„Worte, die das Herz anrühren“, Liahona, Oktober 2024
Gelebter Glaube
Worte, die das Herz anrühren
Was Musik angeht, hat sich – von dem Moment an, als ich die Kirche kennenlernte, bis hin zu meiner Arbeit, die es den Mitgliedern ermöglicht, die Lieder der Kirche in ihrer Muttersprache anzuhören und zu singen – für mich ein Kreis geschlossen. Musik war und ist für meine Familie ein großer Segen.
Musik gehört immer schon untrennbar zu meinem Zeugnis. Als ich die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage kennenlernte, saßen Familien beisammen und sangen das Lied „Ich bin ein Kind von Gott“ (Gesangbuch, Nr. 202). Ich dachte: „Alle sind so glücklich. Das ist ja wie im Himmel! So sehen Familien aus, die ihr Glück gefunden haben.“
Der schönste Teil des Evangeliums ist für mich die Familie. Wenn ich mir überlege, was alles geschehen musste, damit meine eigene Familie zum Evangelium gefunden hat, wird mir bewusst, dass Gott für jede Familie einen Plan hat.
Von Burma nach Indien
Meine Mutter stammt aus Burma, aber als dort politische Unruhen ausbrachen, floh sie mit ihren Eltern und drei Schwestern nach Indien. Sie ließen alles zurück. Kurz darauf musste sie den Tod ihrer Eltern verkraften. Als Älteste fiel ihr die Aufgabe zu, sich um ihre drei Geschwister zu kümmern.
Die Kinder kamen schließlich in ein Waisenhaus. In der Hoffnung, sich und ihren Schwestern ein besseres Leben zu ermöglichen, beschloss meine Mutter mit 18, nach Neu-Delhi zu ziehen. Dort lernte sie Ashima Chaudhuri kennen, die Rektorin an einem College war, das jungen Frauen Unterstützung bot. Ashima nahm meine Mutter unter ihre Fittiche und wurde zu ihrer Mentorin. Nach Abschluss ihres Studiums wurde meine Mutter Ashimas Assistentin. Zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine sehr enge Freundschaft.
Ashima hatte selbst zehn Geschwister. Über Reza, ihren jüngsten Bruder, sprach allerdings niemand. Er galt als das schwarze Schaf. Nachdem Reza im Verlauf seines Studiums in England den Vollzeitmissionaren begegnet war, hatte er sich nämlich der wiederhergestellten Kirche angeschlossen. Er war damals Student des muslimischen Glaubens gewesen. Dass er den Islam aufgab, um sich der Kirche anzuschließen, sorgte daher für große Aufregung.
Reza zog dann nach Toronto in Kanada. Dort hatte er einen Traum, in dem er aufgefordert wurde, nach Indien zurückzukehren und Kontakt zu seiner Schwester Ashima aufzunehmen. Kurz darauf hatte er einen weiteren Traum, in dem ihm eine ihm unbekannte Frau erschien. Da er diese Frau immer wieder im Traum sah, spürte er eine zunehmende Dringlichkeit, nach Indien zurückzukehren.
Allerdings machte sich Reza Sorgen, weil seine Familie ihn ja sozusagen verstoßen hatte. Doch als er sich in Neu-Delhi mit Ashima in Verbindung setzte, versicherte sie ihm: „Du fehlst mir. Du solltest herkommen.“
Da meine Mutter zu dieser Zeit nicht in Neu-Delhi war, rief Ashima Assiya an, eine meiner Tanten. „Kannst du bitte herkommen?“, fragte sie. „Es ist besser, wenn noch jemand hier ist. Sonst fangen mein Bruder und ich bloß an zu streiten.“
Also tat ihr meine Tante Assiya den Gefallen. Reza war schon da, als sie ankam. Er erkannte sie sofort als die Frau, von der er geträumt hatte. Sie verliebten sich ineinander und heirateten bald. Als meine Tante Assiya zu Reza nach Toronto zog, fragte sie ihn, was es mit der Kirche auf sich habe, wieso er Indien verlassen und warum er es auf sich genommen habe, von seiner Familie verstoßen zu werden.
Reza beantwortete ihre Fragen und gab Zeugnis für das wiederhergestellte Evangelium. Bald darauf schloss sich meine Tante der Kirche an.
