„Wie das Gefühl des Zerbrochenseins zum Wiederaufbau des Fundaments meines Glaubens führte“, Liahona, September 2024
Junge Erwachsene
Wie das Gefühl des Zerbrochenseins zum Wiederaufbau des Fundaments meines Glaubens führte
Nachdem ich einige schwere seelische, körperliche und geistige Schwierigkeiten durchlebt hatte, fand ich heraus, was es bedeutet, durch unseren Erretter Jesus Christus Heilung zu finden.
Als ich gerade in Frankreich auf Mission war, brach die Welt aufgrund der Coronapandemie zusammen und über das gesamte Land wurde eine strikte Ausgangssperre verhängt. Mein ganzes Leben lang hatte ich gegen Depressionen angekämpft. Daher befürchtete ich, der erzwungene Hausarrest würde dazu führen, dass ich erneut in eine depressive Phase abgleite. Doch die erste Woche der Quarantäne – es war die Woche, die der historischen Frühjahrs-Generalkonferenz 2020 vorausging – reihte sich in die geistigsten Momente meines bisherigen Lebens ein.
Rückblickend glaube ich, dass der Herr mich durch die Erfahrungen dieser Woche gestärkt hat, damit ich den herannahenden Sturm überstehe.
Elder Gary E. Stevenson vom Kollegium der Zwölf Apostel sprach auf besagter Konferenz darüber, auf welche Weise die Fundamente des Salt-Lake-Tempels instand gesetzt werden sollten. Er stellte einen Bezug zwischen den Umbauarbeiten und unserem eigenen Leben her und forderte uns auf, über folgende Frage nachzudenken:
„Was sind die Grundelemente meines spirituellen und seelischen Wesens, die es mir und meiner Familie ermöglichen, standhaft und unverrückbar zu bleiben und selbst den welterschütternden und turbulenten Beben standzuhalten, die wir sicherlich alle erleben werden?“
Als ich ihm zuhörte, ließ mich der Geist spüren, dass ich – wie der Tempel – in nächster Zeit in mancherlei Hinsicht in die Brüche gehen werde. Ich spürte aber auch, dass der Herr – vorausgesetzt, ich wende mich inmitten dieser Schwierigkeiten an ihn – mir helfen werde, das Fundament meines Glaubens zu stärken.
Das Gefühl des Zerbrochenseins
Wie zu erwarten war, wurde ich bald darauf depressiv und verfing mich in Suizidgedanken, die endlos in meinem Kopf kreisten. Ich fühlte mich psychisch, emotional und geistig ausgelaugt.
Nach zwei Monaten Quarantäne wurde es etwas besser. Dank veränderter Lebensumstände – ich erhielt Antidepressiva und die Ausgangssperre wurde aufgehoben – erholte sich meine Psyche wieder ein wenig. Doch bald darauf war mir ständig übel und ich bemerkte am Halsansatz drei große Knoten.
Zunächst schenkte ich diesen Beulen keine Beachtung. Doch als sich die Symptome verschlimmerten, wurde mir klar, dass ich nicht länger auf Mission bleiben konnte. Also kehrte ich nach Hause zurück. Schnell wurde bei mir Lymphdrüsenkrebs – Morbus Hodgkin – festgestellt.
Die Antidepressiva, die ich nehmen musste, wirkten betäubend auf meine Emotionen, weshalb ich die sechsmonatige Chemotherapie anfangs eher apathisch hinnahm.
Dennoch war ich dem körperlichen Zusammenbruch nahe.
Das Wiederaufbauen meines geistigen Fundaments
Ein Jahr nach Ende der Chemotherapie fühlte ich mich körperlich langsam besser. Ich war wieder am College und schmiedete Pläne. Doch der sengende geistige Schmerz und die Teilnahmslosigkeit, die ich auf Mission und bei der Chemotherapie empfunden hatte, waren nun einem allgemeinen Gefühl der Gleichgültigkeit dem Vater im Himmel und Jesus Christus gegenüber gewichen.
