2013
Die Macht des Priestertums in einem Jungen
Mai 2013


Die Macht des Priestertums in einem Jungen

Das Priestertum wirkt in einem Jungen genauso machtvoll wie in einem Mann, wenn es rechtschaffen ausgeübt wird.

Elder Tad R. Callister

Mein Urgroßvater George F. Richards war 1878 gerade 17 Jahre alt. Wie es damals manchmal vorkam, war er schon zum Ältesten ordiniert worden. Eines Sonntags ging es seiner Mutter so schlecht, dass sie unter Schmerzen aufstöhnte. Sein Vater war nicht da, und so gaben ihr der Bischof und einige andere einen Krankensegen, aber es wurde nicht besser. Da wandte sie sich ihrem Sohn George zu und bat ihn, ihr die Hände aufzulegen. Er schrieb dazu in sein Tagebuch: „Mir kamen die Tränen, weil meine Mutter so litt und ich eine heilige Handlung durchführen sollte, die ich noch nie vorgenommen hatte. Ich zog mich in ein anderes Zimmer zurück, wo ich weinte und betete.“

Als er sich wieder gefasst hatte, legte er ihr die Hände auf und gab ihr einen ganz schlichten Segen. Er sagte später: „Meine Mutter hörte auf zu stöhnen und ihre Schmerzen ließen nach, noch während meine Hände auf ihrem Kopf ruhten.“ Dann schrieb er eine sehr lehrreiche Beobachtung in sein Tagebuch. Er berichtete, er habe stets den Eindruck gehabt, seiner Mutter habe der Segen des Bischofs nicht deshalb keine Linderung verschafft, weil der Herr den Segen des Bischofs etwa nicht anerkannte, sondern weil er diesen Segen für einen Jungen aufgespart hatte, dem er beibringen wollte, dass das Priestertum in einem Jungen genauso machtvoll wirkt wie in einem Mann, wenn es in Rechtschaffenheit ausgeübt wird.

Über diese Macht möchte ich heute Abend sprechen. Ich wende mich zwar an die Diakonskollegiumspräsidenten, doch die angesprochenen Grundsätze treffen auf alle Jungen zu, die das Aaronische Priestertum tragen, sowie auf deren Führer, darunter die Lehrerkollegiumspräsidenten und die Assistenten der Priesterkollegiumspräsidenten.

Als Missionspräsident habe ich beobachtet, wie die jungen Männer während ihrer Jahre auf Mission enorm an Geistigkeit und Führungsqualitäten zugenommen haben. Wenn man diese Fähigkeiten, die sie im Aaronischen Priestertum und auf Mission entwickeln, grafisch darstellen könnte, würde das vielleicht so aussehen wie die blaue Linie in diesem Schaubild: Ich denke dabei an mindestens drei Schlüsselfaktoren, die zu diesem enormen Wachstum auf Mission beitragen: 1.) Wir vertrauen diesen jungen Männern wie niemals zuvor; 2.) wir haben hohe, aber liebevolle Erwartungen an sie und 3.) wir schulen sie auf regelmäßiger Basis, damit sie diese Erwartungen glänzend erfüllen können.

Da stellt sich jedoch die Frage, ob man diese Grundsätze nicht bereits bei den Diakonskollegiumspräsidenten anwenden könnte. Wenn man das machte, würde das Wachstum womöglich viel früher einsetzen und eher wie die grüne Linie aussehen. Ich möchte kurz darüber sprechen, inwiefern sich diese Grundsätze auf einen Diakonskollegiumspräsidenten beziehen lassen.

Erstens: Vertrauen. Wir können einem Diakonskollegiumspräsidenten wichtige Aufgaben anvertrauen. Der Herr macht das ganz bestimmt – denn er gibt ihm ja auch bereitwillig die Schlüssel, also das Recht, über das Kollegium zu präsidieren und die Arbeit im Kollegium zu leiten. Als Beweis für dieses Vertrauen wird ein Diakonskollegiumspräsident durch Offenbarung berufen und nicht allein abhängig davon, wie lang er schon Diakon ist, oder dergleichen. Jeder Führungsbeamte dieser Kirche, auch der Diakonskollegiumspräsident, darf sich mit Fug und Recht sicher sein, dass er durch Offenbarung berufen wurde. Er kann also die Gewissheit haben, dass Gott ihm vertraut und ihn auch unterstützt.

Das zweite und das dritte Merkmal hängen zusammen – hohe Erwartungen und die entsprechende Schulung, damit diese erfüllt werden können. Beim Missionsdienst habe ich etwas Wichtiges erkannt: Missionare begeben sich in der Regel auf die Ebene – sei es nun hoch oder runter –, auf der die Erwartungen des Missionspräsidenten liegen. Beim Diakonskollegiumspräsidenten ist das nicht anders. Wenn nur von ihm erwartet wird, die Kollegiumsversammlung zu leiten und am Jugendkomitee der Bischofschaft teilzunehmen, wird er sich darauf beschränken. Sie als Führer können jedoch sein Sichtfeld erweitern – hin zur Sichtweise des Herrn. Warum ist diese Sichtweise so wichtig? Weil ein erweitertes Sichtfeld zu größerer Motivation führt.

