Liahona
Macht es wirklich etwas aus, ob man an heiligen Stätten steht?
Juni 2024


Nur online: Junge Erwachsene

Macht es wirklich etwas aus, ob man an heiligen Stätten steht?

Solange ich nichts Unheiliges tue, ist es doch nicht schlimm, wenn ich an einer unheiligen Stätte stehe, oder?

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Eine junge Frau lächelt in die Kamera

Als meine Familie und ich durch unsere Nachbarn die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage kennenlernten, war ich noch ein Teenager. Ich ließ mich als Erste taufen, dann folgten einige meiner Geschwister und schließlich schlossen sich auch meine Eltern der Kirche an. In Indien gibt es in unserer Gegend nicht viele Mitglieder der Kirche. Daher war es schön, zuhause eine solide Basisunterstützung durch liebe Angehörige zu haben. Sie machten es mir leicht, im Glauben fest zu bleiben.

Als ich jedoch von Mission zurückkam, nahm ich einen Job an und zog von meiner Familie weg. Ich teilte mir in einem anderen Bundesstaat eine Wohnung mit Mitbewohnerinnen, die ganz andere Maßstäbe als ich hatten.

Auch meine Kollegen führten ein ganz anderes Leben als ich. Sie trafen sich jedes Wochenende, um zu trinken und zu feiern, und sie luden mich ein mitzumachen. Da ich nicht in einer solchen Umgebung sein wollte, lehnte ich ihre Einladung immer ab.

Aber Wochenende für Wochenende saß ich allein in meiner Wohnung, und wenn ich sonntags aufstand, um mich bereitzumachen, allein in die Kirche zu gehen, ließ meine Motivation spürbar nach.

Ich fühlte mich einsam

Anfangs hatte ich das Angebot meiner Kollegen, mit ihnen auszugehen, stets abgelehnt. Insgeheim war ich aber neidisch auf sie, denn immerhin schienen sie Spaß zu haben. Mir fiel auf, dass die Freundschaften, die sie beim Ausgehen knüpften, ihnen offenbar halfen, beruflich voranzukommen.

Ich kam mir vor wie die stille, langweilige Kollegin, die niemand kannte.

Eines Wochenendes war ich die Einsamkeit leid. Also beschloss ich, mit meinen Kollegen auszugehen, falls sie mich einluden. Meine Entscheidung rechtfertigte ich mit dem Argument, mir ja im Voraus fest vorgenommen zu haben, nichts Alkoholisches zu trinken.

Ich sagte mir: „Solange ich nichts Unheiliges tue, bricht mir doch kein Zacken aus der Krone, wenn ich an einer unheiligen Stätte stehe, oder?“

Ich entfremdete mich zunehmend von Gott

Von dem Zeitpunkt an, als ich mit meinen Kollegen auszugehen begann, änderte ich mich allmählich. Samstagabends kam ich spät nach Hause, sodass ich sonntags verschlief und die Kirche verpasste.

Zwar hatte ich nicht getrunken, stand aber auch nicht an heiligen Stätten. Was meinen Körper betraf, ging ich nicht in die Kirche. Was meinen Geist betraf, verschwendete ich keinen Gedanken an das Evangelium und nahm mir auch keine Zeit für den Vater im Himmel. Mein Gemeindehaus hatte ich gegen Partylocations eingetauscht. Für den Geist ließ ich in meinem Leben keinen Platz mehr.

Eines Tages wachte ich auf und begriff plötzlich, wie weit ich mich bereits vom Vater im Himmel entfremdet hatte. Jetzt erst vermochte ich zu verstehen, was „gottgewollte Traurigkeit“ (2 Korinther 7:10) ist. Mein Verstand und mein Herz waren sehr bekümmert.

„Was mache ich denn da?“, dachte ich bei mir. „Das bin doch nicht ich!“

Zwar ging ich an den Wochenenden aus, aber glücklich machte mich das nicht.

Ich wusste, dass ich, was meinen Glauben betraf, wieder in die rechte Spur zurückfinden musste. Ich musste Umkehr üben.

