Stimmen von Heiligen der Letzten Tage
Der Herr weiht uns, wenn wir uns ihm weihen
Linz (RS): Für meine Familie und mich war es eine besondere Gelegenheit, die Tage der offenen Tür im Frankfurt-Tempel zu einem Besuch zu nutzen. Dadurch, dass ich viele Jahre im Gebiet des Frankfurt-Tempels gewohnt und auch die ersten Tage der offenen Tür seinerzeit als Jugendlicher intensiv erlebt hatte, wollte ich unbedingt auch mindestens einen Tag dort als Helfer und Besucher verbringen. So wurde ich am 28. September 2019 am Vormittag und am Abend zum Reinigen eingeteilt. Für den Nachmittag hatten wir ein kleines Familientreffen geplant.
Bei den Vorbereitungen kamen mir aber oft folgende Gedanken: Bin ich wirklich gut vorbereitet? Bin ich würdig genug, den Besuchern zu vermitteln, sich nicht nur auf das Gebäude zu konzentrieren? Bin ich bereit, auf Besucher einzugehen und wirklich zu spüren, was der Herr mit ihnen vorhat?
Dabei stellte ich fest, dass ich, obwohl ich einen gültigen Tempelschein besaß, noch eine wichtige Sache aus meiner Vergangenheit in Ordnung bringen musste, bevor ich den Tempel besuchte. Ich beriet mich mit meiner Frau. Mit der Hilfe des Herrn fanden wir eine Lösung, die sicher auch ein Opfer und viel Überwindung kostete.
Präsident Nelson sagte in der Herbst-Generalkonferenz 2019 dazu: „In mancherlei Hinsicht ist es einfacher, einen Tempel aufzubauen, als ein Volk so aufzubauen, dass es für einen Tempel bereit ist. Die Würdigkeit des Einzelnen setzt eine vollständige Bekehrung in den Gedanken und Gefühlen voraus, sodass man mehr wie der Herr wird, ein aufrechter Mitbürger, ein besseres Vorbild und als Mensch noch heiliger.“
Parallel dazu begannen meine Schwester und meine Cousine, das Familientreffen für die Tage der offenen Tür zu organisieren, was sich zu Anfang als sehr schwierig darstellte. Doch das Familientreffen gelang tatsächlich! Wir waren zuerst von fünf bis sieben Personen ausgegangen, die sich beim Tempel treffen wollten, aber auch hier spürten wir die Hand des Meisters: Weit über zwanzig Personen kamen zu einer gemeinsamen Tempelbegehung! Ich konnte erleben, dass der Tempel, obwohl er noch nicht geweiht war, von den Besuchern deutlich als das Haus des Herrn wahrgenommen wurde. Für uns war das Familientreffen auch ein besonderes Ereignis, weil erstmals 1920, vor fast hundert Jahren, Vorfahren von uns sich der Kirche angeschlossen hatten.
Für meinen persönlichen Tag im Tempel stand ich sehr früh auf, um mich durch ein Gebet und einen längeren Spaziergang vorzubereiten. In meinem Gebet bat ich den himmlischen Vater, mir zu helfen, jederzeit bereit zu sein. Das war um 5.30 Uhr. Dass mir aber der himmlische Vater so schnell Aufträge geben würde, damit hatte ich nicht gerechnet! Um 5.50 Uhr, es war noch etwas dunkel, sah ich eine junge Frau auf einer Parkbank sitzen. Ich sah, wie sie nervös auf ihrem Handy tippte. Sie war, genauso wie ich, erstaunt, jemanden um diese Uhrzeit anzutreffen. Ich hatte das Gefühl, dass der Grund, warum sie auf der Bank saß, Liebeskummer oder ein Streit sein musste. Ich traf genau den Punkt und sie bat mich, noch kurz zu bleiben, bis ihr Freund wiederkam. Das tat ich, beruhigte sie, ermunterte sie, nicht mehr zu streiten, und lud sie zu den Tagen der offenen Tür ein.