Verknüpft mit jeder Berufung in dieser Kirche ist das Recht auf Offenbarung. Der Diakonskollegiumspräsident muss daher wissen, dass er berechtigt ist, Offenbarung zu empfangen, wen er als Ratgeber vorschlagen soll, wie jemand gerettet werden kann, der verloren gegangen ist, und wie er die Mitglieder seines Kollegiums in ihren Pflichten schulen kann.

Ein kluger Führer erklärt dem Diakonskollegiumspräsidenten die Grundsätze, die ihm helfen werden, Offenbarung zu erlangen. Er kann ihm auch diese unmissverständliche Verheißung des Herrn weitergeben: „Wenn du bittest, wirst du Offenbarung um Offenbarung, Erkenntnis um Erkenntnis empfangen.“ (LuB 42:61.) Der Herr ist sehr großzügig, was das Gewähren von Offenbarung betrifft. Schließlich hat er zu Joseph Smith und Oliver Cowdery gesagt: „Du hast mich gefragt, und siehe, sooft du gefragt hast, hast du von meinem Geist Belehrung empfangen.“ (LuB 6:14.) Das gilt auch für euch Diakonskollegiumspräsidenten. Der Herr liebt euch und möchte euch seine Gedanken und seinen Willen offenbaren. Könntet ihr euch jemals vorstellen, dass der Herr ein Problem nicht lösen kann? Ich nicht! Da ihr Anspruch auf Offenbarung habt, kann er euch helfen, jedes Problem, das sich euch als Präsident eures Kollegiums stellt, zu lösen, wenn ihr ihn nur darum bittet.

Als hervorragender Führer sollten Sie dem Diakonskollegiumspräsidenten jedoch auch beibringen, dass Offenbarung kein Ersatz dafür ist, dass man sich anstrengt und seine Hausaufgaben macht. Präsident Henry B. Eyring fragte einmal Präsident Harold B. Lee: „Wie bekomme ich Offenbarung?“ Präsident Lee antwortete: „Wer Offenbarung bekommen will, muss seine Hausaufgaben erledigen!“1 Ein kluger Führer bespricht mit dem Diakonskollegiumspräsidenten einige der geistigen Hausaufgaben, die dieser erledigen sollte, bevor er Ratgeber vorschlägt. Dazu gehört, dass er sich Fragen stellt wie beispielsweise: Wer wäre ein gutes Vorbild und könnte die anderen aufbauen? Wer hat Feingefühl und erkennt, wenn jemand besondere Schwierigkeiten hat?

Und letztlich bringt so ein kluger Führer ihm bei, wie man Offenbarung erkennt und danach handelt. Wir leben in einer rasanten, schnelllebigen Welt, in der grelle Lichter und aufgedrehte Lautsprecher die Norm darstellen. Dieser junge Mann muss jedoch wissen, dass dies die Weise der Welt ist, nicht die Weise des Herrn. Der Heiland wurde in einer ziemlich unauffälligen Krippe geboren, er vollbrachte das herrlichste und unvergleichlichste Werk aller Zeiten in einem stillen Garten, und Joseph Smith hatte die erste Vision in der Abgeschiedenheit eines Wäldchens. Gott antwortet uns mit einer sanften, leisen Stimme – mit einem friedlichen, tröstlichen Gefühl, mit dem Drang, Gutes zu tun, mit Erleuchtung. Und manchmal sät er winzige Gedanken, die, wenn man sie beachtet und pflegt, zu wahren geistigen Mammutbäumen heranwachsen können. Manchmal bringt euch Diakonskollegiumspräsidenten so eine Eingebung oder so ein Gedanke sogar dazu, einen Jungen, der gerade weniger aktiv ist, als Ratgeber vorzuschlagen oder ihm eine Aufgabe zu übertragen.

Vor Jahren hatten wir als Pfahlpräsidentschaft das Gefühl, wir sollten einen guten Mann als Pfahlsekretär berufen. Er hatte zu der Zeit vorübergehend etwas Mühe, regelmäßig in die Kirche zu kommen. Wir wussten jedoch, dass er hervorragende Arbeit leisten würde, falls er die Berufung annahm.

Wir sprachen die Berufung aus, aber er entgegnete: „Nein, das kann ich nicht annehmen.“

Da hatte ich eine Eingebung. Ich sagte: „Dann wird der Pfahl Glendale eben keinen Pfahlsekretär haben.“

Entsetzt erwiderte er: „Wovon reden Sie? Sie brauchen doch einen Pfahlsekretär!“

Ich entgegnete: „Sollen wir jetzt jemand anderes als Pfahlsekretär berufen, obwohl der Herr uns eingegeben hat, Sie zu berufen?“

„Na schön“, sagte er, „dann mache ich es.“

Und so war es. Es gibt nicht nur viele Männer, sondern auch viele Jungen, die eine Berufung annehmen, wenn sie wissen, dass der Herr sie beruft und braucht.

