„Der Herr war mit Josef“, Liahona, März 2022
Komm und folge mir nach!
Der Herr war mit Josef
Angesichts der Höhen und Tiefen des Lebens können wir viel von Josef lernen, dem Propheten aus alter Zeit.
Als wir vor vielen Jahren erfuhren, dass meine Frau Terri unser viertes Kind erwartete, war die Freude in unserer Familie groß. Nach wenigen Schwangerschaftsmonaten stellte sich jedoch heraus, dass Terris Gesundheit ernsthaft gefährdet war. Am sichersten war es, sie in ein Krankenhaus einzuweisen, wo man sich rund um die Uhr um sie kümmern konnte. Die Schwangerschaft sollte so lange wie möglich aufrechterhalten werden. Also wurde ihr strikte Bettruhe verordnet.
Für unsere Familie brach nun eine finstere und schwere Zeit an – vor allem für Terri. Sie fühlte sich sehr einsam. Unterdessen stand ich vor der Herkulesaufgabe, mich neben meiner Erwerbstätigkeit um drei kleine Kinder zu kümmern. Außerdem war ich in unserer Gemeinde als Bischof tätig. Das Leben schien uns schwierig und wie auf den Kopf gestellt.
In ihrer Einsamkeit fand Terri Trost in den Worten eines schönen Kirchenliedes:
O bleibe, Herr, der Abend bricht herein.
Bald ist es Nacht, o lass mich nicht allein.
Wenn alles flieht, wenn jede Stütze bricht:
Du, der Verlassnen Hort, verlass mich nicht!1
Der Herr war mit uns
Schließlich musste unser Sohn Jace in einer Notoperation per Kaiserschnitt entbunden werden. Doch sowohl Mutter als auch Sohn waren gut versorgt, denn Terri war ja bereits im Krankenhaus. Wir spürten, wie der Herr seine schützende Hand über uns hielt.
Jace kam vier Wochen zu früh auf die Welt und wurde auf die Neugeborenenintensivstation verlegt. Wir kehrten ohne unser Neugeborenes nach Hause zurück. Die nächsten vier Wochen fuhren wir jeden Tag ins Krankenhaus. Wir schienen auf den bisher tiefsten Punkt in unserem Leben zuzusteuern.
Doch wieder erlebten wir, wie die Hand des Herrn Einfluss nahm. Jace machte so große Fortschritte, dass wir ihn bald mit nach Hause nehmen konnten. Das war für uns die Krönung: endlich als Familie vereint zu sein.
Dann wurde bei Jace eine Sagittalnahtsynostose diagnostiziert. Das bedeutet, dass die oben am Schädel verlaufende Naht frühzeitig verknöchert. Dadurch kann der Kopf eines Babys nicht normal wachsen. Das ließ sich nur durch eine Operation korrigieren. Hierzu musste ein großer Teil des Schädelknochens entfernt werden. Zu diesem Zeitpunkt war Jace gerade einmal drei Monate alt. Diese schwierige Phase standen wir durch, indem wir viel beteten und Priestertumssegen empfingen. Ein weiteres Mal erlebten wir die Hand des Herrn in unserem Leben. Gebete wurden erhört. Segnungen gingen in Erfüllung. Die Operation verlief erfolgreich. Einmal mehr hatte uns das Leben einen Höhepunkt beschert.
Was für eine Achterbahnfahrt! Entlang dieser Reise hat uns der Herr manch eine Lehre erteilt. Wir wissen, dass er uns stets begleitet hat.
Josef durchlebte Höhen und Tiefen
Wenn wir das Alte Testament zur Hand nehmen und uns mit dem Leben Josefs befassen, stellen wir fest, dass sein Lebensweg auch ihn von den Höhen zu den Tiefen und wieder zurückgeführt hat. Außerdem erfahren wir, dass der Herr in guten wie in schlechten Zeiten immer mit ihm war.
Der bunte Rock, den Jakob Josef geschenkt hatte, war zum einen ein schönes Symbol für die Liebe, die Jakob gegenüber Josef empfand, zum anderen war er aber auch Josefs Brüdern ein stetes Ärgernis, denn auf diese Weise wurde ihnen die enge Beziehung zwischen Josef und seinem Vater immer wieder ins Gedächtnis gerufen.
Als sich Josefs Brüder um die Herden ihres Vaters kümmerten, schickte Jakob einmal Josef zu ihnen. Josef machte sich wie gewünscht auf den Weg, allerdings verirrte er sich dann wohl und konnte seine Brüder nicht finden. Also schickte der Herr jemanden, den Josef nach dem Weg fragen konnte (siehe Genesis 37:15-17).
Als Josefs Brüder übereingekommen waren, ihn zu töten, war es wohl kaum ein Zufall, dass gerade in diesem Moment eine Karawane nach Ägypten des Weges kam. Anstatt Josef zu töten oder ihn in einer Zisterne sterben zu lassen, verkauften ihn seine Brüder an die Ismaeliter aus der Karawane (siehe Genesis 37:25-28).
Die Einflussnahme des Herrn zeigte sich erneut, als Josef an Potifar, den Obersten der Leibwache des Pharao, verkauft wurde. Selbst als Diener verstand es Josef, jede Erfahrung zu etwas Gutem werden zu lassen. Potifar setzte Josef als Verwalter über sein Haus ein. Alles, was er besaß, legte er in Josefs Hände (siehe Genesis 39:4). Einen Tiefpunkt hinter sich lassend, war Josef nun an einem Höhepunkt angelangt. Jetzt standen ihm alle mit dem Hause Potifars verbundenen Möglichkeiten und Vorrechte offen.