Rückblickend auf das, was ich durchgemacht hatte, durchlief ich ein Wechselbad der Gefühle und glaubte, Gottvater und Christus hätten mich ausgerechnet dann, als ich am Boden war, schmählich im Stich gelassen.
Der Vater im Himmel wusste jedoch, welchen Weg ich einschlagen musste, um geheilt zu werden.
Ich glaubte, vor den Trümmern und Überresten meines einst so starken Glaubens und meiner ehemals so dynamischen Persönlichkeit zu stehen und nichts ausrichten zu können. Ich kam mir selbst so fremd vor. Zwar wandelte sich mit der Zeit mein Herz und ich wurde für die Bestrebungen des Herrn, mich zu erreichen, empfänglicher; doch wegen meiner Gleichgültigkeit gegenüber dem Evangelium fühlte ich mich in geistiger Hinsicht schuldig, verunsichert und unwürdig.
Nachdem ich einige Monate lang über meine geistige Gesundheit nachgedacht hatte, erhielt ich die Eingebung, auf geistiger Ebene kleine Veränderungen vorzunehmen. Eine Zeit lang hatte ich meine Niedergeschlagenheit ausgeblendet, jetzt aber wollte ich etwas für meine schmerzende, von den Erlebnissen der jüngeren Vergangenheit verletzte Seele tun.
Bald schon war ich in der Lage, in meinem Leben die Hand des Vaters im Himmel zu erkennen. Meine Freunde und Angehörigen brachten das Thema Heilung zur Sprache, ohne jedoch zu wissen, dass ich in geistiger Hinsicht kaum noch etwas empfand. Jemand drückte mir sogar eine Ansprache in die Hand, die Elaine S. Marshall einmal bei einer Andacht gehalten hatte.
Ich las sie eher widerstrebend.
Schwester Marshall zog als Krankenschwester Parallelen zwischen körperlicher und geistiger Heilung. Sie erklärte: „Heilung ist kein Heilverfahren. Eine Heilbehandlung erfolgt im Handumdrehen – sauber, rasch und oftmals unter Narkose. … Heilung ist ein sich langsam entwickelnder Prozess der Genesung und Weiterentwicklung, der oft ein Leben lang andauert – trotz oder vielleicht gerade wegen der erlittenen körperlichen, seelischen oder geistigen Verletzungen. Sie erfordert Zeit.“
Ich denke, es war kein Zufall, dass die Behandlung meiner Krebserkrankung eine sechsmonatige Chemotherapie erforderte. Eine Chemotherapie hat drastische Auswirkungen und ist äußerst anstrengend. Während ich miterlebte, wie mein Körper nach und nach heilte, wurde mir interessanterweise ein entscheidender Grundsatz der geistigen Heilung vor Augen geführt: Ich darf auf die Gnade Jesu Christi zurückgreifen und mir die Zeit und den Raum zur Heilung meiner Beziehung zu ihm und zum Vater im Himmel nehmen.
Die Gnade des Erretters empfangen
Gnade ist göttliche Hilfe, eine helfende und stärkende Macht und geistige Heilung. Gnade ist eine Gabe, die uns der Vater im Himmel schenkt und die „uns durch das Sühnopfer“ des Herrn Jesus Christus zuteilwird.
Ein leuchtendes Beispiel für jemanden, der die heilende Macht Jesu Christi durch das Sühnopfer erfahren hat, ist für mich Alma der Jüngere. Drei Tage lang lag er im Koma und wurde von „den Schmerzen einer verdammten Seele“ gepeinigt. Da erinnerte er sich daran, was sein Vater über Jesus Christus gesagt hatte (siehe Alma 36:16,17). Zu Beginn hatte er den Wunsch, dass ihm geholfen werde, und dann wandte er sich Christus zu, wodurch sich seine Lebensbahn dergestalt änderte, dass er in geistiger Hinsicht geheilt werden konnte (siehe Alma 36:18-22).
