„Schränken wir Gott in unserem Leben ein?“, Liahona, April 2022
Schränken wir Gott in unserem Leben ein?
Der Bischof ist nicht der Einzige, den Gott dafür vorgesehen hat, uns bei unseren Herausforderungen zur Seite zu stehen.
Als Marco als Bischof berufen wurde, war einer seiner ersten Termine bei Bruder Peña und dessen Frau (alle Namen geändert). Beide waren wegen früherer Misshandlungen traumatisiert. Beide brauchten wegen der daraus resultierenden psychischen Probleme dringend Hilfe. Und beide kamen aus einer gescheiterten Ehe und gaben nun in ihrer Patchworkfamilie ihr Bestes. Wegen anhaltender beruflicher Schwierigkeiten war die Eigenständigkeit ein Problem. Die beiden wollten in den Tempel gehen, erfüllten aber nicht die Bedingungen für einen Tempelschein. Einer von beiden saß immer gerade irgendwie in der Klemme.
Marco lagen sie am Herzen, aber es wurde schnell klar, dass sie mehr Hilfe brauchten, als er allein zu geben vermochte.
Leider wollten die Peñas zuerst nicht so recht, dass andere einbezogen wurden. Damals waren viele Mitglieder der Auffassung, dass bei solchen Herausforderungen nur der Bischof helfen könne. Außerdem befürchtete Marco, dass die Peñas das Gefühl hätten, sie seien ihm nicht wichtig, falls er noch jemanden hinzuzöge.
Also bemühte er sich nach Kräften um sie. Er besuchte sie. Er gab ihnen Rat. Er versuchte, sie an einen Therapeuten zu verweisen. Marco und seine Frau besuchten mit ihnen den Eigenständigkeitskurs und halfen ihnen bei ihren finanziellen Schwierigkeiten. Zwar sprangen auch andere Mitglieder der Gemeinde ein, doch der Bischof verbrachte dennoch unzählige Stunden mit den Peñas. Nach fünf Jahren waren sie zwar gesiegelt, hatten aber immer noch größtenteils die gleichen Probleme wie bei dem ersten Zusammenkommen mit dem Bischof.
Rückblickend sagt Marco, dass sowohl er als auch die Peñas damals die Aufgabe des Bischofs missverstanden haben. Außerdem vertrauten die drei nicht darauf, dass sowohl die Gemeinde-FHV-Präsidentin als auch der Ältestenkollegiumpräsident ihrer gottgegebenen Aufgabe nachkommen würden, nämlich den Mitgliedern bei solchen Herausforderungen zur Seite zu stehen. Infolgedessen schränkten sie die Segnungen des Herrn im Leben der Peñas ein.
Unseren Blick und unseren Kreis erweitern
Solch eine Geschichte ist keine Seltenheit. Die meisten von uns sehen im Bischof den geistigen Führer unserer Gemeinde. Er ist der präsidierende Hohe Priester in der Gemeinde und hat die Priestertumsschlüssel inne, das Werk der Kirche in der Gemeinde zu leiten. Da seine Aufgabe laut den heiligen Schriften auch darin besteht, allgemeiner Richter zu sein, brauchen wir seine Hilfe bei Fragen im Zusammenhang mit Würdigkeit und Umkehr. Letztendlich ist er auch dafür verantwortlich, wie die Mittel der Kirche für die Bedürftigen eingesetzt werden. Er ist darum oftmals der Erste, an den wir denken, wenn wir irgendeine Hilfe brauchen.
In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist der Bischof jedoch nicht der Einzige, den der Herr bevollmächtigt hat, für ihn zu handeln. Auch andere Männer und Frauen in der Gemeinde, die auf Weisung von Priestertumsschlüsseln wirken, haben Vollmacht und Macht, Offenbarung zu empfangen und denen zu helfen, die ihnen anvertraut sind. Der Ältestenkollegiumspräsident und die FHV-Präsidentin wurden dazu ernannt, Gottes Führung zu empfangen, um uns helfen zu können. Andere Gemeindebeamte, betreuende Brüder und Schwestern und jeder, der durch die Vollmacht von Priestertumsschlüsseln den Auftrag erhält, im Namen des Herrn zu handeln, können ebenfalls Unterstützung leisten.