Ich bekam als Ordner oberhalb des Tempels einen Platz zugewiesen. Eine Besucherin stellte mir ein paar Fragen zum Tempel. Bei diesem Gespräch stellte sich heraus, dass sie als junges Mädchen in Russland die Kirche kennengelernt hatte und getauft worden war. Ich spürte, dass sie Fragen in Bezug auf die ewige Familie hatte. Auch ihr Ehemann und zwei Töchter waren dabei und sie meinte, ihr Ehemann könne damit nicht so viel anfangen. Ich ging also auf ihn zu, nahm ihn in den Arm und sagte: „Ich weiß, das ist alles recht viel für dich, aber du musst keine Angst haben.“ Wir spürten dabei wirklich den Heiligen Geist, und ich meinte: „Ich glaube, deiner Frau bedeutet es sehr viel, mit euch eine ewige Familie zu sein.“
Auch traf ich eine Familie afrikanischer Herkunft aus der Gemeinde Duisburg. Wir führten ein schönes Gespräch und mir wurde die Schwiegertochter vorgestellt, die nicht aus Afrika stammt. Bei dem Gespräch erfuhr ich, dass sie kein Mitglied der Kirche war. Die Familie war vor kurzem in das Gemeindegebiet von Essen gezogen und kannte noch nicht viele Mitglieder. Ich meinte, dass meine Mutter aus dieser Gemeinde stamme und dass mein Onkel und meine Tante dort seit Jahrzehnten als treue Mitglieder dienten und sehr hilfsbereit seien. Wir konnten zu ihnen eine Verbindung herstellen.
Am Nachmittag wurden Schwestern und Brüder unter anderem zum Reinigen und Aufräumen auf dem gesamten Tempelgelände eingeteilt. Obwohl der Tag schon fortgeschritten war, spürte ich vonseiten vieler Mitglieder, die seit vielen Wochen mitgeholfen hatten, kein Nachlassen der Begeisterung. Gegen Mitternacht fand eine besondere Tempelführung mit einer sehr kleinen Gruppe statt, die mich sehr berührte. Ich kann in aller Demut dem himmlischen Vater danken, dass uns seine Hand geführt hat.
Nach den Tagen der offenen Tür stellte ich mir natürlich ernsthaft die Frage, was der Herr weiter mit uns als Familie vorhat. Den Sonntag darauf erlebte ich eine besondere Abendmahlsversammlung in der Gemeinde Wetterau 1. Ein junger Träger des Aaronischen Priestertums, der aufgrund einer Beeinträchtigung nicht alleine das Abendmahl austeilen kann, wurde durch die Reihen geführt, wobei ein anderer Träger des Aaronischen Priestertums ihm sanft die Hand auf die Schulter legte. Das zeigte mir wieder, dass wir entweder durch die Hand des Meisters geführt werden oder stellvertretend andere führen dürfen.
Eigentlich denkt man nach solchen Tagen: Es ist Zeit, sich auszuruhen. Dennoch weiß ich, der Herr ruht nie und hat immer noch so manches mit uns vor.
Als ich zu meiner Tochter zurückkehrte, hörte ich auf dem Parkplatz vor ihrer Wohnung ein Kind schreien. Ich lief zu dem Auto und sah, wie ein Vater sein Kind tröstete, das sich die Hand eingeklemmt hatte. Ich sprach den Mann an und es stellte sich heraus, dass wir einander aus einer früheren Begegnung kannten. Ich bot ihm meine Hilfe an. Er meinte, es sei ihm einfach alles zu viel im Leben. Es war schon fast 20 Uhr abends und ich war bereits ziemlich erschöpft, konnte aber den verzweifelten Mann mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern nicht alleine lassen. In diesem Moment spürte ich wirklich klare Anweisungen vom Heiligen Geist. Ich begleitete die Familie also in ihre Wohnung, wo alles ziemlich chaotisch und unaufgeräumt war. Dort versammelte ich die Familie zu einem Familiengebet, las den Kindern eine Geschichte vor und die Kinder gingen zum Glück friedlich ins Bett. Anschließend führte ich ein Gespräch mit den Eltern. Der Ehemann fragte mich: „Wie werden wir eine ewige Familie?“ Die Zeit war schon fortgeschritten und ich bekam die Eingebung, den Eltern einen Priestertumssegen anzubieten. Dieses Angebot nahmen sie an.
Seitdem sind einige Monate vergangen. Ich durfte die Familie noch einmal treffen, die Missionarinnen aus der Gemeinde Hanau haben sie schon unterweisen können. Ich habe mehrmals in der Woche Kontakt zu den Eltern und sie haben in kleinen Schritten Fortschritte gemacht, weil sie den Anweisungen, die sie durch die Hand des Meisters erfahren haben, gefolgt sind.
So möchte ich demütig Zeugnis dafür geben, dass der Herr uns weiht, wenn wir uns ihm weihen. Obwohl wir als Familie und vor allem als Ehepaar viele Wunder erleben und dadurch gesegnet werden, sind es die einfachen Dinge, die uns dem Herrn näherbringen und uns seine Hand spüren lassen. Ich möchte daher allen Mut machen, wie schwierig die Umstände auch sein mögen, die Hand des Herrn auf dieses Ziel hin zu ergreifen oder andere auf ihrem Weg mitfühlend zu unterstützen, weil es oft auch eine Zeit dauern kann, zum Tempel zu gelangen. Aber man wird auf dem gemeinsamen Weg dorthin eine Vielzahl an Segnungen erleben.