Mein erster Schritt zur geistigen Heilung bestand darin, in mir den Wunsch zu wecken, mit Gott in Verbindung zu treten. Alma gab mir mit seinen Worten vor, wie der Anfang gemacht werden kann: „Wenn ihr … einen Funken Glauben ausübt, ja, selbst wenn ihr euch nur wünschen könnt, zu glauben, dann lasst diesen Wunsch in euch wirken, ja, bis ihr auf eine Weise glaubt, dass ihr einem Teil meiner Worte Raum geben könnt.“ (Alma 32:27.)
Ich kann aus eigener Erfahrung bezeugen, dass diese Lehre wahr ist.
Wir können den Wunsch entwickeln, dann ein Samenkorn (das Wort Gottes) pflanzen und dieses Samenkorn nähren, bis daraus etwas Reales und Konkretes entsteht. Die Früchte unseres Glaubens an Jesus Christus entspringen letztlich dem, dass wir miterleben, wie sich unsere Taten, Meinungen und Überzeugungen, unser Herz, unser Sinn und dann unsere Seele wandeln. Er ist es, auf dem wir unsere Grundlage bauen (siehe Helaman 5:12).
Mein Wunsch, wieder den Geist und wieder Freude am Evangelium zu spüren, bewirkte – ähnlich wie bei Alma – eine komplette Neuausrichtung, die mich durch den Heilungsprozess hindurchbegleitete. Seitdem hilft mir der Erretter, mich mit meinen Gefühlen aus der Vergangenheit zu versöhnen. Ich habe gelernt, von dem Groll abzulassen, den ich früher Gott, dem Herrn und meinen eigenen Schwächen gegenüber gehegt habe.
Dank Jesus Christus habe ich Teile von mir, von denen ich dachte, sie seien im dichten Nebel meiner Prüfungen verloren gegangen – etwa meine Persönlichkeit, meine Wünsche und meine Liebe zum Evangelium –, wieder zurückbekommen. Dadurch fühle ich mich jetzt wieder heil, erneuert und wiederhergestellt.
Ein stärkeres Fundament
Schmerz und Anfechtungen haben mich verändert. Als ich dann durch Jesus Christus Heilung fand, baute ich das Fundament meines Glaubens tatsächlich neu auf ihn auf. Im Laufe der Zeit und mit fortschreitender Heilung erkenne ich, dass ich dank Jesus Christus lernen kann, trotz meiner Schwierigkeiten Freude zu haben. Mir ist jetzt klar: Wenn wir eine Prüfung durchmachen, ist das Wichtigste daran nicht das, was uns niederzwingt, oder der Schmerz, den wir empfinden. Vielmehr ist es das, was darauf folgt: wenn wir mithilfe der Gnade des Erretters unsere Heilung und unseren Wiederaufbau erleben.
Elder Patrick Kearon vom Kollegium der Zwölf Apostel hat erklärt: „Liebe Freunde, die Sie … die Ungerechtigkeiten des Lebens ertragen [mussten,] Sie können noch einmal ganz neu anfangen. In Getsemani und auf Golgota hat Jesus ‚alle Qualen und Leiden auf sich [genommen], die Sie und ich … je durchgemacht haben‘ [Russell M. Nelson, „Der richtige Name der Kirche“, Liahona, November 2018, Seite 88] – und er hat all dies überwunden!“
Deshalb bitte ich inständig alle, die sich innerlich zerbrochen fühlen, tapfer zu sein, durchzuhalten und auf den Herrn und seine heilende Macht zu vertrauen. Mit der Zeit, mit Geduld und dem Wunsch dazu – so gering er auch sein mag – kann seine Gnade uns verwandeln, unser Fundament wieder aufbauen und bewirken, dass wir uns wieder heil fühlen.
Das ist das Geschenk, das er jedem von uns anbietet.
Die Verfasserin lebt im US-Bundesstaat North Carolina.