„Der Ältestenkollegiumspräsident und die FHV-Präsidentin haben von Gott den Auftrag und erhalten auch Offenbarung, den Mitgliedern zur Seite zu stehen“, erklärt Jean B. Bingham, Präsidentin der Frauenhilfsvereinigung der Kirche. „Jeder, der für eine Berufung eingesetzt wird oder durch Anwendung von Priestertumsschlüsseln einen Auftrag erhält, hat die nötige Vollmacht und das Anrecht auf Offenbarung, die für diese Aufgabe erforderlich ist.“ 1
Gott liebt uns und möchte seine unendliche Macht zu unserem Segen einsetzen (siehe Lehre und Bündnisse 41:1). 2 „Was wir brauchen, gibt er uns aber normalerweise durch andere Menschen.“ 3 Wenn wir diejenigen einschränken, die damit betraut sind, uns zu helfen, schließen wir vielleicht viele Segnungen aus, die Gott eigentlich für uns vorgesehen hat – bloß weil wir nicht die Bedingungen erfüllen, die er für diese Segnungen festgelegt hat (siehe Lehre und Bündnisse 130:20,21). 4
Die FHV-Präsidentin und den Ältestenkollegiumspräsidenten stärker einbinden
Bei der Frühjahrs-Generalkonferenz 2018 gaben die Führer der Kirche bedeutsame Änderungen bekannt, darunter die Umstrukturierung der Priestertumskollegien, die Betreuung anstelle des Heim- und Besuchslehrens und den erweiterten Aufgabenbereich der FHV- und der Ältestenkollegiumspräsidentschaft, um das Werk der Errettung und Erhöhung in der Gemeinde zu leiten. Durch diese Änderungen wurde betont, dass die FHV-Präsidentin und der Ältestenkollegiumspräsident die Hauptverantwortung tragen, über die Mitglieder der Kirche zu wachen und sich um sie zu kümmern. 5 Zudem nehmen sie sich in Absprache mit dem Bischof der zeitlichen Bedürfnisse der Mitglieder an. 6
Diese kürzlich vorgenommenen Änderungen an der Organisation, den Richtlinien und Programmen der Kirche sollen unter anderem bewirken, dass „das Ältestenkollegium und die Frauenhilfsvereinigung ihre Arbeit besser aufeinander abstimmen können. … Außerdem ermöglicht sie es dem Bischof, mehr Aufgaben an den Ältestenkollegiumspräsidenten und die FHV-[Präsidentin] zu delegieren. Dadurch können sich der Bischof und seine Ratgeber auf ihre Hauptaufgaben konzentrieren“ 7 , nämlich auf die heranwachsende Generation in der Gemeinde.
Für den Bischof: Wirksames, von Gott vorgesehenes Delegieren
Da es Aufgaben gibt, die nur der Bischof erfüllen kann, kann es für den Bischof und für bedürftige Mitglieder ein großer Segen sein, eine FHV-Präsidentin und einen Ältestenkollegiumspräsidenten zu haben, die imstande sind, mitzuhelfen.
Zum Beispiel kann nur der Bischof in Würdigkeitsfragen als allgemeiner Richter fungieren. Ebenso ist allein er für die Verwendung des Fastopfers und der Gemeindefinanzen verantwortlich. Er hat die Schlüssel des Aaronischen Priestertums in der Gemeinde inne und darf seine Aufgaben in Bezug auf die heranwachsende Generation nicht vernachlässigen.
