2023
Das Dorfleben in Galiläa zur Zeit Jesu Christi
März 2023


Hintergrundwissen zum Neuen Testament

Das Dorfleben in Galiläa zur Zeit Jesu Christi

Wenn wir mehr über das Dorfleben zur Zeit Jesu wissen, können wir seine Lehren besser verstehen und ihm selbst näherkommen

Jesus am Ufer des Sees Gennesaret

Im Neuen Testament steht in den Evangelien, dass Jesus den Großteil seines Lebens und Wirkens in den jüdischen Dörfern nahe dem See von Galiäa verbracht hat, einem Süßwassersee im Norden von Judäa, der umgeben ist von niedrigen Hügeln und landwirtschaftlich genutzten Flächen.1

Dieses Gebiet bildet nicht nur den physischen, kulturellen und religiösen Rahmen für die Kindheitsjahre Jesu; dort berief er auch seine ersten Jünger, vollbrachte viele seiner Wunder und begann, die „gute Nachricht“ vom Reich Gottes zu verkünden.2

Wenn wir über das örtliche Dorfleben im ersten Jahrhundert nach Christus mehr Bescheid wissen, können wir seine Lehren besser verstehen und Geschichten zum Evangelium erwachen für uns auf eine Weise zum Leben, die uns ihm näherbringt.

Bevölkerung

Schriftstellen, historische Quellen und archäologische Grabungen in der Nähe des Sees von Galiläa deuten darauf hin, dass dieses Gebiet zwar schon zuvor von einigen nördlichen Stämmen Israels bevölkert gewesen war,3 dass aber die galiläischen Dörfer, die wir aus der Zeit Jesu kennen – etwa Nazaret, Kana, Naïn, Kafarnaum, Chorazin und andere – erst in den ersten beiden Jahrhunderten v. Chr. besiedelt wurden, als nämlich judäische Familien als Angehörige des sich ausdehnenden hasmonäischen Reiches nordwärts zogen.

Zur Zeit des Neuen Testaments lebten dort in jedem Dorf einige hundert bis einige tausend Einwohner, von denen die meisten in der Landwirtschaft, im Fischfang oder im Handel tätig waren. Jesus spielte in seinen Gleichnissen und Predigten oft auf derlei Tätigkeiten an.4

Bauten

Der Alltag in den Dörfern Galiläas gestaltete sich relativ schlicht und bescheiden, vor allem im Vergleich zu den größeren Städten der Region (zum Beispiel Jerusalem) mit ihrem römischen Stadtbild und der ausgeklügelteren Bautechnik sowie den dortigen Annehmlichkeiten.

In den Dörfern in Galiläa gab es üblicherweise keine übergeordnete Stadtplanung, weder gepflasterte Straßen und Plätze noch monumentale Bauwerke – und auch keine Wasserleitung. Die Dörfer setzten sich größtenteils aus einigen Grüppchen von Häusern mit jeweils einer schlichten Wohnstube zusammen, die um einen gemeinsamen Hof angeordnet waren, sodass es also nur wenig Privatsphäre gab. Die Häuser bestanden aus übereinandergestapelten und mit Mörtel verbundenen Feldsteinen und hatten ein strohgedecktes Dach, das mit einer Schicht Putz bedeckt war.5 Darin wohnten jeweils Großfamilien, die sowohl in der Landwirtschaft als auch beim Fischen, bei ihrem Handwerk oder etwa bei der Essenszubereitung alle mit Hand anlegten.6

Diese Häuser wurden bei Bedarf erweitert, und so entstanden ganz von selbst unbefestigte Wege und Gassen, die in den heißen Sommermonaten zur Staubentwicklung beitrugen und deren Boden in den regnerischen Wintermonaten aufgeweicht war.

Familienleben

Da die Steuern damals hoch waren und die meisten Familien nur knapp über dem Existenzminimum lebten, wiesen die Häuser in den Dörfern Galiläas keinerlei schmückende Elemente auf, waren nur spärlich möbliert und enthielten keine Luxusgüter.

Die Familie bereitete ihre Mahlzeiten in der Regel mithilfe von Mahlsteinen und Öfen zu. Man saß und schlief auf Schilfmatten, die den Lehmboden des Hauses bedeckten. Alle aßen gemeinsam direkt aus dem Kochtopf, indem sie etwa Brot in die Suppe oder den dünnen Eintopf tunkten.

Zu einer typischen Mahlzeit gehörten auch einheimische Weine, Olivenöl, Hülsenfrüchte (Linsen, Bohnen und Kichererbsen), Obst (Trauben, Oliven, Feigen und Datteln), Gemüse (Zwiebeln, Lauch und Kohl), Fisch und Milchprodukte (Ziegenkäse, Butter und Milch).

Da es in den Siedlungen weder fließendes Wasser noch Bäder gab, dürfte die Hygiene unter den Dorfbewohnern Galiläas deutlich unter dem heute Üblichen gelegen haben.

Bräuche

Typisch für die Dörfer im Galiläa des ersten Jahrhunderts n. Chr. war zudem, dass die Einwohnerschaft hauptsächlich aus konservativen jüdischen Familien bestand, die treu nach ihrem Glauben lebten.

Sie sprachen Aramäisch (vielleicht vermischt mit gelegentlichen hebräischen Wörtern und Formulierungen), begingen Feiertage wie etwa den Sabbat (der mit dem Entzünden kleiner Öllampen eingeläutet wurde) und hielten sich an die koscheren Speisegesetze, wie sie in der Thora vorgeschrieben waren.7 Sie sprachen jüdische Gebete wie das Schma Israel8, hielten ein unterschiedliches Maß an ritueller Reinheit aufrecht9, kamen in bescheidenen Synagogen10 zusammen und gaben Geschichten und Lehren aus den heiligen Schriften mündlich weiter.

Kleidung

Die meisten Dorfbewohner konnten es sich nicht leisten, lange Gewänder oder mehrere Lagen Kleidung zu tragen, sondern trugen stattdessen die im römischen Palästina übliche Kleidung: eine einfache, knielange, ärmellose Tunika mit einem Gürtel, Ledersandalen und einen Mantel, der in der Winterzeit als Wärmespender um die Schultern gelegt wurde.

Darüber hinaus trugen jüdische Männer an den Zipfeln ihres Mantels heilige Quasten (es gibt keinen Hinweis auf eine religiöse Kopfbedeckung zu jener Zeit), und verheiratete Frauen trugen ihr Haar hochgesteckt in einem kleinen Netz.11

Diese und andere Aspekte des jüdischen Alltags im ersten Jahrhundert n. Chr. in Galiläa bieten einen wertvollen Einblick in die Welt, in der Jesus gelebt hat. Wenn wir sie beim Lesen der Evangelien im Sinn behalten, können uns sein irdisches Wirken, seine Botschaften und seine Aufrufe zur Nachfolge in erheblich klarerem Licht erscheinen.