2010
Gedanken über ein gottgeweihtes Leben
November 2010


Gedanken über ein gottgeweihtes Leben

Wahrer Erfolg stellt sich in diesem Leben ein, wenn wir unser Leben, das heißt, unsere Zeit und unsere Entscheidungen, Gottes Absichten weihen.

Elder D. Todd Christofferson

Als Jugendlicher besuchte ich 1964 die Weltausstellung in New York. Einer meiner liebsten Stände war der Pavillon unserer Kirche mit der eindrucksvollen Nachbildung der Turmspitzen des Salt-Lake-Tempels. Dort sah ich zum ersten Mal den Film Des Menschen Suche nach Glück. Diese Darstellung des Erlösungsplans, kommentiert von Elder Richard L. Evans, hinterließ bei vielen Besuchern und bei mir einen tiefen Eindruck. Unter anderem sagte Elder Evans:

„Das Leben bietet uns zwei wertvolle Gaben: Eine ist die Zeit, die andere die Entscheidungsfreiheit – die Freiheit, unsere Zeit so zu verwenden, wie wir es wollen. Es steht uns frei, die uns zugeteilte Zeit für lauter Nervenkitzel oder für niedrige Begierden aufzuwenden oder in unsere Habgier zu investieren. …

Das können wir frei entscheiden. Aber damit machen wir kein gutes Geschäft, denn nichts davon stellt uns dauerhaft zufrieden.

Für jeden Tag, jede Stunde und jede Minute unseres sterblichen Lebens müssen wir eines Tages Rechenschaft ablegen. Dieses Leben ist die Zeit, da wir im Glauben wandeln und uns als fähig erweisen müssen, das Gute dem Bösen vorzuziehen, das Richtige dem Falschen und immerwährendes Glück dem bloßen Vergnügen. Und unser ewiger Lohn hängt von unseren Entscheidungen ab.

Ein Prophet Gottes hat gesagt: ‚Menschen sind, damit sie Freude haben können‘, eine Freude, die eine Fülle des Lebens einschließt, ein Leben, das dem Dienen geweiht ist, der Liebe und Harmonie in der Familie und den Früchten ehrlicher Mühe, und die Annahme des Evangeliums Jesu Christi – mit dessen Anforderungen und Geboten.

Nur darin werden wir wahres Glück finden, ein Glück, das nicht vergeht, sobald die Lichter erlöschen, die Musik verstummt und die Menschenmassen sich auflösen.“1

Hier kommt zum Ausdruck, dass unser Erdenleben im Hinblick auf Zeit und Entscheidungen tatsächlich eine Treuhandschaft ist, die unser Schöpfer uns gewährt. Das Wort Treuhandschaft ruft uns Gottes Gesetz der Weihung in den Sinn (siehe beispielsweise LuB 42:32,53), das in wirtschaftlicher Hinsicht eine Rolle spielt, aber darüber hinaus die Anwendung des celestialen Gesetzes im Hier und Jetzt ist (siehe LuB 105:5). Etwas zu weihen bedeutet, etwas auszusondern oder als heilig zu betrachten, einem heiligen Zweck gewidmet. Wahrer Erfolg stellt sich in diesem Leben ein, wenn wir unser Leben, das heißt, unsere Zeit und unsere Entscheidungen, Gottes Absichten weihen (siehe Johannes 17:1,4 und LuB 19:19). Damit gestatten wir ihm, uns zu unserer höchsten Bestimmung zu erheben.

Ich möchte mit Ihnen fünf Bestandteile eines gottgeweihten Lebens betrachten: Reinheit, Arbeit, Achtung vor dem Körper, Dienen und Redlichkeit.

Wie der Erlöser es vorgelebt hat, ist ein gottgeweihtes Leben ein reines Leben. Jesus ist der Einzige, der ein sündenloses Leben führte, aber diejenigen, die zu ihm kommen und sein Joch auf sich nehmen, haben Anspruch auf seine Gnade, durch die sie so werden, wie er ist, nämlich schuldlos und makellos. Mit großer Liebe bestärkt der Herr uns mit den Worten: „Kehrt um, all ihr Enden der Erde, und kommt zu mir, und lasst euch in meinem Namen taufen, damit ihr durch den Empfang des Heiligen Geistes geheiligt werdet, damit ihr am letzten Tag makellos vor mir stehen könnt.“ (3 Nephi 27:20.)