Delegieren zu können ist ein Segen für den Bischof und auch für die Mitglieder der Gemeinde. „Ein Bischof muss gut delegieren können, damit ihn die Bürden seines Amtes nicht erschlagen oder es ihn frustriert, dass so vieles unerledigt bleibt“, so Präsident Dallin H. Oaks, Erster Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft. 8
„Der Bischof muss verstehen, dass ihn das nicht schmälert“, meint Schwester Reyna I. Aburto, Zweite Ratgeberin in der Präsidentschaft der Frauenhilfsvereinigung der Kirche. 9 Im Gegenteil: Wenn man andere bittet, im Werk des Herrn mitzuhelfen, und ihnen Gelegenheiten für den Dienst am Nächsten verschafft, baut man sie auf, und sie erlangen Segnungen. Ebendies geschieht, wenn wir im Namen des Erretters handeln und mit seiner Vollmacht, um anderen ein Segen zu sein.
Für Führungsverantwortliche: Wie funktioniert das?
Mitglieder und Führungsverantwortliche erleben diese Segnungen am ehesten in einer Gemeinde, wo die Mitglieder das Ziel der Betreuung ins Blickfeld gefasst haben und wo der Ältestenkollegiumspräsident und die FHV-Präsidentin miteinander und mit dem Bischof gut zusammenarbeiten.
„Im Idealfall nehmen sich der Ältestenkollegiumspräsident und die FHV-Präsidentin bereits der Bedürfnisse der Mitglieder an, über die sie sprechen, wenn sie die Betreuungsarbeit abstimmen“, so Präsidentin Bingham. „Dann kommen sie mit dem Bischof zusammen, legen ihm ihren Maßnahmenplan vor, fragen ihn nach seinen Einsichten und holen seine Zustimmung ein.“ 10
Eines muss uns bewusst sein: Wenn die Mitglieder die Betreuung übernehmen, lässt sich vieles zuwege bringen. „Betreuung ist das Evangelium in Aktion“, erklärt Elder Walter F. González von den Siebzigern. „Den Bedürfnissen der Mitglieder gerecht zu werden, ist nicht nur die Aufgabe des Ältestenkollegiumspräsidenten und der FHV-Präsidentin, so wie es auch nicht nur die Aufgabe des Bischofs ist.“ 11
„Betreuung ist der Schlüssel dazu, Bedürfnissen gerecht zu werden und das Werk der Errettung und Erhöhung voranzubringen“, führt Präsidentin Bingham weiter aus. „Betreuung bedeutet, dass man die Menschen einlädt, zu Christus zu kommen und mit ihm Tempelbündnisse zu schließen. Durch die Betreuung erkennen wir die Bedürfnisse und Stärken der Mitglieder und unterstützen sie dabei, nach dem Evangelium zu leben und eigenständig zu werden.“ 12
Noch nicht das Ende
Kurz nachdem Marco als Bischof entlassen worden war, begann die Pandemie. Bruder Peña verlor seine Arbeitsstelle, und die Familie befand sich erneut in einer seelischen und finanziellen Notlage. Auf den Rat der Führer der Kirche hin und im Einklang mit dem überarbeiteten Handbuch 13 übernahm der Ältestenkollegiumspräsident der Familie Peña die Führung bei der Suche nach inspirierten Möglichkeiten, sie zu unterstützen. Als sich der Ältestenkollegiumspräsident mit dem neuen Bischof beriet, hatte er das Gefühl, er solle Marco beauftragen, Bruder Peña zu helfen.
Das so wichtige zwischenmenschliche Vertrauen war ja bereits aufgebaut. Und mit der Aufgabe, die Marco nun mit der Vollmacht der Priestertumsschlüssel erhielt, konnte er sich darauf stützen, dass er die Offenbarung empfangen würde, die er brauchte, um zu helfen. 14
„Einige würden es vielleicht als Ironie bezeichnen, dass ich gebeten wurde, Bruder Peña zu helfen, nachdem ich mit der Familie schon als Bischof so viel Zeit verbracht hatte“, erzählt Marco. „Aber die Aufgabe ist für mich wunderschön. Ich habe einen Auftrag vom Herrn, in seinem Werk mitzuhelfen. Ich bin dankbar, dass ich nicht nur die Last der Familie Peña, sondern auch die des Bischofs leichter machen kann.“