Machen Sie dem Diakonskollegiumspräsidenten als Nächstes klar, dass der Herr unter anderem von ihm erwartet, diejenigen zu retten, die verloren gegangen sind, sowohl weniger Aktive als auch Nichtmitglieder. Der Herr hat den Kern seiner Mission wie folgt beschrieben: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um … zu retten, was verloren ist.“ (Lukas 19:10.) Wenn es dem Heiland wichtig ist, diejenigen zu retten, die verloren gegangen sind, wenn dies auch für Präsident Thomas S. Monson wichtig ist, wie ja sein gesamtes Leben zeigt, sollte es dann nicht für jeden Führer, für jeden Diakonskollegiumspräsidenten in dieser Kirche ebenfalls wichtig sein? Im Zentrum unserer Führung, als Kernstück unseres geistlichen Dienstes, muss der brennende, drängende, unabänderliche Entschluss stehen, die Verlorenen zu finden und zurückzubringen.

Ein Junge, der von seinem Kollegium einmal besucht wurde, sagte dazu: „Ich war verblüfft, als heute auf einmal 30 Leute vor der Tür standen. Ich möchte jetzt wieder in die Kirche kommen.“ Wie kann ein Jugendlicher so viel Liebe und Aufmerksamkeit widerstehen?

Ich bin begeistert, wenn ich all die Berichte höre über Diakonskollegiumspräsidenten, denen diese Vision aufgegangen ist und die ab und zu in der Kollegiumsversammlung einen Teil der Lektion gestalten oder sogar die ganze. Vor ein paar Wochen nahm ich am Unterricht eines Diakonskollegiums teil. Ein zwölfjähriger Junge gab eine 25-minütige Lektion über das Sühnopfer. Zu Beginn fragte er die anderen, was das Sühnopfer ihrer Meinung nach sei. Dann las er einige aussagekräftige Schriftstellen vor und stellte wohlüberlegte Fragen, auf die sie antworteten. Als er jedoch merkte, dass mehr Zeit als Unterrichtsstoff zur Verfügung stand, fragte er geistesgegenwärtig und vielleicht von seinem Vater vorgewarnt die anwesenden Priestertumsführer, welche Fragen über das Sühnopfer man ihnen auf Mission gestellt hatte und was sie darauf geantwortet hatten. Dann schloss er mit seinem Zeugnis. Ich hörte ihm voller Bewunderung zu. Ich konnte mich nicht entsinnen, als junger Träger des Aaronischen Priestertums jemals einen nennenswerten Teil einer Lektion gestaltet zu haben. Wir können bei diesen Jungen die Messlatte höher ansetzen und ihr Sichtfeld erweitern, und sie werden sich darauf einlassen.

Sie als Führer können die Diakonskollegiumspräsidenten am besten fördern, wenn Sie ihnen die Führung überlassen und aus dem Rampenlicht treten. Sie machen Ihre Berufung groß, wenn nicht Sie selbst einen tollen Unterricht abhalten, sondern ihnen helfen, einen tollen Unterricht abzuhalten; wenn nicht Sie zur Rettung des Einzelnen eilen, sondern ihnen helfen, dies zu tun.

Ein altes englisches Sprichwort besagt, man dürfe nicht sterben, solange die Musik im Herzen noch nicht verklungen ist. In diesem Sinne möchte ich auch den erwachsenen Führungsbeamten sagen: Sie dürfen nicht entlassen werden, solange Ihre Führungsqualitäten noch in Ihnen selbst stecken. Lehren Sie die Jugendlichen bei jeder Gelegenheit; zeigen Sie ihnen, wie man eine Tagesordnung aufstellt, wie man würdevoll und warmherzig Versammlungen leitet, wie man den Einzelnen rettet, wie man inspirierten Unterricht vorbereitet und durchführt und wie man Offenbarung empfängt. Daran wird man Ihren Erfolg messen – wie sehr das Vermächtnis Ihrer Führung und Geistigkeit diesen Jungen in Herz und Seele übergegangen ist.

Wenn ihr Diakonskollegiumspräsidenten eure Berufung groß macht, werdet ihr schon jetzt ein Werkzeug in der Hand Gottes sein, denn das Priestertum wirkt in einem Jungen genauso machtvoll wie in einem Mann, wenn es rechtschaffen ausgeübt wird. Wenn ihr dann eines Tages Tempelbündnisse eingeht und auf Mission geht und diese Kirche führt, wisst ihr, wie man Offenbarung empfängt, wie man den Einzelnen rettet und wie man die Lehre des Reiches mit Macht und Vollmacht lehrt. Dann seid ihr zur Jugend von edler Herkunft geworden. Davon gebe ich Zeugnis im Namen Jesu Christi, der der Erretter und Erlöser der Welt ist. Amen.

Anmerkung

  1. Zitiert von Henry B. Eyring in: „Warten auf den Herrn“, Brigham Young University 1990–91 Devotional and Fireside Speeches, 1991, Seite 17