Daher bedeutet Weihung auch Umkehr. Wir müssen Sturheit, Auflehnung und Ausflüchte aufgeben und uns stattdessen fügen, berichtigen lassen und alles annehmen, was der Herr von uns fordern mag. Dies nannte König Benjamin den natürlichen Menschen ablegen, den Einflüsterungen des Heiligen Geistes nachgeben und ein Heiliger werden „durch das Sühnopfer Christi, des Herrn“ (Mosia 3:19). So jemandem ist die ständige Gegenwart des Heiligen Geistes verheißen, eine Verheißung, die jedes Mal, wenn eine reuige Seele am Abendmahl des Herrn teilnimmt, in Erinnerung gerufen und erneuert wird (siehe LuB 20:77,79).

Elder B. H. Roberts hat diesen Vorgang so beschrieben: „Wer so im Licht und in der Weisheit und Macht Gottes wandelt, wird sich am Ende, durch die Kraft dieser Verbindung, das Licht und die Weisheit und Macht Gottes zu eigen machen – das strahlende Licht wird zu einer Kette, die ihn für immer an Gott bindet und Gott an ihn. Dies ist die Bedeutung der geheimnisvollen Worte des Messias: ,Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin‘ – etwas Größeres kann der Mensch nicht erreichen.“2

Ein gottgeweihtes Leben ist ein arbeitsreiches Leben. Jesus wusste schon früh im Leben, dass das Werk seines Vaters auch sein Anliegen war (vgl. Lukas 2:48,49). Gott selbst wird verherrlicht durch sein Werk, die Unsterblichkeit und das ewige Leben seiner Kinder zustande zu bringen (siehe Mose 1:39). Natürlich haben wir den Wunsch, mit ihm an seinem Werk teilzuhaben, und dabei muss uns klar sein, dass jede aufrichtige Arbeit ein Teil von Gottes Werk ist. Mit den Worten von Thomas Carlyle: „Jede ehrliche Arbeit ist heilig; in jeder ehrlichen Arbeit, und sei es ein gediegenes Handwerk, liegt etwas Göttliches. Jegliche Arbeit, die auf Erden verrichtet wird, erreicht den Himmel.“3

Gott hat es so eingerichtet, dass dieses sterbliche Dasein uns nahezu ständig Anstrengung abverlangt. Ich erinnere an die einfache Aussage des Propheten Joseph Smith: „Durch ständige Arbeit [konnten wir] einen ausreichenden Lebensunterhalt beschaffen.“ (Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:55.) Durch Arbeit erhalten und bereichern wir das Leben. Sie versetzt uns in die Lage, die Enttäuschungen und Tragödien des sterblichen Daseins zu überstehen. Schwer verdiente Errungenschaften vermitteln Selbstwertgefühl. Arbeit formt und verfeinert den Charakter, bringt Schönheit hervor und ist das Mittel, mit dem wir einander und Gott dienen. Ein gottgeweihtes Leben ist gefüllt mit Arbeit, die manchmal monoton, untergeordnet oder unbeachtet sein mag, aber immer dazu dient, zu verbessern, zu ordnen, zu unterstützen, aufzubauen, zu betreuen, ein Ziel zu verfolgen.

Nachdem ich nun die Arbeit so gerühmt habe, muss ich auch ein gutes Wort für die Freizeit einlegen. So wie ehrliche Mühe das Ausruhen erst zum Genuss macht, ist gesunde Erholung ein guter und ausgleichender Begleiter der Arbeit. Musik, Literatur, Kunst, Tanz, Schauspiel, Sport – all das kann Unterhaltung bieten, die das Leben bereichert und zu einem gottgeweihten Leben beiträgt. Dabei muss wohl kaum erwähnt werden, dass vieles, was heute als Unterhaltung gilt, derb, erniedrigend, gewalttätig, betäubend ist oder nichts als Zeit kostet. Ironischerweise artet es manchmal in Arbeit aus, eine erbauliche Freizeitbeschäftigung zu finden. Wenn Unterhaltung von einer Tugend zum Laster wird, zerstört sie das gottgeweihte Leben. „Darum gebt acht, … damit ihr nicht etwa urteilt, das, was böse ist, sei von Gott.“ (Moroni 7:14.)