Doch der Höhepunkt war nur von kurzer Dauer. Josef hatte sich den Annäherungsversuchen von Potifars Ehefrau widersetzt und war davongelaufen. Jetzt beschuldigte sie ihn der Unsittlichkeit. Diese Anschuldigung war zwar erlogen, hätte Josef aber dennoch leicht den Kopf kosten können. Es ist auffällig, dass er stattdessen nur in den Kerker geworfen wurde. Der Herr hielt seine schützende Hand ein weiteres Mal über Josef.
Bemerkenswerter Glaube
Stellen Sie sich vor, Sie sind derjenige, der zu Unrecht ins Gefängnis geworfen wird. Was würden Sie dann tun? Wenn jemand Anlass hatte, entmutigt und verbittert zu sein, dann Josef. Der brutale Fall aus großer Höhe hätte ihn leicht zu der Frage führen können: „Was habe ich denn davon, wenn ich Gott diene? Er bestraft mich doch bloß!“ Doch Josef wurde nicht verbittert, er machte nicht den Herrn für die Misere verantwortlich, und er gab nicht auf. Sein bemerkenswerter Glaube geriet nie ins Wanken.
Selbst in der finsteren Zeit im Kerker wurde Josef vom Herrn nicht im Stich gelassen. Zunächst bot der Herr Josef die Gelegenheit, die Träume des Mundschenks und des Bäckers zu deuten (siehe Genesis 40). Als sich ihm wenige Jahre später die Gelegenheit bot, den Traum des Pharao zu deuten, wies Josef darauf hin, die Fähigkeit zur Traumdeutung sei ihm von Gott verliehen worden (siehe Genesis 41:16). Der Pharao rehabilitierte Josef nicht nur, sondern „stellte … ihn über das ganze Land Ägypten“ (Genesis 41:43). Nachdem Josef jahrelang gelitten und sich abgemüht hatte, versetzte Gott ihn nun in die Lage, Einfluss im Land zu nehmen. Nur dem Pharao war er noch unterstellt – ein weiterer Höhepunkt im Leben Josefs.
Gott meint es gut mit uns
Schließlich begegnete Josef seinen Brüdern wieder, die sich gegen ihn verschworen und ihn in die Sklaverei verkauft hatten. Er hätte verbittert sein können. Er hätte ihnen die Schuld für die „himmelschreiende Ungerechtigkeit“ anlasten können, die sie ihm angetan hatten.2
Doch Josef erkannte, dass die Höhen und Tiefen seines Lebens in der Hand des Herrn lagen. Was Josef seinen Brüdern sagte, gibt Aufschluss über diese Einsicht:
„Ihr habt Böses gegen mich im Sinne gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes im Sinn, um zu erreichen, was heute geschieht: viel Volk am Leben zu erhalten.
Nun also fürchtet euch nicht! Ich selbst will für euch und eure Kinder sorgen. So tröstete er sie und redete ihnen zu Herzen.“ (Genesis 50:20,21.)
Angesichts unseres Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen werden wir auf wunderbare Weise immer wieder daran erinnert, dass Gott es gut mit uns meint. Den gleichen Grundsatz erläuterte der Herr dem Joseph der Neuzeit:
„Wenn von dir gefordert wird, Drangsal durchzumachen, …
wenn du mit falschen Beschuldigungen aller Art beschuldigt wirst, wenn deine Feinde über dich herfallen, wenn sie dich aus der Gesellschaft deines Vaters und deiner Mutter … wegreißen … und du ins Gefängnis geschleppt wirst …,
dann wisse, mein Sohn, dass dies alles dir Erfahrung bringen und dir zum Guten dienen wird.“ (Lehre und Bündnisse 122:5-7.)
Widrigkeiten hat es immer gegeben
Als Terri und ich mit unseren Herausforderungen zu kämpfen hatten, fanden wir Trost in dieser Aussage eines Propheten Gottes:
„Ich möchte Ihnen sagen, dass gewisse Schwierigkeiten schon immer zum Erdenleben gehört haben und dass das auch so bleiben wird. Doch angesichts unserer Erkenntnisse und wenn wir so leben, wie wir es sollen, gibt es wahrlich keinen Raum und keine Entschuldigung für Pessimismus und Verzweiflung. …
Ich hoffe sehr, dass Sie nicht meinen, alle Schwierigkeiten der Welt seien in Ihr Jahrzehnt gezwängt worden oder es habe für Sie persönlich noch nie so schlecht ausgesehen wie jetzt oder es werde nie wieder besser werden. Ich versichere Ihnen, dass alles schon einmal schlimmer war und dass es immer wieder bergauf geht. Das tut es immer – ganz besonders dann, wenn wir das Evangelium Jesu Christi leben, es lieben und zulassen, dass es in unserem Leben Früchte trägt.“3
Anhand dessen, was Josef erlebt hat, und anhand all der bedauerlichen Ereignisse in der Welt lässt sich leicht erkennen, dass auch guten Menschen Schlechtes widerfährt. Auch wer ein rechtschaffenes Leben führt, entgeht keineswegs Herausforderungen und Kummer. Allerdings wird der Herr so, wie er Josef in schweren Zeiten beigestanden hat, auch uns beistehen. Unweigerlich kommen Prüfungen auf uns zu. Sind wir aber entschlossen, in Schwierigkeiten ihn – den Herrn – zu hören, dann leitet und inspiriert er uns genauso, wie das bei Josef der Fall war.