„Ich möchte gern mehr darüber wissen“
Damals Zeit lebten meine Mutter und ich in Neu-Delhi. Ich stand meiner Tante sehr nahe. Also besuchte ich, als ich elf, sie und Onkel Reza im Sommer in Toronto. Dort lud mich meine Tante in die Kirche ein. Bei meinem ersten Besuch war ich fasziniert davon, wie die Familien gemeinsam Kirchenlieder sangen. Etwas Derartiges hatte ich nie zuvor erlebt.
„Was für ein Ort ist das nur?“, fragte ich meine Tante nach der Versammlung. „Alle sind so unbeschwert und freundlich. Ich möchte gern mehr darüber wissen.“
Zwei Missionarinnen kamen und unterwiesen mich im Evangelium. Mir war klar, dass ich Teil dessen sein wollte, was ich da gerade lernte. Das Evangelium brachte mir Freude, also wollte ich mich der Kirche anschließen. Das tat ich dann auch.
Als Jugendliche ging ich aufs Internat; daher hatte ich stets lange Sommerferien. Da meine Mutter arbeitete und meine Eltern geschieden waren, wurde Kanada zu meinem bevorzugten Ziel für den Sommer. Meine Tante und mein Onkel wurden zu einer Art Ersatzeltern.
Onkel Reza kommt ursprünglich aus Pakistan. Er übersetzte damals Kirchenlieder in Hindi und Urdu. In der Abendmahlsversammlung sangen wir oft die von ihm übertragenen Lieder der Kirche.
Schließlich wollte auch meine Mutter mehr über die Kirche erfahren, der sich ihre Tochter und ihre Schwester angeschlossen hatten. Also kam sie mit den Missionaren zusammen und ließ sich bald darauf taufen. Meine Mutter und meine Tante sorgten dafür, dass ich jeden Sommer in Toronto war, damit ich in die Kirche gehen und an den Veranstaltungen teilnehmen konnte.
Als es an der Zeit war, mich für einen Studienplatz zu bewerben, halfen mir meine Tante und mein Onkel, an der Brigham-Young-Universität angenommen zu werden. Dort lernte ich auch meinen späteren Mann kennen; er kommt aus Argentinien. Ich denke oft darüber nach, was uns als Familie zusammenbringt. Durch die Kirche lernt ein junger Mann aus Argentinien eine junge Frau aus Indien kennen und nimmt sie zur Frau.
Ein Vermächtnis der Glaubensstärke
Heute leite ich ein Team, das mit der Übersetzung der Lieder der Kirche betraut ist. Ich bin bei Projekten in sechs verschiedenen Sprachen tätig. Unter anderem arbeite ich an der Übersetzung von Liedern ins Nepalesische und ins Burmesische, der Muttersprache meiner Mutter. Die Arbeit macht mir Freude und ist sehr bereichernd. Ich habe auch mit den Sprachen Amharisch (gesprochen in Äthiopien), Twi und Fante (gesprochen in Ghana) und Singhalesisch (gesprochen in Sri Lanka) zu tun.
Ich mag meine Arbeit sehr, denn mit der Musik schließt sich ein Kreis in meinem Leben. Durch die Musik fand ich schnell Zugang zur Kirche. Jetzt denke ich daran, wie viele Menschen die Kirchenlieder in ihrer Muttersprache hören können und wie sehr sie das dann bewegt. Ich gebe das Evangelium durch die Lieder weiter, und ich erkenne, wie durch meine Arbeit die Verheißungen aus meinem Patriarchalischen Segen in Erfüllung gehen.
Mein Onkel und meine Tante sind inzwischen verstorben, aber durch die Lieder spüre ich das Vermächtnis ihrer Glaubensstärke. Mein Onkel gab am liebsten durch Lieder Zeugnis.
„Eines Tages werden die Mitglieder der Kirche diese Lieder in ihrer Muttersprache anhören und singen“, war sein Credo. „Die Menschen werden verstehen, was die Lieder vermitteln, und die Worte werden ihr Herz anrühren.“
Ich darf an diesem Projekt mitwirken. Das ist für meine Familie ein großer Segen.