen (siehe Philipper 2:3-11). Elder Dieter F. Uchtdorf vom Kollegium der Zwölf Apostel hat festgestellt: „Liebe ist das wesentliche Merkmal eines Jüngers Christi.“5