Wer sein Leben Gott weiht, achtet seinen Körper als unvergleichliche Gabe, als göttliche Schöpfung im Abbild Gottes. Ein wesentlicher Zweck des irdischen Lebens ist, dass jeder Geist einen Körper erhält und lernt, in einer fleischlichen Hülle die sittliche Entscheidungsfreiheit auszuüben. Ein physischer Körper ist auch für die Erhöhung erforderlich, die nur in der vollkommenen Verbindung von Körper und Geist möglich ist, wie wir es bei unserem geliebten auferstandenen Herrn sehen. In dieser gefallenen Welt ist manch ein Leben schmerzlich kurz, mancher Körper missgebildet, verletzt oder kaum lebensfähig, und dennoch wird das Leben für jeden Geist lang genug dauern, und jeder Körper hat Anspruch auf die Auferstehung.

Wer glaubt, unser Körper sei nicht mehr als ein Zufallsprodukt der Evolution, fühlt sich weder Gott noch sonst jemandem gegenüber verantwortlich für das, was er mit seinem Körper macht oder ihm zufügt. Doch wir haben eine umfassendere Perspektive, ein Zeugnis von der vorirdischen, der irdischen und der ewigen Existenz, und müssen daher anerkennen, dass wir Gott im Hinblick auf diese Krönung seiner Schöpfung verpflichtet sind. Mit den Worten von Paulus:

„Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst;

denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“ (1 Korinther 6:19,20.)

Wenn wir diese Wahrheiten und die Weisung von Präsident Thomas S. Monson bei der letzten Frühjahrs-Generalkonferenz beherzigen, werden wir unseren Körper gewiss nicht verunstalten, etwa durch eine Tätowierung, und auch nicht schwächen, etwa durch Drogen, oder ihn beflecken, etwa durch Unzucht, Ehebruch oder Unanständigkeit.4 Da dieser Körper das Werkzeug unseres Geistes ist, ist es absolut notwendig, dass wir auf ihn achtgeben, so gut wir können. Wir sollen seine Kräfte dem Dienst Christi und dem Aufbau seines Werkes weihen. Paulus hat gesagt: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt.“ (Römer 12:1.)

Jesus hat uns gezeigt, dass man sein Leben Gott weiht, indem man dient. Wenige Stunden ehe er die Qualen des Sühnopfers litt, wusch der Herr demütig seinen Jüngern die Füße und trug ihnen auf:

„Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen.

Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.

Amen, amen ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat.“ (Johannes 13:14-16.)

Diejenigen, die aufmerksam sind und im Stillen Gutes tun, zeigen uns, was Weihung bedeutet. Niemand in unserer Zeit verkörpert diesen Wesenszug im Alltag vollkommener als Präsident Thomas S. Monson. Er hat gelernt, so gut hinzuhören, dass er sogar das leiseste Flüstern des Heiligen Geistes erkennt, der auf die Not eines Menschen hinweist, dem er beistehen und helfen kann. Oft sind dies ganz einfache Taten, die jemandem bestätigen, dass Gott ihn liebt und ihn kennt. Und Thomas Monson handelt immer, wirklich immer.

Auch meine Großeltern Alexander De Witt und Louise Vickery Christofferson sind für mich ein Beispiel für diese Weihung. Großvater war ein starker Mann und beherrschte die Schafschur in einer Zeit, als es noch keine elektrischen Scheren gab. Er war so gut darin, dass er einmal sagte: „An einem Tag schor ich 287 Schafe und hätte über 300 geschafft, wenn uns nicht die Schafe ausgegangen wären.“ Im Laufe des Jahres 1919 schor er über 12.000 Schafe und verdiente damit etwa 2000 Dollar. Mit dem Geld hätte er seinen Hof beträchtlich vergrößert und sein Haus ausgebaut, wenn er nicht von den führenden Brüdern in die Südstaaten-Mission berufen worden wäre. Louise unterstützte ihn von ganzem Herzen, und er nahm die Berufung an. Er ließ seine Frau (die gerade mit ihrem ersten Sohn, meinem Vater, schwanger war) und seine drei Töchter mit dem Lohn von der Schafschur zurück. Bei seiner freudigen Rückkehr nach zwei Jahren stellte er fest: „Unsere Ersparnisse haben die beiden Jahre hindurch gereicht, und es sind 29 Dollar übrig geblieben.“

Wer sein Leben Gott weiht, lebt redlich. Man sieht es bei einem Mann und einer Frau, „die die Ehegelübde in völliger Treue einhalten“.5 Man sieht es bei einem Vater und einer Mutter, denen es offensichtlich am wichtigsten ist, ihre Ehe zu pflegen und für das körperliche und geistige Wohlergehen ihrer Kinder zu sorgen. Man sieht es bei den Menschen, die ehrlich sind.