Ich war entschlossen, an heiligen Stätten zu stehen

Bisher hatte ich immer gedacht, Umkehr wäre ein schmerzhafter, schwieriger, von Schuld- und Schamgefühlen begleiteter Prozess. Meine Erfahrung hat mir jedoch gezeigt, dass Umkehr der Prozess ist, durch den wir Jesus Christus erlauben, unsere Wesensart zu wandeln und uns zu helfen, „neue Geschöpfe“ (Mosia 27:26) zu werden.

Was mir letztlich geholfen hat, mir in Erinnerung zu rufen, wer ich wirklich bin, welche Entscheidungen ich treffen und in welchem Umfeld ich mich aufhalten möchte, war der Gedanke an Jesus Christus und sein Sühnopfer.

Zum ersten Mal seit Monaten betete ich. Ich hörte auf, mit meinen Kollegen auszugehen. Ich ging wieder in die Kirche. Ich schlug mein Buch Mormon wieder öfter auf.

Als ich zu meinen vertrauten geistigen Gewohnheiten zurückkehrte, spürte ich inneren Frieden und aufs Neue Trost. Ich erlangte ein Zeugnis davon, dass Gott mich segnet, wenn ich seiner Bitte, ihm doch Raum zu schenken, auch nachkomme. Ich kann mich entschließen, an heiligen Stätten zu stehen. Wenn ich dann manchmal in eine Umgebung gerate, in der es schwerfällt, den Geist zu spüren, kann ich an meinen Maßstäben und an meinem Glauben festhalten und mich auf den Vater im Himmel und Jesus Christus stützen. Sie beschützen mich (siehe 2 Könige 6:15,16).

Jesus Christus ist die Lösung

Diese Erfahrung hat mir gezeigt: Die Welt ist so verlockend und übt eine so starke Anziehungskraft aus, dass wir ihr leicht erliegen können, wenn wir für den Geist keinen Platz schaffen.

Präsident Russell M. Nelson hat erklärt: „Unser höchstes Streben im Leben besteht darin, uns darauf vorzubereiten, unserem Schöpfer zu begegnen. Das tun wir, indem wir uns täglich bemühen, mehr wie unser Erretter, Jesus Christus, zu werden [siehe 3 Nephi 27:27]. Und das tun wir, wenn wir täglich umkehren und seine reinigende, heilende und stärkende Macht empfangen. Dann können wir, selbst in turbulenten Zeiten, dauerhaft Frieden und Freude empfinden. Genau deshalb hat uns der Herr aufgetragen, an heiligen Stätten zu stehen und nicht zu wanken [siehe Lehre und Bündnisse 87:8].“

Früher war ich im Hinblick auf meine berufliche Karriere und meine Einsamkeit sehr verunsichert. Als ich mich dann vom Pfad des Evangeliums abgewandt hatte, wurde mir bewusst: Jesus Christus bereitet mir unter der Voraussetzung, dass ich ihm nachfolge, in praktischer, sozialer, geistiger und finanzieller Hinsicht immer einen Weg. Da sich meine Beziehung zum Vater im Himmel und zu Jesus Christus nun verbessert hat, eröffnen sich mir neue Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, ohne mich dabei einer Umgebung aussetzen zu müssen, die den Geist schnell vertreiben kann.

Ich weiß, dass der Vater im Himmel mir mit Jesus Christus eine Lösung an die Hand gegeben hat und ich von Segnungen überschüttet werde, wenn ich stets bestrebt bin, ihm nachzufolgen. Ich bin unendlich dankbar für meinen Erretter. Er hat bereitwillig für mich gelitten, damit ich den Entschluss fassen konnte, ihm erneut nachzufolgen.

Laut Präsident M. Russell Ballard ist „die Beziehung zu unserem Vater im Himmel und zu seinem Sohn, dem Herrn Jesus Christus, … das Allerwichtigste. Diese Beziehung ist jetzt und in der Ewigkeit von größter Bedeutung.“ Ich weiß, dass wir, wenn wir unsere Beziehung zum Vater und zum Sohn stärken und ihnen mehr Platz im Leben einräumen, vermehrt Frieden empfinden und uns der Segnungen des Evangeliums des Erretters erfreuen können.

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