2004
Eine Blume und ein Gebet
März 2004


Eine Blume und ein Gebet

Hast du dich schon einmal einsam gefühlt? Als unsere Tochter Tina sechs Jahre alt war, zogen wir nach Brasilien. Keiner von uns sprach Portugiesisch, und Tina fiel es besonders schwer, die Sprache zu lernen. Obwohl sie eigentlich in die erste Klasse gehörte, mussten wir sie zusammen mit Vierjährigen in die Vorschule schicken. Wir hofften, dass sie sich bei den kleineren Kindern wohler fühlen würde und es ihr leichter fallen würde, Portugiesisch zu lernen.

Doch Tina war den anderen Kindern ebenso fremd, wie diese ihr fremd waren. Jeder Tag war ein Kampf, und jeden Tag kam sie niedergeschlagen von der Schule nach Hause.

An einem Tag waren ein paar Kinder besonders unfreundlich zu ihr. In der Pause warfen manche sogar mit Steinen nach ihr, schubsten sie herum und lachten sie aus. Tina war verängstigt und gekränkt. Sie beschloss, nicht mehr in die Klasse zurückzugehen.

Als sich der Schulhof leerte und sie ganz allein dasaß, dachte sie daran, was sie von uns über Einsamkeit gelernt hatte. Sie erinnerte sich, dass der himmlische Vater seinen Kindern immer nahe ist und sie immer mit ihm sprechen konnte. Er konnte die Sprache ihres Herzens verstehen. In einer Ecke des Schulhofes neigte sie den Kopf und betete. Tina wusste nicht genau, was sie sagen sollte, also bat sie darum, dass ihr Vater und ihre Mutter bei ihr sein konnten, um sie zu beschützen.

Ihr fiel ein PV-Lied ein:

Oft laufe ich fröhlich durch blühende Wiesen,

und pflücke dort Blumen zur Freude für dich.

Ich suche die schönsten und farbigsten Blüten,

und denke dabei, liebe Mutti, an dich.

(„Blumen für Mutti“, Liederbuch für Kinder , Seite 109.)

Als Tina die Augen öffnete, sah sie eine kleine Blume, die in den Rissen des Betons wuchs. Sie pflückte sie und steckte sie in die Tasche. Ihre Schwierigkeiten mit den anderen Kindern waren nicht behoben, aber sie ging mit dem Gefühl in die Klasse zurück, dass ihre Eltern bei ihr waren.

Manchmal fühlst du dich vielleicht einsam. Es mag dir schwer fallen, etwas zu lernen. Manchmal ist jemand vielleicht unfreundlich zu dir. Doch der Vater im Himmel ist dir immer nah, auch wenn du ihn nicht sehen kannst. Er liebt dich und möchte, dass du zu ihm betest, wenn du dich einsam fühlst oder Angst hast. Dann kann er dir seinen Geist schicken, um dich zu trösten, wie er Tina an diesem einsamen Tag getröstet hat.

Nach einer Ansprache bei der Generalkonferenz im April 2002.