Vor Jahren lernte ich zwei Familien kennen, die im Begriff waren, eine gemeinsame Firma aufzulösen. Die beiden Inhaber – zwei Männer, die Freunde waren und derselben christlichen Gemeinde angehörten – hatten das Unternehmen Jahre zuvor gegründet. Sie kamen in der Regel als Geschäftspartner sehr gut miteinander aus, doch als sie älter wurden und die nächste Generation sich mehr und mehr beteiligte, traten Konflikte auf. Schließlich kamen alle Beteiligten überein, dass es das Beste sei, das Vermögen aufzuteilen und getrennte Wege zu gehen. Einer der beiden Geschäftsgründer ersann mit seinen Anwälten einen listigen Plan, um bei der Geschäftsauflösung für sich einen großen finanziellen Vorteil herauszuholen – auf Kosten des anderen Partners und von dessen Söhnen. Bei einem Treffen der beiden Parteien beklagte sich ein Sohn über diese unfaire Behandlung und appellierte an die Ehre und den christlichen Glauben des ersten Partners: „Du weißt, dass das nicht richtig ist“, sagte er. „Wie kannst du jemanden so übervorteilen, erst recht einen Glaubensbruder?“ Darauf entgegnete der Anwalt des ersten Partners: „Ach, werd erwachsen! Wie kann man so naiv sein?“

Redlichkeit hat nichts mit Naivität zu tun. Naiv ist es, zu meinen, man sei Gott gegenüber nicht verantwortlich. Der Erlöser hat verkündet: „Mein Vater hat mich gesandt, damit ich auf das Kreuz emporgehoben würde …, damit, wie ich von den Menschen emporgehoben wurde, die Menschen ebenso vom Vater emporgehoben würden, um vor mir zu stehen, um nach ihren Werken gerichtet zu werden, ob sie gut seien oder ob sie böse seien.“ (3 Nephi 27:14.) Wer sein Leben Gott weiht, sucht nicht seinen Vorteil, sondern hält eher die andere Wange hin, und wenn man ihm das Hemd wegnehmen will, gibt er den Mantel noch dazu (siehe Matthäus 5:39,40). Der strengste Tadel des Erlösers galt den Heuchlern. Heuchelei ist schrecklich zerstörerisch, nicht nur für den Heuchler, sondern auch für alle, die sein Verhalten sehen oder davon wissen, besonders für Kinder. Heuchelei zerstört den Glauben, während Aufrichtigkeit den Nährboden darstellt, in dem die Saat des Glaubens aufgehen kann.

Ein gottgeweihtes Leben ist etwas Wunderbares. Es gibt Kraft und innere Ruhe, die „wie ein sehr fruchtbarer Baum [sind], der in gutes Land an einem reinen Strom gepflanzt ist und viel köstliche Frucht bringt“ (LuB 97:9). Vor allem hat jemand, der sein Leben Gott weiht, Einfluss auf andere, insbesondere auf diejenigen, die ihm nahestehen und ihm viel bedeuten. Das gottgeweihte Leben vieler, die vor uns waren, und anderer, die unter uns leben, hat dazu beigetragen, die Grundlagen für unser Glück zu legen. Ebenso wird Ihr gottgeweihtes Leben zukünftigen Generationen Mut machen, und sie werden wissen, dass sie Ihnen zu verdanken haben, dass sie das besitzen, worauf es wirklich ankommt. Mögen wir uns selbst als Söhne und Töchter Gottes weihen, „damit wir, wenn er erscheinen wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist; damit wir diese Hoffnung haben“ (Moroni 7:48; siehe auch 1 Johannes 3:2). Das erbitte ich im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Man’s Search for Happiness, Broschüre, 1969, Seite 4f.

  2. B. H. Roberts, „Brigham Young: A Character Study“, Improvement Era, Juni 1903, Seite 574

  3. Thomas Carlyle, Past and Present, 1843, Seite 251

  4. Siehe Thomas S. Monson, „Vorbereitung bringt Segen“, Liahona, Mai 2010, Seite 64ff.

  5. „Die Familie – eine Proklamation an die Welt“, Artikel-Nr. 35538 150